Wie schon vor zwei Jahren startet der VfB mit zwei Kantersiegen in die Saison. Der weitere Verlauf der vorletzten Saison sollte allerdings bei aller Erleichterung über den gelungenen Auftakt eine Warnung sein. Oder ist diesmal alles anders?
Wenn sich Geschichte wiederholen sollte, ist das kein gutes Zeichen für den VfL Bochum — und auch nicht für den VfB. 6:0 fertigten die Männer im Brustring im Spätsommer 2021 den BFC Dynamo ab, um nur eine Woche später dem Aufsteiger aus Fürth einen Vorgeschmack auf eine erfolglose Rückkehr in die zweite Liga zu verpassen. Damals wie heute ging der VfB als Tabellenführer in eine Woche, an deren Ende ein Auswärtsspiel in Leipzig stand. Wie es weitergeht wissen wir alle: Horrorverletzungen, Horrorauftritte, am Ende lag das Fleisch auf dem Grill und Endo wurde zu Legendo. Es war also vielleicht besser, dass Sebastian Hoeneß am vergangenen Samstag Mo Sankoh 90 Minuten auf der Bank ließ und der stattdessen eingewechselte Milosevic das Spiel unbeschadet überstand.
Man kann es natürlich auch übertreiben mit den Parallelen. Der VfB hat die letzte Saison nicht auf Platz 9, sondern auf Platz 16 abgeschlossen und die Mannschaft ist um die Erfahrung aus zwei nervenstrapazierenden Abstiegskämpfen reicher. Und musste Ende vergangener Woche trotzdem einen Nackenschlag hinnehmen. Gegen Balingen doppelpasste er sich mit Serhou Guirassy noch durch die Regionalliga-Abwehr, am Samstag lief er dann bereits im roten Trikot des Liverpool FC an der Anfield Road auf. Wataru Endo schickte nicht nur warme Worte nach Stuttgart, sondern auch Schockwellen durch die Anhängerschaft. Wie um alles in der Welt sollen wir in der Bundesliga bloß ohne unseren Anführer, unseren Dauerbrenner, Herz und Motor unserer Mannschaft bestehen?
Mutig
Nun, beantwortet ist die Frage noch nicht, aber zumindest hat der VfB den Saisonstart nicht wie letztes Jahr komplett in den Sand gesetzt. Zum einen, weil den Bochumern bei weiteren ähnlichen Auftritten — drei Schüsse aufs Tor, fünf Gegentreffer und ein Abwehrverhalten aus der Hölle
Das, liebe Kinder, passiert, wenn ihr beim Herausrücken eines Innenverteidigers kein Abwehrdreieck bildet. Immer schön einrücken! pic.twitter.com/I1hDnJQmji
— Tobias Escher (@TobiasEscher) August 20, 2023
- wohl wirklich das gleiche Schicksal wie der Spielvereinigung aus Fürth droht. Zum anderen, weil man an der Mercedesstraße die Hosen vor diesem Spiel offenbar erheblich weniger voll hatte als Teile des Anhangs. Statt nämlich, wie mitunter vermutet, neben Atakan Karazor mit Genki Haraguchi einen weiteren Sicherheitsspieler aufzubieten oder mit Li Egloff ein Experiment mit einem Spieler zu wagen, der sich noch in der Bundesliga etablieren muss, zog Sebastian Hoeneß Enzo Millot einfach etwas zurück und bot an seiner statt hinter Guirassy Jeong Woo-yeong auf. Der hätte den fünf Toren eigentlich zwei weitere hinzufügen müssen, konnte jedoch einmal seine Füße nicht sortieren und scheiterte ein weiteres Mal tief in der Nachspielzeit der ersten Hälfte an Manuel Riemann. An der Effizienz mangelte es also noch, am Einsatz jedoch nicht — Jeong spulte von allen Spielern dieser Partie die meisten Kilometer ab.
Und das galt für die gesamte Mannschaft, die so eher Erinnerungen an die Relegationsspiele als an den Saisonstart vor zwei Jahren wachrief. Denn eigentlich hätte der Sieg noch viel höher ausfallen können und müssen. Die Entscheidung, Karazor als einzigen echten Sechser aufzustellen war mutig und so agierte die Mannschaft auch. Wie schon in der Vorwoche warteten die Brustringträger nicht darauf, dass ihnen das Ergebnis in den Schoß fiel. Positiv fiel dabei auch Pascal Stenzel auf, der wie Hiroki Ito immer wieder Vorstöße über die Mittellinie wagte — und dabei nach Chris Führich, dessen Kernaufgabe das ja ist, die meisten progressiven Läufe hatte und mit zehn die meisten progressiven Pässe spielte. Vor allem aber bereitete er damit drei Treffer direkt oder indirekt vor.
