Der VfB setzt nicht wirklich auf die (eigene) Jugend: Die Verantwortlichen machen lieber ihr eigenes Ding

Trau­rig, oder? Dass nach dem Auf­stieg in die ers­te Bun­des­li­ga wie­der die­se The­men hoch­kom­men. Tja, die Außen­dar­stel­lung der Rit­ter in der glän­zen­den Rüs­tung hat gelit­ten. Tho­mas Hitzl­sper­ger und vor allem Sven Mislin­tat sind nicht mehr die Ret­ter des VfB. Um noch einen wei­te­ren abge­dro­sche­nen Spruch zu bemü­hen: Wo geho­belt wird, fal­len auch Spä­ne. Nur — müs­sen es denn so vie­le sein?


Die eigene Jugend — sträflich vernachlässigt?

Wenn Sven Mislin­tat bis jetzt immer noch nicht ver­stan­den hat, wel­chen Stel­len­wert die Jugend bei den VfB-Fans hat, dann wird es in Zukunft schwie­rig. Die bes­ten Spie­ler der U19 sind unter den VfB-Fans wohl­be­kannt. Lili­an Egloff und Luca Mack, die­se Namen kennt jede:r Stadiongänger:in. Ver­mut­lich bes­ser als Tan­guy Cou­li­ba­ly. Nun ist das per se nichts schlech­tes, jun­ge Spie­ler ein­zu­kau­fen und spie­len zu las­sen. Doch die Feh­ler­quo­te ist hier zu hoch. Denn: Wenn ich doch erfolg­rei­che und gute Spie­ler in mei­ner eige­nen Jun­gend für umme (rein aus Geschäfts­sinn gese­hen) spie­len las­sen kann, wie­so dann das Risi­ko ein­ge­hen und die­se Spie­ler woan­ders mitt­ler­wei­le recht teu­er weg­kau­fen? Die Tak­tik, jun­ge Spie­ler ein­zu­kau­fen statt hoch­zu­zie­hen anstatt sie vom eige­nen Trai­nings­platz zu neh­men, hat Sven Mislin­tat sicher nicht erfun­den, er macht damit aber mun­ter wei­ter. Das stört mich. Es erge­ben sich auch drei prak­ti­sche Pro­ble­me dadurch:

Die jun­gen Spie­ler wer­den demo­ti­viert und wech­seln den Ver­ein. Leon Daja­ku hat’s vor­ge­macht und auch ein Luca Mack, der in der gan­zen Sai­son dann doch 8 Minu­ten Spiel­zeit bekam, wird nicht ewig Geduld haben, sei er auch ein noch so gro­ßer Fan des Ver­eins. Glei­ches gilt für das Rie­sen­ta­lent Lili­an Egloff. Auch der schaff­te es bei wei­tem nicht auf ein gan­zes Sai­son­spiel, addiert man sei­ne Ein­sät­ze zusam­men. Ich weiß, dass man jun­ge Spie­ler nicht ver­hei­zen darf. Den­noch wün­sche ich mir mehr und vor allem über­zeug­te­re Ein­sät­ze der jun­gen Spie­ler. Und bei der gan­zen Dis­kus­si­on um Gre­gor Kobel: Wir haben einen exzel­len­ten Tor­hü­ter in der eige­nen Jugend, an den nicht ein­mal der Hauch eines Gedan­kens ver­wen­det wird. Ist Sebas­ti­an Hor­nung schon ein fer­ti­ger Bun­des­li­ga-Tor­hü­ter? Sicher nicht. Kann man dar­über reden, einen Tor­wart für ein, zwei Jah­re aus­zu­lei­hen und in der Zeit Hor­nung an die Mann­schaft her­an­zu­füh­ren? Ganz sicher doch. Es hat jetzt mit Kobel geklappt und sei­ne Ver­pflich­tung ist sicher wich­tig, aber auch Kobels Leis­tung war letz­tes Jahr nicht das gel­be vom Ei, wie auf die­sem Blog erst neu­lich beschrie­ben wur­de.

Jun­ge Spie­ler wech­seln nicht mehr zum VfB. Wenn die Glas­de­cke nach oben nicht durch­läs­sig ist, wie­so sein Glück beim VfB ver­su­chen und nicht zum Bei­spiel in der Jugend von Mainz, Frei­burg oder Augs­burg oder woan­ders? Das Argu­ment “wir set­zen auf die Jugend” muss auch mit Bele­gen unter­füt­tert wer­den. Tut es das zur Zeit — bezie­hungs­wei­se in den letz­ten Jah­ren? Ganz sicher nicht. Und wir sind auch ohne Jugend abge­stie­gen, schlech­ter hät­te es also kaum lau­fen kön­nen. Ganz abge­se­hen davon, dass die Geduld der Fans mit jun­gen Spie­lern expo­nen­ti­ell grö­ßer ist.

