Mit dem angestrebten Wahlausschuss soll am kommenden Sonntag bei der Mitgliederversammlung ein weiteres Gremium im eingetragenen Verein für Bewegungsspiele zu Stuttgart von 1893 geschaffen werden. Warum das sinnvoll ist.
Ich gebe zu: Ich musste mich schon ein wenig aufraffen, um mich vor der anstehenden Mitgliederversammlung am Sonntag mit den dort anstehenden Themen zu befassen. Nicht, dass die im weitesten Sinne sportlichen Vorgänge beim VfB nicht auch mitunter etwas komplizierter sind — Stichwort Rekordtransfer und finanzielle Stabilität. Oder dass der Teil des VfB, auf den wir keinen demokratischen Einfluss haben, mir kein Kopfzerbrechen bereiten würde — Stichwort Lucky Block. Aber während dort Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und handelnde Akteure relativ offensichtlich sind, sind die Strukturen — vor allem die informellen — im e.V. in den letzten Jahren immer komplizierter geworden. Das liegt auch daran, dass im Jahr 2017 der Vereine eine neue, auf die Ausgliederung des Profifußballs in eine AG angepasste, Satzung bekam, die dem Gefühl nach beim Mittagessen im Clubrestaurant auf einer Serviette entwuorfen wurde. Der Aufsichtsrat des e.V., der bis dahin dafür zuständig war, uns einen Präsidentschaftskandidaten aufzudrü…vorzuschlagen, wurde fürderhin durch einen Vereinsbeirat ersetzt, der das Präsidium beraten und zumindest was den Finanzplan angeht, auch kontrollieren sollte. Genauso harmlos wie sich das anhört, gerierte sich der Vereinsbeirat insbesondere während der Amtszeit von Wolfgang Dietrich und fand seine Stimme erst 2019, als die Zeiten, in denen beim VfB immer alles einstimmig im Sinne des Präsidenten entschieden wurde, endeten.
Was blieb, waren die in der Satzung verankerten Strukturen, die nach und nach der Realität und dem gesunden Menschenverstand angepasst werden mussten. Zum Beispiel dass — verkürzt gesagt — niemand ein Amt in einem e.V.-Gremium bekleiden kann, der eine Funktion in der VfB AG hat, damit ein Vorstandsvorsitzender nicht sein eigener Kontrolleur im Aufsichtsrat ist. Oder dass die Mitglieder — und nicht der Vereinsbeirat — darüber entscheiden, ob ein Präsident seine Arbeit so gut gemacht hat, dass er nach Ablauf seiner Amtszeit wiedergewählt wird. Zwischendurch wurde sogar der für den e.V. sehr unvorteilhafte Grundlagenvertrag mit der AG angepasst, auch wenn das natürlich nichts mit der Satzung zu tun hat. Alle diese strukturellen Anpassungen waren wichtig, denn die Ausgliederung war schließlich so angelegt, dass der Einfluss des e.V.-Präsidenten — namentlich Wolfgang Dietrich — möglichst groß und der der Mitglieder möglichst klein war. Dazu zählte auch, dass der Präsident an der Auswahl der Kandidat*innen für den Vereinsbeirat beteiligt war, während der Vereinsbeirat wiederum die Kandidat*innen für die Präsidentschaft vorschlug. Ein Umstand, der nicht zu gegenseitigen Abhängigkeiten führen muss aber kann und der lange Zeit zumindest öffentlich niemanden derart störte, dass man sich seitens der Vereinsgremien um eine Reform bemühte.
