Der VfB hat mit Maximilian Mittelstädt von Absteiger Hertha den ersten “richtigen” Sommerneuzugang präsentiert. Wir schauen uns den Linksverteidiger genauer an.
Es ist ein Name, den man in den vergangenen Jahren immer mit Hertha BSC in Verbindung brachte: Maxi Mittelstädt. Kein Wunder, ist der 26jährige doch gebürtiger Berliner und bis zu diesem Sommer seit elf Jahren im blau-weißen Trikot unterwegs. Jetzt hat es ihn nach Stuttgart zum VfB verschlagen, eine Ausstiegsklausel, die im eingetretenen Abstiegsfall greift, macht es möglich. Mit Mittelstädt verfügt der VfB jetzt über einen zweiten etatmäßigen und einigermaßen erfahrenen Linksverteidiger. Aber kann er Borna Sosa das Wasser reichen und diesen im Falle des immer unvermeidlicher wirkenden Abgangs gar ersetzen? Oder ist Mittelstädt nur der Backup des Sosa-Ersatzes? Wir schauen uns den “Berliner Jungen” mal genauer an und haben dafür auch mit Hertha-Fans gesprochen, die ihn naturgemäß schon länger und intensiver verfolgen als wir: Misha sowie Jan vom DMTF-Podcast.
Kurz zu Mittelstädts Vita. Geboren am 18. März 1997 in Berlin ist er seiner Heimatstadt bisher fußballerisch treu geblieben. Mit fünf Jahren kam er zum Spandauer Verein SC Staaken, wechselte dann zur “kleinen Hertha” nach Zehlendorf und schließlich 2012 mit 15 Jahren zur großen nach Charlottenburg. Mit 18 unterschrieb er dort 2015 seinen ersten Profivertrag, nachdem er im Mai mit Hertha gegen Energie Cottbus den DFB-Juniorenpokal gewonnen hatte. Nachdem er 2014/2015 bereits einmal im Spieltagskader gestanden hatte, feierte er Anfang März 2016 gegen Frankfurt sein Bundesliga-Debüt — für eine Minute. Gegen Bayern und Darmstadt kam er dann nochmal jeweils 90 Minuten zum Einsatz, als Hertha gegen Saisonende noch vom dritten Platz abrutschte. Als außergewöhnliches Talent galt er damals nicht: “Sowohl fußballerisch als auch von seinem Auftreten hat er von Anfang an keine Bäume ausgerissen. Man mochte ihn mehr als gekaufte Spieler, aber das war’s”, beschreibt Misha Mittelstädts Stellenwert zu Beginn seiner Karriere. Jan ergänzt, am Anfang habe Mittelstädt durchaus auch Lehrgeld zahlen müssen, unter anderem in jenem eben erwähnten Spiel gegen Darmstadt und deren Angreifer Marcel Heller. “Maxi war die junge Alternative zu Marvin Plattenhardt”, so Jan. Plattenhardt ist ein Name, der sich durch Mittelstädts gesamte Karriere bei Hertha zieht. Wie Benedict Puls bei Hertha Base schreibt:
Zusammen mit dem 19-jährigen Mittelstädt war Hertha herausragend für die nächsten Jahre aufgestellt: zwei deutsche, junge Außenverteidiger, die noch viel Entwicklungspotential aufwiesen und sich gegenseitig hochpushen sollten. Unter Trainer Pal Dardai fand genau diese Entwicklung statt und gipfelte 2018 in der Berufung von Plattenhardt in den WM-Kader von Jogi Löw.
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Das Auf und Ab, sowohl in sportlicher Hinsicht als auch neben dem Platz bei Hertha BSC, hatte seinen Tribut gezollt. Aus den zwei verheißungsvollen jungen Linksverteidigern waren zwei Profis geworden, die sich gegenseitig klein hielten anstatt sich aufzubauen und die so beide in ihrer Entwicklung stagnierten.
Wie Puls in seinem Artikel zur Verabschiedung von Mittelstädt aufzählt, konnte sich dieser nie so richtig gegen Plattenhardt auf der linken Seite durchsetzen — was nach Pal Dardais erstem Abgang auch viel mit wechselnden Trainern zu tun hat. “Er hat es nie wirklich geschaft, unangefochtener Stammspieler zu werden”, fasst Misha die Folgejahre zusammen, auch wenn er bei Mittelstädts Einsätzen mehr Dynamik verspürt habe als bei Plattenhardts. Immerhin konnte er seine Einsatzzeiten im Laufe der Jahre langsam nach oben schrauben, von 2018 bis 2022 bestritt er immer mindestens 24 Spiele, ca. 1.800 Einsatzminuten pro Spielzeit zeugen aber davon, dass er selten durchspielte, Misha weist auch darauf hin, dass er nie die Chance hatte, sich über zwei bis drei Spiele zu beweisen. Plattenhardt wurde dann irgendwann Kapitän, was es für Mittelstädt natürlich nicht leichter machte. Im Januar 2023 wurde sein Vertrag dann mit viel medialem Aufheben und einem per Video transportierten Bekenntnis zu Hertha bis 2027 verlängert und offenbar mit der Ausstiegsklausel versehen, von der er und der VfB jetzt Gebrauch machen. Wie begeistert die Hertha-Fans davon sind, kann man sich denken, auch wenn Jan die Inszenierung eher auf den Verein schiebt.
