Knapp drei Monate, nachdem der Vorstand der VfB AG um Alexander Wehrle dem zerstrittenen Aufsichtsrat eine “gremienübergreifende Arbeitsgruppe zur Klärung der Frage des Aufsichtsratsvorsitzes” vorgeschlagen hat, präsentierte diese am Dienstag das Ergebnis ihrer drei Sitzungen. Das aber lässt mehr Fragen offen, als es beantwortet. Und es sind nicht die einzigen.
Man muss den Vorständen Alexander Wehrle, Rouven Kasper und Thomas Ignatzi immerhin eines zugute halten: In einer Phase, als andere Gremien es vorzogen, in einer Schlammschlacht zu versinken und dabei viele Regeln eines respektvollen Umgangs zu ignorieren, war der Vorschlag, einen Arbeitskreis zu gründen, noch der zielführendste. Dass man damit aber den Bock zum Gärtner machte, erkannte der Fanausschuss als Erstes und sollte am Ende damit Recht behalten, sich an dieser Arbeitsgruppe nicht zu beteiligen. Denn abgesehen von der Frage, welche Stakeholder der VfB-Freundeskreis in dieser Arbeitsgruppe repräsentiert, war es ja nicht zuletzt der Vorstand, der mit Porsche Verhandlungen über einen Einstieg und dessen Konditionen führte. Dass Alexander Wehrle und Rouven Kasper nicht nur über die Forderung Porsches Bescheid gewusst haben müssen, sondern wenig später in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung als Reaktion auf dessen Rundumschlag kein gutes Haar an Claus Vogt ließen, zeigt, dass sie für die Rolle als Vermittler in diesem Konflikt nicht geeignet waren.
Dementsprechend enttäuschend fallen auch die am Dienstag präsentierten Ergebnisse der Arbeitsgruppe aus, der neben Wehrle Markus Scheurer und Manfred Boschatzke vom Freundeskreis und in Scheurers Fall auch der Satzungskommission, die Vereinsbeiräte Bernadette Martini und Rainer Weninger sowie die Aufsichtsräte Claus Vogt, Tanja Gönner und Rainer Adrion angehörten. Letzterer bereitete zuletzt schon kommunikativ den Boden, indem er sowohl im Interview bei VfB STR als auch in der Stuttgarter Zeitung nicht nur dafür plädierte, Vergangenes vergangen sein zu lassen und sich auf die Zukunft zu fokussieren, sondern auch den Inhalt des sogenannten Ausgliederungsversprechens verwässerte. Denn auch wenn dieses — ja, wir wissen es — rechtlich nicht bindend ist, war nie davon die Rede, dass irgendein Präsidiumsmitglied den Aufsichtsratsvorsitz stellt, sondern ein bestimmtes: Der Präsident. Und das war nicht nur bis Anfang dieses Jahres gängige Praxis sondern ist nach meinem Verständnis auch alternativlos. Denn der Präsident des eingetragenen Vereins, ob er Wolfgang Dietrich heißt oder Claus Vogt, ist der höchste Repräsentant der Mitglieder und sollte dementsprechend auch das höchste Amt in der vereinseigenen AG bekleiden. Das wurde nicht nur so gelebt, es wurde auch nie explizit infrage gestellt. Bis es um den Einstieg von Porsche ging, Christian Riethmüller genau diese Frage stellte und man sich gegen eine offene Diskussion mit den Mitgliedern und für zweifelhafte Hinterzimmer-Deals entschied.
Die Geschichte neu erzählen
Was Adrion bereits mehrfach versuchte zu suggerieren, will die Arbeitsgruppe jetzt in möglichst verbindlicher Form in die Satzung schreiben:
Aussagen von VfB-Offiziellen vor oder nach der Mitgliederversammlung zur Ausgliederung 2017, wonach der Präsident oder ein Mitglied des Präsidiums immer den Aufsichtsratsvorsitz innehaben sollen, können aufgrund der Rechtslage für den unabhängigen Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft grundsätzlich rechtlich nicht bindend sein. Unabhängig hiervon bekannten sich damals und bekennen sich heute alle Gremienvertreter im Verein und in der AG zu der Zusage, dass stets ein gewähltes Mitglied des Präsidiums den Vorsitz bekleiden solle. Diese Zusage soll dauerhaft in der Vereinssatzung fixiert werden, um damit eine Verankerung dieses Leitgedankens zu schaffen.
