Erneut hat der VfB bei der letzten Gelegenheit — diesmal wirklich bei der allerletzten — einen sportlich und finanziell desaströsen Abstieg abgewendet, erneut zieht man sich zur Saisonanalyse zurück. Aber woran liegt es denn, dasss Mannschaft und Verein seit zwei Jahren auf der Stelle treten und die Stimmung dabei immer schlechter wird? Eine Bestandsaufnahme.
Ich bin ganz ehrlich: Ich hab diesen Artikel etwas aufgeschoben, so wichtig er mir persönlich auch ist. Erstmal galt es, den Montagabend und den daraus resultierenden Klassenerhalt emotional nach mehreren Wochen des Rechnens und Bangens zu verarbeiten. Wochen, in denen man sich einmal sicher war, dass der Ligaverbleib zum Greifen nahe war, nur um sieben Tage später wieder zu verzweifeln. Außerdem ist die Frage, warum der VfB zum zweiten Mal seit 2019 Relegationsspiele bestreiten musste und damit sogar schlechter abschnitt als beim hochemotionalen Saisonfinish 2022, keine einfache. In den sozialen Netzwerken, in denen ich aktiv bin — also vor allem Twitter — herrscht spätestens seit Thomas Hitzlspergers Ankündigung seines Abschieds ein Hauen und Stechen um die Deutungshoheit so ziemlich jedes Aspekts rund um den VfB.
Zusätzlich aufgeladen wird diese Stimmung durch das, was 11Freunde-Redakteur Max Nölke in einem Artikel über den VfB als “Kultur des Fingerpointing” bezeichnete. Öffentlich durch die Berichterstattung und Dampflplauderer in Weißbierrunden in die Defensive gedrängt, versucht man vor allem die eigene Haut zu retten, trifft Aussagen, die nur mit Hintergrundwissen als korrekt eingestuft werden können oder taucht ganz unter. Hinzu kommt, dass jeder Aspekt, jedes Argument in dieser Diskussion eine Vorgeschichte hat, im Zweifelsfalle Teil einer bestimmten Agenda ist, die Alt- und Neuvordere immer wieder öffentlich zum Besten geben, egal ob man sie danach gefragt hat oder nicht. Kurz: Bei einer Bewertung der aktuellen Lage des VfB und den Gründen dafür kann man sich nur in die Nesseln setzen, im schlimmsten Falle wirft einem irgendjemand aus dem Schatten der Anonymität heraus vor, bezahlt und/oder gelenkt zu sein. Sei es drum. Ich zerbreche mir schon seit Monaten den Kopf darüber, was beim VfB, was mit seiner Mannschaft eigentlich los ist und hab dazu schon so viele Diskussionen geführt, die ich mir vielleicht lieber gespart hätte.
Nicht nur Pech
Betrachten wir zunächst mal die nackten Zahlen: Der VfB hat in den vergangenen beiden Spielzeiten, jenen nach der Bundesliga-Rückkehr-Saison, die die Grundlage für so viele Hoffnungen und Träume rund um den VfB bildet, von 68 Spielen 14 gewonnen, 24 unentschieden gespielt und 30 verloren. Dabei 86 Tore geschossen und 116 kassiert, pro Spiel also 1,26:1,7. Beide Saisons hatten eine fast identische Bilanz: 33 Punkte und die gleiche Verteilung von Siegen, Remis und Niederlagen. Mit dieser Punktzahl reihen sie sich hinter der Abstiegssaison 2018/19 (28 Punkte), Huub Stevens’ Rettungsaktion 2014 mit 32 Punkten und der Abstiegssaison 1974/1975 als die ergebnismäßig schlechtesten Spielzeiten der VfB-Bundesliga-Geschichte ein. Mit null Siegen aus den ersten neun Spielen der abgelaufenen Saison stellte die Mannschaft einen vereinsinternen Negativrekord auf, spielzeitenübergreifend gelang es ihr monatelang nicht, ein Auswärtsspiel zu gewinnen oder ein Heimspiel ohne Gegentor zu bestreiten.
Dem gegenüber stehen zahllose Momente, die sich in unsere Herzen und Hirne in eine Art und Weise eingebrannt haben, wie es wohl nur Sportfans möglich ist: Kalajdzic gegen Gladbach, Tomás gegen Augsburg, Kalajdzic in München, Endo gegen Köln, Anton gegen Augsburg, Mavropanos gegen Hertha, Silas gegen Dortmund, Endo in Mainz, Mavropanos gegen Hamburg, Millot in Hamburg. Überhaupt: Endo, Silas, Sosa, um nur ein paar zu nennen: Man kann eigentlich nicht anders, als diese Mannschaft zu lieben, die dir an guten Tagen die Sterne vom Himmel spielt. Und dich an schlechten Tagen zur Weißglut treibt, weil ihre Unbekümmertheit sich in Naivität wandelt. Was man in jeder Saisonanalyse auf jeden Fall vermeiden sollte: so zu tun, als wäre die oben angeführte Bilanz der letzten zwei Jahre nur eine Verkettung unglücklicher Umstände, deren Wegfall uns automatisch in etwas entspanntere Tabellenregionen führen würde.
Thema mentale Stabilität
Um mal eins von vornherein klarzustellen: Ich habe in den letzten Jahren jeden einzelnen Neuzugang des VfB hier auf dem Blog vorgestellt, habe mich mit Experten ihrer ehemaligen Vereine unterhalten und konnte mir mit — mal viel, mal wenig — Phantasie vorstellen, wo derjenige in der Zukunft seinen Platz beim VfB finden könnte. Die Schwäche der Mannschaft liegt — betrachtet man den gesamten Kader — nicht in ihrer fußballerischen Qualität. Das haben viele Spieler häufig genug bewiesen. Es ist auch wenig zielführend, immer auf das Alter abzuheben. Der gesamte Kader mag einer der jüngsten der Liga sein, im Relegationssrückspiel in Hamburg war die Startelf im Schnitt aber 25 Jahre alt. Ito, Vagnoman und Millot waren die einzigen Spieler unter 25. Wer die Spieler die letzten beiden Jahre beobachtet hat, der weiß auch, dass es innerhalb des Teams stimmt und dass wir es nicht wie 2016 oder 2019 mit einer Truppe zu tun haben, bei der jeder zuerst auf sich schaut — auch wenn es natürlich in jeder Mannschaft gewisse Egoismen gibt.
