Langsam kommt das Transferfenster des VfB trotz offenbar immer noch beschränkter finanzieller Mittel ins Rollen. Vom SC Freiburg kommt Offensivspieler Jeong Woo-yeong zum VfB. Wir haben uns in Freiburg, München und Südkorea über ihn erkundigt.
Waren es die 1,5 Millionen, die der VfB angeblich noch aus dem Transfer von Tiago Tomás von Sporting zu VfL Wolfsburg kassiert? Oder ist man sich sicher, dass auf der Einnahmenseite in diesem Sommer noch etwas passieren wird? Wie auch immer, der VfB hat am Dienstag seinen zweiten richtigen Neuzugang in dieser Sommerpause verpflichtet, nachdem Jovan Milosevics Transfer ja schon im Winter feststand, Serhou Guirassy seinen Aufenthalt in Stuttgart verlängerte und kurz nach Saisonende Maxi Mittelstädt von Absteiger Hertha BSC geholt wurde. Der Neue im Brustring hat zuletzt tabellarisch in ganz anderen Regionen gespielt, wenn auch nur selten: Jeong Woo-Jeong wechselt nach eineinhalb Jahren in München und dreieinhalb Jahren in Freiburg — teilweise abwechselnd — nach Stuttgart, unterschreibt einen Vertrag bis 2026 und übernimmt direkt die Rückennummer 10 vom bereits erwähnten Tomás. Ganz nebenbei ist er auch der erste Südkoreaner in Diensten des VfB, zumindest was die erste Mannschaft angeht.
Um mehr über Jeong zu erfahren, haben wir uns mit drei Experten über ihn unterhalten: Martin ist Fan des FC Bayern und kennt sich besonders mit dem Nachwuchs der Münchner gut aus, für den Jeong überwiegend spielte. Mit Martin sprachen wir in der Vergangenheit bereits über die Verpflichtungen von Julian Green und Maxime Awoudja. Patrick ist Anhänger des SC Freiburg und Teil des Spodcast Freiburg, mit dem ich neulich erst über den Wechsel von Florian Müller sprach. Im Gegenzug gewährte uns Patrick Einblicke in Jeongs Zeit in Freiburg. Über Jeongs Einsätze im Nationalteam die Besonderheiten des koreanischen Militärdienstes sprachen wir mit Michael Welch, Redakteur beim englischsprachigen Blog und Podcast Fighting Stripes Football.
Debüt Im Glaspalast
Jeong Woo-yeong, dessen Nachname wie in Korea üblich, zuerst genannt wird und dessen Name Patrick zufolge “Dschong Wu-Jong” ausgesprochen wird, wurde am 20. September 1999 in Incheon geboren, der drittgrößten Stadt Südkoreas und an die Hauptstadt Seoul quasi direkt angrenzend. Mit 15 begann er bei seinem Heimatverein Incheon United FC im Nachwuchs zu spielen, bevor er im Januar 2018 in den Nachwuchs des FC Bayern wechselte. Michael zufolge ist Incheon nicht gerade einer der großen Namen in der koreanischen Nachwuchsarbeit, dazu zählten eher die Pohang Steelers, Stammverein von Wolverhampton-Spieler Hwang Hee-chan oder die Suwon Samsung Bluewings, aus deren Nachwuchs Celtic-Spieler Oh Hyeon-gyu hervorgegangen ist. Mit Jeong und Cheon Seong-hoon, der mit 19 zum FC Augsburg wechselte, kann Incheon mittlerweile immerhin zwei Europa-Exporte und damit eine gute Ausbildung vorweisen.
In Südkorea wurde Jeong vom heutigen Augsburger Kaderplaner und damaligen Bayern-Scout Timon Pauls entdeckt, wie Martin verrät. Sein Debüt für die U19 des FCB feierte er im Januar 2018 ausgerechnet im Sindelfinger Glaspalast. Nach einer guten Rückrunde für die A‑Junioren rückte er in die zweite Mannschaft der Bayern auf, die damals in der Regionalliga spielten, allerdings in der Spielzeit 2018/2019 unter Trainer Holger Seitz den Aufstieg in die dritte Liga schafften, zu dem Jeong 13 Tore beisteuerte. Für Martin unterstreicht Jeongs Entwicklung bei den “kleinen Bayern” den Wert von zweiten Mannschaften, die eine bessere Einschätzung eines Spielers ermöglichen als die U19-Bundesliga.