Mit anderen Worten: Man ist sich bewusst, dass es eine wie auch immer geartete Zusage gab und dass man diese wissentlich mit der Wahl Tanja Gönners zur Aufsichtsratsvorsitzenden gebrochen hat. Dann aber interpretiert man diese Zusage entgegen teilweise belegbarer Aussagen — von Bernd Gaiser -, entgegen der gelebten Praxis und entgegen der oben angesprochenen für mich logischen Doppelfunktion des Präsidenten, entsprechend der eigenen Interessen neu. Und schließlich will man diese Neuinterpretation den Mitgliedern als Satzungsänderung vorschlagen, und zwar nicht nur als Leitsatz, sondern als moralische (Selbst-) Verpflichtung:
Der Aufsichtsrat hat über seine Vertreter in der Arbeitsgruppe seine Haltung bestätigt, dass der Vorsitz des Aufsichtsrates perspektivisch wieder an ein Mitglied des Präsidiums übergehen soll, das durch die Wahl auf der Mitgliederversammlung von den VfB-Mitgliedern legitimiert worden ist.
Neben der nicht ganz sachlichen Zwischenfrage, ob ihr mich eigentlich veräppeln wollt, stellen sich für mich hier noch eine ganze Reihe weiterer Fragen. Zuvorderst: Für diese “Lösung” habt Ihr drei Monate und drei Sitzungen gebraucht? Wenn sich alle so einig sind, wo lag das Problem? Musste man etwa den Vertretern des Aufsichtsrat die eben zitierte Selbstverpflichtung erst abringen? Schließlich wissen wir seit dem Bericht des Business Insiders — und nach einem Copy & Paste-Selbstversuch mit einem amateurhaft geschwärzten PDF — dass Porsche den Vorsitz wohl für sich selber beanspruchte. Oder war man sich am Ende gar nicht so einig, wenn Vogt wie vom Kicker berichtet, die Erklärung nicht unterschrieb?Warum verdreht man früher gemachte Zusagen und einigt sich nicht darauf, dass auch in Zukunft der Präsident den Aufsichtsratsvorsitz innehat? Und: Was bedeutet “perspektivisch”? Nach der nächsten Neuwahl des Präsidiums? Oder erst dann, wenn der Aufsichtsrat ein von den Mitgliedern gewähltes Präsidiumsmitglied für würdig erachtet?
Was passierte im Aufsichtsrat?
Der einzige sinnvolle und nachvollziehbare Vorschlag des Arbeitskreises ist der, dass alle drei Präsidiumsmitglieder geborene Mitglieder des Aufsichtsrats sind, also nach meinem Verständnis qua Amt und nicht per Wahl durch die Hauptversammlung der AG. Das umfasst automatisch auch den Präsidenten und korrigiert damit immerhin einen der vielen Fehler der Ausgliederung, den sogar der HSV (!) seinerzeit vermied. Der Hinweis, “die 50+1‑Regelung ist beim VfB Stuttgart formal vollumfänglich gewahrt, da der VfB e.V. als Hauptanteilseigner zu jedem Zeitpunkt über die Einberufung einer AG-Hauptversammlung die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats ändern kann”, ist hingegen so überflüssig wie in seiner Formulierung ungewollt entlarvend. Denn an der formalen Stimmenmehrheit des e.V. in der Hauptversammlung zweifelt niemand. Eine von vielen Fragen ist aber, welche informellen Hebel Minderheitseigner der AG haben.
Die Antworten könnte vor allem der Aufsichtsrat liefern, der ja schließlich die Keimzelle der aktuellen Diskussion ist. Bloß, wer? Die Aufsichtsratsvorsitzende Tanja Gönner, die nach ihrer Wahl “allen Mitgliedern [versicherte], in engem Austausch mit ihnen die Interessen des Vereins bei allen wichtigen Entscheidungen zu vertreten”, deren Austausch mit den Mitgliedern sich aber bislang öffentlich wahrnehmbar auf Interviews mit der Lokalzeitung und dem Boulevard beschränkte? Der zurückgetretene Christian Riethmüller, der seine Rücktrittserklärung nutze, um sich zum Kämpfer gegen Windmühlen zu stilisieren? Aufsichtsrat Rainer Adrion, der bei wichtigen Entscheidungen scheinbar nie so wirklich dabei war? Oder am Ende gar Claus Vogt, der Anfang Mai “sein Schweigen brach”, wie es die Stuttgarter Zeitung titelte, aber nur um zu sagen, dass man “Verschiedenes anpassen, korrigieren, hinterfragen und auf den Prüfstand stellen” wolle, dass der VfB wieder da sei, wo er hingehört und dass sein Ziel sei, dass “unsere Mitglieder transparent alles erfahren”. Achja und dass dafür ein “Dunkelroter Tisch” denkbar sei.
