Der VfB verliert das erste Spiel seit der Rückkehr in die Bundesliga mit 0:2 in Berlin. Ärgerlich, aber insgesamt kein Beinbruch. Wenn man die richtige Perspektive beibehält.
Eine Niederlage in Berlin ist nie schön. Nicht nur, dass der VfB dort traditionell schlecht aussieht und das Verhältnis zur Hertha wegen deren Beziehungen nach Baden sowieso angespannt sind. Seit ein paar Jahren muss man auch noch zuschauen, wie ein bei uns im Abstiegskampf zum Sündenbock deklarierter Vedad Ibisevic dort gar nicht so schlecht ist, wie man es ihm in Stuttgart zuletzt nachsagte. Immerhin wird jetzt ein Teil seines Gehalts nicht mehr von Stefan Heim überwiesen. Wenn dann noch die Defensive zwar eigentlich sicher steht, in den entscheidenden Momenten aber pennt und in der Offensive nichts gelingen will, könnte man glatt direkt im Abstiegskampf-Blues versinken.
Kann man, muss man aber nicht, meine ich. Nicht falsch verstehen: Diese ganze Saison wird zehn Monate währender Abstiegskampf, der hoffentlich nicht erst in München endet, sondern davor und zwar erfolgreich. Doch gerade weil es ein langer, schwerer Kampf wird, dürfen wir, wie ich schon letzte Woche nach dem Pokalspiel in Cottbus schrieb, jetzt die Flinte noch lange nicht ins Korn werfen. Ja, ich weiß, Phrasenschwein. Aber diese Niederlage in Berlin ist anders als frühere Pleiten in der Hauptstadt.
Armes Phrasenschwein
Warum? Weil der VfB im August 2017 nicht mehr der VfB im August 2015 ist. Wir sind abgestiegen, haben unsere Pflicht erfüllt (!) und sind wieder aufgestiegen. Die ganzen Siege, die schönen Erinnerungen an die zweite Liga zählen nichts mehr. Der VfB tritt in dieser Saison nicht als der etablierte Bundesligist an, der wir in den ganzen letzten Jahren waren, sondern als Aufsteiger. Und Aufsteiger müssen sich vom Selbstverständnis erstmal hintenan stellen und kleine Brötchen backen. Ich weiß, die Sau platzt gleich, aber manchmal muss man Plattitüden verwenden, um etwas zu verdeutlichen.
Wir können einfach aktuell nicht mehr nach Berlin fahren und einfach davon ausgehen, dass da schon ein oder drei Punkte für uns abfallen sollte. Die Hertha ist in der letzten Saison auf Platz 6 eingelaufen, also mindestens da, wo sich Wolfgang Dietrichs Träume abspielen. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass man in Berlin nach Platz 7 im Vorjahr schon da ist, wo der VfB in drei bis vier Jahren sein will. Aus dieser Perspektive ist eine Niederlage in Berlin zwar ärgerlich, aber nicht unvermeidbar und schon gar keine Katastrophe.
Überraschend stabil
So weit zur Einordnung des Spiels. Ich schreibe auch deswegen so viel über meine Perspektive auf das Spiel, weil ich es — was selten, aber doch unvermeidlicherweise immer mal wieder vorkommt — nicht komplett, sondern nur in der Zusammenfassung gesehen habe. Würde ich es anders bewerten, wenn ich nicht nur den Ticker gelesen hätte? Ich glaube nicht. Schließlich ändert sich nichts an der geradezu absurden Verletzungsserie vor diesem Spiel. Daniel Ginczek mit dem nächsten Eintrag in seiner Krankenakte, Timo Baumgartl, dem immer noch so der Kopf brummt, dass er nicht spielen kann. Dazu der sowieso schon eine Weile verletzte Emiliano Insua.
Dass die vier Abwehrspieler, die beim Anpfiff auf dem Feld standen — Zimmermann auf rechts, Pavard und Kaminski innen und Ailton auf links — dann doch nicht komplett untergingen, hat mich ehrlich gesagt überrascht und auch zu meinem Fazit verleitet:
Ohne das Spiel gesehen zu haben, hält sich meine Enttäuschung in Grenzen. Dieses Jahr wird verdammt schwer, immerhin keine Klatsche. #BSCVfB
— Lennart Sauerwald (@l_sauerwald) 19. August 2017
Damit will ich natürlich nicht schönreden, wie unfassbar einfach sich Ailton beim 0:1 von Mathew Leckie durch einen simplen Haken austricksen ließ. Oder wie unfassbar frei ebenjener Leckie beim 0:2 nach einer Ecke zum Kopfball Schuss kam. Und wie unfassbar ineffektiv der VfB im Offensivspiel war. Aber die andere Seite der Medaille (zack, da ist es hinüber das Phrasenschwein) ist eben auch, dass Ailton nicht als Stamm-Linksverteidiger, sondern als Backup für Insua geholt wurde. Dass ein Asano nicht mehr wie in der zweiten Liga zehn Chancen für ein Tor braucht, sondern eben zwanzig. Und dass ein Simon Terodde halt auch nicht wirklich viel Erfahrung im Umgang mit Bundesliga-Verteidigern hat.
