Der VfB und sein Kapitän Christian Gentner gehen zur neuen Saison getrennte Wege. Ein Rückblick mit gemischten Gefühlen.
Wie nähert man sich einem Spieler, der in den letzten neun Jahren die einzige, nein wirklich, die einzige Konstante beim VfB Stuttgart war? Ist man ihm dankbar dafür, dass er Sommer für Sommer immer wieder das Trikot mit den Brustring überstreifte, zusammengenommen mit der Zeit vor seinem Abstecher nach Wolfsburg 373 Mal? Oder ist er das Gesicht jenes Abstiegs, den ich neulich bei 120minuten ausführlich beschrieben habe? Kann man insgesamt 18 Jahre bei einem Verein überhaupt auf ein solches Urteil verdichten?
Was man über Christian Gentner definitiv sagen kann: Er ist ein VfBler. Das ist zunächst nicht einmal mit einer Wertung verbunden, sondern stellt lediglich eine Tatsache dar. 1999 kam er mit 13 Jahren aus Kirchheim zum VfB und sollte den Verein bis heute nur für insgesamt zwei Jahre verlassen, um mit der Sportabteilung von Volkswagen Deutscher Meister zu werden. Dass eine solch lange Bindung zwischen einem Spieler und einem Verein heutzutage eine Seltenheit ist, brauche ich Euch nicht extra zu erzählen, es gehört zum Standardrepertoire des Lamentos über den modernen Fußball.
Drei Mal Meister
Drei Mal wurde er Deutscher Meister: 2003 mit den A‑Junioren, 2007 mit der Herrenmannschaft des VfB, 2009 wie erwähnt mit Wolfsburg. Während er 2007 eher Ergänzungsspieler war, hatte er seine stärkste Zeit wohl in Niedersachen, wo er in der Meistersaison alle 34 Spiele bestritt. Zurück in Stuttgart war er Teil einer Mannschaft, die zwar nicht mehr um die Meisterschaft mitspielte, aber regelmäßig in Europa vertreten war. In diese Zeit fällt auch das mittlerweile legendäre 4:4 im Dortmunder Westfalenstadion, für dessen Endstand Gentner mit seinem Treffer verantwortlich war.
Es gibt aber auch jenen Christian Gentner, der nach dem Verkauf von Serdar Tasci 2013 dessen Nachfolger als Kapitän wurde und es bis heute geblieben ist. Der in den letzten sechs Jahren unter zwölf Trainern gearbeitet hat, von denen vielen auch wegen der erbärmlichen Leistungen und der erschreckenden Einstellung der Mannschaft ihren Hut nehmen mussten. Der immer Teil dieser Mannschaften war, Teil der Führungsriege dieser Mannschaften und vor allem Anführer dieser Mannschaften. Mannschaften, die zwei der drei Abstiege in der Bundesliga-Geschichte des VfB zu verantworten haben.
So gemischt wie diese Bilanz ist auch die Wahrnehmung Gentners in der Öffentlichkeit. Während er für die einen das Grundproblem der letzten Jahre beim VfB verkörpert, nämlich den fehlenden Leistungsgedanken und die Macht der Spieler über den Verein, nennt ihn Heiko Hinrichsen in seinem Artikel in den Stuttgarter Nachrichten eine “Legende”. Mir ist nicht ganz klar, ob Gentner seinen Anspruch auf diesen Status mit seinem Instagram-Namen “LeGente” unterstreichen wollte, oder ob er einfach nur ein wenig frankophil ist. Eines steht aber für mich fest: Eine Vereinslegende ist er nicht.
Keine Legende
Dazu fehlt es ihm meiner Meinung nach ein einigem. Zunächst einmal der sportlichen Qualität. Die nimmt seit Jahren beständig ab, was auch teilweise damit zusammen hängt, wo der jeweilige Trainer ihn einsetzt. Gentner hatte seine Stärken immer in der Offensive oder zumindest im offensiven Mittelfeld. Stattdessen fand er sich in den letzten Jahren immer wieder im defensiven Mittelfeld wieder, als sei die Rückennummer 20 seit Soldos Zeiten auf ewig mit dieser Position verbunden. Was Gentner aber dort immer fehlte, war die Fähigkeit zum Spielaufbau, er war nie Dreh- und Angelpunkt einen schnellen Umschaltspiels, sondern eher dessen Bremser. Ähnlich wie Santiago Ascacíbar konnte er dort vor allem Bälle ablaufen, ansonsten fehlte ihm jedoch die Explosivität (und manchmal auch der Wahnsinn) seines Kollegen.