Wer sitzt am Dunkelroten Tisch?
Die Einladung, pardon, die Anmeldung dafür wurde Ende Mai verschickt, zusammen mit einem Überblick der Themen, die dort angesprochen werden sollen. Man liest und staune: Am kommenden Dienstagabend ab 18 Uhr sollen sich nicht nur die Kandidaten für die Nachfolge von Christian Riethmüller als Präsidiumsmitglied vorstellen, was schon die Frage aufwirft, ob alle Bewerber sich vorstellen, oder ob der Vereinsbeirat bis dahin noch eine Auswahl trifft. Nein, die Satzungskommission möchte zudem noch ihre Vorschläge zur Auflösung von Zirkelbezügen in der Satzung vorstellen, die sie der Mitgliederversammlung am 28. Juli zur Abstimmung vorschlagen will. Und schließlich wollen Claus Vogt und Adrion noch zu aktuellen Themen Stellung beziehen. Eine sportliche Tagesordnung, wenn der Dunkelrote Tisch nicht gleich so lange dauern soll wie eine Mitgliederversammlung. Warum man die für die Mitgliederversammlung sinnvollen und notwendigen ersten beiden Themen nicht an einem separaten Termin behandelt, erschließt sich mir genauso wenig, wie die Wahl des Format an sich für das letzte Thema. Denn naturgemäß können nicht alle 100.000 Mitglieder an so einer Veranstaltung teilnehmen, ja nicht einmal alle, die wollen, was auf Twitter mitunter schon zu Verschwörungstheorien führt. Die teile ich zwar nicht, aber das Misstrauen ist nachvollziehbar.
Denn die Fragen, die beim Dunkelroten Tisch hoffentlich an Vogt und Adrion gestellt werden, bedürfen einer öffentlichen Antwort, auch wenn Vogt diese gerne “persönlich, ehrlich und direkt” geben möchte. Man kann dem VfB nur raten, diese Veranstaltung zu streamen. Denn so sehr ich es schätze, miteinander statt übereinander zu reden, sind wir längst an einem Punkt angelangt, an dem nicht das Losglück darüber entscheiden sollte, wer vom Präsidenten und dessen Vize persönliche, ehrliche und direkte Antworten auf dringende Fragen erhält. Die ich an dieser Stelle gerne noch einmal wiederhole und an Präsidium, Aufsichtsrat und Vorstand richte:
- Seit wann bestehen Überlegungen, den Aufsichtsratsvorsitz vom Präsidentenamt zu trennen?
- Warum wurden solche Überlegungen nie öffentlich mit den Mitgliedern erörtert?
- Seit wann wusste der Vorstand von der Forderung Porsches, den Aufsichtsratsvorsitz neu zu besetzen?
- Warum wurde diese Forderung nicht öffentlich kommuniziert?
- War die Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes seitens Porsche eine Voraussetzung für deren Einstieg?
- Wann wurde den Aufsichtsratsmitgliedern, die über den Vorsitz entscheiden, diese Bedingung offenbart?
- Wie lange hatten die Aufsichtsratsmitglieder, um sich darüber eine Meinung zu bilden?
- Gab es seitens der Aufsichtsratsmitglieder und insbesondere seitens der von den Mitgliedern gewählten Präsidiumsmitglieder eine Absichtserklärung, den Aufsichtsratsvorsitz neu zu besetzen?
- Gab es seitens Claus Vogt eine Absichtserklärung, die von den anderen abwich und in welcher Form?
- Warum orientierten sich die gewählten Präsidiumsmitglieder im Aufsichtsrat mutmaßlich an der Entscheidung des Präsidenten und nicht an ihrer eigenen Verantwortung gegenüber den Mitgliedern?