Nein, das größten Problem der Brustringträger liegt meiner Meinung nach in der mentalen Stabilität. Was ich damit meine: Die Mannschaft ist zu selten in der Lage, gegen den Strom zu schwimmen, sich gegen mentale Widerstände aufzulehnen, diese zu überwinden. Das war 2020/2021 noch anders, als man auch aus kurzen Negativphasen wieder auftauchte und im Anschluss regelmäßig punktete. Das mag der Qualität eines Nico Gonzalez und eines Gregor Kobels zuzuschreiben sein, der Erfahrung eines Gonzalo Castro, oder aber der Tatsache, dass die Mannschaft in dieser Saison nicht so richtig aus der Bahn werfen konnte und sie getragen von einem guten Gefühl auf Platz 9 landete. In der Folge zeigten sich die Brustringträger als sehr plegeintensiv, eine Aufgabe, mit der auch Pellegrino Matarazzo Anfang 2022 zusehends die Geduld verlor, als er der Mannschaft attestierte, dass es Spieler gebe, die die Lage nicht begriffen hätten. Man konnte es auch bei beiden Auswärtsspielen in Berlin und dem auf Schalke in dieser Saison sehen, als schon allein die Spielkonstellation und die Tabellensituation genügend Eigenmotivation hätten hervorrufen müssen um diese Spiele nicht derart abzuschenken.
Ohne Null viel Aufwand
Hat ein Trainer einmal die richtige Ansprache gefunden und ist gleichzeitig die Not groß genug — sowie gegen Köln 2022 und in der Relegation, ist die Mannschaft in der Lage, ihren Gegner zu überrollen und in die Knie zu zwingen. Nur leider ist das viel zu selten der Fall. Entweder fehlt der Mannschaft die nötige Spannung oder sie ist wie gelähmt vor der Angst, einen Fehler zu machen — und begeht diese gerade dann. Offensiv offenbart sich das dann vor allem in der Chancenverwertung, in der die Mannschaft zu häufig aus zu schlechten Positionen aufs Tor schießt — und sich zu selten so gute Chancen herausspielt, dass schon rein statistisch gesehen häufig genug einer reingeht. Viel fataler ist diese mentale Instabilität aber in der Defensive. Ein Gegentorschnitt von 1,7 bedeutet, dass wir in jedem Spiel ein Tor kassieren, in jedem zweiten sogar zwei. Natürlich gab es in beiden Spielzeiten Mannschaften, die wesentlich mehr Tore kassierten. Aber jeder Konkurrent um den Klassenerhalt spielte häufiger zu null als der VfB, selbst die jeweiligen Absteiger.
Dem VfB fällt es extrem schwer, zu null zu spielen, dementsprechend groß ist der Aufwand, den die Mannschaft offensiv betreiben muss, um zu Punkten zu kommen — siehe oben. In diesen Abwehrsituationen offenbaren sich dann individuelle Aussetzer und mannschaftstaktische Schwächen, die sich weder durch überragende Einzelspieler, noch durch kollektive Qualität korrigieren lassen: Muss der VfB nach hinten umschalten, fehlt ihm in der Rückwärtsbewegung häufig die Zuordnung. Bei gegnerischen Angriffen, die nicht in Kontern münden, zeigt sich die Mannschaft zu häufig zu naiv beim Anlaufen und im Stellungsspiel. Mehrfach konnte man in den letzten beiden Jahren beobachten, wie sich mehr Verteidiger als notwendig auf den ballführenden Spieler stürzten. Die daraus resultierenden Lücken nutzten die Gegner je nach Qualität zu Toren. Die Mannschaft tritt gegen den Ball zu ballorientiert auf und lässt dabei zu häufig Gegenspieler aus den Augen. Zu diesen spielerischen Schwächen kommt eben die mentale: Sehr frühe Gegentore, sehr späte Gegentore, Gegentore direkt zu Beginn der zweiten Halbzeit oder direkt nach der eigenen Führung — der VfB hatte alles schon. Natürlich gibt es auch zahlreiche Situationen, in denen der VfB sehr gut verteidigt und einen Vorsprung auch über die Zeit bringt. In der Summe und über zwei Jahre hinweg waren es jedoch zu viele solcher Fehler. zu viele Spiele mit Gegentoren und unterm Strich zu wenig Punkte.
Unruheherd Torhüterposition
Das Fatale ist, dass sich diese Schwächen bei allen vier Trainern in dieser Zeit — Matarazzo, Wimmer, Labbadia und Hoeneß — offenbaren, je nach Art des Trainers mal mehr, mal weniger. In den Griff bekommen konnte sie noch keiner der Übungsleiter. Da hilft es auch nichts, auf Rahmenbedingungen hinzuweisen: In der von Verletzungssorgen geprägten Hinrunde 2021/2022 holte der VfB 17 Punkte, in der diesbezüglich entspannteren Rückrunde 16. In der vergangenen Saison plagten den VfB weder Verletzungen noch eine ein von den olympischen Spielen gestörte Hinrunde, das Ergebnis waren 16 Punkte. Die Rückrunde begann mit dem Fehlgriff Labbadia und endete dank Sebastian Hoeneß mit 17 Punkten. Nicht falsch verstehen: Ich will der Mannschaft nicht die grundsätzliche Qualität für die Bundesliga absprechen. Aber zwei Fast-Abstiege in Folge haben nichts mit Pech zu tun, sondern mit Fehlern auf allen Ebenen.