Konzentration für eine leichte Aufgabe
Der VfB traute sich was, weil Bochum viel anbot und Pech hatte, dass Philipp Hofmann nicht nach Zagadous Stellungsfehler zum frühen 1:0 vollstreckte. Da blitzte er wieder ein wenig auf, der alte Slapstick-VfB: Daxo wurde vom langen Pass auf den Bochumer Stümer erst überrascht und vergaß dann, wie schon in der Vergangenheit bisweilen, dass er mit seiner Abwehrkantigkeit eigentlich jedem Stürmer Paroli bieten könnte. Danach kam von den Westdeutschen bis zur Chance in der zweiten Hälfte gar nichts mehr und der VfB legte stattdessen los. Nachdem Führich und vor allem Silas ein paar Mal erfolglos an Dribblings über die Flügel probiert hatten, schlug Hiroki Ito einfach mal einen Ball mitten in das Scheuentor in der Bochumer Abwehrkette und Guirassy vollendete gekonnt durch den herauseilenden Riemann hindurch zur Führung. Man kann nur hoffen, dass er auch bis zum 31. August noch keinen Verein gefunden hat, der seinen Vorstellungen entspricht — dieses Raumgefühl, diese Technik: Wahnsinn.
Auch wenn Asano im Abseits nochmal hinter die Kette entwischte und in der zweiten Halbzeit aus ähnlicher Position an Alexander Nübels Fuß scheiterte: Der VfB hatte das Spiel im Griff und ließ kaum nach. Zwar mit dem Toreschießen, aber nicht mit der organisierten Spielweise. Auch wenn man Dan-Axel Zagadous Kopfballtreffer und Guirassys zweites Tor zum 5:0‑Entstand fast als Arbeitsverweigerung der Bochumer bezeichnen muss: Sie waren der Lohn für einen seriösen und konzentrierten, wenn auch in Phasen etwas einfallslosen Auftritt der Brustringträger. Denn auch nach der Pause nahmen sie sich eine Auszeit bis Silas plötzlich in ungewohnter Position seinen Torriecher entdeckte: Erst schob er eine Flanke des von drei Bochumern mit sicherem Abstand bewunderten Chris Führich am langen Pfosten in die Maschen, dass drosch er einen Rückpass des bereits erwähnten und gelobten Pascal Stenzel in die Maschen. Angesichts der Bochumer Indisponiertheit war vielleicht der Auftritt von Alexander Nübel sinnbildlich für diesen Auftritt des VfB: Zwei Flanken sicher hinter gepflückt, schnelle präzise Abwürfe, eine Fußabwehr. Mit Konzentrationen eine eher leichte Aufgabe gemeistert.
Geschenk mit Kusshand
Auch der Vertikalpass sieht in diesem Sieg einen Pflicht-Dreier und ich kann nicht widersprechen. Solche Geschenke musst Du annehmen und der VfB tat das diesmal mit Kusshand. Außer um das alte Wolf of Wall Street-Meme rauszuholen, können wir uns davon aber erstmal nichts kaufen. Drei Punkte für den Klassenerhalt sind drei Punkte, nach den Spielen beim Champions League-Teilnehmer aus Nord-Österreich und gegen den Europa-League-Teilnehmer aus Südbaden könnte der Zählerstand aber immer noch der gleiche sein. So war es nämlich 2021. Dem Sieg gegen Fürth folgte ein frustrierendes 0:4 in Leipzig und eine unnötige 2:3‑Heimniederlage gegen Freiburg. In Leipzig gab die Mannschaft das Spiel direkt nach der Pause aus der Hand für Freiburg traf ein gewisser Jeong Woo-yeong zwei Mal in den ersten neun Minuten.
Immerhin den haben wir diesmal auf unserer Seite und vielleicht gelingt es der Mannschaft ja auch, den beiden Europapokalteilnehmern diese Saison anders Paroli zu bieten bevor dann mit Mainz und Darmstadt wieder Gegner kommen, gegen die der VfB mit den gegen Bochum gezeigten Tugenden durchaus weitere Siege einfahren kann — wenn die Mannschaft ihre Haltung nicht wieder verliert. Natürlich kann bis zum Freiburg-Spiel noch viel passieren in diesem sich in voller Fahrt befindlichen Transferkarussel. Nicht nur die Mannschaft hat die Aufgabe, diesmal an die gute Leistung des ersten Spieltags anzuknüpfen. Sebastian Hoeneß und Fabian Wohlgemuth müssen eine tragfähige Idee haben, was sie mit den Einnahmen aus den Verkäufen von Endo und voraussichtlich Mavropanos anstellen. Für’s Erste gilt: Gut gemacht, Mund abputzen und aus der Vergangenheit lernen.
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Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images