Der VfB verliert wenig überraschend auch in Berlin-Köpenick, bleibt Tabellenletzter und entlässt kurz darauf den erst im Dezember mit vielen Vorschusslorbeeren verpflichteten Bruno Labbadia. Der Verein scheint seinen Aufgaben nicht gewachsen zu sein.
Dass der Mannschaft irgendwann ihr Anlauf- und Umschaltverhalten zum Verhängnis werden würde, war ja absehbar. Eindrucksvoll bewies Union in zweiten Halbzeit, wie einfach man einen Gegner aushebeln kann, der wie eine aufgescheuchte Schülermannschaft immer zu mehreren Richtung Ball rennt, auch wenn der schon auf dem Weg zum nächsten Spieler ist. Zwei, drei schnelle Pässe aus der eigenen (!) Hälfte heraus, ein gewonnener Zweikampf und schon war die rechte Abwehrseite des VfB sperrangelweit offen. Dass fünf VfB-Verteidiger drei Unioner nicht am Torschuss und letztlich am Tor hindern können, ist schon Standard, genauso wie die Bandbreite des Repertoires von Dinos Mavropanos: Die Ein-Mann-Büffelherde mit Kämpferherz zog es erneut vor, einen Ball einfach an sich vorbei fliegen zu lassen. Vermutlich aus Angst vor dem Eigentor, dass am Ende dann Genki Haraguchi unterlief. Mittlerweile Ex-Trainer Bruno Labbadia sprach hernach von einer gut eingestellten Mannschaft und sprach sich damit in Labbadiascher Tradition von der Schuld an der Niederlage frei. De facto war die Mannschaft aber weder gut auf‑, noch gut eingestellt, sondern schlichtweg überfordert.
Genauso wie ihr Trainer, der in seiner Aufstellung genau eine richtige Entscheidung traf, nämlich Atakan Karazor auf die Bank zu setzen und Wataru Endo auf die Sechs zurückzuziehen und den in solchen Spielen für gewöhnlich von der Qualität des Gegner überforderten Atakan Karazor auf die Bank zu setzen. Aber als würde sein Spielsystem nicht schon seit Wochen krachend scheitern, beließ er es stur bei seinem 4–3‑3 und ließ lange Bälle auf einen Zielspieler schlagen, der mit diesen nichts anfangen konnte. Juan Perea ist genausowenig ein Wandspieler wie Silas, aber das ist ja mittlerweile egal. Auch Josha Vagnoman muss sich wie im falschen Film vorkommen derzeit. Erst wird er vom Bankdrücker zum Nationalspieler befördert, dann vom Außenverteidiger zum Außenstürmer. Wie Labbadia mit diesen Maßnahmen der jetzt schon zwei Spiele andauernden Torflaute beikommen wollte, weiß er wohl nur selber. Ob er seine Formation nicht anpassen konnte oder wollte, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Ebenso ob er für die verblieben acht Spiele einen Plan gehabt hätte, der darüber hinausgeht, immer wieder das Gleiche zu probieren, in der Hoffnung, dass es irgendwann funktioniert.
Hoeneß vor Mammutaufgabe
Denn mittlerweile ist auch seine zweite Amtszeit in Stuttgart beendet und sie verlief ähnlich desaströs wie jene von Meistertrainer Armin Veh vor knapp zehn Jahren. Man muss dabei mit Labbadia kein Mitleid haben. Als er im Dezember vorgestellt wurde, hatte er so viel Zeit wie noch kein während der Saison verpflichteter Trainer vor ihm — nehmen wir die Corona-Pause 2020, in der der Fußball quasi zum Stillstand kam und danach nur unter besonderen Bedingungen wieder aufgenommen werden konnte, aus — um sich und die Mannschaft auf den Pflichtspielbetrieb vorzubereiten. Er handelte entgegen seiner Ankündigung eben nicht pragmatisch sondern beraubte einen sowieso schon mit mannschaftstaktischen Schwächen gespickten — Anlaufen, Umschalten, Zuordnung — und psychisch angeknacksten — frühe, späte, schnelle Gegentore — seiner wenigen Stärken. Sicherlich spielte die Verletzung von Serhou Guirassy auch eine Rolle. Aber wer nicht mal ansatzweise in der Lage ist, den Ausfall eines Stürmers zu kompensieren und stattdessen behauptet, er würde die Klasse halten, weil er das eben könne, dem ist nicht mehr zu helfen.
Ob dem VfB jetzt noch zu helfen ist, beziehungsweise ob Sebastian Hoeneß der Retter in der Not sein kann, wird sich zeigen. Es funktioniert selten, dass man die Leistungen insbesondere von Trainern beim einen Verein wie eine Schablone über einen anderen Verein legt und die Linien schon mal nachfährt, in der Gewissheit, dass es da genauso laufen wird. Manche Konstellationen funktionieren, auch bei Spielern, manche nicht. Wir werden diese Woche gleich zwei Kostproben bekommen, wie Hoeneß, mit einem Vertrag für beide Ligen bis 2025 ausgestattet, die Mammutaufgabe angehen will. Denn durch den Hoffenheimer Sieg in Bremen hat der VfB bereits fünf Punkte Rückstand auf Platz 15 und braucht nichts anderes als eine mächtige Serie, um sich erneut zu retten — und eine ähnlich dusselige Konkurrenz wie in zwei der letzten drei Spielzeiten. Es könnte aber auch alles schon zu spät sein.
