Einen Wintertransfer gibt es doch noch: Der VfB leiht den früheren Gladbacher und Dortmunder Mahmoud Dahoud bis zum Sommer aus Brighton. Der Mittelfeldspieler ist schon der zweite Spieler, der von Roberto De Zerbi zu Sebastian Hoeneß wechselt und könnte in der Rückrunde eine personelle Schwachstelle im Kader des VfB verstärken.
Asien-Cup hin, Afrika-Cup her: Es war klar, dass der VfB wenn überhaupt im heute endenden Winter-Transferfenster auf einer Position aktiv werden würde, nämlich im zentralen Mittelfeld. Auch wenn die Mannschaft mit Angelo Stiller und Enzo Millot in der Zentrale mit Leipzig am vergangenen Wochenende wenig Probleme hatte: Wie schnell eine Verletzung passieren und deine Personalplanung langfristig beeinflussen kann, zeigt aktuell das traurige Beispiel Dan-Axel Zagadou. Dementsprechend drehten sich die Gerüchte der letzten Tage eben um jene zentralen Spieler wie Marko Grujic vom FC Porto oder Flo Neuhaus von Borussia Mönchengladbach. Am Ende wurde es ein ehemaliger Borusse, sogar ein richtiges Fohlen, denn Mahmoud “Mo” Dahoud wechselte mit 14 Jahren ins Nachwuchsleistungszentrum der Gladbacher und nahm von dort seinen Weg in die Bundesliga und nach sechs weiteren Jahren in Dortmund bis in die Premier League. Über seine Zeit am Niederrhein haben wir mit Gladbach-Fan Yvonne gesprochen, zu seiner Zeit in Dortmund standen uns die BVB-Fans Alexey und Leon Rede und Antwort. Über sein erstes Halbjahr in England berichtet uns BBC-Journalist und Brighton-Fan Jim Frank, den wir im Sommer auch schon zu Deniz Undav befragten.
Großes Talent im Fohlenstall
Dahoud wurde am 1. Januar 1996 in Amude in Syrien geboren und kam mit seinen Eltern kurz nach seiner Geburt nach Deutschland. Dort wuchs er in Langenfeld im Rheinland auf, ziemlich zentral zwischen Köln, Düsseldorf und Wuppertal gelegen. Wie schon beschrieben fand er den Weg über die Düsseldorfer Fortuna zur Gladbacher Borussia. Dort zählt er in den Nachwuchsmannschaften zum Stammpersonal, gewann mit der U21 2015 auch die Regionalliga West, debütierte in dieser Saison aber auch schon in der Profimannschaft der Gladbacher. Die war von Lucien Favre nach der erfolgreichen Relegation 2011 schlagartig in den Europapokal geführt worden und dort kam er auch in der Europa League-Qualifikation gegen den FK Sarajevo zu seinem ersten Profi-Einsatz. Es folgten 20 Minuten gegen Limassol im Hauptwettbewerb und eine Minute gegen Dortmund in der Rückrunde. In der Folgesaison, der ersten ohne Favre, war er dann endgültig in der Mannschaft angekommen, verpasste nur zwei Ligaspiele und stand in allen sechs Champions League-Gruppenspielen auf dem Platz. Yvonne unterstreicht, dass er bei vielen schon früh als großes Talent galt, schließlich hatte er vor seinem 20. Geburtstag schon eine Halbserie Bundesliga und Europapokal-Erfahrung in den Beinen. Dass er unter Favre kaum zum Einsatz kam, weil der ihn nicht verheizen wollte, kann sie hingegen weniger nachvollziehen. Dennoch habe Dahoud viel von Favre profitiert, der “damals jeden Spieler verbessert hat”, so Yvonne. Auch 2016/2017 gehörte Dahoud zum Stammpersonal einer Gladbacher Mannschaft, die im DFB-Pokal bis ins Halbfinale gegen Frankfurt vorstieß, Champions und Europa League spielte und die Saison im Tabellenmittelfeld beendete. Mit dann 21 wechselte Dahoud in diesem Sommer für angeblich 12 Millionen Euro innerhalb der Bundesliga zur anderen Borussia. Yvonne zufolge durchaus nachvollziehbar, weil er in Dortmund dauerhaft international spielen konnte und der BVB für einen jungen Spieler ein großer Karriereschritt sei. Das sahen damals jedoch nicht alle VfL-Fans so, bei seiner Auswechslung im ersten Spiel nach Bekanntgabe des Wechsels wurde er — noch im Gladbach-Trikot — ausgepfiffen. Ein Punkt, auf den ich gleich noch zu sprechen komme.