Was muss sich also ändern in dieser Mannschaft? Gar nichts, las ich die Tage auf Twitter und halte das für fatal. Die Torhüterposition ist jetzt schon das zweite Jahr in Folge ein Unruheherd gewesen, der ungute Erinnerungen an Przemyslaw Tyton weckt. Mit Müller verkauft man seinen als neue Nummer 1 geholten Torhüter wohl demnächst weit unterhalb der für ihn gezahlten Ablöse und spart sich immerhin sein Gehalt. Ob man noch einmal so eine Mischung aus mentaler und spielerischer Stärke wie bei Gregor Kobel findet, ist offen, die bisherigen Gerüchte deuten nicht darauf hin und ohnehin überbrückt man ja auf dieser Position offensichtlich nur die Zeit, bis man Dennis Seimen den Schritt in die Bundesliga zutraut. In der Dreierkette davor verfügt man über vier solide Innenverteidiger, zwei davon mit so viel Potenzial ausgestattet, dass sie uns eventuell in diesem Sommer verlassen. Gleichzeitig aber auch vier Verteidiger, von denen jeder in dieser Saison im Wechsel mal für einen Lapsus gut war — siehe oben. Ob man von der Ablöse für Dinos Mavropanos und Hiroki Ito — so sie einen Abnehmer finden — etwas in die Mannschaft reinvestieren kann und wenn ja, wie viel, ist offen.
Herzstück ohne Backup
Gleiches gilt für die linke Außenbahn, für die man mit Maxi Mittelstädt im besten Fall einen Backup für Sosa oder dessen Ersatz gefunden hat. Auf rechts hat sich Josha Vagnoman spät als einer der Gewinner der Saison etabliert, was wiederum Silas vor Probleme stellt: Sein Hoheitsgebiet, die rechte Außenlinie, hat er verloren, als Halbstürmer fehlt ihm häufig der Anlauf, den er braucht, um seine Stärken auszuspielen, im Klein-Klein rund um den Strafraum fehlt ihm zu häufig die Übersicht und der Blick für die richtige Entscheidung. Da ist ihm Millot aktuell ein bisschen voraus, während auf der anderen Halbposition Führich nach dem Ende der Leihe von Tiago Tomás gesetzt sein dürfte. Dafür müsste er aber mehr Konstanz und Zielstrebigkeit in sein Spiel bringen, ob ihm Li Egloff oder Laurin Ulrich da den den Rang in der kommenden Saison ablaufen, wage ich zu bezweifeln.
Bleiben noch die Herzstücke des Teams: Sechser und Neuner. Wataru Endos schier unendliches Arbeitspensum, welches der Vertikalpass kürzlich würdigte, kann so keine Dauerlösung sein. Atakan Karazor neben fällt, wie die Innenverteidigung, in den Bereich solide, ist aber nie ein Ersatz für Orel Mangala — der auch offensiver agierte — geworden. Es ist eben die Solidität von Spielern wie Karazor, die die Mannschaft nicht immer im Kollektiv auffangen kann, so dass man in schlechten Spielen eben eine Ansammlung von Hoffnung und Mittelmaß hat. Gleiches gilt für Genki Haraguchi. Einen der wenigen Qualitäts- und Unterschiedsspieler hat der VfB auf der Neun: Serhou Guirassy. Danach kommt lange nichts. Luca Pfeiffer hatte eine verheerende Saison, Leihspieler wie Wahid Faghir oder Mo Sankoh müssen sich nach durchwachsenen Spielzeiten (dazu die Tage mehr) erst einmal wieder in der Bundesliga beweisen und Thomas Kastanaras zudem noch seine Verletzung auskurieren, Juan Perea und Gil Dias stehen erneut vor einer Vorbereitung, in der sie sich beweisen können und müssen.
Mit dem Latein am Ende
Kommen wir zu einem weiteren Faktor, um die Probleme der letzten beiden Saisons zu erklären: dem Trainer. Der hieß, für VfB-Verhältnisse außergewöhnlich lange, Pellegrino Matarazzo. Vielleicht zu lange, aber dass die sportlichen Entscheider des Vereins die Saisonanalyse so grandios in den Sand setzen würden wie im vergangenen Sommer, das wusste man eben erst nach neun sieglosen Spielen zu Saisonbeginn, die für mich angesichts der Rahmenbedingungen immer noch ein ziemliches Rätsel sind. Natürlich darf auch das Ergebnis der Saison, der Klassenerhalt, nicht darüber hinwegtäuschen, was alles schief lief in der vorvergangenen Spielzeit. Matarazzo stellte seine Mannschaft zwischenzeitlich öffentlich an den Pranger, experimentierte mit einer Viererkette, kehrte im Sommer dann wieder zum gewohnten System zurück — nichts sollte helfen. Dabei waren es am Ende weniger taktische Schwächen als vielmehr das Unvermögen, die Mannschaft mental zu packen, die Matarazzo den Job kosteten. Eigentlich erstaunlich bei einem Trainer, der vor allem — aber nicht nur — für den Umgang mit seinen Spielern gelobt wurde. Man darf natürlich auch die Rückrunde der Zweitliga-Saison nicht außer acht lassen, in der der VfB nach der Coronapause auch erst spät auf den direkten Aufstiegszug aufsprang und beim 3:2 gegen Hamburg erneut einen Kraftakt benötigte. Letztlich holte Tim Walter pro Spiel sogar mehr Punkte als Matarazzo, nämlich 1,72 zu 1,68.
