Mit Jeremy Arévalo nimmt der VfB in dieser Winterpause den ersten neuen Spieler unter Vertrag. Wir haben uns im Norden Spaniens und bei einem Südamerika-Experten über den Neuzugang vom Real Racing Club de Santander informiert.
Nachdem Fabian Wohlgemuth am letzten Wochenende des sommerlichen Transferfensters nur einen Teil der für Nick Woltemade eingenommenen absurd hohen Millionensumme reinvestieren konnte, wird die anstehende Wechselperiode nicht nur beim VfB, sondern auch bei der Konkurrenz mit Spannung erwartet. Denn selbst wenn wir im Sommer mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich viel für Bilal El Khannouss ausgeben werden, wie wir es bereits für Badredine Bouanani getan haben, bleibt noch ein bisschen Geld übrig, um den Kader so zu verstärken, dass wir in der Restrunde vielleicht auch mal Spiele gegen Spitzenmannschaften für uns entscheiden können. Dem Vernehmen nach sieben Millionen Euro — früher eine Summe im oberen Segment für uns, heute eher ein gewöhnlicher Transfer — gibt die sportliche Führung jetzt für Jeremy Arévalo aus, der vom spanischen Zweitliga-Tabellenführer Racing Santander an den Neckar wechselt — auch um sich bei uns für weitere Einsätze bei Deutschlands WM-Gegner Ecuador zu empfehlen, in dessen Nationalmannschaft er im November debütierte. Offiziell ist der Transfer zwar noch nicht, weil Arévalo die Ausstiegsklausel, die mit der festen Ablösesumme verknüpft ist, erst im neuen Jahr ziehen kann. Nach übereinstimmenden Medienberichten, wie man so schön sagt, hat er aber schon den Medizincheck bestanden und einen Vertrag bis 2030 unterschrieben, weswegen wir hier mal gutgläubig von unserem Grundsatz abweichen, nur über Neuzugänge zu berichten, die der VfB auch offiziell verkündet hat. Über seine bisherige Karriere in Santander haben wir mit dem Verfasser des Solo Racing Blog gesprochen, den ich im Folgenden mit SRB abkürzen werde. Über Arévalos Spiele in den U‑Nationalmannschaften Ecuador und seine Perspektiven in der A‑Nationalmannschaft sprachen wir mit Johannes Skiba, freier Journalist und Experte für Fußball in Südamerika, der den Pod- und Videocast Gol Olímpico betreibt.
Ein Kind Kantabriens
Jeremy Alberto Arévalo Mera wurde am 19. März 2005 in Maliaño geboren, einer knapp-10.000-Einwohner-Gemeinde südlich von Santander in der autonomen Gemeinschaft Kantabrien — einer der vielen autonomen Regionen Spaniens. Seine Eltern stammen beide aus Ecuador, Arévalo hat aber beide Staatsbürgerschaften und spielte auch für die Nachwuchsteams beider Länder. Seine Fußballkarriere begann er in der Nachwuchsabteilung von Racing Santander, Gründungsmitglied der Primera Division, in deren Nachfolgerin La Liga man aber seit 2012 nicht mehr vertreten ist. Die Nachwuchsarbeit von Racing habe einen guten Ruf, erklärt uns SRB, gerade angesichts von nur 600.000 Einwohnern in der Region Kantabrien. Der Verein habe immer eine gute Jugendarbeit gemacht und Spieler wie “Paco” Gento und Marquitos (Teil des großen Real Madrids der Fünfziger Jahre), Santillana (über 400 Spiele für Real Madrid) oder den noch aktiven Sergio Canales (unter anderem Real, Valencia, San Sebastian, Betis) hervorgebracht. Auch Arévalo habe in der “cantera”, also der Talentschmiede Racings als großes Talent gegolten.
