Nach zwei Jahren verlässt Serhou Guirassy den VfB wieder und zieht weiter nach Dortmund. Die Zeit mit ihm war, verglichen mit anderen Spielern, kurz, aber dafür umso intensiver.
Hätte mir jemand im Spätsommer 2022, als Serhou Guirassy dank Sasa Kalajdzics Unzuverlässigkeit auf den letzten Drücker zum VfB kam, gesagt, mit welcher Bilanz er sich am heutigen Donnerstag wieder aus Bad Cannstatt verabschiedet…
Nur ganze 58 Mal lief er in Bundesliga, Relegation und Pokal im Trikot mit dem Brustring auf, traf dabei 44 Mal das Tor und bereitete fünf Treffer vor. Und wer weiß, wie seine Bilanz aussähe, hätte er nicht Anfang 2023 insgesamt sechs Spiele wegen einer Verletzung und Anfang dieses Jahres noch einmal vier wegen des Africa-Cups verpasst. Guirassy torpedierte zu Beginn dieser Saison jegliche Rekorde und hatte nach acht Spielen bereits 14 Treffer auf dem Konto, ledliglich Jeff Chabot, damals noch in Diensten des 1. FC Köln und eine Oberschenkelverletzung konnten ihn stoppen. In der Rückrunde setzte er seine beeindruckende Serie fort und traf sechs Spiele lang am Stück. Schon in der Relegations-Saison bedeutete ein Tor von ihm fast immer, dass der VfB nicht verlor, in der abgelaufenen Spielzeit waren seine Tore der Garant für Siege. Exemplarisch zeigte sich sein Wert für den VfB auf dem Weg zur Vizemeisterschaft am letzten Spieltag: Als er den Ball im Strafraum abschirmte, auf Enzo Millot rausspielte und dessen passgenaue Flanke in die Maschen köpfte. Als er sich vor dem 2:0 mit einer schnellen Körperdrehung von seinen Bewachern löste und platziert ins Eck traf. Unvergessen auch seine Grätsche beim Heimsieg gegen die Bayern, die Silas den Weg zum 3:1 freimachte.
Offene Karten
Dabei war uns immer klar, dass seine Zeit beim VfB endlich ist. Vielleicht die einzige Transferperiode, in der nicht jeder mit seinem Abgang rechnete, war die im Winter 2022/2023, als er noch einen gültigen Leihvertrag beim VfB hatte. Spätestens im vergangenen Sommer — trotz oder vielleicht gerade wegen der vor der Relegation gezogenen Kaufoption — auf jeden Fall aber im Winter war sich Fans und Journalisten — here we go! — sicher, dass Guirassy den Verein verlassen würde. Jedoch:
and don’t listen to everything on the internet
— Serhou Guirassy (@Guirassy_19) August 20, 2023
Dass er jetzt, nach dem im zweiten Anlauf bestandenen Medizincheck, wirklich geht, überrascht niemanden mehr. Dass es ausgerechnet Dortmund ist, deren Transferstrategie bisher den Eindruck hinterlässt, als hätte Sven Mislintat noch Urlaub und habe Lars Ricken einfach die DVD “Best of Bundesliga 2023/24” im Postfach liegen gelassen, ist schmerzhaft. angesichts des finanziellen Volumens für Guirassy aber nachvollziehbar. Er unterschreibt beim BVB seinen vermutlich letzten, mindestens aber vorletzten Vertrag. Zwei Mal pro Saison müssen wir hoffen, dass Jeff Chabot ihn auch in Zukunft im Griff hat, abgesehen davon bleibt abzuwarten, ob beide Vereine in der kommenden Saison direkte Konkurrenten sein werden. Die finanziellen Möglichkeiten des Champions-League-Finalisten lassen diesen Gedanken eher nicht zu, aber das dachten wir auch vor der vergangenen Saison. Dass Guirassy in jedem Transferfenster mit offenen Karten gespielt hat, ist ihm jedenfalls genauso hoch anzurechnen, wie seine zumindest von außen wahrgenommene offene und herzliche Art und sein Engagement im Brustring.
Danke für eine legendäre Saison!
Vor fünf Jahren stellte ich mir hier die Frage, ob man Christian Gentner nach dem zweiten Abstieg in drei Jahren und seinem Vertragsende beim VfB als “Legende” bezeichnen könnte und kam zu dem Ergebnis, dass die sportliche Bilanz und seine Art der Mannschaftsführung als Kapitän für mich nicht ausreichten, ihm dieses vielleicht auch verzichtbare Prädikat zu verleihen. Christian Gentner schoss in 373 Spielen 50 Tore für den VfB und bereitete 45 vor, war aber natürlich auch kein Mittelstürmer. Serhou Guirassy schoss in einer Saison mehr Tore als je ein VfB-Stürmer vor ihm und hatte damit massiven Anteil an der Rückkehr des Brustrings auf die internationale Bühne. Reicht das für den Legendenstatus? Oder sollten wir uns vielleicht sowieso davon verabschieden, Spieler auf ein solches Podest zu heben, vor allem wenn sie noch aktiv Fußball spielen?
Christian Gentner habe ich damals am Ende für die guten Momente gedankt und dafür, dass er ein VfBler war. So will ich es auch an dieser Stelle halten. Danke für die legendäre Saison, Serhou! Auch wenn ich als VfB-Fan jetzt hoffen muss, dass es die einzige bleibt.
Titelbild: © Christof Koepsel/Getty Images