In der Frage, warum der VfB derzeit auf dem letzten Platz der Bundesligatabelle steht, wird die Verantwortung in der Mercedesstraße aktuell hin und her, vor allem aber seitens der sportlichen Leitung von sich weggeschoben. Dem VfB fehlt es weiterhin an tragfähigen Strukturen. Vor allem auf einer Position.
Erinnert Ihr Euch noch an BriemSchneider? Das kongeniale Sportdirektor-Manager-Duo, das zwar Giovanni Trapattoni verpflichtete aber dem Vernehmen nach auch den einen oder anderen Baustein der 2007er Meistermannschaft fand? Oder Dieter Hoeneß, der, lange bevor er das Gesicht von Hertha BSC wurde, für den VfB nicht nur in 70ern die Knochen hinhielt, sondern in den 90ern als Nachfolger des ewigen Ulrich Schäfer auch den Kopf? Oder Robin Dutt, der den Mund bei seiner Vorstellung so voll nahm, was die Arbeit seines Vorgängers Fredi Bobic anging, dass er ihn erst mit dem Abstieg 2016 zu bekam? Oder aber Jan Schindelmeiser, der einzige Sportvorstand, der dieses Amt im e.V. und in der unter seiner gültigen Mithilfe geschaffenen AG innehatte? Die Liste derjenigen, deren Funktion es war, die sportlichen Geschicke des VfB abseits des grünen Rasens und der Trainerbank zu leiten, ist lang und die Bezeichnungen variieren vom kaum noch gebräuchlichen “Manager” Rolf Rüssmann oder “Teammanager” Horst Heldt bis hin zum heute üblichen Sportvorstand und Sportdirektor. Nur, das dies aktuell zwei verschiedene Posten sind.
Beim VfB des Jahres 2023 werden sie besetzt von Alexander Wehrle, studierter Verwaltungswissenschaftler und in der Folge zehn Jahre lang Vorstandsreferent beim VfB und Finanzgeschäftsführer beim 1. FC Köln. Beim VfB bekleidet er neben dem Posten des Sportvorstands auch noch den des Vorstandsvorsitzenden. Sportdirektor ist Fabian Wohlgemuth, zuvor jeweils Sportgeschäftsführer bei Holstein Kiel und dem SC Paderborn. Ergänzt wird die sportliche Leitung dem Vernehmen nach durch den Leiter Lizenzspielerabteilung Christian Gentner und die beiden Berater Sami Khedira und Philipp Lahm, die einem aktuellen Bericht zufolge auch in die Kaderplanung involviert sein sollen. Gemeinsam mit Wohlgemuth eben, der im Winter mit Genki Haraguchi und Gil Dias zwei neue Spieler präsentierte, bei der Wahl des Trainers aber nach menschlichem Ermessen nur wenig Mitspracherecht gehabt haben kann und dessen Außenwirkung spätestens seit der leidigen Diskussion, ob die Mannschaft nun auf den damaligen Tabellenletzten Schalke vorbereitet gewesen sei, erste Risse bekommt.
Die empörte Öffentlichkeit und der Omnipräsente
Natürlich ist es sinnvoll, in Ruhe weiterzuarbeiten, statt in Panik und Aktionismus zu verfallen (wenn auch nicht mit diesem Trainer), aber nach dem Sturz auf Tabellenplatz 18 und dem komplett verpufften Trainerwechseleffekt ist die Öffentlichkeit dann doch etwas mehr als “empört” und sollte in ihrer Frustration kommunikativ ein wenig mehr abgeholt werden — es ist schließlich nicht das erste Mal in denn letzten Jahren, dass wir einer VfB-Mannschaft dabei zu sehen müssen, wie sie vor sich hin dilettiert, während die sportlich Verantwortlichen jede Woche das Mantra von der harten Arbeit herunterbeten, für die man sich belohnen müsse. Als ich mich im Dezember über Wohlgemuth in Paderborn und Kiel schlaumachte, wurde deutlich, dass Wohlgemuth dort zwar durchaus viel Verantwortung hatte, aber wenig in der Öffentlichkeit stand.
Alexander Wehrle hingegen ist medial fast omnipräsent und das nicht erst seit seiner Rückkehr zum VfB, was natürlich auch mit seinen vielfältigen Rollen beim VfB zu tun hat. Nicht, dass er immer den richtigen Ton träfe (“Entspannt Euch mal!”), er ist aber mit öffentlichem Auftreten wesentlich vertrauter. Im sportlichen Bereich hingegen mag er auch in seiner Kölner Zeit bei Entscheidungen mitgewirkt haben, seine ausgewiesene Expertise ist, da würde er mir wohl selbst nicht widersprechen, nicht. Deshalb ja die drei von der PK im Dezember: Khedira und Gentner, die erste, nennen wir sie mal Sportmanagementkurse absolviert haben und ein Philipp Lahm, der nicht nur Direktor der anstehenden EM in Deutschland ist, sondern über die nächsten drei Jahre auch den VfB berät. Nicht alleine, sondern mit seiner Agentur Philipp Lahm Consulting, die “den VfB bis ins kleinste Detail durchleuchten. Struktur, Führung, Mannschaftsgefüge, Profis: Alles wird analysiert und eingeschätzt.” Schreibt zumindest die Frankfurter Rundschau.