Im Januar 2022 debütierte er mit knapp 17 Jahren für Racings zweite Mannschaft, genannt Rayo Cantabria, in der Segunda Federacion, der vierten spanischen Liga, kam jedoch nach dem zwölfminütigen Einsatz dort den Rest der Saison nicht mehr zum Einsatz. In der folgenden Spielzeit bekam er wesentlich mehr Einsatzzeiten und erzielte im Oktober 2022 im Auswärtsspiel bei Bergantiños FC auch seinen ersten Treffer für die Reservemannschaft. Anfang 2023 bestritt er zudem seine ersten Länderspiele für die spanische U18, traf beim 3:1 in Italien im Januar zum 2:0. Bis zum Sommer 2024 bestritt Arévalo insgesamt 57 Spiele für Rayo Cantabria in der vierten Liga sowie den Aufstiegsplayoffs zur dritten Liga. Er sei für die zweite Mannschaft ein wichtiger Spieler gewesen und habe gute Leistungen gezeigt, so SRB, jedoch habe er sich mit dem Toreschießen schwer getan — nur sechs Treffer gelangen ihm in diesen zwei Jahren.
Springt er noch auf den WM-Zug auf?
Trotzdem debütierte er zu Beginn der Saison 2023/2024 in der zweiten spanischen Liga, als er beim 4:0‑Heimsieg Racings über Eibar in der 82. Minute eingewechselt wurde. Die Fans, so SRB, hatten eigentlich eine Leihe gefordert, weil Arévalo Spielzeit benötige. Trainer José Alberto holte ihn jedoch in den Profikader und verschaffte ihm ab Ende 2023 auch immer mehr Minuten, in jener Saison blieb er jedoch in zwölf Einsätzen ohne Treffer. Daran änderte sich auch in der vergangenen Spielzeit nichts, als er nur einmal in der Startelf stand, sechs Mal von der Bank kam, meist aber auf ihr sitzen blieb. Immerhin gelang ihm in der Copa del Rey beim 3:4 auf Lanzarote der erste Treffer für die Profis. Vergangenen Sommer, so SRB sei er fast an Zweitliga-Konkurrent AD Ceuta verliehen worden, weil der Trainer die Stürmer Aiser Villalibre und Juan Carlos Arana vor Arévalo sah. Es kam anders. Arana verletzte sich und Arévalo erzielte in der laufenden La Liga 2‑Saison acht Treffer in 18 Spielen, zuletzt beim 1:1 gegen Huesca am Wochenende vor Weihnachten — was ihn endgültig auf die Einkaufszettel verschiedener europäischer Vereine brachte, auch wenn unser nächste Europa-League-Gegner, die Roma, schon vor zwei Jahren Interesse an einer Verpflichtung gehabt habe. Und auch der VfB wird mit Sicherheit nicht erst jetzt auf ihn aufmerksam geworden sein. Sein erstes Ligator erzielte er ausgerechnet beim 4:1 gegen Ceuta am dritten Spieltag.
Im Dezember 2024 wechselte er Arévalo den Nationalverband und lief zum ersten Mal für die U20 Ecuadors auf, des Heimatlands seiner Eltern. Johannes zufolge hatte das sowohl sportliche, als auch persönliche Gründe: Zum einen habe er über seine Eltern eine Verbindung zum Land, zum anderen sah er die Möglichkeit einer WM-Teilnahme mit Ecuador größer als mit Spanien — wenngleich SRB ihm perspektivisch auch einen Platz im spanischen Nationalteam zugetraut hätte. Der ecuadorianische Fußballverband scoute allerdings auch immer wieder in Europa Spieler, die familiär bedingt für die eigene Nationalmannschaft spielberechtigt wären. Als Beispiele nennt Johannes Jeremy Sarmiento von Cremonese, der zwar in Madrid geboren ist, aber die englische und die ecuadorianische Staatsbürgerschaft besitzt oder John Yeboah, gebürtiger Hamburger mit zwei Bundesliga-Einsätzen für Wolfsburg, aktuell beim FC Venedig unter Vertrag, der die U‑Mannschaften des DFB durchlief, seit 2024 aber für Ecuador auf dem Platz steht. Die sportlichen Zukunftsaussichten in Ecuador seien sehr vielversprechend, erklärt Johannes, der die Nationalmannschaft in jeglicher Hinsicht als Nr. 3 auf dem Kontinent sieht. “Das überzeugt viele junge Spieler, die in der Regel eine große Verbindung zu Ecuador haben, auch wenn sie in Europa aufwachsen. In Arévalos Fall kommt dann noch die Perspektive auf seiner Position in La Tri hinzu”, so unser Experte.
