Der VfB hat noch im alten Jahr einen neuen Trainer präsentiert: Pellegrino Matarazzo kommt aus Hoffenheim nach Stuttgart. Wir haben uns mit einem Experten über eine seiner beiden bisherigen Trainerstationen unterhalten.
Ich habe nochmal nachgezählt: In der viereinhalbjährigen Geschichte dieses Blogs stellen wir heute zum sechsten Mal einen neuen Trainer vor. Zorniger wurde Trainer, bevor es uns gab, Kramny brauchten wir als interne Lösung nicht vorzustellen, dann kamen Luhukay, Wolf (Janßen als Drei-Spiele-Interimstrainer lassen wir ebenfalls außen vor), Korkut, Weinzierl und Walter. Jedes Mal verbanden wir die Vorstellung des neuen Trainers mit der Hoffnung, einen solchen Artikel in absehbarer Zeit nicht mehr schreiben zu müssen, jedes Mal wurden wir enttäuscht. Sei es drum, tun wir noch einmal so, als könnte dies die letzte Trainervorstellung für eine Weile sein und befassen uns mit jemandem, dessen Namen in Stuttgart nun wirklich niemand auf der Liste hatte: Pellegrino Matarazzo.
Keine Namenswitze, bitte!
Der hat zwar einen italienischen Namen, ist aber US-Amerikaner und Italiener zugleich, born and raised in New Jersey. Der Spitzname “Rino” ist eine Kurzfrom von Pellegrino und ich bin gespannt, ob sich das hier durchsetzt. Ich überspringe Euch zuliebe alle Wortspiele zu seinem Geburtsort und solche mit Bezug auf Mineralwasser und das WM-Finale 2006. Auch seinen Werdegang in den USA und der Weg zur Entscheidung, sein Fußballglück in Deutschland zu suchen, brauche ich nicht nochmal wie andere von der Homepage des SAP-Vereins abzuschreiben (zumal der Artikel dort mittlerweile verschwunden ist). Auch seine Karriere als aktiver Spieler — von Bad Kreuznach nach Wehen, nach Münster, zurück nach Wehen und weiter nach Wattenscheid — ist für seine Vorstellung weniger relevant, mal abgesehen von seiner letzten Station.
Bei meiner Zeit beim Club habe ich Rino als sehr guten und akribischen Trainer und einen großartigen Menschen kennengelernt. Ich gönne ihm das sehr!
— Manuel Schindler (@ManuelSchindle7) December 30, 2019
Die hieß nämlich Nürnberg und dorthin brachte ihn, um die im Tweet gestellte Frage zu beantworten, Dieter Nüssing, Ex-Club-Spieler und langjähriger Scout im Nachwuchsleistungszentrum des Vereins. Wie Matarazzo dort vor zehn Jahren vom Spieler zum Trainer wurde, hat Kersten Eichhorn beim SWR aufgeschrieben. In Nürnberg war er zunächst Co-Trainer der zweiten Mannschaft und wurde dann 2012 Trainer der B‑Junioren, ein Jahr später stieg er zu den A‑Junioren auf, die er bis 2017 betreute. Während dieser Zeit absolvierte er auch den obligatorischen DFB-Trainerlehrgang, übrigens gemeinsam mit Nico Willig, Domenico Tedesco und seinem späteren Chef Julian Nagelsmann. Dann wechselte er nach Hoffenheim und war dort Trainer der A‑Jugend, bis Nagelsmann ihn im Januar 2018 zu seinem Co-Trainer der Bundesliga-Mannschaft machte. Diese Position behielt er auch unter dem neuen Trainer Alfred Schreuder bis zuletzt bei.
In Nürnberg vom Spieler zum Nachwuchstrainer
Über Matarazzos Zeit in Nürnberg, wo er insgesamt 100 Spiele als Cheftrainer der Jugendmannschaften sowie sieben Spiele der zweiten Mannschaft betreute, haben wir mit FCN-Experte Florian Zenger (@flo_zenger) gesprochen, der sowohl für Clubfans United als auch für die Nürnberger Zeitung und die Nürnberger Nachrichten schreibt.