Hohe Erwartungen in Dortmund
In Dortmund, so Alexey, seien die Erwartungen nach den guten Jahren in Mönchengladbach durchaus hoch gewesen, er habe erwartet, dass Dahoud langfristig die gleiche Rolle einnehmen würde wie dort und auch in schwarz-gelb zum Stammspieler würde. Leon weist darauf hin, dass Dortmund in diesem Sommer durch die Abgänge von Dembele und Aubameyang viel Geld zur Verfügung hatte und dieses in Talente wie Sancho, einen gewissen Daxo Zagadou und eben Dahoud investierte. Auch Leon rechnete damit, dass Dahoud perspektivisch das Dortmunder Mittelfeld lenken würde. Die Hoffnung sollte sich weder für die Fans noch für Dahoud erfüllen, der nie mehr als 24 Spiele in einer Saison machte und dabei nur selten in der Startelf stand. Leon weist darauf hin, dass in Dahouds zweiter Saison, also 2018/2019, das Dortmunder Mittelfeld mit den erfahrenen Witsel und Delaney sowie mit Toptalent Julian Weigl auch stark besetzt gewesen sei. Im Jahr 2020 beendete eine Knieverletzung kurz nach dem Corona-Restart die verzögerte Saison für ihn, erst mit Beginn des Jahres 2021 wurde er dauerhafter eingesetzt, aber immer wieder von einer Innenbahn-Dehnung wie im Herbst 2021 oder zwei aufeinanderfolgenden Schulterverletzungen im Sommer 2022 zurückgeworfen. Die erste Zeit unter Terzic zählt Leon zu seinen stärksten Phasen, insgesamt sei er aber ein zu großer Unsicherheitsfaktor gewesen. In der vergangenen Saison lief er dann zum letzten Mal bei der 2:4‑Niederlage des BVB in München im schwarz-gelben Dress auf, die verpasste Meisterschaft erlebte er von der Tribüne aus. Dahoud erlebte in seinen sechs Jahren fünf verschiedene Trainer in Dortmund — Peter Bosz, Peter Stöger, erneut Lucien Favre, Marco Rose und zwei Mal Edin Terzić — konnte sich aber unter keinem nachhaltig durchsetzen, so dass laut Alexey die Vermutung nahe liegt, dass es weniger an den Übungsleitern lag. Eventuell seien schlechte Trainingsleistungen für seine geringen Einsatzzeiten verantwortlich gewesen, obwohl er in Spielen oft nicht schlecht ausgesehen habe. Auch Leon sah bei seinen wenigen Einsätzen wenig Überzeugendes. Eine Entwicklung habe er auch nicht beobachten können. Auch in Dortmund musste er teilweise Pfiffe der eigenen Fans aushalten, wie dieser Artikel auf schwatzgelb.de leider zeigt.
Eine rote Karte mit Folgen
Im vergangenen Sommer wechselte Dahoud dann ablösefrei in die Premier League zu Brighton & Hove Albion, die spätestens seit dem letzten Sommer jedem VfB-Fan ein Begriff sind. Dort unterschrieb er einen Vertrag bis 2027, der jetzt mindestens für ein halbes Jahr beim VfB gültig ist. In Brighton war er als Ersatz für Weltmeister Alexis Mac Alister gedacht, der zu Liverpool wechselte, erzählt Jim Für die Seagulls kam er bislang insgesamt auf neun Einsätze in der Premier League, vier in der Europa League und einen im Ligapokal. Jim hatte zunächst den Eindruck, dass Dahoud ein Spieler mit guter Ballkontrolle und eine tödlichen Pass sein könnte, diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Immerhin stand er sieben Mal in der Startelf, zuletzt kam er dem Spielfeld allerdings kaum noch nahe: Mitte November sah er für ein Foul gegen Sheffield die rote Karte und wurde für drei Spiele gesperrt. Nach der Sperre spielte er noch 45 Minuten lang beim 1:1 gegen Burnley, bevor Roberto de Zerbi ihn erst auf die Bank und seit Jahresbeginn auf die Tribüne verbannte. Vor dem Platzverweis sei er immer besser in Form gekommen, so Jim, aber De Zerbi habe auch öffentlich gesagt, dass er von Dahoud “mehr Qualität, mehr Persönlichkeit, Energie und Enthusiasmus” erwarte. Sein bestes Spiel habe Dahoud in der Europa League gegen Ajax gemacht, die unregelmäßigen Einsätze zeigten jedoch, dass er sich in der Mannschaft nicht etablieren konnte.