Prinzip Ketchupflasche
Für die A‑Nationalmannschaft debütierte er auch im November im Freundschaftsspiel gegen Kanada für fünf Minuten. Zuvor lief er Anfang dieses Jahres noch für die U20 des Landes bei der Campeonato Sudamericano, also der Südamerika-Meisterschaft auf, bei der das Team allerdings auf Platz 5 von 6 in der Vorrunde scheiterte. Ecuador habe angesichts der finanziellen Möglichkeiten die beste Jugendarbeit auf dem Kontinent, erklärt Johannes, viele Talente suchten früh den Weg nach Europa, zum Beispiel Justin Lerma (Dortmund), Kendry Páez (Chelsea) oder Edwin und Holger Quintero (Arsenal). Vom schlechten Abschneiden der U20 und der U17 dürfe man sich nicht blenden lassen, zumal die Durchlässigkeit in die A‑Nationalmannschaft sehr hoch sei, Ecuador habe in der WM-Qualifikation das jüngste Team gestellt. Und auch die Chance auf einen Einsatz gegen Deutschland beim WM-Turnier nächsten Sommer stehen nicht schlecht. Denn Ecuador habe vor allem ein Sturmproblem, erklärt uns Johannes, während die Defensive mit Pacho, Hincapié und Caicedo extrem gut bestückt sei. Rekordtorschütze Enner Valencia sei bereits 36, Arévalo sei einer der Kandidaten auf seine Nachfolge. Kevin Rodriguez von Union Saint Gilloise habe ein anderes Profil und sei in der Nationalmannschaft auch nicht wirklich treffsicher, Arévalo habe “grundsätzlich gute Chancen in Zukunft regelmäßig für Ecuador aufzulaufen”, so Johannes und ergänzt: “Ich denke, eine WM-Nominierung ist wahrscheinlicher als eine Nicht-Nominierung.” Zumal man ihn durch eine Nominierung für den Kader enger an den Verband binden und Nationaltrainer Sebastián Beccacece mit der Nominierung junger Spieler innenpolitisch Pluspunkte sammeln könnte. Der Mannschaft traut Johannes zu, mit etwas Glück das Viertelfinale zu erreichen und auch die DFB-Elf im Gruppenspiel vor große Probleme zu stellen.
Zurück zu Arévalo. SRB unterstreicht, dass mit seinem ersten Ligator das Selbstvertrauen wuchs — wie bei vielen jungen Spielern ist das neben Spielzeit das Wichtigste. Bei unserem Neuzugang ging es in dieser Saison allerdings nach dem Prinzip Ketchupflasche: Erst kam gar nichts und dann alles auf einmal. Zuletzt wechselte er sich mit dem genannten Villalibre ab, seine Qualitäten passten gut um Spielstil von Racing: Er sei schwer zu verteidigen und könne den Ball mit dem Rücken zum Tor gut behaupten — der klassische Wand- und Verteilungsspieler also. Gleichzeitig lasse er sich auch mal fallen, um Bälle zu fordern und Kombinationen einzuleiten. Im 4–2‑3–1 Racings spielt er als Mittelstürmer, könne laut SRB aber auch als hängende Spitze oder offensiver Mittelfeldspieler eingesetzt werden. Sein einziges Problem sei eigentlich die Chancenverwertung “und genau das explodiert in dieser Saison” so SRB. Johannes lobt an ihm die Kombination aus Abschluss, Schnelligkeit und Technik, die ihn zu einem mitspielenden Stürmer mache: “Das ist die Kombination aus seiner südamerikanischen Fußballseele und der spanischen Fußballausbildung – eine sehr starke Mischung.” Das sei auch die Zukunft der ecuadorianischen Nationalmannschaft. Gleichzeitig habe Arévalo aber noch körperliche Defizite, die er aufholen müsse.