Ein Ende der Zirkel
Diese kam erst im letzten Jahr zustande und wurde in der Folge im Rahmen einer Satzungskommission noch ein mal auf solide Füße in Form eines Satzungsänderungsantrags gestellt. Das Ganze findet Ihr auf den Seiten des VfB hier. Um die eben genannten Zirkelbezüge aufzulösen, wird die Einrichtung eines Wahlausschusses vorgeschlagen. Auf dessen Zusammensetzung gehe ich gleich noch ein, grundsätzlich halte ich das aber für begrüßenswert. Natürlich kann man bei jedem Gremium und jeder Wahl den Aluhut enger schnallen und geheime Netzwerke vermuten. Letztlich sind es aber wir Mitglieder, die am kommenden Sonntag aus 44 Kandidat*innen neun geeignete Wahlausschussmitglieder wählen dürfen. Die Hürden für die Bewerbung waren ziemlich niedrig und es fand logischerweise keine inhaltliche Vorauswahl statt — von wem auch, ohne einen weiteren Zirkelbezug aufzumachen — und entgegen der auf dem Dunkelroten Tisch unter anderem von einer Aufsichtsrätin der AG geäußerten Befürchtung gab es eben nicht tausend Bewerbungen, sondern “nur” 44. Was die Legitimität und zumindest formelle Unbefangenheit dieses Gremiums angeht, mache ich mir also relativ wenige Sorgen — wir als Mitglieder haben es in der Hand, wer im Wahlausschuss sitzt und niemand anders. Dabei muss die Einführung des Wahlausschusses auch nicht als Misstrauensvotum gegen die Mitglieder des Vereinsbeirats verstanden werden. Gerade in der aufgeheizten Stimmung, die seit Jahren beim VfB herrscht, sollte aber schon der Eindruck des gegenseitigen Postenzuschacherns vermieden werden.
Spannender wird es bei der Funktion des Wahlausschusses. Am Sonntag stehen uns dabei zwei Varianten zur Auswahl. Bei Variante 1 bestimmt der Wahlausschuss lediglich die Kandidat*innen für den Vereinsbeirat, aber nicht für das Präsidium. Die Auswahl der Kandidat*innen für das Präsidium liegt dann weiterhin beim Vereinsbeirat. Gewählt werden beide Gremien weiterhin von uns Mitgliedern, der Präsident hat aber keinen Einfluss mehr auf die Kandidatenauswahl für den Vereinsbeirat. In Variante 2 übernimmt der Wahlauschuss die Kandidatenauswahl für beide Gremien, sowohl für den Vereinsbeirat, als auch für das Präsidium. Beide Varianten gehen dem Grunde nach auf Vorschläge von Ron Merz und Oliver Benz (Variante 1) beziehungsweise Michael Reichl und seiner Kampagne #wirVfB zurück. Ich will hier gar nicht nochmal ausführlich auf beide Varientan eingehen, das haben Ron und Oliver auf Brustring1893 sowie Micha auf VfB-Satzung.de schon hervorragend getan. Beide Varianten haben für mich Ihre Vor- und Nachteile, bei mir überwiegt jedoch die Präferenz für Variante 1.
Sitzfleisch nötig
Denn dadurch, dass der Präsident nicht mehr an der Kandidatenauswahl der Vereinsbeiräte beteiligt ist, entfällt für mich ein wesentlicher Zirkelbezug. Jetzt kann man natürlich dem Vereinsbeirat unterstellen, bei der Auswahl der Präsidiumskandidat*innen voreingenommen zu sein — den gleichen Vorwurf könnte man aber auch dem Wahlausschuss machen. Natürlich arbeitet der Vereinsbeirat auch außerhalb von Wahlvorbereitungen mit dem Präsidium zusammen, während der Wahlausschuss explizit nur für die Wahlen zusammentritt. Das ist aber meiner Meinung nach eher ein Vorteil, weil der Vereinsbeirat dann auf Grundlage der Zusammenarbeit mit dem Präsidium besser die Eignung der Kandidaten einschätzen kann — ohne in Zukunft bei der Wiederwahl von diesen abhängig zu sein. Einmal abgesehen vom Faktor “Kompetenz” fände ich es auch schwierig, mit einem Wahlausschuss für alle Gremien (Variante 2) viel Macht in einem Gremium zu konzentrieren. Funktionierende politische Systeme zeichnen sich grob gesagt meist durch eine gegenseitige Kontrolle und vor allem eine Teilung der Macht aus. Ich möchte aber auch nicht außen vor lassen, dass auch Variante 2 ihre Reize hat, weil dann alle Kandidat*innen von einem Gremium vorgeschlagen werden, das nur zu diesem Zwecke zusammentritt.
