Für die Zukunft lernen

Der VfB kann immer noch nicht in Leiz­pig gewin­nen und kriegt dies­mal zudem noch rich­tig die Bude voll. Aus­rut­scher oder altes Mus­ter?

Immer­hin: Zum ers­ten Mal, seit wir in uns in der Bun­des­li­ga mit dem wett­be­werbs­ver­zer­ren­den Spiel­zeug­club mes­sen müs­sen, sind wir gegen die­sen in Füh­rung gegan­gen — nach­dem Chris Füh­rich in der Vor­sai­son der ers­te Tref­fer dort gelang. Müh­sam ernährt sich das Eich­hörn­chen. Abge­se­hen von die­ser Füh­rung und einer ers­ten Halb­zeit, die der VfB lan­ge aus­ge­gli­chen gestal­ten konn­te, gibt es aus dem 1:5 am Frei­tag­abend nicht viel Posi­ti­ves zu zie­hen. Denn die Zie­le, die Hoe­neß, Wohl­ge­muth und Wehr­le in der Sai­son­ana­ly­se for­mu­lier­ten, näm­lich mehr Wider­stands­fä­hig­keit und eine höhe­re Effi­zi­enz vor bei­den Toren, wur­den in Leip­zig weit ver­fehlt. Die span­nen­de Fra­ge ist: Wor­an lag’s? Fehlt dem VfB die Qua­li­tät für sol­che Geg­ner, ist Leip­zig ein­fach zu gut, waren es indi­vi­du­el­le Feh­ler oder kol­lek­ti­ves Ver­sa­gen? Und die Fol­ge­fra­ge: Wo ste­hen wir jetzt eigent­lich?

Aber der Rei­he nach. Der VfB ging mit einem 1:0 in die Pau­se und obwohl vor allem Leip­zigs Trai­ner Mar­co Rose der Mei­nung war, sei­ne Mann­schaft sei zwei­er Elf­me­ter beraubt wor­den, war das durch­aus ver­dient — und zwar nicht nur, weil bei der ers­ten Sze­ne der Ball gespielt wur­de und Ser­hou Gui­ras­sy in der zwei­ten Sze­ne in sei­nen Gegen­spie­ler geschubst wur­de. Die Mann­schaft von Sebas­ti­an Hoe­neß ver­tei­dig­te vie­le Sze­nen sau­ber weg und auch Alex Nübel zeig­te bis dahin die star­ke Leis­tung, die er auch schon in den weni­gen rele­van­ten Sze­nen in den bei­den Spie­len zuvor pro­du­ziert hat­te. Es war den­noch kei­ne hoch­klas­si­ge ers­te Hälf­te. Der VfB ver­such­te die Leip­zi­ger immer wie­der über links zu über­spie­len, wo dem Geg­ner, wie Ulli Kroe­mer im Geg­ner­in­ter­view anmerk­te, seit die­ser Sai­son Josko Gvar­di­ol fehlt. Chris Füh­rich hat­te dem­entspre­chend auch laut FBref mit 4 die meis­ten shot crea­ting actions, der VfB ließ die­se Chan­cen aber lie­gen und ging statt­des­sen durch einen abge­fan­ge­nen Fehl­pass von David Raum in Füh­rung, den Ata Kara­zor direkt Gui­ras­sy in die Bei­ne spiel­te, der wie­der­um im Leip­zi­ger Straf­raum sei­ne Klas­se bewies.

Dem Sturm nicht gewachsen

Auch wenn es ver­mes­sen klin­gen mag: Der VfB hät­te höher füh­ren kön­nen. Dass er es nicht tat, führ­te ver­bun­den mit den hit­zig dis­ku­tier­ten Elf­me­ter­si­tua­tio­nen dazu, dass man in der Halb­zeit schon die wet­ter­fes­te Klei­dung über­strei­fen muss­te, um sich für den zu erwar­ten­den Sturm der Gast­ge­ber zu rüs­ten. Wider­stands­fä­hig­keit war das Stich­wort und die war spä­tes­tens nach Zag­adous laschem Rück­pass auf einen Alex Nübel, der nur den Ball, aber kei­nen Gegen­spie­ler sah, dahin. Inner­halb von 90 Sekun­den schep­per­te es ein zwei­tes Mal, der VfB ließ sich vom eige­nen Anstoss weg über­rol­len, spiel­te einen schlam­pi­gen hohen Ball nach vor­ne, ver­lor zwei Zwei­kämp­fe und hat­te Glück, dass die Leip­zi­ger ins Abseits gelau­fen waren. Man kann wie immer nur spe­ku­lie­ren, was im Kopf der Brust­ring­trä­ger in den fol­gen­den 25 Minu­ten vor sich ging: War es der Schock, die eige­ne hart erkämpf­te und erzit­ter­te Füh­rung, so unnö­tig her­ge­ge­ben zu haben? Waren es die Geis­ter der Ver­gan­gen­heit, die durch den Hin­ter­kopf spuk­ten und sug­ge­rier­ten, dass wir mit sol­chen Situa­tio­nen schon mal über­for­dert waren?