Eine gute Rolle in der Bundesliga trauen ihm beide Experten nach einer gewissen Eingewöhnungszeit zu. Johannes merkt an, dass es hilfreich sein kann, dass er in Spanien und damit in Europa aufgewachsen ist. Wichtig sei es, dass er auch kurzfristig Einsätze bekomme, um den Schwung, den er in der zweiten spanischen Liga hatte, mitzunehmen. Natürlich ist auch das erstmal ein Sprung, gleichzeitig scheint Arévalo als junger, wichtiger Spieler eines Aufstiegskandidaten genau an der Schwelle zur Weiterentwicklung zu stehen, die ihm der VfB bieten kann — ohne dass er allein die Verantwortung für die Offensive übernehmen muss. Mit seinem Spielstil und seinen Anlagen könne er auf jeden Fall beim VfB Erfolg haben, so Johannes. Dem schließt sich auch SRB an. In Santander erkennt man auch den nächsten Entwicklungsschritt an, den Arévalo machen muss und freut sich gleichzeitig über die feste Ablösesumme, die weiter in den Wiederaufstieg in die erste Liga nach dreizehn Jahren investiert werden kann — wo Racing Santander nach SRBs Meinung auch hingehört.
Wie schnell etabliert er sich?
Die Zeiten, in denen wir um den Wiederaufstieg kämpfen müssen, sind zum Glück vorbei, weswegen wir es uns jetzt auch leisten können, eine hohe einstellige Millionensumme in einen knapp 21jährigen zu investieren. Wenn Arévalo seinen Flow aus Kantabrien beibehält, könnte er durchaus eine gut Ergänzung zu den hoffentlich spätestens Mitte Januar wieder vollzählig anwesenden Bilal El Khannouss, Ermedin Demirovic und Deniz Undav sein — und perspektivisch vielleicht auch ein Nachfolger. Die Anlagen wirken auf jeden Fall vielversprechend, gleichzeitig sehen wir auch bei Badredine Bouanani, wie wechselhaft die Leistungen bei Spielern Anfang 20 noch sein können — wobei eine Teilnahme an der WM mit Ecuador sicher nochmal ein zusätzlicher Qualitätsbeweis wäre. Seine offensive Flexibiliät könnte der Mannschaft zudem helfen, auch tiefstehende Mannschaften zu knacken.
Anders als im Sommer, als man mit Lazar Jovanovic, Noah Darvich und Chema Andrés blutjunge Talente sammelte, von denen sich Chema bisher am Weitesten durchsetzte, greift man jetzt auch in der Entwicklung wieder ein Regal höher, ohne von der bisherigen Linie abzurücken, eher auf Entwicklung als auf Erfahrung zu setzen. Spannend ist natürlich, wie es mit Jovan Milosevic weitergeht, dessen Leihe zu Partizan an Silvester endet und der in der ersten serbischen Liga ähnlich beeindruckende Zahlen vorlegt — wenn auch als klassischer Mittelstürmer, was beide Personalien nicht in Konkurrenz zueinander treten lässt. Am Ende muss natürlich auch Sebastian Hoeneß am 31. Januar etwas mit dem Kader, den er für den Rest der Saison zur Verfügung hat, anfangen können. Unüberhörbar war das Bauchgrummeln, mit dem er die sommerlichen Transfers kommentierte. Holt ihm Fabian Wohlgemuth im Winter einen erfahreneren, resilienteren Spieler, der in Zukunft verhindert, dass wir gegen die Bayern nicht nur drei, sondern fünf Dinger kassieren? Wir dürfen gespannt sein.
Titelbild: © Cesar Ortiz Gonzalez/Alamy