Was bleibt

In die­ser Woche wird Tho­mas Hitzl­sper­ger zum zwei­ten Mal den VfB ver­las­sen, dies­mal als Vor­stands­vor­sit­zen­der und Sport­vor­stand a.D.. Aber was bleibt von der Amts­zeit des Meis­ter­tor­schüt­zen und was erwar­tet sei­nen Nach­fol­ger Alex­an­der Wehr­le?

Nun ist er also plötz­lich weg. Also bald, genau­er gesagt am 31. März, an die­sem Don­ners­tag. Der­je­ni­ge, der den VfB ein zwei­tes Mal geprägt hat. Dies­mal nicht durch einen Vol­ley­schuss von der Straf­raum­kan­te, son­dern durch eine etwa zwei­ein­halb­jäh­ri­ge Amts­zeit als ers­ter Vor­stands­vor­sit­zen­der in der noch jun­gen Geschich­te der VfB AG. Dass er den VfB in die­ser Zeit geprägt hat, wird nie­mand bestrei­ten, wie er ihn geprägt hat, wird die Zukunft zei­gen, wenn Ent­schei­dun­gen nicht mehr von ihm, son­dern von sei­nem Nach­fol­ger Alex­an­der Wehr­le getrof­fen wer­den, aber in dem Umfeld und unter den Rah­men­be­din­gun­gen, die er geschaf­fen hat.

Da ist einer­seits eine zwar nicht ganz geräusch­lo­se, aber erstaun­lich kon­ti­nu­ier­li­che sport­li­che Lei­tung unter sei­ner Füh­rung ent­stan­den, die uns Fans in der ver­gan­ge­nen Sai­son lan­ge ver­miss­te Glücks­mo­men­te bescher­te und mit ihrer Her­an­ge­hens­wei­se dafür sorgt, dass wohl kaum eine abstiegs­be­droh­te VfB-Mann­schaft je vom Umfeld so nach­sich­tig behan­delt wur­de wie die­se. Manch einer ver­steigt sich sogar zu der The­se, das Gespann aus Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo und Sven Mislin­tat sei qua­si alter­na­tiv­los für das Fort­be­stehen das VfB. Leicht zuge­spitzt, gebe ich zu, aber der VfB 2022 lebt auch von einem Per­so­nen­kult, den ich zuletzt bei der Rück­kehr von Armin Veh erlebt habe. Da ist aber auch die gesell­schaft­li­che und mora­li­sche Posi­tio­nie­rung des VfB: Ver­wies man in der Ver­gan­gen­heit ger­ne mal auf die poli­ti­sche Neu­tra­li­tät des Ver­eins, retu­schier­te in die­ser Logik afd-kri­ti­sche T‑Shirt-Prints und duck­te sich im kon­ser­va­ti­ven und auf mög­lichst wenig Rei­bungs­punk­te aus­ge­leg­ten Main­stream des Fuß­ball­ge­schäfts weg, posi­tio­niert sich der VfB neu­er­dings zu The­men wie Nach­hal­tig­keit und Viel­falt.

Grund zum stolz sein

Man kann als Fan, egal wie es sport­lich gera­de läuft, wie­der stolz sein auf den VfB. Und gleich­zei­tig muss einem die­ser Ver­ein in den ver­gan­ge­nen knapp 15 Mona­ten mit­un­ter pein­lich gewe­sen sein und auch dar­an trägt Tho­mas Hitzl­sper­ger sei­nen Anteil. Die Rede ist natür­lich von sei­ner Kan­di­da­tur für den Ver­eins­vor­sitz und dem beglei­te­ten­den offe­nen Brief, in dem er den dama­li­gen und heu­ti­gen Prä­si­den­ten Claus Vogt offen atta­ckier­te. Viel wur­de dazu, auch von mir, im ver­gan­ge­nen Jahr geschrie­ben und man kann unterm Strich nur fest­hal­ten: Sowohl die Kan­di­da­tur, als auch der offe­ne Brief — in die­ser Form, inhalt­lich erlau­be ich mir kein abschlie­ßen­des Urteil — waren Schnaps­ideen, die aber gleich­zei­tig offen­bart haben, dass beim VfB gar nichts im Rei­nen ist, nur weil Wolf­gang Diet­rich im Som­mer 2019 end­lich abtrat.

Blick­te man in die­sem Som­mer vor weni­ger als drei Jah­ren in einer Glas­ku­gel auf das Jahr 2022, wür­de man den VfB nicht nur auf dem Platz, son­dern auch im Club­haus kaum wie­der­erken­nen. Nicht nur treibt Wil­fried Porth nicht mehr sein Unwe­sen, neben ver­schie­de­nen neu­en Auf­sichts­rä­ten ist auch der Vor­stand der VfB AG nun kom­plett neu besetzt. Sieht man mal den Auf­sichts­rä­ten Sugg, Jen­ner und Rei­ner ab — von denen einer defi­ni­tiv bald und ein wei­te­rer gerüch­te­wei­se aus dem Gre­mi­um aus­schei­det — war Tho­mas Hitzl­sper­ger die letz­te ver­blie­be­ne Füh­rungs­kraft der Ära Diet­rich, in der er so schnell vom Vor­stands­be­auf­trag­ten zum Sport­vor­stand und spä­ter zum Vor­stands­vor­sit­zen­den auf­stieg, dass ich mich schon damals frag­te, wel­chen Plan man beim VfB bei der Per­so­nal­po­li­tik ver­folg­te. Klar ist: Tho­mas Hitzl­sper­ger war beim VfB immer auch eine Pro­jek­ti­ons­flä­che.