Warum haben wir eigentlich keinen extra Sportvorstand?
Als ich im Dezember hier über Fabian Wohlgemuth schrieb, dachte ich noch laut darüber nach, ob der VfB überhaupt einen Sportdirektor benötige. Man könnte doch, so dachte ich, Wohlgemuth den Sportvorstand machen lassen, einen Posten im Organigramm streichen und Alex Wehrle sich auf die Arbeit als Vorstandsvorsitzenden konzentrieren lassen. Angesichts der letzten Wochen stellt sich mir aber vielmehr die Frage: Braucht der VfB einen neuen Sportvorstand, der in sportlichen Dingen nicht nur weiß, wovon er redet, sondern auch wie? Und warum haben wir eigentlich nicht schon längst einen?
Dafür müssen wir wieder ein paar Jahre zurückgehen. Spoiler: Schwer nachvollziehbare Personalpolitik und schwierige Strukturen gab es schon vor Alexander Wehrle. So trug es sich vor etwas mehr als vier Jahren zu, dass der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Dietrich, der mehr operativ agierte, als dass er Aufsicht führte, statt dem erfolglosen Trainer Weinzierl kurzerhand seinen Sportvorstand Michael Reschke vor die Tür setzte. Reschke war nach dem Aufstieg 2017 gekommen, vermutlich weil er als ehemaliger Bayern-Angestellter mehr von dem Glamour nach Stuttgart bringen sollte, nachdem sich Dietrich wohl sehnte. Die großzügige Klausel in Reschkes Vertrag, die es dem VfB ermöglicht hätte, ihm bis Sommer 2019 einseitig und ohne Abfindung kündigen zu können, hatte Dietrich dummerweise im vorherigen Sommer aus dem Vertrag gestrichen.
Sportvorstand und Vorstandsvorsitzender in Rekordzeit
Sein Nachfolger wurde Thomas Hitzlsperger, davor in kurzer Folge Vorstandsbeauftragter, Präsidiumsmitglied und NLZ-Direktor. Natürlich auch, weil Dietrich hoffte, sein Image damit aufzupolieren. Klar: Sportliche Kompetenz wollte und will dem langjährigen Nationalspieler und einmaligen Meistertorschützen niemand absprechen, aber würde die reichen, um den VfB personell neu auszurichten, unabhängig in welcher Liga? Hitzlsperger wusste, dass es andere gab, die das besser können und holte Sven Mislintat an Bord. Nach dem Abstieg und dem Rücktritt Wolfgang Dietrichs erkannte die verbliebene Vereinsführung zwei Sachen: Der benötigt qua Satzung einen neuen Präsidenten, außerdem sollte ein Geburtsfehler der AG behoben werden: Es ist nämlich niemandem geholfen, wenn eine AG drei gleichberechtigte Vorstände hat, aber keinen, der die Gesamtverantwortung hat. Dass Wolfgang Dietrich diese Rolle so interpretierte, mag seinem Ego geschuldet sein, seine Aufgabe war es als Aufsichtsratsvorsitzender nicht.
Es müsste also ein Vorstandsvorsitzender her und weil man in den oberen Etagen beim VfB wusste, dass man nicht wie 2016 einfach wieder einen Wunschkandidaten ins Amt des e.V.-Präsidenten durchdrücken konnte, besetzte man den neu geschaffenen Posten des Vorstandsvorsitzenden einfach, bevor ein neuer Präsident gewählt wurde — mit Thomas Hitzlsperger. Kurz darauf warfen Vorstandsvorsitzender und Sportvorstand Hitzlsperger und Sportdirektor Mislintat Tim Walter raus und installierten mit Pellegrino Matarazzo einen Trainer, der nach der Corona-Pause irgendwie den Aufstieg schaffte und in der Folgesaison mit seiner Mannschaft durch die Liga pflügte, mit einem begeisterungsfähigen Fußball, wie man ihn in Bad Cannstatt lange nicht gesehen hat. Das Gesicht dieser aufregenden Saison war nicht etwa Thomas Hitzlsperger, erst recht nicht nach seinem offenen Brief Anfang 2021, sondern Sven Mislintat, der einen internen Absprache entsprechend den Großteil der öffentlichen Auftritte absolvierte und dort meist genauso eloquent wie logisch das Handeln der sportlich Verantwortlichen erklärte. Im Sommer 2021, als der VfB die Saison auf Platz 9 beendet hatte, fragen ihm nicht nur die Fans, sondern auch die Medien aus der Hand — und das völlig zurecht.