Auch hier darf man mich bitte nicht falsch verstehen. Rino scheint von dem, was ich von außen von ihm mitbekommen habe, ein sehr sympatischer Mensch zu sein, dem der VfB viel zu verdanken hat — sportlich, aber auch in der Außenwahrnehmung. Gleichzeitig schaffte er es auf Strecke nicht, eine qualitativ solide, aber mental pflegebedürftige Mannschaft aufs Gleis zu bringen. Gleiches galt für seinen Co-Trainer und Nachfolger Michael Wimmer, der einen furiosen Sieg im Pokal einfuhr, seine Heimspiele teils deutlich, teils emotional gewann, seine Auswärtsspiele deutlich verlor und dabei immer in der undankbaren Position war, nicht zu wissen, ob er nun Interims- oder Cheftrainer war. Gerade angesichts der langfristigen Probleme der Mannschaft halte ich eine Hochrechnung seines Punkteschnitts für unseriös, immerhin aber hatte er seinem Nachfolger wiederum etwas voraus: Er verstand die Mannschaft immerhin gut genug, um sie zu drei Siegen zu führen.
Fehlgriff Labbadia, Rettung Hoeneß
Zur Entscheidung, Bruno Labbadia nach knapp zehn Jahren wieder zum Cheftrainer in Bad Cannstatt zu machen, komme ich gleich noch. Blicken wir aber nur auf seine Amtszeit und Arbeit, bleibt man kopfschüttelnd zurück. Offenbar kam er mit völlig falschen Vorstelllungen von den Fähigkeiten, Stärken und Schwächen der Mannschaft nach Stuttgart und war in der längsten Winterpause seit Menschengedenken nicht in der Lage, diese abzulegen. Damit widersprach er auch dem Statement bei seiner Vorstellung, in dem er von einer pragmatischen Herangehensweise sprach und ankündigte, die Mannschaft das spielen zu lassen, was sie könne. Grundsätzlich eine sinnvolle Idee, weswegen ich nach dem ersten Schock über die Personalie auch nicht mehr komplett pessimistisch in die Zukunft blickte.
Eigentlich schlug letztlich jede seiner Maßnahmen fehl. Die Mannschaft benötigte offensichtlich kein gemeinsames Frühstück zum Teambuilding, denn von Problemen innerhalb des Teams hat man die letzten Jahre nie etwas gehört, eher das Gegenteil. Morgens früh schon Kondition zu bolzen sollte die Ausdauer der Mannschaft stärken und manch einer entblödete sich nicht, diese Maßnahme als Grund für den Klassenerhalt anzuführen. Als hätte der VfB nicht schon vorher Spiele spät entschieden. Von personellen Fehlgriffen wie Waldemar Anton statt Josha Vagnoman als Rechtsverteidiger und Silas als Neuner mal abgesehen gelang es ihm auch nicht, sein System auf das Fehlen von Serhou Guirassy anzupassen. Vor allem aber übersah er, dass die Lösung für das Problem der unzuverlässigen Defensive nicht darin lag, mehr Spieler verteidigen zu lassen. Die Angst vor Fehlern, sie wurde unter Labbadia noch mehr kultiviert, so dass eigentlich spätestens nach dem sang- und klanglosen 0:2 gegen Bremen klar war, dass er für diese Mannschaft der falsche Trainer und deshalb an seinem Auftrag gescheitert war.
Sebastian Hoeneß hingegen besann die Mannschaft wieder auf ihre Stärken und gab vor allem den Fans das zurück, was nach zwei Abstiegen binnen drei Jahren in Stuttgart mittlerweile als harte Währung gilt: Hoffnung. Spielerisch agiert er wie ein jüngerer Matarazzo, im klassischen System mit Dreierkette und Wingbacks, allerdings scheint es ihm bislang noch besser als Matarazzo zu gelingen, die Mannschaft zu packen. Ich bin gespannt, wie er die Truppe auf die neue Runde vorbereitet, wenn es nicht allein darum geht, für ein klar definiertes kurzfristiges Ziel eine schlagkräftige Formation und ein funktionierendes taktisches Korsett zu finden. Neben personellen Anpassungen muss es Hoeneß vor allem gelingen, der Mannschaft eine mutige Herangehensweise einzutrichtern. Es war eben jene Risikobereitschaft, jener Mut mit Absicherung, der die Mannschaft nach dem Aufstieg auf Platz 9 brachte.
Gewagte Wette mit guten Quoten
Wenn wir über die Schwächen der Mannschaft sprechen — und nochmal: wir müssen über die Schwächen der Mannschaft sprechen, denn die müssen behoben werden, um eine dritte solche Saison zu verhindern — müssen wir natürlich auch über jenen Mann sprechen, der sie zu großen Teilen zusammengestellt hat. Und seine Vorgesetzten. Und seinen Nachfolger. Ich hab es quasi in jeder Vorstellung eines Neuzugangs erwähnt und es wird wohl auch kaum jemand bestreiteten: Der VfB hat in den letzten Jahren sehr viele Wetten auf die Zukunft abgeschlossen. Meistens mit einem guten Blatt auf der Hand, weil die Spieler ihr Potenzial bereits angedeutet hatten, aber so unter dem Radar liefen, dass sich die Ablöse in einem vertretbaren Rahmen bewegte — sieht man vielleicht einmal von den acht Millionen ab, die der VfB 2019 als Zweitligst für Silas nach Paris überwies. Das Modell, zunächst sehr junge, später junge Spieler günstig zu verpflichten, sie zu entwickeln, um entweder mit ihnen oder den Transfererlösen sportlich zu wachsen, war (und ist) reizvoll und war ein angenehmes Kontrastprogramm zu Michael Reschkes Mix aus Talenten wie Sosa, Massimo oder Maffeo und erfahrenen Spielern jenseits ihres Zenits wie Castro, Didavi, Badstuber, Gentner oder Gomez.