Eine Projektionsfläche

Zunächst natür­lich für Wolf­gang Diet­rich, der sei­nem Sport­vor­stand Micha­el Resch­ke ver­bot, Trai­ner Mar­kus Wein­zierl zu feu­ern und statt­des­sen ihm sel­ber den Stuhl vor die Tür stell­te. Die Vor­stel­lung, Hitzl­sper­gers hohes Anse­hen könn­te als Schutz­schild für sei­ne erra­ti­sche Per­so­nal­po­li­tik die­nen, war natür­lich eine irri­ge, auch wenn Diet­rich damit, so ehr­lich muss man sein, lang­fris­tig eine gute Ent­schei­dung traf. War­um, das habe ich schon ange­ris­sen, wenn auch iro­ni­scher­wei­se Diet­richs Rück­tritt erst den Weg frei­mach­te für Hitzl­sper­gers Refor­men. Die Her­aus­for­de­rung für Hitzl­sper­ger bestand dabei dar­in, dass Diet­rich lan­ge Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der und de fac­to Vor­stands­vor­sit­zen­der in einer Per­son war und Hitzl­sper­ger einen VfB über­ließ, der völ­lig auf sei­ne Per­son und sei­ne Dop­pel­rol­le zuge­schnit­ten war. Die Ent­schei­dung des Rest-Auf­sichts­rats, Aus­schrei­bungs­kri­te­ri­en auf­zu­wei­chen, eine Per­so­nalagen­tur zu enga­gie­ren und am Ende vor der Neu­wahl eines Prä­si­den­ten den neu geschaf­fe­nen Pos­ten mit einem bereits amtie­ren­den Vor­stands­mit­glied zu beset­zen, tat dann sein übri­ges für den bereits ange­spro­che­nen Kon­flikt im Jahr 2021.

Auch hier muss­te Hitzl­sper­ger wie­der als Pro­jek­ti­ons­flä­che her­hal­ten. Im zum “Macht­kampf” hoch­sti­li­sier­ten Kon­flikt um die Ese­con-Ermitt­lun­gen stand er für sport­li­chen Erfolg, nicht nur, aber auch wegen sei­ner Zeit als Spie­ler. Wäre er als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat ange­tre­ten, er hät­te die Wahl wohl trotz der Kri­tik an sei­nem offe­nen Brief gewon­nen. Was erfüllt schließ­lich bes­ser die Sehn­süch­te von Fans nach Fuß­ball­ro­man­tik als ein Spie­ler einer Meis­ter­mann­schaft, der als Funk­tio­när zurück­kehrt und den Ver­ein aus dem Tal der Trä­nen erneut zu sport­li­chem Erfolg führt? Was Wolf­gang Diet­rich lan­ge aktiv betrieb, gelang Tho­mas Hitzl­sper­ger unfrei­wil­lig: Der VfB war gespal­ten, zumin­dest in Tei­len, in ein ver­meint­li­ches “Team Vogt” und ein ver­meint­li­ches “Team Hitz”, mit Über­trei­bun­gen und Popu­lis­mus auf bei­den “Sei­ten”. War man als VfB-Fan und ‑Mit­glied nicht kom­plett auf den Kopf gefal­len, war einem klar, wel­chen Scha­den die Amts­zeit von Wolf­gang Diet­rich anrich­te­te. Beim Kon­flikt sei­ner bei­den Nach­fol­ger war die Lage in Wirk­lich­keit viel dif­fi­zi­ler, als sie gemein­hin dar­ge­stellt wur­de.

Authentisch

Tho­mas Hitzl­sper­ger also ein Spal­ter, eine Mario­net­te des Anker­in­ves­tor-Ver­tre­ters und sei­ner Unter­stüt­zer, wie es die Ultras Anfang 2021 in der Mer­ce­des­stra­ße pla­ka­tier­ten? Oder der­je­ni­ge, der den VfB sport­lich geret­tet und ihm auf und neben dem Platz ein neu­es Image ver­passt hat? Für mich eher letz­te­res. Es war in vie­ler­lei Hin­sicht kei­ne ein­fa­che Amts­zeit: Ein Abstieg und der dar­auf­fol­gen­de Kampf um den Wie­der­auf­stieg, der nicht ohne Trai­ner­wech­sel gelang. Ein Ver­ein, in dem Struk­tu­ren und Zustän­dig­kei­ten auf höchs­ter Ebe­ne unklar waren, ein Zustand, der neben wahr­schein­lich auch per­sön­li­chen Abnei­gun­gen, für einen Kon­flikt sorg­te. Einen von Wolf­gang Diet­rich hin­ter­las­sen prall gefüll­ten Gift­schrank, mal ganz abge­se­hen von einer Pan­de­mie und einem Abstiegs­kampf, die den VfB an sei­ne finan­zi­el­len Gren­zen zu brin­gen dro­hen. Am Ende kann man über die Beweg­grün­de glau­ben was man möch­te, aber eine Aus­zeit von die­ser stres­si­gen Pha­se könn­te jeder gut gebrau­chen. Der Zeit­punkt ist dabei für mich nicht mal der schlech­tes­te, denn die Pla­nung für die neue Sai­son hat längst begon­nen, der Füh­rungs­wech­sel lan­ge ange­kün­digt und es glaubt ja wohl nie­mand, dass Mann­schaft und sport­li­che Füh­rung ohne Hitzl­sper­ger plötz­lich die For­tu­ne und der Mut ver­lässt.