Auch hier macht das Drei­eck Hitzl­sper­ger-Mislin­tat-Mat­a­raz­zo nicht alles schlech­ter als vor­her. Wie aber der Titel des Arti­kels sagt: Es fühlt sich an, als wäre alles beim Alten. Die Ent­las­sung von Rai­ner Wid­may­er, der als exzel­len­ter (Jugend-)trainer gilt und die Schnitt­stel­le zwi­schen NLZ und ers­ter Mann­schaft bil­den soll­te — als dau­er­haf­ter Co-Trai­ner — spricht nicht dafür, dass man besag­tem Trio beson­ders ver­trau­en kann. Schon gar nicht, wenn weni­ge Tage spä­ter Mislin­tat zu Pro­to­koll gibt, dass man jetzt eine Schnitt­stel­le zwi­schen NLZ und ers­ter Mann­schaft bräuch­te.

Der VfB gibt zu viel Geld aus — unnö­tig. Jun­ge Spie­ler sind heut­zu­ta­ge nicht mehr bil­lig. Talen­te aus Argen­ti­ni­en, Spa­ni­en oder sonst­wo kos­ten viel Geld. Geld, das der VfB eigent­lich nicht hat. Ein bei der KfW über kol­por­tier­te 15 Mil­lio­nen Euro bean­trag­ter Kre­dit, der nir­gends über die offi­zi­el­len Kanä­le bekannt gege­ben wird und dar­über hin­aus Kurz­ar­beit beim eige­nen Per­so­nal, wäh­rend mun­ter gehofft wird, dass gelie­he­ne und ver­pflich­te­te Talen­te sich schon so ent­wi­ckeln, wie man das hofft, ergibt ein übles Bild. Luxus­käu­fe kön­nen sich Bay­ern und Dort­mund erlau­ben, aber nicht der VfB, der in der jüngs­ten Aus­schüt­tung der TV-Gel­der auch noch weni­ger als die Hälf­te der bei­den Teams bekommt und finan­zi­ell dank der bei­den Abstie­ge auf dem Rele­ga­ti­ons­platz ran­giert. Die Fans wür­den es den Ver­ant­wort­li­chen nicht übel neh­men, das als Anlass zu neh­men, die über­aus erfolg­rei­chen jun­gen Wil­den end­lich mal wie­der wir­beln zu las­sen.

Außerdem: Das übliche Gewurschtel um den eigenen Profit (dank konkurriender Vereine?)

Aus dem letz­ten Punkt lässt sich noch etwas ande­res ablei­ten, ein Ver­dacht, eine blo­ße Spe­ku­la­ti­on, die von Chris Prechtl unlängst sinn­ge­mäß for­mu­liert wur­de: Wie sehr kauft Mislin­tat basie­rend auf sei­ner Fir­ma Matchme­trics ein?

Zu einer kur­zen Erklä­rung: Matchme­trics ist eine Fir­ma, die unter ande­rem Sven Mislin­tat gehört und die Ana­ly­se­tools für Scou­ting bereit­stellt. Dank diver­ser Metri­ken las­sen sich Scores, also Durch­schnitts­wer­te erstel­len und die Spie­ler anhand derer ver­glei­chen. Dafür wer­den vie­le Sta­tis­ti­ken und Wer­te erho­ben und am Ende kommt für jeden Spie­ler ein Wert bzw. meh­re­re her­aus, an dem man sei­ne (pro­gnos­ti­zier­te) Qua­li­tät able­sen kann. Es gibt eini­ge Fir­men, die ähn­li­che Geschäfts­mo­del­le anbie­ten, unter Mislin­tat ist der VfB neben der Armi­nia und Lever­ku­sen (pikant) auch Kun­de für die Daten bei Matchme­trics. Nun pro­fi­tiert der VfB natür­lich, wenn Mislin­tat dank Matchme­trics viel­ver­spre­chen­de Spie­ler zum VfB holt, die sonst nie­mand auf dem Schirm hat­te. Mislin­tat pro­fi­tiert aber auch. Er ist übri­gens nicht der ein­zi­ge: Micha­el Mar­kef­ka ist Co-Foun­der und Head of Ana­ly­tics bei Matchme­trics und laut sei­nem Lin­ke­dIn-Pro­fil auch gleich­zei­tig noch Free­lan­ce Data Scout beim VfB. Ob er die zwei­te Stel­le ohne Mislin­tat hät­te? Ich wage es zu bezwei­feln. Natür­lich ist es kein Pro­blem, wenn man sich mit ver­trau­ten Leu­ten umgibt. Aber muss jeder beim VfB denn sei­ne Hand noch in einem ande­ren Topf ste­cken haben?