Zu einer Wette gehört aber eben auch, dass man sie verlieren kann, entscheidend ist dann, wie viel Geld man gesetzt hat. Im Falle von Gregor Kobel, Sasa Kalajdzic, Darko Churlinov oder Naouirou Ahamada ging das Prinzip auf, bei Florian Müller nicht, und bei vielen anderen ist das noch offen. Zwei Faktoren verkomplizieren das Ganze: Zum einen hatte der VfB mit zwei Abstiegen finanzielle Substanz verloren, die durch Geisterspiele in einem für knapp 60.000 Menschen ausgelegten Stadion, sinkendem Fernsehgeld, Kredite und einen teuren Stadionumbau weiter angegriffen wurde. Ein weiterer Abstieg in der abgelaufenen Saison hätte das Fernsehgeld und auch die Stadioneinnahmen weiter sinken lassen, was wiederum, so meine Einschätzung, die Finanzierung des Stadionumbaus durch die Betriebsgesellschaft weiter erschwert hätte. So oder so war es für den VfB nicht nur eine reizvolle Option, sondern letztlich eine wirtschaftliche Notwendigkeit, Überschüsse aus Spielertransfers zu erwirtschaften oder die Kaderkosten anders zu senken. Das andere Risiko besteht darin, dass ein Abstieg dir jegliche Transferüberschüsse wieder auffrisst. Zum einen, weil man unerwartete Verluste wie die eben beschriebenen wieder ausgleichen muss, zum anderen weil man nicht immer auf das höchste Angebot warten kann, wenn ein Spieler seine Vorbereitung partout nicht bei einem Zweitligisten bestreiten will — mal ganz abgesehen davon, dass man das Geld ja zum Löcherstopfen benötigt. In den letzten zwei Jahren wandelte diese Mannschaft gefährlich nahe an diesem finanziell fatalen Sturz in die Zweitklassigkeit. Die Gründe dafür habe ich schon angeführt.
Mehr unmittelbarer Mehrwert?
Es ist also ein schmaler Grat zwischen einer konkurrenzfähigen Mannschaft — und dazu zähle ich auch das mentale — und Spielern, die dir in Zukunft finanziell den Arsch retten. Wahid Faghir ist so ein Beispiel, dessen Tranfer in den sozialen Netzen überschwänglich gefeiert wurde und bei dem auch Sportdirektor und Medienabteilung sichtbar stolz auf den Vertragsabschluss und die Verkündung des Transfers waren. Angesichts der angespannten Finanzlage muss Mislintat sich aber fragen lassen, ob die laut Transfermarkt.de 3,5 Millionen Euro Ablöse für diesen Spieler wirklich notwendig waren oder ob man für dieses Geld nicht lieber einen weiteren Spieler der Kategorie Vagnoman oder Führich, also mit unmittelbarem Mehrwert für die Mannschaft hätte holen müssen. Diese wie auch die ablösefreie Verpflichtung von Ömer Beyaz wirken so, als habe man die Spieler nicht nur wegen ihres Talents verpflichtet, sondern auch, weil man sich einen Ruf erarbeitet hatte, der den VfB für diese Spieler attraktiv macht. Faghir konnte beim dänischen Vizemeister nicht komplett überzeugen, Ömer Beyaz saß erst in Magdeburg auf der Bank und ist mangels Spielberechtigung für die Regionalliga in Stuttgart nur im Training zu sehen. Klar ist, auch bei jemandem wie Jovan Milosevic: Bei so jungen Spielern reden wir von einer langfristigen Wette, vielleicht wissen wir erst in ein paar Jahren, ob die damalige Entscheidung richtig war. So wie man es mittlerweile bei Tanguy Coulibaly sieht, der nach einem starken ersten Bundesliga-Halbjahr zwar immer mal wieder Highlight-Spiele hatte, es aber nie zu konstanten Leistungen brachte. Oder Mateo Klimowicz, der noch bis Ende des Jahres in Mexiko spielt. Oder eben in einem kürzeren Zeitrahmen Florian Müller. Und nochmal: Es geht mir hier nicht darum, Mislintats Arbeit schlecht zu reden. Aber zu einer Fehleranalyse gehört eben genau das: Die Fehler und ihre Auswirkungen zu benennen.
Letztlich muss man auch die verkorkste Saisonanalyse im vergangenen Sommer neben Sportvorstand Wehrle (zu ihm gleich mehr) und Trainer Matarazzo auch dem Sportdirektor anlasten. Denn offensichtlich wurde nicht erkannt, unter welchen Schwächen die Mannschaft litt, die dazu führten, dass der Klassenerhalt erst in der letzten Minute des letzten Saisonspiels stattfand. Hätte man in einem Transferfenster, in dem man zudem erneut Überschüsse generieren musste, die Mannschaft so umbauen können, dass sie in der Folgesaison resilienter auftritt. Wahrscheinlich nicht, das widerspräche auch dem Sinn eines langfristigen Projekts. Hätte man den Trainer auswechseln müssen, der in der Folgesaison nicht in der Lage war, die Probleme der Mannschaft zu beheben? Im Nachhinein ja, auch wenn das nach den Jubelszenen gegen Köln nur schwer vermittelbar gewesen wäre. Wie auch immer: Obwohl die Rahmenbedingungen besser waren als in der Vorsaison, schaffte die sportliche Führung es nicht daraus Kapital zu schlagen. Dennoch: Die ausgetretenen Pfade 2019 zu verlassen und einen neuen Weg zu gehen, war richtig. Alternativlos war und ist dieser Weg trotzdem keineswegs, denn die Mannschaft machte in den letzten zwei Jahren zu selten Werbung für sich und ihre Idee.
Den Weg fortführen
Auch Fabian Wohlgemuth wird man frühestens nach diesem Transferfenster richtig in seiner Arbeit bewerten können, eigentlich aber erst nach der kommenden Saison, denn auch Anfang August werden wir noch nicht wissen, wie sich die neue Mannschaft schlagen wird. Nichtsdestotrotz steht auch er von Beginn seiner Amtszeit an unter Beobachtung. Nicht, weil er nicht Sven Mislintat ist, sondern weil die Verpflichtung von Bruno Labbadia, die schon vor seiner Verpflichtung beschlossen gewesen sein muss, mittrug, weil er viel zu lange an ihm festhielt und weil er im Winter zwei Spieler verpflichtete, die zunächst rein auf die Spielidee eines Trainers ausgerichtet waren, der nach wenigen Monaten wieder Geschichte war. Wohlgemuth muss sich jetzt in seiner Arbeit von diesem unseligen Konstrukt im Winter und — natürlich in Abstimmung mit der Spielidee von Sebastian Hoeneß — eigene Akzente in der Kaderplanung setzen. Auch er wird auf absehbare Zeit darauf angewiesen sein, Überschüsse zu generieren und gleichzeitig eine wettbewerbsfähige Mannschaft auf die Beine zu stellen. Wir dürfen gespannt sein.