Zeit schon lange abgelaufen
Und das muss man der sportlichen Führung um Alexander Wehrle und Fabian Wohlgemuth anlasten. Wobei man sich bei Letzterem fragt, welchen Einfluss der auf die Entscheidungsfindung hatte, wenn einerseits Philipp Lahms Agentur — der Chef weilte ja in München — und TV-Kommentator Sami Khedira und andererseits die Aufsichtsräte Vogt und Adrion in die Entscheidung miteingebunden waren, wie zu lesen war. Würde mich nicht wundern, wenn auch Christian Gentner, der schon als Spieler wusste, wie man Trainer entlässt, mit am Tisch saß. Und ob nun Sven Mislintats Erzählung — auch wenn er den Namen nicht explizit nannte — stimmt, dass Hoeneß sich im Herbst selber ins Gespräch gebracht hat um dann öffentlichkeitswirksam abzusagen oder nicht, muss man davon ausgehen, dass die Entscheidung pro Hoeneß wohl eher “Sportvorstand” Wehrle traf, über dessen Posten ich mich ja hier neulich schon ausgelassen habe. Wer auch immer die Entscheidung traf, traf sie zu spät und raubte dem VfB und dem neuen Trainer damit wertvolle Zeit.
Denn Labbadias Zeit war natürlich spätestens nach dem blutleeren Auftritt im Heimspiel gegen Wolfsburg abgelaufen. Ihn dann zwei Wochen lang im Amt zu lassen, um ihn nach einer unnötigen, aber dennoch erwartbaren Niederlage in Köpenick zu entlassen, ist schon massiv fahrlässig. Nicht, dass Hoeneß bei der Effizienzmaschine Union mehr Punkte geholt hätte. Aber er hätte mehr Zeit gehabt, den Kader auf die danach anstehenden Aufgaben vorzubereiten: Das finanziell wichtige Pokal-Viertelfinale am Mittwoch in Nürnberg und das sportlich und finanziell überlebenswichtige Auswärtsspiel in Bochum. Dass man dann nach dem Abpfiff des Union-Spiels noch ziemlich genau 48 Stunden brauchte, um eine offensichtliche Entscheidung zu treffen, passt zu einer Führungsetage, die Entscheidungen seit Monaten vor sich her schiebt und sich damit immer mehr zum Gespött macht. Schon allein dass man für Pellegrino Matarazzo keinen Nachfolger parat hatte und somit ein von Sky und Bild live übertragenes Trainercasting veranstalten musste, war eine erschreckende Zurschaustellung der Unprofessionalität, genauso wie die Tatsache, dass man sich am Ende auf niemanden einigen konnte und deshalb den Interimstrainer erstmal machen ließ.
Etwas mehr Konzeption, bitte
Fatal ist in der aktuellen Situation nicht nur das Fehlen eines Sportvorstands, der der Aufgabe gewachsen ist, sondern die allgemeine Überforderung mit der Situation. Bruno Labbadia zu holen war schon keine besonders kreative Idee und entstand wahrscheinlich aus der Hoffnung heraus, dass man mit ihm schon nichts würde falsch machen können. Diese Hoffnung kann man als Fan haben, der seit über einem Jahr an und mit den Unzulänglichkeiten dieser Mannschaft leidet. Als sportlich Verantwortlicher erwarte ich mir ein bisschen mehr konzeptionelles Denken. Man wird das erste Jahr von Alexander Wehrle als Sportvorstand und die erste Halbserie von Fabian Wohlgemuth als Sportdirektor abschließend erst bewerten können, wenn wir wissen wie sie ausgegangen ist. Für den Moment haben sie den VfB durch ihre Untätigkeit und die Angst vor einer falschen Entscheidung in eine katastrophale Lage manövriert. Vielmehr muss man sich fragen, ob Wehrle in der von Hoeneß angekündigten Saisonanalyse die richtigen Schlüsse ziehen kann — eine Aufgabe, an der er und sein letzter Sportdirektor im vergangenen Sommer schon grandios gescheitert sind. Auf jeden Fall ist Wehrle jetzt schon stark beschädigt oder wie der Vertikalpass schreibt: Labbadias Scheitern ist Wehrles Scheitern. Wir sollten nicht schon wieder, wie so häufig in den vergangenen zehn Jahren, eine Saison allein nach ihrem Ergebnis beurteilen — wenn sie denn gut ausgeht.
Wie das so ist als Fan eines sportlich und vereinspolitisch mal wieder irrlichternden Vereins bleibt einem mal wieder nur die Hoffnung. Dass der Klepperlesverein zur Abwechslung mal wieder einen Glückgriff gelandet hat und Hoeneß weiß, wie er der Mannschaft Offensivgefahr und die richtige Haltung zum Spiel einimpft. Dass wir es doch noch irgendwie schaffen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und neben der sportlichen auch die wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden. Und dass man beim VfB endlich aufhört, Leute im sportlich-operativen Bereich auf irgendwelche Posten zu setzen, weil sie halt da sind. Aber lasst uns erstmal Bochum und Nürnberg schlagen. Irgendwie.
Zum Weiterlesen: Stuttgart.International stellt fest: “Was in den letzten 16 Tagen rund ums das rote Klubhaus passiert ist, klingt wie die Rauschfantasien eines Quartalssäufers” und freut sich auf Nürnberg. Gedankenvoll.de sieht “Nur Verlierer”.
Titelbild: © Maja Hitij/Getty Images