Nicht nur der Start in den Pokal, auch der Auftakt in der Bundesliga gelingt dem VfB auf furiose Weise. Nach dem fulminanten 5:1 gegen Fürth grüßt der Brustring von ganz oben. Aber auch dort fällt ein wenig Schatten.
Gegen Fürth, so schrieb ich vor etwa einer Woche, würden “andere Lösungen mit anderen Spielern gefragt sein” als beim 6:0‑Kantersieg gegen den viertklassigen BFC Dynamo im Pokal. Was die Spieler anging, sollte ich teilweise recht behalten, die Lösungen waren jedoch am ersten Bundesliga-Spieltag fast die gleichen: cleveres Kombinationsspiel, hohe Flanken vors Tor und ganz allgemein der unermüdliche Vorwärtsdrang der Brustring-Mannschaft gegen einen zeitweise völlig überforderten Gegner. Und das sagt über den Bundesliga-Aufsteiger mehr aus als über den damaligen Tabellenführer der Regionalliga Nordost.
Natürlich müssen wir über Hamadi Al Ghaddiouis erstes Bundesliga-Tor reden. Oder darüber, dass Marc-Oliver Kempf meinetwegen 2022 ablösefrei gehen kann, wenn er weiter so knipst. In der Hoffnung, dass uns Borna Sosa nicht schon vorher geklaut wird. Über Wataru Endo, der mal eben direkt von Olympia zurück gekehrt den VfB mit einem eleganten Lupfer auf die Siegerstraße bringt. Oder Philipp Förster und Teto Klimowicz, denen ein Treffer zwar versagt blieb, die aber im richtigen Moment den richtigen Gedanken hatten, ebenso wie Roberto Massimo, der aber immer wieder knapp scheiterte. Und ja, auch über Mo Sankoh.
Völlig überfordert
Zunächst aber zum Gegner. Denn nach einer Bundesliga-Saison, in der die meisten Mannschaften dem VfB genug Möglichkeiten boten, zum Torschuss zu kommen, traf man mit Fürth auf eine Mannschaft, die zwar nicht so zerstörerisch daher kommt wie viele andere Zweitligisten, aber trotzdem kompakt steht und immer wieder auf lange Bälle hinter die aufgerückte Dreierreihe spekuliert. Das ist ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz für einen Aufsteiger, allein: auf dem Platz kam er nicht zum Tragen. Denn den Fürthern gelang vor der Pause nur ein Schuss aufs Tor. Da stand es aber schon 2:0 für den VfB, weil die Spielvereinigung es nicht nur versäumte, den Rückraum vernünftig zu verteidigen, sondern auch im Rücken der letzten Abwehrreihe unachtsam war. So konnte Förster Endo durch eine bemerkenswerte Reaktionsschnelligkeit in Szene setzen, während Klimowicz’ Pass auf Klement schon fast aufreizend lässig war. Zumal Al Ghaddioui im Vorlauf zu dieser Szene ähnlich frei zum Abschluss kam.
Und auch in der zweiten Halbzeit bekam man nicht das Gefühl, dass Stefan Leitl seinen Spielern zur Vorbereitung auf die Partie Szenen aus dem Pokalspiel des VfB gezeigt hatte. Schon in der ersten Hälfte hatten die Brustringträger immer wieder mit Diagonalbällen vor allem Borna Sosa gesucht. Nach der Pause, als sich der VfB davon erholt hatte, dass Dinos Mavropanos einen möglichen Anschlusstreffer der Gäste viel zu wenige Sekunden nach Wiederanpfiff von der Linie hatte kratzen müssen, fingen Sosas Flanken wieder an, in den Fürther Strafraum zu segeln. Und diesmal fanden sie auch ihr Ziel. Weil der Gegner am und im Strafraum völlig indisponiert war. Ob bei der kurzen Ecke auf Sosa, die dieser auf Kempfs Kopf schaufelte oder nach der Parade von Burchert, die der Wingback des VfB postwendend auf den Kopf von Hamadi Al Ghaddioui retournierte. Weder Kempf noch Al Ghaddioui mussten sich bei ihren Treffern großem Widerstand erwehren: Der Bundesliga-Tordebütant musste wie Endo im Frühjahr gegen Schalke kaum abspringen und bei Kempfs zweitem Treffer kam Daniel Didavi neben ihm genauso frei zum Kopfball, aber eben nicht an den Ball. Um die Dominanz des VfB an ein paar Zahlen zu verdeutlichen: 15 zu fünf Schüsse aufs Tor, nur 18 Prozent des Spielgeschehens fand im Drittel des VfB statt und nach der Pause lagen die Hausherren nicht nur nach Toren in Führung sondern mit 75 Prozent auch beim Ballbesitz.