Dass der ehemalige Nachwuchs-Trainer des Clubs mal Profi-Cheftrainer werden würde, sei ihm nach dessen Zeit in Nürnberg relativ klar gewesen, erklärt Florian. Beim VfB hätte er ihn nicht unbedingt erwartet, weil er dachte, wir würden jetzt auf einen “namhafteren” Trainer setzen. Dazu später mehr. Warum Florian ihm die Stelle als Trainer aber grundsätzlich zutraut, zeigt Matarazzos Werdegang beim FCN. Schon als Spieler sei er “eine ganze Zeit lang […] einer der Leader in der zweiten Mannschaft gewesen und man hat schon gemerkt, dass er als Typ auf dem Platz auch manchmal wie ein Trainer denkt”, so Florian. Der Vertrag des scheidenden Trainers der zweiten Mannschaft sei dann ein paar Wochen vor Saisonbeginn aufgelöst worden, so dass Matarazzo zu den erwähnten sieben Spielen als Cheftrainer kam. Zur neuen Saison war er dann wieder Co-Trainer unter Michael Wiesinger, bevor 2012 der Wechsel in den Nachwuchsbereich dadurch zustande kam, dass der Trainer der U19, René van Eck, nach Aachen wechselte, der Club das Trainerteam der U17 zur U19 beförderte und Matarazzo zum U17-Trainer machte. Sein Saisonstart sei mit acht Siegen und einem Unentschieden gut gewesen. Das war eher überraschend, denn die U17 war im Vorjahr bis ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft vorgedrungen (und da am VfB gescheitert), so dass viele Spieler nicht nur alters- sondern auch leistungsmäßig in die U19 aufrückten. Am Ende dieser Saison scheiterte eine erneute Endrunden-Teilnahme der B‑Jugend des FCN nur am Torverhältnis und Matarazzo bekam im Sommer die Aufgabe übertragen, die gerade abgestiegene A‑Jugend wieder in die Bundesliga zu führen. Das gelang mit einer beeindruckenden Bilanz von 21 Siegen und einem Unentschieden, in den drei darauf folgenden Spielzeiten schnitt die Nürnberger U19 jeweils im Tabellenmittelfeld ab. Florians Fazit:
Er hat beim Club in der Zeit hervorragende Arbeit geleistet, wirkte kontinuierlich Spieler ausgebildet und sehenswerten Fußball spielen lassen.
Warum also der Wechsel nach Hoffenheim? Das hat Florian zufolge viel mit mittlerweile Ex-Club-Trainer Michael Köllner zu tun, der gleichzeitig Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und Profi-Cheftrainer war. So seien Fabian Adelmann und vor allem Marek Mintal als einziger Bundesligatorschützenkönig des Vereins und Pokalsieger 2007 — der geneigte VfB-Fan erinnert sich — vom Verein gefördert worden. “Also ist Matarazzo damals wohl auch zu dem Schluss gekommen, dass es anderswo eher klappen würde und nach Hoffenheim”, so Florian. Über die Zeit dort konnte ich leider weder als Jugend- noch als Co-Trainer, viel herausfinden, außer dass er auch dort beliebt war, vor allem nach dem Wechsel in den Trainerstab Nagelsmanns nach einem halben Jahr, aber wenig in der Öffentlichkeit stand. Sollten sich hier noch Informationen ergeben, werde ich den Artikel aktualiseren.