Der VfB hat es nicht so mit Strukturen
Das Problem beim VfB ist aber mindestens seit der Ausgliederung, vielleicht schon davor, dass Strukturen viel zu sehr personenbezogen gedacht werden. Als nach der Wiederwahl Claus Vogts Thomas Hitzlsperger im Herbst 2021 ankündigte, den VfB zu verlassen, musste der Aufsichtsrat um Claus Vogt theoretisch gleich zwei Posten neu besetzen. Während seine Vorgänger mit der gewollt eiligen Berufung von Thomas Hitzlsperger immerhin Nägel mit Köpfen gemacht hatten, lavierte Vogts Aufsichtsrat herum, während Sven Mislintat irgendwann den Weg über die Medien suchte, um durchblicken zu lassen, dass ihm doch sein Direktorenkollege Markus Rüdt als Sportvorstand am liebsten wäre. In einer Situation, in der der Aufsichtsrat es offenkundig verpasste, einen seiner wichtigsten und in der Öffentlichkeit mächtigsten Mitarbeiter, in diesem Prozess einzubinden und in der jener Mitarbeiter wusste, dass er durch sein öffentliches Standing in der Lage war, sich seinen zukünftigen Chef mit selbst auszusuchen, präsentierten Vogt und seine Kollegen als Lösung: Alexander Wehrle. Der kündigte nach den Klassenerhalt im Juli an, keinen externen Sportvorstand verpflichten zu wollen. Was als Zugeständnis an das vielleicht damals schon leicht angeknackste Verhältnis zum Sportvorstand gewertet werden konnte, stellt sich im Nachhinein als Fehler heraus. Denn jetzt hatte der VfB im sportlichen Bereich nicht nur zwei Personen, die ständig in der Öffentlichkeit standen, zwischen ihnen bestand in Fragen sportlicher Expertise auch eine noch größere Diskrepanz als das in der Vergangenheit der Fall war. Womit wir wieder in der Gegenwart angekommen sind, siehe oben.
Abgesehen von der emotionalen Abhängigkeit vieler Fans von Sven Mislintat schleppt der VfB also auch weiterhin ein strukturelles Problem mit sich herum. Ob man den sportlichen Bereich breiter hätte aufstellen müssen, wie Wehrle im Herbst letzten Jahres betonte, lasse ich mal dahingestellt. Die Frage ist, ob man ihn auf diese Weise verbreitern musste. Vielleicht käme Wehrle jetzt auch nicht in die Bredouille, einen Kader durch die Blume zu kritisieren, an dessen Gestaltung er laut eigener Aussage im vergangenen Sommer erheblichen Anteil hatte. Vielleicht hätten auch schon Claus Vogt und Rainer Adrion auch schon im Winter 2021 erkennen müssen, dass Hitzlsperger und Mislintat eben nur mit Hitzlsperger und Mislintat funktioniert und man deshalb personenunabhängige Strukturen schaffen musste. Aber, und da erzähle ich Euch nichts Neues, beim VfB hat man es nicht so mit Strukturen, man verlässt sich lieber auf Personen.
Hört auf zu wurschteln
Wenn das im Umfeld passiert, ist das zwar anstrengend, weil es Diskussionen wie die aktuell laufende heraufbeschwört, ob jetzt der Trainer der Falsche sei oder der Kader nicht gut genug (als ob nicht beides gleichzeitig ginge). Innerhalb des Clubs erwarte ich aber, dass endlich, knapp sechs Jahre nach der Ausgliederung, Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die dem heutigen Profifußball angemessen sind. Vielleicht habe ich auch eine falsche Vorstellung vom Profifußball und jeder Verein wurschtelt sich von Jahr zu Jahr so durch oder vielleicht ist der VfB gar nicht so unprofessionell aufgestellt, wie er nach außen wirkt. Mein Gefühl und meine Erfahrungen der letzten Jahre sagen das Gegenteil.
Ein neuer Sportdirektor wird uns nicht vor dem Abstieg bewahren, solange nicht entweder im Aufsichtsrat oder beim Vorstandsvorsitzenden die Erkenntnis Früchte trägt, dass Bruno Labbadia ein Fehlgriff war oder dieser nicht endlich seine Sturheit aufgibt und auf die Rückkehr von Serhou Guirassy wartet. Aber spätestens im Sommer muss das, ligaunabhängig, ein Thema werden, ganz egal, wer dann noch in Amt und Würden ist. Die VfB AG braucht im sportlichen Bereich endlich professionelle Strukturen.
Titelfoto: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images for DFB