Unabhängig davon wäre ihm und wahrscheinlich auch uns geholfen, wenn er sich eben darauf konzentrieren könnte und nicht genauso sehr in der Öffentlichkeit stünde wie sein Vorgänger. Der hatte mit seinem Sportvorstand immerhin die klare Absprache, dass er auch das Gesicht der sportlichen Führung war. Wohlgemuth wirkt bei seinen öffentlichen Auftritten mitunter etwas unbeholfen, was sich ja schon dahingehend abzeichnete, dass er diese Art der Öffentlichkeit in Kiel und Paderborn nicht hatte. Sein Problem ist teilweise, dass er dahingehend immer wieder mit Mislintat verglichen wird, teilweise wurde ihm sogar vorgeworfen, ähnlich wie Alexander Wehrle gegen diesen nachzukarten. Der Satz “Wir wollen aber keine Mannschaft aus einer Monokultur heraus erschaffen” wird dabei allerdings aus dem Zusammenhang gerissen, denn wer das ganze Interview liest, sieht, dass er damit die Arbeit seines Vorgängers fortführen will. Dennoch: Dass Wehrle Strukturen und Aufgabenverteilung zwischen Hitzlsperger und Mislintat einfach übernommen hat, stellt sich auch hier als Fehler heraus.
Den VfB nicht verstanden?
Das Problem liegt nur eben darin, dass Alexander Wehrle bei aller Erfahrung, die er im Fußballbusiness gesammelt hat, die Sportkompetenz fehlt, um die Inhalte, die Wohlgemuth transportieren müsste, zu vermitteln. Weswegen nicht nur ich schon seit längerem für einen neuen Sportvorstand plädiere. Aber nicht nur, um Fabian Wohlgemuth einen Gefallen zu tun. Sondern auch, weil Alexander Wehrle in den etwa 15 Monaten seit seiner Rückkehr zum VfB mehrere sportliche, personelle und auch kommunikative Fehlentscheidungen getroffen hat. Man muss sich schon fragen, was er über die das, was zwischen seinem Abschied 2013 und seiner Rückkehr 2022 beim VfB passiert ist Bescheid wusste. Und ob ihm wirklich, gerade nach der Amtszeit von Wolfgang Dietrich, niemand gesteckt hat, dass “Entspannt Euch doch mal” das letzte ist, was das Umfeld des VfB hören will. Mitunter wirkte es, als habe er den neuen VfB genauso wenig verstanden wie Labbadia seine Mannschaft. Und ich fange nicht mal von dem NFT-Scam an, an dem sich der VfB seit letztem Jahr beteiligt.
Dazu zählt beispielsweise die Idee, seine fehlende Sportkompetenz durch zwei Berater zu ersetzen, von denen der eine mittlerweile auf dem Sprung zum DFB ist und der andere scheinbar vor allem seine Agentur arbeiten lässt und bei öffentlichen Auftritten oder in bei seinen legendär glattgebügelten Social Media-Postings so tut, als hätte er mit dem VfB nichts am Hut. Auch die Posse um die immer wieder verschobene Vertragsverhandlung mit Sven Mislintat oder die Tatsache, dass er diesem einen Mitarbeiter unterstellte, ohne mit ihm darüber zu sprechen, zeugt genauso wie die sich wie Kaugummi ziehende Trainersuche im Herbst von einem: Unprofessionalität. Dass der VfB nach drei Jahren unter Matarazzo monatelang nicht in der Lage ist, einen neuen Trainer zu finden, dann den Interimstrainer erst stark redet und dann durch Bruno Labbadia ersetzt, kann man nicht anders bezeichnen.
Kein Fingerpointing mehr!
Über Labbadia habe ich mich ja oben schon ausgelassen und das Beste an der Entscheidung, ihn zu verpflichten, werden am Ende die Vertragsmodalitäten bei einer Entlassung gewesen sein. Dass Wehrle mit Mislintat nicht verlängerte, vermutlich weil ihm aus struktureller Sicht und angesichts der sportlichen Bilanz dessen Kompetenzen zu weit gingen, ist grundsätzlich legitim, auch wenn ich es immer noch bedauere. Wie ebenjener Mislintat aber schon bei der anstehenden Verabschiedung von Thomas Hitzlsperger sagte: Entscheidend ist nicht wer geht, sondern wer folgt. Eine Trainerentscheidung wie die für Labbadia zu treffen, diese nicht öffentlich als Fehler zuzugeben und gleichzeitig aber immer wieder darauf hinzuweisen, dass man Probleme übernommen habe, die es jetzt zu lösen gelte, ist genau das, was wir nicht wollen. Unprofessionalität und eine mangelnde Fehlerkultur hatten wir schon genug in den letzten zehn Jahren. Grüße gehen raus an die Kollegen Bobic, Dutt und Reschke.
