So anstrengend

Aaaaa­aargh!

Ist es Selbst­be­herr­schung oder Resi­gna­ti­on, wenn man um 17.19 Uhr an einem Sams­tag­nach­mit­tag im Net­to an der Kas­se steht und weder den Laden zusam­men­schreit, noch das Han­dy durch die Gegend pfef­fert, das einem gera­de einen Aus­gleich in der 94. Minu­te geti­ckert hat? Ich weiß es nicht. Wahr­schein­lich bei­des. Viel­leicht ist es auch ein­fach Erfah­rung. Die letz­ten zehn Jah­re bestan­den als VfB-Fan aus weni­gen Licht­bli­cken und zu vie­len Momen­ten wie die­sen. Kla­re Chan­cen nicht genutzt, schon wie­der einen Spie­ler für den Rest der Sai­son ver­lo­ren und dann noch zwei Punk­te zum Fens­ter raus­ge­wor­fen — die Erfah­rung lehrt dich, dass das das Holz ist, aus dem Abstie­ge geschnitzt sind — dem gan­zen in der letz­ten Woche ver­kün­de­ten Zweck­op­ti­mis­mus zum Trotz.

Dabei war eigent­lich “ange­rich­tet”, wie wir es in der letz­ten Pod­cast-Fol­ge genannt haben: Immer­hin 20.000 Leu­te im Sta­di­on, wenn auch ohne orga­ni­sier­ten Sup­port, die Offen­si­ve mit fast der gesam­ten Kapel­le, eine Vie­rer­ket­te gegen die schnel­len Außen und Kara­zor als Sta­bi­li­sa­tor hin­ter der Dop­pel­sechs. Und natür­lich über­rennt der VfB trotz­dem nicht den VfL. Täte er das, stün­den die nicht da oben und wir nicht da unten. Unan­ge­neh­mer Geg­ner mit genau dem rich­ti­gen Schuss Rup­pig­keit, um sich in der ers­ten Bun­des­li­ga-Sai­son seit über zehn Jah­ren Respekt zu ver­schaf­fen. Mit Spie­lern, die halt häu­fig genug das Tor tref­fen. Also so ein biss­chen wie wir letz­te Sai­son. Und die trotz des Sie­ges gegen die Bay­ern in der ers­ten Hälf­te nur zu einer Groß­chan­ce kom­men. Der VfB hin­ge­gen zunächst wacke­lig, aber kon­zen­triert und mit fort­lau­fen­der Spiel­dau­er immer muti­ger, siche­rer und mit guten Angrif­fen.

Es wäre genau der richtige Sieg gewesen

Das das 1:0 ohne Bochu­mer Unter­stüt­zung nicht fällt: Geschenkt. Das sind halt die­se schrab­be­li­gen Sie­ge, mit denen Du end­lich wie­der raus­kommst aus dem Loch, zudem ange­sichts der Offen­siv­leis­tung von Mar­moush, Füh­rich und Tomás vor­ne durch­aus ver­dient. Man sieht auch, wie sehr Kara­zor Anton und Endo ent­las­tet, die man lan­ge nicht mehr so häu­fig vorm geg­ne­ri­schen Tor gese­hen hat. Ein knap­per 1:0‑Sieg wäre in der aktu­el­len Situa­ti­on genau das rich­ti­ge: Drei Punk­te mehr aufm Kon­to, aber kei­ne trü­ge­ri­sche Eupho­rie wie sie 5:1‑Siege gegen Han­no­ver oder Hof­fen­heim aus­ge­löst haben. Das sah alles ganz pas­sa­bel aus und wäre viel­leicht auch belohnt wor­den, wenn Orel Manga­la vor dem Tor nicht so unge­fähr­lich, Hiro­ki Ito beim Ballraus­hau­en nicht so halb­her­zig und Dinos Mavro­pa­nos nicht so toll­pat­schig wäre. Aber ist es gerecht­fer­tigt, die­se gefühl­te 1:1‑Niederlage an die­sen Sze­nen allein fest­zu­ma­chen?

Natür­lich nicht, denn zwei Fak­to­ren führ­ten auch dazu, dass dass Bochum am Ende noch die Chan­ce auf den Aus­gleich hat­te und dass die­ser gar nicht mehr so über­ra­schend kam. Zum einen spie­len wir unse­re Angrif­fe nicht gut genug aus. Der VfB hat­te zwar mehr Tor­schüs­se als die Bochu­mer und war über wei­te Stre­cken vor dem geg­ne­ri­schen Tor prä­sen­ter, es gelang ihnen ihnen aber — wie schon in den letz­ten Wochen — zu sel­ten, in gefähr­li­che Schuss­po­si­tio­nen zu kom­men. Was sich auch im expec­ted goals-Wert nie­der­schlägt: Natür­lich spielt beim Bochu­mer Wert von 1,93 auch der Elf­me­ter zu Buche, aber allein die Chan­ce von Pan­to­vic in der sieb­ten Minu­te hat­te eine höhe­re Tref­fer­wahr­schein­lich­keit als die Groß­chan­cen von Mar­moush und Manga­la zusam­men. Zu häu­fig schoss der VfB aus zu gro­ßer Distanz, zu sel­ten kam man wirk­lich gefähr­lich zum Schuss. Zu sel­ten zumin­dest, um ein zwei­tes Tor ein­fach schon anhand der Häu­fig­keit der Chan­cen zu erzwin­gen.