- Warum lehnte man seitens der Präsidiumsmitglieder des Aufsichtsrats sowie der vom e.V: entsandten Aufsichtratsmitglieder die Forderung Porsches nicht ab, wenn man doch offensichtlich wusste, dass das weder mit den Mitgliedern erörtert wurde, noch deren Erwartungshaltung entsprach?
- Warum wurde diese Thematik von keinem der Beteiligten vor den Medienberichten zur Klausurtagung in Freiburg Anfang Februar öffentlich gemacht?
- Gab es seitens Porsche die Forderung, selber den Aufsichtsratsvorsitz zu stellen und wie wurde darauf seitens Präsidium und Aufsichtsrat reagiert?
- Warum unterschreibt man eine Absichtserklärung, wenn man nicht gedenkt, sich an diese zu halten, selbst wenn sie nicht rechtlich bindend ist?
- Warum ist man bei allen inhaltlichen Differenzen nicht in der Lage, in der öffentlichen Auseinandersetzung ein Mindestmaß an Anstand im Umgang miteinander zu wahren?
- Warum sollte man als Vereinsmitglied den Gremien des Vereins noch vertrauen?
Gerade die letzte Frage sollte jedem zu Denken geben, der immer wieder für sich Anspruch nimmt “im Sinne unseres VfB zu handeln”. Der Vertrauensvorschuss, der nach der Amtszeit von Wolfgang Dietrich langsam wieder aufgebaut wurde und ebenso langsam wieder erodierte, ist in den letzten fünf Monaten erdrutschartig verloren gegangen. Und weder in der Satzung verankerte Märchen noch exklusive Frage-und-Antwort-Runden helfen dabei, dieses Vertrauen wieder aufzubauen.
Titelbild: © THOMAS KIENZLE/AFP /AFP via Getty Images
Dein Verweis auf den HSV ist lustig, weil die gerade die Personalunion aus Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitz beerdigt haben. Lief auch bei denen wohl nicht so gut.
Inwiefern ist der Aufsichtsratsvorsitzende das höchste Amt der AG? Das ist nach meinem Verständnis immernoch der Vorstandsvorsitzende und der letzte, der eine Personalunion in diesen beiden Ämtern erreichen wollte, wurde mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.
Die Aufgaben des e.V.-Präsidenten und des AG-Aufsichtsratsvorsitzenden sind ja auch recht unterschiedlich. Von daher sehe ich die Position der Mitglieder bei der Möglichkeit einer Ämtertrennung sogar gestärkt, weil sie die jeweiligen besten Optionen auswählen können. Und zu viel Macht einer einzelnen Person hat dem VfB selten gut getan, egal ob das jetzt Dietrich oder Vogt war.
Hallo Bernd,
ich bin ja auch nicht der Meinung, dass der HSV uns in jeglicher Hinsicht ein Vorbild sein sollte. Dass der Präsident geborenes Mitglied des AR sein sollte, hatten sie uns allerdings voraus. Klar, auf der operativen Ebene ist der Vorstandsvorsitzende das höchste Amt in der AG. Aber auch der ist dem Aufsichtsrat Rechenschaft schuldig und kann von diesem abberufen werden. Über die Trennung der Ämter zu diskutieren ist ja grundsätzlich legitim, auch wenn ich es inhaltlich anders sehe. Ich erwarte dann aber eine ehrliche Diskussion mit den Mitgliedern, die es bisher anders kannten und gewohnt waren. Stattdessen vollzieht man diese Trennung mutmaßlich unter dem Druck eines Investors und redet nicht mal anschließend drüber. Das ist das, was mich ärgert.
Viele Grüße, Lennart
Hallo,
ich frage mich, warum nicht alle Personen die für den e.V. in den Aufsichtsrat kommen, auch von den Mitgliedern gewählt werden?
Habt Ihr hier eine Info dazu?
Viele Grüße Peter
Hallo Peter,
formal entsendet das Präsidium als Vertretung des e.V. in der Hauptversammlung der AG die Leute in den AR. Ausnahme eben die geborenen Mitglieder. Man müsste also die anderen vom e.V entsandten Mitglieder vermutlich auch in ein Amt wählen.
Viele Grüße, Lennart