Wie auch immer: Nie­man­dem gelang es, das eige­ne Spiel zu beru­hi­gen. Offen­siv fand die Mann­schaft kaum noch statt, gab nicht ein­mal mehr einen Tor­schuss von inner­halb des Straf­raums ab. Da half auch die Ein­wechs­lung des bemüh­ten, aber blas­sen Bor­na Sosa und die Umstel­lung auf eine Drei­er­ket­te nichts. Im Gegen­teil, Sosa offen­bar­te auch defen­siv Schwä­chen, zum Bei­spiel als er gemein­sam mit Hiro­ki Ito sei­nen Gegen­spie­ler Open­da nicht dar­an hin­dern konn­te, die Flan­ke von David Raum am lan­gen Pfos­ten ein­zu­köp­fen. Über­haupt die­ses Tor. Das 2:1 war schon schlimm genug gewe­sen, als Ata­kan Kara­zor nach erfolg­ter Behand­lung noch neben dem Feld stand, Li Egloff sei­ne Defen­siv­auf­ga­ben ver­nach­läs­sig­te und Dan-Axel Zag­adou sich ent­schied, den Raum zu decken, obwohl bei­de Leip­zi­ger im Straf­raum an Gegen­spie­ler gebun­den waren. Das 3:1 war jedoch der end­gül­ti­ge Genick­bruch. Ein lan­ger Ball auf den Flü­gel, wo Pas­cal Sten­zel nur die Opti­on hat­te, das Kopf­ball­du­ell zu gewin­nen oder zu ver­su­chen, zwei Leip­zi­ger im Sprint­du­ell zu schla­gen. Es soll schon Kanin­chen gege­ben haben, die im Ange­sicht der Schlan­ge mehr Gegen­wehr gezeigt haben.

Kein Mut

Was mich am Meis­ten nervt, sind die die letz­ten bei­den Tore. Nicht unbe­dingt wegen der Tor­dif­fe­renz oder der Sum­me an Gegen­tref­fern an sich. Beim 4:1 konn­te Pokal­ver­un­rei­ni­ger Kampl nach einer Ecke völ­lig unbe­drängt abzie­hen, beim 5:1 ließ die Mann­schaft den Ball im Mit­tel­feld durch die Gegend flip­pern und war nicht mal in der Lage, aus Alex Nübels pas­sa­bler Ret­tungs­tag gegen Simons Kapi­tal zu schla­gen — der ver­wan­del­te den Nach­schuss sei­nes Kon­ters trotz­dem. Anders als gegen Bochum ließ der VfB hier auch die Ernst­haf­tig­keit ver­mis­sen, neben so vie­lem ande­ren. Vor allem: den Mut. Auch wenn Nübel sich im Lau­fe der zwei­ten Halb­zeit wie­der berap­pel­te: Der Schock und die Angst vorm Geg­ner saß der Mann­schaft 40 Minu­ten lang tief in den Glie­dern und nie­mand war in der Lage, die­se abzu­schüt­teln. In Zah­len: Der VfB mach­te 24 Sprints weni­ger als die Gast­ge­ber und spul­te in Rück­stand knapp 4 Kilo­me­ter weni­ger ab. Auch das ein alt­be­kann­tes Pro­blem.

Und jetzt? Geht alles wie­der so los wie vor zwei Jah­ren? Sind wir nun wie­der “auf dem Boden der Tat­sa­chen”, wie allent­hal­ben geschrie­ben wur­de? Auf jeden Fall ist klar, dass sich man­che Pro­ble­me nicht ein­fach im Lau­fe einer Sai­son­vor­be­rei­tung lösen las­sen. Es greift auch zu kurz, die Abwe­sen­heit von Wata­ru Endo und Kon­stan­ti­nos Mavro­pa­nos als ent­schei­den­den Grund für das Aus­ein­an­der­fal­len anzu­füh­ren: Beim 0:4 vor zwei Jah­ren stan­den bei­de eben­so auf dem Platz wie bei der 0:5‑Klatsche in Dort­mund ver­gan­ge­ne Sai­son. Müs­sen wir also über den Tor­hü­ter dis­ku­tie­ren, Dan-Axel Zag­adou auf die Bank ver­ban­nen und schleu­nigst noch einen Schie­nen­spie­ler für die rech­te Sei­te ver­pflich­ten?

Heute schon an morgen denken

Nein, es gilt jetzt für Sebas­ti­an Hoe­neß, an die­ser kol­lek­ti­ven Hilf­lo­sig­keit zu arbei­ten. Und natür­lich an der Mann­schaft. Letz­te Woche über­schrieb ich mei­nen Bericht zum Bochum-Spiel damit, die Mann­schaft müs­se aus der Ver­gan­gen­heit ler­nen. Aus die­sem Spiel muss sie für die Zukunft ler­nen. Denn die men­ta­len (nicht Men­ta­li­täts-) Pro­ble­me, die die Mann­schaft gegen Leip­zig zeig­te, beglei­ten sie schon seit zwei Jah­ren und offen­ba­ren sich nicht nur gegen Mann­schaf­ten die­ser Güte­klas­se, son­dern auch in so Spie­len wie gegen Schal­ke und Her­tha ver­gan­ge­ne Sai­son. Eine drit­te Spiel­zeit in Fol­ge darf das nicht pas­sie­ren. Wir wer­den — und auch das ist eine Bin­sen­weis­heit — sehen, ob sie in die­ser Sai­son die Kur­ve krie­gen. Das Bochum-Spiel stimmt trotz des indis­po­nier­ten Geg­ners eigent­lich posi­tiv. Des­we­gen ist jetzt auch nach einer Klat­sche nicht gleich alles nega­tiv und der Klas­sen­er­halt uner­reich­bar. Wir dür­fen nur nicht wie in der Ver­gan­gen­heit den Feh­ler machen, eige­ne Pro­ble­me allein der Stär­ke des Geg­ners zuzu­schrei­ben.

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass beob­ach­tet: “Hier fehl­te dem VfB ein Stil­mit­tel, um sich aus die­ser Druck­si­tua­ti­on zu befrei­en. Der VfB muss erken­nen, dass er nicht immer alles spie­le­risch lösen kann und soll­te sich nicht zu scha­de sein für wei­te Bäl­le, tak­ti­sche Fouls, Zeit­spiel, Under­dog­fuß­ball.”

Titel­bild: © Boris Streubel/Getty Images

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