Badisch-bayrisches Wechselspiel
2019 wechselte er dann vom FC Bayern zum sich gerade im Aufwärtstrend befindlichen SC Freiburg, der die Saison auf Platz 8 abschließen sollte. Martin erläutert, dass der FC Bayern junge Talente immer nur mkt einer Rückkaufoption abgibt, was auch bei Jeong der Fall war. Wie Patrick erklärt, wollte man ihn als jungen und talentierten Spieler in Freiburg behutsam aufbauen — ein bewährtes Rezept im Breisgau und auch Martin sieht es so, dass es für junge Spieler eine gute Option ist, in Freiburg unter Christian Streich zu trainieren. Die Sommervorbereitung sei zwar gut verlaufen, es reichte für Jeong aber letztlich nur für 33 Spielminuten in der ersten Pokalrunde in Magdeburg und sechs Einsätze mit immerhin zwei Toren für die damals noch viertklassige zweite Mannschaft. In der Bundesliga hingegen stand er in der Hinrunde nur fünf Mal im Kader. Um ihn weiter an den Erwachsenenfußball zu gewöhnen, lieh der SC ihn erneut nach München aus, wo er in der Rückrunde inklusive Corona-Unterbrechung ein Tor und acht Vorlagen zur Drittliga-Meisterschaft der Mannschaft des heutigen VfB-Trainers Sebastian Hoeneß beisteuerte. Für Bayern II, die sich die Meisterschaft erst mit einem starken Rückrundenlauf sicherten, war es ein logischer Entschluss, einen Leistungsträger zeitweise zurück zu holen. Für Jeong bedeutete das mehr Spielpraxis, diesmal in einer höheren als der Regionalliga.
Im Spätsommer 2020 kehrte er dann nach Freiburg zurück und bestritt 26 Partien in der Saison 2020/2021, unter anderem stand er bei unserem ersten Spiel nach dem erneuten Wiederaufstieg 88 Minuten auf dem Platz und feierte mit dem SC einen 3:2‑Auswärtssieg. Rückblickend wertet Patrick also die Leihe für alle drei Parteien — Jeong, die Bayern und den SC — als Erfolg. In der Folgesaison stand er sogar in 32 Bundesliga-Spielen auf dem Platz und traf ausgerechnet am dritten Spieltag gegen den VfB direkt doppelt — eine der vielen ärgerlichen Niederlage in der Hinrunde. Auch im Pokal bestritt er alle Partien außer dem Finale. In der abgelaufenen Saison bestritt er erneut 26 Spiele in der Bundesliga, lief drei Mal im Pokal und fünf Mal in der Europa League auf, machte aber viel weniger Minuten als in seiner ersten Bundesliga-Saison in Freiburg. Sein letzter Einsatz über mehr als 45 Minuten datiert von der Freiburger 0:6‑Klatsche in Wolfsburg im Januar, als er beim Stand von 0:4 gemeinsam mit Manuel Gulde ausgewechselt wurde. Selbst wenn, wie Patrick erläutert, unter Streich wegen des intensiven Spiels gegen den Ball nur wenige Offensivspieler über 90 Minuten auf dem Platz stehen, wurde in der vergangenen Saison deutlich dass er in Freiburg mehr und mehr auf dem Abstellgleis landete. Patrick zufolge hätten ihn Doan und Gregoritsch leistungsmäßig überholt und in den wenigen und kurzen Einsätzen konnte er seine Form nicht konstant abrufen, so dass ein Wechsel vom Europapokal- zum Relegationsteilnehmer (where did it all go wrong?) für ihn auch mehr Spielzeit bedeuten dürfte.