Pressing im Nürnberger Nachwuchs
So viel zu seinem Werdegang, der durchaus Parallelen aufweist zu ehemaligen VfB-Trainern wie Hannes Wolf — der natürlich ungleich erfolgreicher war — und Tim Walter, denen nach und nach im Nachwuchs- und Amateurbereich mehr zugetraut wurde. Aber die spannendste Frage lautet ja: Wie lässt Matarazzo spielen? Die lässt sich natürlich vor allem anhand der Spiele beantworten, in denen er als Cheftrainer die Verantwortung hatte. In Nürnberg, so Florian, habe er keine fest Formation gehabt, sondern zwischen 3–4‑1–2, 4–3‑3 oder 4–2‑3–1 variiert. “Auch sonst war die Spielweise oft adaptiv”, erklärt Florian und führt als Beispiel zwei Spiele an in denen der FCN mit nur 40 Prozent Ballbesitz gegen den VfB mit 3:2 gewann, mit 60 Prozent Ballbesitz gegen Ingolstadt aber nur Unentschieden spielte. Konstant sei aber das Pressing der U19-Mannschaft gewesen, Florian führt hier einen PPDA-Wert von etwa 7 an. Das bedeutet, grob vereinfacht, dass ein Gegner der Nürnberger in seinem und dem mittleren Drittel des Spielfelds ungefähr sieben Pässe spielen konnte, bevor es zu einem Tackling kam oder der Ball abgefangen wurde. Eine Erklärung und interessante Einordnung zu Passes Allowed Per Defensive Action bietet dieser Artikel von thefalsefullback. Mit dem Ball seien die Nürnberger relativ direkt, ohne lange Passstaffetten, sondern mit Geschwindigkeit unterwegs gewesen, womit Florian allerdings nicht Konter‑, sondern vor allem Tempofußball meint. Er schränkt allerdings gleich ein, dass Matarazzos Zeit in Nürnberg mittlerweile zweieinhalb Jahre her ist und er in Hoffenheim Zeit gehabt habe, seine Vorstellung von Fußball “zu verfeinern und anzupassen”. Spieler mit Tempo seien für seine Spielweise aber sicherlich von Vorteil. Wie die U19 der Hoffenheimer in der Hinrunde 2017/18 spielte, bevor Matarazzo in den Profibereich wechselte, konnte ich leider nicht herausfinden. Sein Cheftrainer Julian Nagelsmann setzte ja in Hoffenheim eher auf Ballbesitz und versucht jetzt erst gerade in Leipzig, diesen mit Umschaltspiel und Pressing zu kombinieren. Wie weit sich Matarazzo da mit den Stuttgarter Möglichkeiten an Nagelsmann orientiert, wird interessant sein.
Die Spielweise ist das eine, die Art der Vermittlung eine andere. Im Interview auf dfb.de beschreibt Matarazzo seine Arbeitsweise wie folgt:
Ich bin kommunikativ, kritisch und ehrlich. Unsere Spieler und auch mein Team hinter dem Team müssen stets wissen, warum sie etwas machen. Nur so sind sie in der Lage, sich mit unserem Weg zu identifizieren.
Florian unterstreicht, dass Matarazzo beim FCN bei Mitarbeitern und Kollegen einen guten Ruf hatte. Er sei sehr pragmatisch, er wirke zudem sehr aufgeräumt und analytisch, das könne aber auch auch nur eine externe Zuschreibung sein, die auf seinem Abschluss in Angewandter Mathematik an der Ivy League-Uni Columbia basiere.
Kann der VfB Tempo?
Zum Abschluss unseres Gesprächs und auf die Frage, ob Matarazzo beim VfB erfolgreicher sein und vor allem langfristiger Arbeiten kann als seine Vorgänger, sagt Florian: “Aber es ist halt auch eine diffizile Aufgabe mit den Erwartungen an Mannschaft und Fußball klar zu kommen”. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn nach der Hinserie liegen beim VfB die Nerven mal wieder mehr oder minder blank und werden einzig durch den nicht ganz katastrophalen dritten Tabellenplatz ein wenig geschont. Nichtsdestotrotz geht es Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat ja “um die Realisierung unserer sportlichen Ziele”, was nichts anderes als den Wiederaufstieg bedeutet. Den muss Matarazzo jetzt in den verbleibenden 16 Ligaspielen erreichen. Dafür hat er einen Kader zur Verfügung, der vor der Saison vor allem auf den ballbesitzlastigen, aber nicht unbedingt auf Tempo ausgelegten Fußball von Tim Walter zugeschnitten wurde. Sicherlich gibt es durchaus Spieler beim VfB die Fahrt aufnehmen können — Nicolas Gonzalez, wenn er bleibt, um nur ein Beispiel zu nennen -, auf Tempofußball ist dieser Kader aber weniger ausgelegt und die Wintertransferperiode ist, das wissen wir aus den letzten Jahren, auch nicht wirklich die beste Zeit, um einen Kader nach den Vorstellungen eines neuen Trainers zusammen zu bauen.