Christian Gentners größtes Manko und der gewichtigste Grund, ihm den Legendenstatus zu verwehren, ist aber wohl die Tatsache, dass er nie wirklich in der Lage war, für seine Mannschaft einen Unterschied zu machen. Soff die Mannschaft ab, ging der Kapitän mit unter. Vielleicht hat dieses Amt ihn auch gehindert, die Erwartungen an ihn überfrachtet und ihn damit zu sehr unter Druck gesetzt. Christian Gentner ist natürlich nicht alleine Schuld am ganzen Mist der letzten Jahre. Aber er war halt auch nicht der Lage, den ganzen Mist zu verhindern. Er war nicht derjenige, an dem sich der Rest der Mannschaft aufrichten konnte, der die Mannschaft antrieb. Der zwar immer wieder in Interviews Sätze sagte wie “Wir sind nicht untrainierbar”, das aber zu selten auf dem Platz zeigte.
Keine Identifikationsfigur
Der Vertikalpass nennt Christian Gentner eine Identifikationsfigur und auch da gehe ich nicht ganz mit. Vielleicht ist er wirklich eine solche Figur, aber abgesehen davon, dass ich mich vom Personenkult um Fußballspieler lange verabschiedet habe, fehlt mir bei ihm das Identifikationspotenzial. Er war kein überragender Spieler, er war kein überragender Kapitän, er war vor allem ein außergewöhnlich treuer Spieler. Das Problem: So wie der VfB in den letzten Jahren nur selten echte Führungsspieler hatte, die Gentner seinen Status hätten streitig machen können, so hatte er erst recht keine Identifikationsfiguren. Wie will man sich auch mit Spieleren identifizieren, die nach jedem Trainerwechsel plötzlich wieder die Motivation und spielerischen Fähigkeiten aufblitzen lassen, die sie zuvor vermissen ließen?
In einem solchen Umfeld wurde aus Christian Gentner schnell mehr, als er wirklich für den Verein war. Vielleicht kommt die Trennung sogar ein paar Jahre zu spät, auf der anderen Seite war der Ende des Monats auslaufende Vertrag die perfekte Gelegenheit für beide Seiten, ihr Gesicht zu wahren. Die Zeit von Christian Gentner als Spieler des VfB Stuttgart ist nun einfach abgelaufen und vielleicht ist das das deutlichste Zeichen für einen erneuten Umbruch und Neuanfang in der 2. Liga. Denn Tim Walter wird jetzt nicht das Problem haben, dass er eine Position für einen Spieler finden muss, nur weil der die Kapitänsbinde trägt.
Danke für die guten Momente
Was mir wichtig ist: Die überwiegend negative Bilanz, die ich von Christian Gentners Zeit beim VfB ziehe, bezieht sich ausschließlich auf sein Agieren als Spieler und Kapitän. Wie er menschlich ist, vermag ich so wenig zu beurteilen, wie ich das bei anderen Profisportlern oder generell Menschen, die ich nicht persönlich kenne, kann. Christian Gentner hat in den letzten zwei Jahren im privaten Bereich mit der Gesichtsverletzung im Spiel gegen Wolfsburg und dem Tod seines Vaters schwere Zeiten durchlebt und es zeugt von emotionaler Stärke, dass er diese Schicksalsschläge scheinbar ziemlich gut verarbeitet hat.
Ich kann Dir nicht für alles danken, was Du beim VfB gemacht hast, Christian. Aber ich kann Dir danken für die guten Momente und dafür, dass Du ein VfBler bist, mit allen Stärken und Schwächen.
Auf Wiedersehen!
Sehr guter, sehr treffender Kommentar! Außergewöhnlich treu, und ein VfB-ler. Aber für den “Legenden”-Status fehlt wohl vor allem der Erfolg. Böse gesagt wurde er sogar ein bisschen zum Gesicht des Niedergangs der letzten Jahre, zumindest was die Mannschaft betrifft. Dennoch auch von mir danke und Respekt!