Die Richtung stimmt
Hertha hat uns halt einfach die Grenzen aufgezeigt, die diese Mannschaft trotz des dicken Portemonnaies der AG momentan noch hat. Gegen einen solchen Gegner muss schon sehr viel zusammen laufen, damit es mit einem Punktgewinn klappt. Und daran, dass mehr zusammen läuft, muss diese Mannschaft weiterhin arbeiten. Bereits gegen Cottbus fiel auf, wie wenig der Brustring-Offensive einfiel. Das war schon in der zweiten Liga mitunter ein Problem, aber vor allem dann, wenn sich der Gegner hinten reinstellte. Das taten die Berliner nicht, aber sie waren trotzdem effektiv genug, um gegen den VfB zu null zu spielen. Außerdem legten sie sich nicht so ein herzzerreißend dusseliges Eigentor rein wie Cottbus.
Warum hält sich also meine Enttäuschung in Grenzen? Weil ich mit nicht weniger als einer Niederlage in Berlin gerechnet habe. Weil mich optimistisch macht, dass die Mannschaft eben nicht völlig untergegangen ist. Weil ich Vertrauen in die im Sommer getätigten Transfers und in Hannes Wolf habe. Beide sind nicht ausnahmslos fehlerfrei, aber sie gehen meiner Meinung nach in die richtige, weil eine neue Richtung: Nicht mehr nur Spieler verpflichten, weil man ihre Namen mal in der Sportschau gesehen hat. Ganz ohne scheint es nicht zu gehen, sie Aogo, siehe Durm, siehe Badstuber. Nicht umsonst kursiert auf Twitter schon #Reschkerampe. Aber es sind halt auch einige Spieler dabei, die sich beim VfB weiterentwickeln können und wollen und den Verein und die Mannschaft im Zuge dieser Entwicklung mit nach oben reißen können.
Gegen Mainz den ersten Schritt zum Klassenerhalt
Im Heimspiel gegen Mainz, die in der letzten Saison auch lange gegen den Abstieg kämpften und eher ein Gegner auf Augenhöhe sind, sollten diese positiven Ansätze jetzt aber dann auch ein erstes Mal Früchte tragen. Ob es für einen Sieg reicht und ob man diesen erwarten sollte — ich weiß es nicht. Sicherlich ist jeder Punktverlust ärgerlich, da er uns auf dem Weg zum Klassenerhalt zurück wirft. Aber die Mannschaft muss sich offensichtlich noch in der Bundesliga zurechtfinden, gerade die neu verpflichteten Aogo und Badstuber werden wohl erst nach der Länderspielpause im neuen Monat von Beginn an spielen. Genau das, will ich aber sehen: Dass die Mannschaft sich mit jedem Spiel weiterentwickelt und den Kampf um die Liga in jedem Spiel annimmt.
Denn nochmal: Um nichts anderes geht es in der Saison. In der Liga bleiben, das noch schwerere zweite Jahr überstehen und erstmal für die nächsten mindestens 40 Jahre nicht mehr absteigen. Deswegen wirft mich und hoffentlich auch die Mannschaft eine Niederlage in Berlin nicht um. Wir fangen wieder von vorne an.
Von Groupies und Ultras
Zwei Sachen noch: Ich weiß, man sollte nicht zu viel Zeit in Facebook-Gruppen verbringen, aber das Niveau, auf dem derzeit die Torhüter-Diskussion beim VfB geführt wird, ist echt erschreckend. Da werden Ron-Robert Zieler ernsthaft die beiden Gegentore in Berlin zur Last gelegt, allein aus dem Grund, weil er sich im sportlichen Wettstreit in den Augen des Trainers gegenüber seinem Konkurrenten durchgesetzt hat. Zielers Verbrechen: Sein Konkurrent ist Publikumsliebling, weil er Teil einer Mannschaft ist, die in den Augen mancher Fans etwas schier übermenschliches geleistet hat: Den direkten Wiederaufstieg in die erste Liga. Angeblich soll es ja in Cottbus sogar “Zieler raus”-Rufe gegeben haben. Das erinnert mich fatal an sowas:
Der VfB ist zwar keine Popband, aber auch hier gilt: Hannes Wolf hat sich für Zieler entschieden, weil er ihn für den besseren Torwart hält. Es geht nicht darum, wer süßer lächelt oder wer in einer anderen Liga im Tor stand. Es geht einzig um das hier und jetzt. Und da steht Zieler im Tor. Punkt.
Um positiv aufzuhören: Die derzeit vorherrschende Kritik am Deutschen Fußballbund mag zwar sprachlich etwas platt sein, ist aber inhaltlich durchaus berechtigt (hierzu sehr lesenswert der Artikel von Christian Spiller in der ZEIT). Schön zu sehen, dass es die Ultra-Szene jetzt auch mal geschafft hat, dass zwei Fangruppen, die sich eigentlich spinnefeind sind, zwei offensichtlich auf irgendeine Art und Weise aufeinander abgestimmte Spruchbänder zu präsentieren:
Über die Wortwahl kann man wie gesagt streiten, positiv ist aber, dass Fans es jetzt schaffen, an einem Strang zu ziehen und sich nicht aufgrund von Rivalitäten ins eigene Fleisch schneiden. Warum die Kritik am DFB nicht nur von Ultras ausgehen sollte, hat das Commando Cannstatt meiner Meinung nach sehr schlüssig aufgeschrieben. Ob das ganze bei der Karawane Cannstatt wirklich so rüberkommen wird, glaube ich allerdings nicht, zumindest nicht in der breiten Masse.