Auch im koreanischen Nationalteam ist Jeong trotz seiner zehn Einsätze in den letzten zehn Jahren und der Nominierung für den WM-Kader im vergangenen Winter eher Einwechselspieler. Er traf, nachdem er alle Nachwuchsmannschaften durchlaufen hatte, 2021 in der asiatischen WM-Qualifikation gegen den Irak in seinem ersten Pflichtspiel 13 Minuten nach seiner Einwechslung zum 3:0‑Endstand, ein weiteres Mal in einem Freundschaftsspiel 2022 gegen Paraguay. Bei der WM in Katar wurde er im Gruppenspiel gegen Ghana, einer 2:3‑Niederlage, zur Halbzeit eingewechselt, ohne großen Einfluss auf das Spiel genommen zu haben. Generell sei die koreanische Nationalmannschaft, die im letzten Jahr zum ersten Mal seit 2010 und überhaupt erst zum dritten Mal die Gruppenphase eine Endrunde überstanden habe, gerade in einer guten Form, mit vielen Spielern Mitte 20, die in Europa spielten und vielen nachrückenden Talenten. Michael zufolge stehe die Nationalmannschaft kurz vor ihrer erfolgreichsten Ära. Damit Jeong ein Teil dieses Teams sein kann müsse er seine Form in Stuttgart wieder verbessern.
Hängende Spitze mit Raumgefühl
Interessant ist dabei natürlich aus unserer Sicht, wie er dem VfB — und damit sich selbst — helfen kann in der kommenden Saison. Patrick zufolge kann Jeong in der Offensive fast alle Positionen spielen, abgesehen von der klassischen Neun, für die er mit 1,79m nicht physisch stark genug sei. Normalerweise spiele er daher hinter einem solchen Stoßstürmer oder auf einem der beiden Flügel, wobei Patrick ihn in seiner besten Rolle als Mann hinter der Spitze sieht. Das sieht auch Martin so, der davon abrät “ihn durch die Außenlinie in seinem Bewegungsradius zu bremsen”. Michael beschreibt ein ähnliches Positionsprofil, sieht ihn allerdings doch auf dem linken Flügel stärker, aber das liegt sicherlich auch am Rest des jeweiligen Teams. Als linker Außenstürmer wäre auf jeden Fall sein stärkerer rechter Fuß eine Besonderheit.
Wo auch immer man ihn einsetzt: Patrick zufolge “gibt es kaum einen Spieler in der Liga, der so ein gutes Gefühl für Räume hat”. Streich setze ihn häufig als freien Spieler ein, der in Ballnähe eine Überzahl schaffe und damit Durchbrüche und Konter ermögliche. Auch gegen den Ball habe Jeong ein gutes Raumgefühl. Ähnliches kann auch Michael vom Nationalteam berichten, der auch dessen Tempo hervorhebt. Sein Abschluss, egal mit welchem Fuß oder dem Kopf, sei stark — ja, wissen wir seit letzter Saison — aber zu inkonstant. Denn Jeong habe im letzten Drittel häufig ein Problem mit der Entscheidungsfindung, spiele nicht den richtigen Pass oder verpasse den richtigen Zeitpunkt für den Abschluss. Ein Problem, unter dem der VfB bereits in den vergangenen Jahren litt. Die fehlende Körperlichkeit werde ihm dann in Offensivaktionen zum Verhängnis. Laut Michael habe er auch Probleme, wenn es darum ginge, den Ball mit dem Rücken zum Tor anzunehmen und weiter zu verarbeiten oder sich auf dem Flügel im Dribbling durchzusetzen. Patrick traut ihm, beziehungsweise seinem alten und neuen Trainer aber zu, diese Probleme zu lösen, denn habe er “das Potenzial durch die Decke zu gehen”. Das deutet bereits an, dass Jeong nun auch nicht unbedingt jemand ist, der die Mannschaft aus einem ihrer Wellentäler tragen kann.