Die zwei pikan­tes­ten Punk­te: zum einen wälzt Mislin­tat das Geschäfts­ri­si­ko des einen Geschäfts (Matchme­trics) mit auf das ande­re ab: Wenn sich Matchme­trics als Flop ent­puppt, sitzt der VfB mit im Mist; die Spie­ler sind ja da. Zum ande­ren pro­fi­tiert mög­li­cher­wei­se erneut ein wich­ti­ger VfB-Funk­tio­när, wenn ande­re Teams erfolg­reich scou­ten dank eines Algo­rith­mus, der sicher auch durch Mislin­tats Arbeit beim VfB ver­bes­sert wird. Oder wie die Bild am 3.8. titelt: “Kon­kur­ren­ten scou­ten mit Mislin­tat-App”. Könn­ten wir ein­fach mal VfB-Funk­tio­nä­ren bei­bri­g­nen, dass sie ihre Hand nur in Rich­tung VfB und nir­gends sonst auf­zu­hal­ten haben? Das kann doch nicht so schwer sein.

Denn natür­lich ist Mislin­tat als Mit­be­grün­der bei Matchme­trics auch direkt an einer Fir­ma betei­ligt, die mit Kon­kur­ren­ten des VfB Geschäf­te macht. Das Dia­man­ten­au­ge erin­nert an den Son­nen­kö­nig.

Und sowohl vom VfB, als auch von den Kon­kur­ren­ten, lässt sich Matchme­trics gut bezah­len: Die Soft­ware “Scout­pa­nel”, das Herz­stück der Fir­ma, kos­tet laut Geschäfts­füh­rer Mir­ko Ron­ge “sechs­stel­lig”. Prak­tisch, dass so viel Geld in eine Fir­ma von Mislintat’s Gna­den gesteckt wird, könn­te man sich da wun­dern. Unter Jan Schin­del­mei­ser woll­te man noch die Arbeit mit der Uni Tübin­gen, basie­rend auf den Vide­os von Wyscout, inten­si­vie­ren, die unter Robin Dutt schon 2016 begon­nen wur­de. Denn opti­ma­ler­wei­se baut man für jeden Ver­ein eine eige­ne Soft­ware auf. Der VfB Stutt­gart hat, wie man sich den­ken kann, ande­re Inter­es­sen als der FC Bay­ern, wenn es um Spie­ler­trans­fers geht.

Und Tho­mas Hitzl­sper­ger? Der ist immer weni­ger zu sehen und kon­zen­triert sich auf das ope­ra­ti­ve Geschäft, die lan­gen Lini­en, aus dem Hin­ter­grund. Auch sei­ne Ver­spre­chen — Kon­ti­nui­tät zum Bei­spiel — ent­pup­pen sich lang­sam als hoh­le Phra­sen, wie er selbst schon zuge­ben muss­te. Ob das in Liga 1 bes­ser wird mit der Kon­ti­nui­tät, weil “der Auf­stieg ja über allem stand” angeb­lich? Es darf bezwei­felt wer­den, sobald der VfB in Rich­tung Abstiegs­rän­ge tru­delt. Es heißt so schön: “Der Erfolg gibt einem Recht”. Das mag stim­men, aber der Miss­erfolg zeigt, aus wel­chem Holz man geschnitzt ist.

So pes­si­mis­tisch bin ich noch sel­ten in eine neue Sai­son gestar­tet — nicht nur bezüg­lich des Teams, mit dem ich wenig iden­ti­fi­zie­ren kann, son­dern auch bezüg­lich der Struk­tu­ren, die immer noch da sind. Die Stut­t­yacht hat immer noch eine Men­ge Alt­las­ten her­um­zu­schlep­pen, wäh­rend neu­er Bal­last schon oben drauf gela­den wird.

Titel­bild: © ima­go

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