Entschieden wird das Ganze am Sonntag nach den Berichten aus Vorstand, Vereinsbeirat und Präsidium sowie den Abstimmungen über die Entlastung für Vereinsbeirat und Präsidium sowie der allgemeinen Aussprache. Wir werden also etwas Sitzfleisch brauchen, bis wir zu diesem wichtigen Punkt kommen. In der ergänzenden Mitgliederversammlung wurde der Abstimmung über den Wahlaussschuss zudem anders als in der ursprünglichen Einladung die Abstimmung über die weitgehende Verankerung des Ausgliederungsversprechens vorangestellt (dazu an anderer Stelle mehr). Danach wird dann zunächst darüber abgestimmt, welche Variante die Mitglieder bevorzugen und im Anschluss soll diese Variante in die Satzung gestimmt werden — hierfür bedarf es einer Dreiviertel-Mehrheit. Das heißt es könnte auch dazu kommen, dass nach dem 28. April weiterhin Gremienkandidat*innen per Zirkelbezug ausgewählt werden, sollte diese Mehrheit verfehlt werden. Ich hoffe aber und bin zuversichtlich, dass es dazu nicht kommt. Ist der Wahlausschuss dann in der Satzung verankert, werden im nächsten Tagesordnungspunkt dessen Mitglieder gewählt.
Breites Bewerberfeld
Und damit kommen wir zu dem Teil, wegen dem es sich dann doch lohnt, sich für Vereinspolitik zu interessieren: Weil es trotz aller Unruhe und aller Querelen 44 Mitglieder gibt, die Lust und Zeit haben, sich für bessere demokratische Abläufe im größten Sportverein Baden-Württembergs zu engagieren. Zugegebenermaßen hat der ein oder andere vielleicht etwas weniger Mühe walten lassen beim Ausfüllen des Fragebogens, aber sei es drum — der Gedanke zählt und die Entscheidung liegt wie gesagt bei uns Mitgliedern. Sehr positiv finde ich die Vielfalt der Kandidat*innen, von dem leider üblich geringen Frauenanteil mal abgesehen. So ziemlich alle eint, dass sie sich auch sonst in Vereinen und Organisationen engagieren — ein bekanntes Phänomen, was auch mir persönlich nicht fremd ist: Wer einmal anfängt, sich irgendwo ehrenamtlich zu engagieren, kommt davon nicht mehr los. Und natürlich gibt es auch einige, die in größeren Konzernen wichtige Funktionen innehaben und damit auch für die Personalauswahl zuständig sind. Es gibt aber genauso Leute, die jetzt schon im Verein aktiv sind sowie Vertreter der beiden Ultragruppen Commando Cannstatt und Schwabensturm. Mit dem Sohn des ehemaligen VfB-Torhüters Otto (“Gummi”-) Schmid oder Angelika (“Du bleeder Hund, du”) ist auch ein wenig Prominenz dabei. Es haben sich aber auch Leute gemeldet, die noch studieren oder gerade am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen und deswegen etwas mehr Zeit bringen. Ich möchte an dieser Stelle gar keine Wahlempfehlung aussprechen, sondern freue mich ehrlich über das große Engagement.
In den kommenden Tagen werde ich noch auf das Präsidium, die Wahl des Nachfolgers von Christian Riethmüller sowie den Aufsichtsrat der AG und den diesen betreffenden Satzungsänderungsantrag zu sprechen kommen und voraussichtlich wird meine Einschätzung dazu weniger positiv ausfallen. Der Wahlausschuss kann aber ein Anfang sein — in welcher Variante auch immer — das Vertrauen der Mitglieder in die Gremien — nicht notwendigerweise die derzeit handelnden Akteure — wieder aufzubauen. Ich selber kann am Sonntag leider aus privaten Gründen erneut nicht teilnehmen, die Familie geht an diesem Tag vor. Ich würde Euch aber wirklich ans Herz legen, diesen Wahlausschuss ins Leben zu rufen. Wie eingangs geschrieben und wie ich auch noch ausführen werde, haben Mitgliederrechte seit 2017 im VfB e.V. immer mehr an Gewicht verloren und wenn man sich die Entscheidungen in der AG und im Profifußball allgemein anschaut, wird sich das so schnell nicht ins Gegenteil umkehren. Mit e.V.-Gremien, deren Zusammensetzung nicht im Schatten von Gerüchten und Verschwörungstheorien liegen, gehen wir aber zumindest wieder einen kleinen Schritt in die richtige Richtung.
Zum Weiterlesen: Das CC hat sich in einer längeren Stellungnahme auch mit den Wahlausschuss-Varianten befasst und plädiert für Variante 2.
Titelbild: Präsentation des VfB Stuttgart beim Dunkelroten Tisch am 11. Juni