Ich halte nichts von der Wahrnehmung, dass allein die sportlich verheerende Labbadia-Zeit uns den direkten Klassenerhalt gekostet hat. Man kann zwar die Punkteschnitte von Hoeneß oder Wimmer hochrechnen, verliert dann aber die bereits beschriebenen grundlegenden Probleme der Mannschaft aus dem Auge. Hätte Sebastian Hoeneß den VfB nach der WM ins sichere Mittelfeld geführt? Vielleicht. Vielleicht hätte er aber auch in diesen 19 Spielen eine Durststrecke moderien müssen, statt die Mannschaft in kurzer Zeit auf ein Ziel einzuschwören. Gleiches gilt für Michael Wimmer. Hätte ihn über einen längeren Zeitraum das gleiche Schicksal ereilt wie das seines Vorgängers und ehemaligen Cheftrainers? Möglicherweise. Diese Mannschaft ist wie bereits beschrieben kompliziert. Man kann es sich einfach machen und die Schuld einseitig verteilen. Das ist aber genau das, was ich eingangs beschrieben habe: Die “Kultur des Fingerpointing”, die vor allem innerhalb des Vereins niemanden weiterbringt und die auch und gerade dort schleunigst aufhören sollte.
Große Räder drehen
Für mich ist klar: Neben kleineren Stellschrauben in der Mannschaft und der Ansprache und diese müssen vor allem größere Räder gedreht werden: Eine klare Aufgabenverteilung zwischen Sportdirektor, Vorstandsvorsitzendem und neuem Sportvorstand. Dieses Rad kann und muss letztlich ein Gremium drehen: Der Aufsichtsrat. In der Vergangenheit immer wieder Spielwiese von freidrehenden Investoren und leberwurstigen Plaudertaschen mit Kopfballstärke besteht dieser aktuell aus dem Präsidium des eingetragenen Vereins, eher unauffälligen Investoren und weiteren Vertretern aus Politik und Wirtschaft, die nach außen ähnlich unsichtbar bleiben und immerhin nicht im Aufsichtsrat sitzen, weil sie dem VfB als Sponsor Geld überweisen.
Auch dieses Gremium, wenn es dann mal öffentlich auftritt, bekleckerte sich in den letzten Jahren nicht mit Ruhm. Das ging schon damit los, dass man offenbar nicht in der Lage war, Sven Mislinitat bei der Suche nach einem neuen Sportvorstand als Nachfolger von Thomas Hitzlsperger so abzuholen, dass der sich nicht gleich Carlos Ubina vors Aufnahmegerät warf. Eine Personalagentur zu beschäftigen, die am Ende mit einem ehemaligen Mitarbeiter als Vorschlag ankommt und diesen, weil man den Konflikt mit Mislintat scheut, gleich auch trotz mangelnder Expertise zum Sportvorstand zu machen war auch keine Sternstunde. Und auch wenn man wohl Alex Wehrle und Fabin Wohlgemuth in der Länderspielpause nach dem Wolfsburg-Spiel mehr oder minder die Pistole auf die Brust setzte: Wenn im Aufsichtsrat in der jüngeren Vergangenheit sportliche Entscheidung getroffen oder verpasst wurden, waren diese nicht unbedingt von Erfolg geprägt, Vielmehr entsteht der Eindruck, man folge der Führung desjenigen, den man eigentlich kontrollieren soll.
Mehr Transparenz
Und wenn wir über den Aufsichtsrat reden, müssen wir über Claus Vogt reden, der zwar im Präsidialauschuss ein größeres Gewicht hat, natürlich aber Entscheidungen im Aufsichtsrat nicht alleine trifft. Dennoch: Als höchster demokratisch gewählter Vertreter des Vereins kommt ihm in seiner Rolle und Position eine besondere Wichtigkeit zu. An dieser Stelle auch noch auf die immer wieder geäußerten Vorwürfe einzugehen, würde den Rahmen sprengen, zumal ich vieles nicht überprüfen kann. Ich finde es jedoch bedenklich, dass die Kritik an seiner Amtsführung immer wieder, langfristig und aus verschiedenen Ecken kommt. Man kann natürlich Thomas Hitzlsperger in seinem offenen Brief eigene Machtgelüste unterstellen oder dass sich Oli Fritsch und Marc Brost in ihrem House of Cannstatts vor Karren haben spannen lassen, ebenso die Diskrepanz zwischen der Kritik und der möglicherweise geringen Bereitschaft an Sitzungsteilnahmen zweier Vereinsbeiräte oder einen anonymen Blog und die darauf aufbauende Kampagne für eine außerordentliche Mitgliederversammlung für unseriös halten.
Unterm Strich ist mir das aber zu viel, als dass ich es lediglich für eine böse Kampagne der alten Seilschaften halte. Das Personen, die an Wolfgang Dietrichs Ausgliederungskampagne beteiligt waren, bei ihrer Kritik an Vogt vor allem aus Eigeninteresse handelten, ist für mich nach wie vor plausibel. Schließlich setzte man dem noch nicht gewählten Präsidenten, egal wie er hieß, bereits im Herbst 2019 im Eilverfahren einen Vorstandsvorsitzenden vor und wollte natürlich auch nach dem Wechsel an der Spitze gerne seinen Job behalten oder zumindest nicht in der öffentlichen Kritik stehen. Aber auch nach all diese Menschen die Gremien des VfB freiwillig oder unfreiwillig verlassen haben, kehrte nie Ruhe ein, rissen die Vorwürfe, ob hanebüchen oder nachvollziehbar, ob überprüfbar oder nicht, nie ab.
Auch im Sinne des VfB kann sich vor allem Claus Vogt, aber auch der restliche Aufsichtsrat nicht weiter hinter seinem Vorstandsvorsitzenden verstecken, zumal der selber gerade kein besonders gutes Schutzschild abgibt. Es müssen Personalentscheidungen getroffen werden, es müssen Entscheidungen der Vergangenheit begründet werden und es muss endlich, im Sinne einer transparenten Kommunikation aufgeräumt werden mit den Vorwürfen. Ansonsten bleibt uns als Fans und Mitglieder nur zu hoffen, dass sich bis zur Mitgliederversammlung im September im Falle eines erfolgreichen Abwahlantrags eine kompetentere Alternative findet als die vier dahergelaufenen Oppositionellen, die pro forma einen Antrag auf Abwahl aller Amtsträger stellten, ohne diese stichhaltig zu begrründen, ihr Quorum dem Vernehmen nach deutlich verfehlten und darüber aber nur auf Nachfrage der Lokalzeitung berichten. Auf VfB-jetzt.de wird immer noch für außerordentliche Mitgliederversammlung geworben. Dass diese vier und vielleicht Volker Zeh bislang die Alternative zu ihm zu sein scheinen, ist für Vogt vereinspolitisch aktuell das größte Pfund.