Sensibler Schienenspieler
Wenn er mal gespielt hat, dann als linker Schienenspieler, ähnlich wie Borna Sosa bei uns, erklärt Misha, dies sei seine stärkste Position. “Mittelstädt kommt über seine Dynamik, kurze Pässe und Ballkontrolle. Auf der anderen Seite hat er Probleme bei der Präzision seiner langen Bälle und ist nicht besonders zweikampfstark”, so Misha und das hört sich bis auf die Präzision der langen Bälle schon ziemlich nach Borna Sosa an. “Maxi ist ein solider Linksfuß, der durchaus gute Laufwege hat und auch mal das eine oder andere Tor einstreuen kann”, erklärt Jan. Als klassischer Linksverteidiger sei er defensiv zu anfällig, vor allem im Zusammenspiel mit einem Linksaußen wie beispielsweise Salomon Kalou habe Mittelstädt gut harmoniert, gerade in jener Zeit, als es bei Hertha noch besser lief. Davon zeugt auch, dass er in den letzten Jahren immer zwischen drei und fünf Torbeteiligungen pro Saison hatte. Ab und an habe er einen defensiven Aussetzer, so Jan, Mittelstädt sei aber “ein solider Bundesligaspieler, der sich immer tadellos verhalten hat und sein Potenzial bisher noch nicht voll ausgeschöpft hat.” Einen Anker mentaler Stabilität, den der VfB dringend braucht, darf man allerdings nicht unbedingt erwarten, auch wenn Misha zu bedenken gibt, dass das Umfeld in Berlin kein leichtes gewesen sei. “Die ständigen System- und Trainerwechsel haben dem durchaus sensiblen Maxi nicht gut getan”, unterstreicht Jan und und führt als Beispiel für Mittelstädts Sensibilität an, dass er seine Social Media-Accounts nach zu vielen Hateposts kurzerhand gelöscht hat — was sicherlich keine schlechte Idee ist. Jans Fazit: “Der VfB hofft sicher auf eine Weiterentwicklung, und bei dem Preis ist das Risiko für euch sicher überschaubar. Er kann bestimmt Stammspieler werden, wenn er sich wohlfühlt und das Umfeld ruhig bleibt.”
Ob Mittelstädt Stammspieler wird, hängt auch stark von Borna Sosa ab. Sosa kam ja 2018 zum VfB, hatte aber vorher schon bei Dinamo Zagreb Profifußball gespielt, beide sind ungefähr gleich alt. Bei den Vorlagen liegt Sosa statistisch gesehen vorn, es fällt aber auf, dass Mittelstädt in seiner Karriere schon mehr aufs Tor geschossen hat. Mittelstädt ist auch weniger derjenige, der den Ball per Pass oder Flanke in den Strafraum bringt, bei den Pässen ins gegnerische Angriffsdrittel liegt er aber vor Sosa. Sosa schlägt viel mehr Flanken als Mittelstädt, der arbeitet dafür eher mit Seitenverlagerungen. Im Zweikampfverhalten nehmen sich beide nicht viel, deutlich wird aber aus den Statistiken: Sosa ist an viel mehr Schüssen und Toren indirekt beteiligt. Alle Zahlen dazu findet ihr auf fbref.com. Mittelstädt ist also nicht unbedingt ein Sosa-Ersatz, schon weil er nicht der gleiche Spielertyp ist. Je nachdem, wie es mit Borna weitergeht, könnte er aber das Angriffsspiel des VfB über die linke Seite variieren, so dass sich die Gegner des VfB in der kommenden Spielzeit vielleicht nicht mehr so gut auf eine Sosa-Flanke einstellen können. Ob ihm sein Gemüt in Stuttgart hilft, ist eine andere Frage. Auch ein Philipp Klement, dem sein Umfeld sehr wichtig ist, hielt es nicht allzu lange beim VfB aus. Erwartungsgemäß wird auch die nächste Saison nicht unkomplizierter, ich bin gespannt, ob Mittelstädt unter diesen Umständen bei uns den nächsten Schritt zum Stammspieler machen kann, der ihm in Berlin verwehrt wurde.
Für die Ablöse hat Fabian Wohlgemuth, der wohl schon im Winter an Mittelstädt interessiert war, jedenfalls nicht viel falsch gemacht. Natürlich ist es jetzt noch viel zu früh und noch von zu vielen Faktoren abhängig, um die Kaderplanung abschließend zu bewerten. Mit Mittelstädt setzt sich auf jeden Fall die Transferphilosophie fort, die schon Sven Mislintat im vergangenen Sommer begann: Spieler Mitte 20, die über den Status eines Talents schon hinaus sind und beim VfB über die Rolle als Zweitliga-Stammkraft (Vagnoman, Führich, Pfeiffer) oder Bundesliga-Ersatzspieler (Müller) hinauswachsen wollen. Wir werden sehen, in welche Richtung sich Mittelstädt entwickelt.
Titelbild: © Stuart Franklin/Getty Images