Immerhin muss man der sportlichen Führung des VfB zugute halten, dass sie der Versuchung widerstanden, einen etablierten Trainer zu verpflichten, mit dem — siehe Hecking beim HSV — ein Aufstieg auch nicht garantiert ist. Man scheint dabei eine Korrektur vorgenommen zu haben von einem Trainer, der mit seiner Mannschaft nicht nur aktiv auftreten, sondern auch dominant sein Spiel durchdrücken will, zu jemandem, der immer noch das Spiel aktiv gestalten will — etwas anderes ist für den VfB in dieser Liga auch gar nicht möglich — aber dabei flexibler vorangeht und mehr über Geschwindigkeit als über Ballbesitz kommt. Dass mehr Tempo dem Spiel des VfB gut tut, darüber sind wir uns denke ich einig. Aber wird das auch gegen tiefstehende Zweitliga-Abwehrreihen zum Erfolg führen? Schließlich mangelte es ja unter Tim Walter nicht unbedingt an guten Schusspositionen, sondern eher an der Konzentration vor dem eigenen und dem gegnerischen Tor.
Kann er Profimannschaft und Aufstieg?
Der Erfolg von Matarazzo wird auch ganz klar davon abhängen, ob er die Mannschaft von seiner Arbeit überzeugt.
Es wird übrigens bei #Matarazzo wie schon bei #Walter u. #Wolf nicht allein auf das Fachwissen als Trainer ankommen — das war da auch vorhanden — sondern vielmehr auf das Vermitteln der Inhalte an Spieler, die meinen es besser zu wissen, weil sie höherklassig gespielt haben. #VfB
— Lennart Sauerwald (@l_sauerwald) December 30, 2019
Das oben erwähnte Zitat aus dem DFB-Interview ließe eventuell darauf schließen, dass er in der Lage ist, seine Mannschaft mitzunehmen, allerdings war das dem Vernehmen nach bei Tim Walter auch kein Problem. Das große Risiko für Matarazzo und den VfB ist allerdings in der Tat das Erwartungsmanagement. Verein und Umfeld erwarten — zurecht — den Wiederaufstieg und eine Spielweise, die zu mehr Toren und weniger Gegentoren führt. Dafür ist aber auch die Mannschaft mitverantwortlich, in der zwar auch hoffnungsvolle Talente stehen, wie sie Matarazzo auch schon in seinen Jugendmannschaften unter seinen Fittichen hatte, aber eben auch erfahrene Spieler wie Holger Badstuber, der im Rasenfunk-Podcast zu Protokoll gab, er würde einem unerfahrenen Trainer auch schon mal seine Meinung sagen, oder Mario Gomez, Daniel Didavi und Gonzalo Castro, die jetzt beim VfB schon diverse Trainerwechsel mitgemacht und in den meisten Fällen mit ihrer ihren Ansprüchen nicht gerecht werdenden Leistung mitverantwortet haben. Und dann ist es bei aller theoretischen Ausbildung halt doch etwas anderes, ob Du vor 20 A‑Jugendlichen stehst, oder vor einer Truppe mit über 30jährigen, die mehr erreicht haben als Du als Spieler und Trainer.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Akzeptanz innen wie außen über die Ergebnisse kommt und wir nach einem absolut notwendigen Wiederaufstieg auch in der Bundesliga nicht nach einem halben Jahr wieder Muffensausen bekommen. Allein, mir fehlt der Glaube. Zunächst einmal bin ich gespannt, inwieweit Sven Mislintat seinen Kader anpassen will und kann, um den von Matarazzo erwarteten Tempofußball aufs Gleis zu bringen.
Titelbild: Getty/Bongarts