Es nervt
Hab ich noch wen vergessen? Achja, den Vereinsbeirat, dem ja eigentlich eine Kontrolle des Präsidiums obliegt. Der es aber nicht mal schafft, den Mitgliedern die Vorzüge des neuen Grundlagenvertrags zu kommunizieren, sondern diese Werbung für die eigene Arbeit ehrenamtlichen Bloggern überlässt. Von dem man nicht mehr mitbekommt, als dass man sich in Lager teilt und gegenseitig verbal die Köpfe einschlägt. Auf die weitergehende Reaktion auf die in diesem ominösen Blog aufgeschriebenen Vorwürfe, die nach Saisonende kommen sollte, warte ich noch immer.
Ich hoffe, ihr habt bis hierhin durchgehalten, aber nach zwei Jahren, in denen man sich nur selten über die sportlichen Leistungen und vereinspolitische Vorgänge freuen konnte — und erst recht nicht über die Kluft, die Misserfolg und Unprofessionalität in Fankreisen verursacht hat — war dieser verbale Roundhouse Kick einfach mal nötig. Dabei will ich gar nicht pessimistisch in die Zukunft schauen: Selbst wenn der VfB eine emotionale und teilweise strukturelle Abhängigkeit von den Jahren mit Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat vorerst weiter mit sich herumtragen wird: Der Verein wird weiter existieren und ist größer als alle genannten Personen. Ich kann nur dafür plädieren, das immer wieder zu beherzigen, auch in der Bewertung von Personen, unabhängig von Sympathie.
Ich kann es nicht anders sagen: Der VfB nervt mich. Nicht weil wir Relegation spielen mussten, sondern alles, was den sportlichen Misserfolg bedingt und was dieser andersrum auslöst. Ich wünsche mir einen VfB Stuttgart, der einen klaren sportlichen Plan verfolgt und auch in der Lage ist, mir diesen zu erklären. Unabhängig von dem, was war. Einen VfB, der mit diesem Plan in der Lage ist, sich in der Bundesliga zu stabilisieren. Eine Außendarstellung und Kommunikation, die anerkennt, was hier die letzten Jahre los war und warum jemand wie Sven Mislintat eine solch emotionale Bedeutung bekommen konnte, von seinen Qualitäten als Kaderplaner mal abgesehen. Ich wünsche mir eine professionelle Personalpolitik, die sich an Kompetenz und nicht an einem Blick ins persönliche Telefonbuch oder die VfB-Chronik orientiert. Ich möchte mich mit den Menschen, die den VfB vertreten und repräsentieren, zumindest so weit identifizieren können, als dass ich nicht ständig das Gefühl haben muss, vielleicht doch hinters Licht geführt zu werden.
Mut, Ehrlichkeit, Verantwortung, Professionalität. Mehr will ich gar nicht.
Zum Weiterlesen: Vertikalpass — Ein Auge blau, Stuttgart.international — Viel Talent wenig Punkte und Der Mislintat-Komplex, Commando Cannstatt — Nichts erreicht, nur verhindert — Was ist euer Plan mit dem VfB? und eigentlich der gesamte Blog Gedankenvoll.de vom geschätzten Blogger- und Podcasterkollegen Martin. Ich stimme nicht mit allen diesen Texten inhaltlich überein. Aber sie liefern alle ebenso wichtige Denkanstöße für die eigene “knallharte Saisonanalyse”
Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images
Großartiger Text, den alle an der Saisonanalyse Beteiligten lesen sollten.
“Und ich fange nicht mal von dem NFT-Scam an, an dem sich der VfB seit letztem Jahr beteiligt.”
Doch, fang bitte davon an. Der Begriff NFT-Scam ist mir einigermaßen geläufig. Aber was hat das mit Alexander Wehrle zu tun?
Hallo Thomas,
danke für das Lob!
Da Wehrle als einziger in der PM zur Kooperation mit The Football Company erwähnt wird, gehe ich davon aus, dass das auf seinem Mist gewachsen ist: https://www.vfb.de/de/vfb/aktuell/neues/club/2022/partnerschaft-the-football-company/
Viele Grüße
Lennart
Prima Beitrag, der sehr viel Informationen bringt. Danke dafür.
Darf ich trotzdem- nicht böse gemeint- eine kleine Anregung liefern?
Es wäre hilfreich,würdest Du noch ein paar mehr konkrete Vorschläge machen.In der Richtung,wer unbedingt gebraucht wird (Endo, Guirassy,Anton,Ito.…) und WER uns noch voranbringen könnte.
Frage deshalb,weil Du offensichtlich näher dran bist als viele andere oder ich.
Hallo Roland,
vielen Dank für Dein Lob!
So viel näher bin ich ehrlich gesagt gar nicht dran, sondern bewerte, was ich von außem wahrnehme. Rein von den Spielern her brauchen wir meiner Meinung nach — reines Wunschdenken — ein Upgrade zu Karazor, der zwar sein Herz auf dem Platz lässt, spielerisch aber teilweise überfordert ist und ein Upgrade in der Dreierkette. Ich weiß, das ist umstritten, weil Anton zuletzt sehr gute Spiele gezeigt hat und wir sowieso ein bis zwei Innenverteidiger werden ziehen lassen müssen. Aber die Tatsache, dass jedes Spiel ein anderer patzt, macht mich wahnsinnig. Klar, für Guirassy brauchen wir natürlich ein Backup. Konkrete Namen kann ich dir da aber nicht unbedingt nennen, dazu schau ich aktuell zu wenig Fußball abseits des VfB.
Viele Grüße
Lennart