Was willst Du machen?

Der zwei­te Fak­tor waren die Wech­sel von Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo. Der VfB kann und muss das 1:0 natür­lich trotz­dem über die Zeit brin­gen und ich habe schon man­ches mal über Wech­sel geschimpft, die mei­ner Mei­nung nach zu wenig Fokus auf die Defen­si­ve leg­ten. Aber Hiro­ki Ito für den nach sei­ner Coro­na-Infek­ti­on noch nicht wie­der kom­plett fit­ten Mar­moush ein­zu­wech­seln, war mei­ner Mei­nung nach ein Feh­ler. Nicht wegen des zu kur­zen Befrei­ung­schlags Itos vor dem Aus­gleich, son­dern weil Mat­a­raz­zo damit an bei­de Mann­schaf­ten das Signal sen­de­te, nun die Füh­rung ver­tei­di­gen zu wol­len. Ange­sichts der Situa­ti­on viel­leicht nach­voll­zieh­bar, in der letz­ten Sai­son gab es sol­che Wech­sel fast nie, weil die Mann­schaft genü­gend Selbst­ver­trau­en hat­te, um eine Füh­rung auch ohne defen­si­ve Aus­rich­tung über die Zeit zu brin­gen. Wie auch immer, Bochum hat­te plötz­lich wie­der Ober­was­ser und tauch­te in den letz­ten zehn Minu­ten viel häu­fi­ger vor dem Tor von Flo Mül­ler auf, als in den 35 Minu­ten der zwei­ten Hälf­te davor. Spiel­ent­schei­dend? Nein, sol­che mono­kau­sa­len Zusam­men­hän­ge gibt es im Fuß­ball nicht. Aber hilf­reich war es auch nicht.

Aber was willst Du machen? Der Ver­ti­kal­pass schreibt, Abstiegs­kampf sei a hard knock life und ich möch­te das aus­wei­ten: VfB-Fan sein ist im all­ge­mei­nen tough. Spie­ler ver­dam­men, denen nach der spä­ten Ent­täu­schung die Ver­zweif­lung ins Gesicht geschrie­ben und die Trä­nen in den Augen stan­den? Die unterm Strich ein schwie­ri­ges Spiel in einer Druck­si­tua­ti­on gut bestrit­ten haben und drei Punk­te durch­aus ver­dient gehabt hät­ten? Einen Trai­ner raus­wer­fen, der aus den letz­ten Spie­len gelernt und eine ziem­lich opti­ma­le Auf­stel­lung auf den Rasen gebracht hat? Eine sport­li­che Füh­rung zum Teu­fel jagen, die auch sicht­lich kon­ster­niert ist, der man aber auch erst­mal bewei­sen muss, dass Aktio­nis­mus bes­se­re wäre als Beharr­lich­keit?

Augen zu und durch

Man braucht jetzt kei­ne Schön­rech­ne­rei betrei­ben und dar­auf hin­wei­sen, dass der VfB im Abstiegs­kampf sogar einen Punkt gut gemacht hat. Das Aus­wärts­spiel an der A6 am Frei­tag wird ungleich schwe­rer, wie­der ein­mal haben wir ziel­si­cher an den tie­fer hän­gen­den Früch­ten vor­bei gegrif­fen. Gleich­zei­tig ist das Gefühl, dass jetzt schon alles vor­bei ist, eben nur ein Gefühl. Aber es fällt ver­dammt schwer, für das nächs­te Spiel wie­der genü­gend Hoff­nung zusam­men­zu­krat­zen. Wie ich eben schon mehr­fach geschrie­ben habe: Es ist so anstren­gend, die­sem Ver­ein die Dau­men zu drü­cken, der einen ent­we­der auf gan­zer Linie ent­täuscht oder sich vie­les, was er doch geschafft hat auf­zu­bau­en, wie­der ein­reißt. Dass wir es dies­mal nicht mit selbst­herr­li­chen Funk­tio­nä­ren, kom­plett untaug­li­chen Trai­nern und einer untrai­nier­ba­ren Trüm­mer­trup­pe zu tun haben, macht das Gan­ze nicht ein­fa­cher. Natür­lich kann man zig Bei­spie­le von Mann­schaf­ten her­an­zie­hen, die sich aus einer Situa­ti­on ver­gleich­bar mit der des VfB noch geret­tet haben. Am Ende hilft nur Augen zu und durch und hof­fen, dass die Mann­schaft zu mehr in der Lage ist, als es das schlech­te Bauch­ge­fühl ihr zutraut.

© Chris­ti­an Kas­par-Bart­ke/­Get­ty Images

1 Gedanke zu „So anstrengend“

  1. Der Ito-Wech­sel war schon okay, die gro­ßen Chan­cen 2:0 zu stel­len hat­ten wir sogar danach. Möch­te nicht wis­sen, was los gewe­sen wäre, wenn Rino offen­si­ver gewech­selt hät­te (wen denn über­haupt?), und wir uns dann den Aus­gleich gefan­gen hät­ten.

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