Wie bereits angesprochen, ist Dahoud ein zentraler Mittelfeldspieler, in Gladbach wurde er sowohl auf der Sechs als auch auf der Acht eingesetzt, Yvonne verweist hier auf Lucien Favres Vorliebe für polyvalente Spieler. Sowohl defensiv als auch offensiv habe er seine Aufgaben gut gelöst, erklärt sie, auch wenn ihm die offensive Rolle mehr gelegen hätte. Jim beschreibt Dahoud als Bindeglied zwischen Defensive und Offensive. Sein gutes Auge für Mitspieler sei damals in Gladbach leider nicht genügend gefördert worden, so Yvonne. Auch in Dortmund spielte er meist als Achter, wobei Alexey ihm sogar eine noch offensivere Rolle zugetraut hätte. Schwächen sehen alle Expert*innen im Zweikampf — gerade in der Premier League -, Stärken hingegen im Passspiel und im Dribbling. “Ballbesitzfußball dürfte er durchaus beherrschen”, so Yvonne, Dahoud habe in Gladbach immer eine Idee gehabt, wie Gegner überraschend ausspielen konnte, Jim stellt fest “He can pass the ball well and on his day, Dahoud is someone who can make things happen. ”
Ein ähnliches Bild zeigt auch der Vergleich von Dahoud mit anderen Mittelfeldspielern, von FBref, wo seine Stärken im Passspiel, aber auch in der Torvorbereitung deutlich werden.
Viel Vertrauen nötig
Auf jeden Fall ist Dahoud ein Spieler, der das Vertrauen des Trainers und ein stabiles Umfeld benötigt, um zu funktionieren, was vielleicht auch den Wechsel von Brighton zum VfB erklärt. Die Pfiffe in Gladbach — nach Bekanntgabe des Wechsels — und in Dortmund dürften da ebenfalls nicht förderlich gewesen sein, Unterstützung zahle Dahoud jedoch mit Leistungsbereitschaft zurück. Dahoud brauche Spielpraxis und Freiraum, um seine Dribblings ausspielen zu können, so Yvonne: “Wenn er merkt, dass sein Umfeld stabil ist und der Trainer ihm vertraut, wird das eine tolle Kombination — Dahoud und Stuttgart.” Einen interessanten Aspekt wirft Leon ein: Während der Spiele ohne Zuschauer oder mit verringerter Kapazität habe man gut wahrnehmen können, wie Dahoud seine Mitspieler auf dem Platz antrieb und motivierte, er sei auch immer motiviert gewesen, der Mannschaft zu helfen, wenn er die Gelegenheit hatte. “Wenn er ein wenig konstanter seine Leistung abrufen kann, kann er Stuttgart sicher verstärken.” Auch Alexey kann sich gut vorstellen, dass er für den VfB eine Verstärkung darstellen kann, wenn man ihm die Chance gebe. Jim sieht es sogar als wenig wahrscheinlich an, dass Dahoud nochmal nach Brighton zurückkommt.
Zunächst gibt es an der Leihe wenig auszusetzen, denn Dahoud hilft im zentralen Mittelfeld vor allem in der Breite, auch wenn es vielleicht nicht er ist, der sich auf der Bank wiederfindet. Es wird deutlich, dass der VfB mittlerweile durchaus mehr als nur eine “ruhige Saison” in den Blick nimmt. Mit einer Kaufoption hat man alle Möglichkeiten in der Hand, das nötige Kleingeld vorausgesetzt. Spannend wird es hingegen, wie auf anderen Positionen im Sommer. Mit Alex Nübel und Deniz Undav und einem möglicherweise erfolgreichen Mo Dahoud wären drei Spieler dann am Ende ihrer Leihe, deren Ablöse und/oder Gehälter sich der VfB selbst mit einem Einzug in die Champions League kaum wird leisten können, zumal ja aller Voraussicht nach auch ein Serhou Guirassy ersetzt werden muss. Gleichzeitig besetzen Leihspieler in dieser Saison teilweise Planstellen für Talente wie Dennis Seimen, Laurin Ulrich, Samuele di Benedetto, Raul Paula, Thomas Kastanaras oder Jovan Milosevic, hinzu kommen verliehene Spieler wie Wahid Faghir, Ömer Beyaz oder Mo Sankoh, deren Situation im kommenden Sommer ich schon im Leihspieler-Hinrunden-Rückblick thematisiert habe.
Stabilität und Kreativität für die Mitte
Auch wenn er sehr abhängig von einem funktionierenden Umfeld zu sein scheint, mache ich mir diesbezüglich keine Gedanken, auch spielerisch passt er zum Kader und zum Spielstil, könnte Ergänzung oder Ersatz für Millot, Karazor oder Stiller sein, hinter denen er sich, was die Statistiken angeht nicht verstecken muss, zumal er teilweise noch ein wenig mehr Bundesliga-Erfahrung mitbringt. Für die nächsten Monate macht man mit Dahoud natürlich wenig falsch, kann er die Mitte des VfB weiter stabilisieren und auch gegen tiefstehende Gegner neue Lösungen finden. Und vielleicht dazu beitragen, dass der VfB mit einem guten Saisonergebnis im Sommer auch finanziell mehr Optionen hat.
Titelbild: © Steve Bardens/Getty Images