Vor allem hat mir Tho­mas Hitzl­sper­ger, aller Kri­tik, die ich an ihm geübt habe, zum Trotz, mei­nen VfB wie­der näher gebracht. Einen VfB von dem ich mich emo­tio­nal zuvor etwas ent­fernt hat­te, der Mit­glie­der und Fans und deren Anlie­gen gering­schätz­te, ja sogar Men­schen anstell­te um die­se hin­ters Licht zu füh­ren. Per­so­nel­le Kon­flik­te mal bei­sei­te, mach­te der Ver­ein unter Hitzl­sper­gers Füh­rung sehr viel rich­tig, ob bei­spiels­wei­se im Umgang mit Silas oder mit den viel­fach erwähn­ten Regen­bo­gen-Tri­kots. Die Ent­schei­dung, sich für Berei­che, in denen er über wenig Exper­ti­se ver­füg­te, Fach­leu­te wie Sven Mislin­tat an sei­ne Sei­te zu holen, zeugt von einer Demut und einer Füh­rungstär­ke, die weni­ge VfB-Funk­tio­nä­re in den letz­ten zehn Jah­ren an den Tag gelegt haben. Und: Tho­mas Hitzl­sper­ger ist authen­tisch, so authen­tisch wie man eben im Fuß­ball­ge­schäft sein kann und auch wenn das bedeu­tet, dass er Sachen tut, die er lie­ber hät­te sein las­sen. Getrie­ben von dem Impuls, den manch ein Fuß­bal­ler nun mal hat, wenn das Spiel zu Unguns­ten sei­ner Mann­schaft zu kip­pen droht: Er schnappt sich den Ball und jagt ihn eben selbst ins Tor, um Ver­ant­wor­tung fürs Team zu über­neh­men. Der Schuss muss halt nur auch sit­zen.

Breites Fundament

Und was hin­ter­lässt er sei­nem Nach­fol­ger Alex­an­der Wehr­le? Nun, einen VfB, der in vie­ler­lei Hin­sicht auf einem guten Weg ist, struk­tu­rell aber wei­ter­hin ein insta­bi­les Gebil­de. Nicht nur finan­zi­ell, denn allen Beteue­run­gen der Ver­ant­wort­li­chen zum Trotz berei­tet mir ein mög­li­cher Abstieg in eine star­ke zwei­te Liga und der damit ver­mut­lich ver­bun­de­ne sport­li­che Ader­lass in Ver­bin­dung mit einem sünd­haft teu­ren Sta­di­on­um­bau wei­ter­hin Bauch­schmer­zen. Aber auch orga­ni­sa­to­risch, weil es schein­bar immer wie­der an der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Funk­tio­nä­ren man­gelt und das Umfeld jeden Kon­flikt zum Anlass nimmt, wie­der in Lager­den­ken zu ver­fal­len und zwar ziem­lich genau ent­lang der Demar­ka­ti­ons­li­nie zwi­schen AG und e.V..

Ich habe es Ende ver­gan­ge­nen Jah­res schon geschrie­ben: Wehr­le und Vogt müs­sen den VfB wie­der auf ein Fun­da­ment stel­len, wel­ches brei­ter ist als das unter Hitzl­sper­ger exis­tie­ren­de für den Sport ver­ant­wort­li­che Quar­tett. Nicht falsch ver­ste­hen: Ich schät­ze die Arbeit von Mislin­tat und Krü­cken sehr und kann über Mar­kus Rüdt, der eher im mir Ver­bor­ge­nen arbei­tet, nichts Schlech­tes sagen. Aber wir müs­sen weg­kom­men von Pro­jek­ti­ons­flä­chen und hin zu einer sach­li­chen Bewer­tung des­sen, was beim VfB pas­siert. Wehr­le hat in sei­ner Antritts­pres­se­kon­fe­renz vie­le wich­ti­ge Din­ge ange­spro­chen, die auch der Ver­ti­kal­pass hier noch ein­mal zusam­men­ge­fasst hat dem auch Stuttgart.international einen län­ge­ren Arti­kel wid­met. Wir wer­den ihn aber vor allem dar­an mes­sen müs­sen, ob wir auch in vier Jah­ren noch stolz sein kön­nen auf unse­ren VfB, auch weil eben der Ver­ein im Vor­der­grund steht und nicht ein­zel­ne Per­so­nen.

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