Rinoball
Nun ist natürlich das Ausnutzen gegnerischer Fehler Grunddisziplin vieler Sportarten und gleichzeitig nur die halbe Miete, wenn man den Erfolg des VfB erklären will. Vielleicht taugt dieses Spiel auch am Besten, um sich zu vergegenwärtigen, was Pellegrino Matarazzo von Tim Walter unterscheidet. Beide sahen sich vor das Problem einer kompakten gegnerischen Defensive gestellt, die wenig zulässt, darauf baut, eine der wenigen Konterchancen zu nutzen und sich ansonsten aber auch mit einem Unentschieden zufrieden gäbe. Um so einem Gegner beizukommen, setzen beide auf Ballbesitz und Passsicherheit, aber bei Matarazzo ist beides aktiver. Während Walter darauf wartet, dass sich beim Gegner Lücken auftun, wenn die Passstaffetten und Verschiebungen seiner Mannschaft nur lange genug andauern, holt sich der VfB unter Matarazzo aktiv diese Lücken. Nicht durch Abwarten, sondern durch zielgerichtete Handlungsschnelligkeit — egal ob bei Försters Vorlage oder bei Sosas Retourflanke.
Hinzu kommt, wofür man die Mannschaft schon seit einem Jahr gebetsmühlenartig loben muss: Sie lässt nicht locker. Unerbittlich rollte ein Angriff nach dem anderen und selbst mit dem 5:1 waren die Gäste noch sehr gut bedient. Wobei der Ehrentreffer eigentlich nur daraus resultierte, dass der sich sonst ziemlich solide in die Mannschaft einführende Flo Müller beim Rauskommen etwas zu Unentschlossen war. Alles andere als Unentschlossen war sein Gegenüber im Tor der Fürther, der bei einem Angriffslauf von Mo Sankoh das machte, was alle Torhüter machen — Körperfläche vergrößern, Einschusswinkel für den Angreifer verschlechtern — und dabei den 17jährigen so unglücklich traf, dass dieser wohl für einen tragisch langen Zeitraum ausfällt. So naheliegend das Narrativ der Tretertruppe Fürth nach dem Auftritt von Holzhacker Paul Seguin im Hinspiel vor zwei Jahren ist: Es passt weder zu dieser Szene noch zum Spiel allgemein, in der auch Marc Oliver Kempf gewohnt unzimperlich zu Werke ging. Warum ein Check gegen den Kopf von Roberto Massimo hingegen folgenlos blieb, wissen wohl nur der ehemalige Linienrichter von Robert Hoyzer und Sascha “Hintertor hoch” Stegemann.
Ganz oben mit guter Aussicht
Der VfB ist nach diesem Spiel also vor allem erst mal eins:
Und zwar zum ersten Mal seit er vor ziemlich genau zehn Jahren (!) Schalke am ersten Spieltag mit 3:0 schlug. Genau genommen teilte man sich damals die Tabellenführung mit Wolfsburg, so dass die letzte “richtige” Tabellenführung eine Woche nach der Aufnahme dieses Fotos zustande kam: am 19. Mai 2007. Solch mittlerweile quasi-historischen Reminiszenzen haben natürlich genau null Aussagekraft und man sollte auch die des Spiels am Samstag angesichts des Gegners nicht überbewerten. Andererseits habe ich das auch über den BFC geschrieben und die hatten, würden diese Statistiken irgendwo zugänglich für den Pokal erhoben, mit Sicherheit einen höheren xG-Wert als die Fürther.
Viel wichtiger als solche Zahlen ist aber die Resilienz der VfB-Mannschaft, der hoffentlich auch die Verletzung von Mo Sankoh nichts anhaben kann und die durch diesen beruhigenden Auftaktsieg vor dem schweren Spiel in Leipzig vielleicht sogar gestärkt wurde. Denn es ist ja nicht so, als hätten wir die ersten elf (!) Pflichtspieltore und den höchsten Auftaktsieg der VfB-Bundesligageschichte in Bestbesetzung herausgeschossen. Sasa Kalajdzic und Silas fehlen weiterhin und Mangala-Vertreter Karazor musste bereits nach wenigen Spielminuten durch Klement ersetzt werden. Wer aber sieht, wie die Mannschaft den ob seines ersten Treffer im Oberhaus zu Tränen gerührten Hamadi Al Ghaddioui beglückwünscht oder wie Dinos Mavropanos seine Erleichterung über das vorentscheidende 3:0 von Kempf herausschreit, der weiß: Es sind erst drei Punkte von 40 und Leipzig ist in jeder Hinsicht ein anderes Kaliber, dass uns da am Freitagabend erwartet. Aber es stimmt in der Mannschaft und in der Einstellung zum Spiel — auch in der zweiten Bundesliga-Saison nach dem Wiederaufstieg. Und das bietet für die kommenden Wochen trotz der Personalsituation doch ganz sonnige Aussichten.
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