Daumen drücken im Herbst
Wenn Jeong viele Einsatzminuten hatte, habe er in der Vergangenheit eine größere Konstanz in seinen Leistungen gezeigt, erklärt Patrick. Wenn er an die Form seiner stärksten Zeit in Freiburg wieder anknüpfen könne, sei er ein überdurchschnittlicher Bundesliga-Spieler und definitiv eine Verstärkung für den VfB. Bevor wir uns anschauen, welche Rolle Jeong beim VfB spielen kann, zunächst ein Wermutstropfen: Wie mir auffiel, spielte er im Juni nicht mehr für die A‑Nationalmannschaft, sondern für die U23. Das, so Michael, sei aber keine Strafversetzung gewesen, sondern habe der Vorbereitung auf die Asienspiele gedient. Diese sind wie die olympischen Spiele des Kontinents und finden jeweils zwei Jahre nach, beziehungsweise vor den olympischen Sommerspielen statt, dieses Jahr von 23. September bis 8. Oktober im chinesischen Hangzhou. Michael geht davon aus, dass Jeong sich eine Teilnahme an den Asienspielen vertraglich hat garantieren lassen, da hier nicht die Abstellpflicht der FIFA gilt. Sollte er sich nicht verletzen, wird er also auf jeden Fall die Spiele gegen Darmstadt, Köln und Wolfsburg verpassen. Das kann allerdings langfristig auch von Vorteil sein, sollte die koreanische Nationalmannschaft mit Jeong nämlich die Goldmedaille des Fußballturniers gewinnen.
Das hätte nämlich zufolge, dasss Jeong vom längeren verpflichtenden Militärdienst ausgenommen würde, den jeder Koreaner bis zu seinem 28. Geburtstag für 18 bis 21 Monate absolvieren muss. Er wird im September bereits 24 und hat beim VfB einen Vertrag bis 2026 unterschrieben — heute in drei Jahren wäre er 26 und müsste dann nach Korea zurückkehren und diesen Militärdienst ableisten. Die meisten Profifußballer würden das beim Zweitligisten Gimcheon Sangmu, der dem Militär untersteht ableisten. Es sei denn, sie gewinnen die Asienspiele oder eine Medaille bei Olympia. In diesem Fall würde Jeong, so Michael, definitiv auch auf Freigabe für die Spiele im kommenden Jahr in Paris bestehen. Hintergrund dieser Verpflichtung ist übrigens, dass sich Südkorea offiziell immer noch im Kriegszustand mit dem nördlichen Nachbarn befindet und derzeit “nur” Waffenstillstand herrscht. Drücken wir Jeong also im Herbst die Daumen, damit er im besten Falle auch nach 2026 noch das VfB-Trikot trägt.
Mehr Lösungen durch die Mitte
Kurzfristig wird er sicherlich vor allem Chris Führich auf der linken Halbstürmer-Position herausfordern, ähnlich wie Tiago Tomás. Klar ist, dass ein Spieler, der ein definitives Upgrade zu Führich darstellen würde, wahrscheinlich nicht zum VfB käme. Während Mittelstädt ein Spieler ist, der beim VfB vor allem die Chance sieht, weiterhin Bundesliga zu spielen, geht es für Jeong darum, sich in der Liga als Stammspieler zu etablieren. Und das, wie Martin anmerkt, bei einem Team, das anders als Bayern II und Freiburg nicht gerade auf der Erfolgswelle surft. Dabei bringt er zunächst etwas mehr Erfahrung auf einem höheren Level mit als Führich, der ja aus der zweiten Liga kam, hat aber in seinem Spiel mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Frage ist, welchen Unterschied Sebastian Hoeneß bei beiden Spielern machen kann und wie sich Enzo Millot weiterentwickelt. Im besten Fall entwickelt sich auf den Positionen hinter Guirassy oder einem neuen Stoßstürmer ein interessanter Zweikampf junger talentierter Spieler, die den nächsten Schritt machen wollen. Positiv sei auch, so Martin, dass Jeong und Hoeneß wissen, was sie voneinander erwarten können. Klar ist aber auch, dass der VfB auf dieser Position Lösungen finden muss. Diese können nicht nur aus Hereingaben von Vagnoman oder Sosa bestehen, sondern müssen auch und viel häufiger über die Mitte gefunden werden.
Zu guter letzt empfiehlt uns Patrick noch, was ihr wahrscheinlich mittlerweile eh alle tut: Jeong auf Instagram zu folgen. Der Grund ist sein in der Tat sehr putziger Hund Boobie.
Titelbild: © Martin Rose/Getty Images
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