An denkwürdigen Pressekonferenzen und anderen Kommunikationsformen hat es uns zuletzt wahrlich nicht gemangelt — der VfB ist seit Jahren in einem Zustand konstanter Erregung. Da helfen weder Säbelrasseln noch Aufrufe zur Entspannung.
Robin Dutt und seine Abrechnung mit Fredi Bobic, Michael Reschke einen Tag nach Saisonende, Michael Reschke mit Castro und Didavi, Michael Reschke mit Gomez, gegenseitige offene Briefe, mea culpa zur Datenaffäre — das Erinnerungsalbum ist gut gefüllt. Und nun kommt mit dem 12. September ein weiteres Kapitel hinzu. An dem Tag, an dem der VfB-Vorstandsvorsitzende Alex Wehrle (immer noch) nicht den Vertrag mit Sven Mislintat verlängert hatte, sondern stattdessen drei wohlbekannte Namen aus der Mottenkiste mit dem Brustring herausgekramt und neben sich aufs Podest gesetzt hatte: Sami Khedira und Philipp Lahm sollen ihn beraten, Christian Gentner soll Sven Mislintat zuarbeiten. So weit, so unspektakulär, eigentlich hätte es dazu keine Pressekonferenz gebraucht, wären die drei Namen nicht so bekannt und ihre Träger nicht so dankbare Zitatgeber für die anwesende Presse. Aber ebenjene Presse brachte die ganze Präsentation durch eigentlich nur eine Nachfrage gehörig ins Wanken: Wurde die “Erweiterung — nicht Verbesserung — der sportlichen Kompetenz” in Abstimmung mit dem ranghöchsten Experten fürs Sportliche im Verein durchgeführt oder ohne ihn? Die Antworten darauf sind nach wie vor unbefriedigend, fataler ist aber der abschließende Appell an die anwesende Presse: “Entspannt Euch mal”.
Es gab Zeiten, da hätte man sich das in den meisten Sportredaktionen rund um Stuttgart nicht zweimal sagen lassen. Egal, was Wolfgang Dietrich und Michael Reschke verzapften, jegliche inhaltliche Kritik an der Amtsführung wurde mit Verärgerung über den Tabellenstand gleichgesetzt und damit abgewatscht, es gab sogar einen SWR-Redakteur, der meinte noch Anfang 2019, man solle die beiden doch einfach mal machen lassen. Von solchen Zuständen sind wir aktuell zum Glück weit entfernt. Denn mal ganz ehrlich: Weder die Verpflichtung von Lahm und Khedira als Vorstandsberater, noch die von Gentner als Leiter Lizenzspielerabteilung wird den VfB ins Verderben reißen. Ich kann zwar diese endlosen Rufe nach Sportkompetenz in Positionen, die nicht in erster Linie mit dem Sport, sondern mit Verwaltung und Strategie zu tun haben, nicht mehr hören. Aber kaputt machen Lahm und Khedira mit Sicherheit nichts und wenn man ihren Worte Glauben schenken kann, haben sie das auch nicht vor. Und wer glaubt, Christian Gentner sei geholt worden, um Sven Mislintat inhaltlich in die Kaderplanung reinzureden, der sollte sich mit der neu geschaffenen Position vielleicht erstmal beschäftigen.
Immer was los
Nein, wegen der Personalien an sich muss man sich nicht aufregen, es sei denn, man trägt Christian Gentner noch die letzten Jahre seiner Spielerkarriere nach oder man wundert sich, warum Philipp Lahm direkt am Sonntag mit der Bild sprach und dabei immer wieder die gleichen Phrasen rausdrechselte. Aber das hat weniger mit deren Befähigung etwas zu tun, noch was mit den grundsätzlichen Strukturen. Warum also die Aufregung, die der Kollege Prechtl gar als Hass tituliert und damit bei manchen Tweets gar nicht mal so weit daneben liegt? Weil, wie bereits eingangs beschrieben, beim VfB immer was los ist. Und damit meine ich nicht die sozialen Netzwerke, sondern die Gremien. Ich habe es schon letzten Dezember aufgeschrieben: Man schafft es in der Mercedesstraße immer noch nicht, offensichtliche Konflikte intern zu lösen. Und ich rede dabei noch nicht mal von der immer noch und immer wieder in den Gremien herumwabernden grauen Masse, die gerne mal was Richtung Bild oder Carlos Ubina durchsticht, um die Gerüchtesuppe am Kochen zu halten. Wahrscheinlich schafft man es in einem Verein dieser Größe und Relevanz nie, seine Gremien und Ämter komplett ohne Selbstdarsteller zu besetzen.
Ich rede vom Führungspersonal, dass sich ganz offen mit Name und Gesicht in der Presse äußert und dadurch die Diskussionen und Konflikte, die sie hinter den Kulissen lösen sollten, in die Öffentlichkeit tragen. Sicherlich: Konflikte wurden auch unter Wolfgang Dietrich schon öffentlich ausgetragen. Aber es ist schon was anderes, wenn sich Plaudertasche Buchwald und Strippenzieher Porth öffentlich in der Loge des Neckarstadions ankeifen und auch die Schlacht der Offenen Briefe vom Frühjahr 2021 hatte nochmal andere Dimensionen. Aktuell geht es gar nicht mal so hoch her, es muss niemand aus dem Aufsichtsrat zurücktreten und auch die von Thomas Hitzlsperger prophezeite Bedrohung des VfB in seiner Existenz scheint nicht wahr zu werden, auch wenn das manch einer anders sieht. Nein, es geht “nur” um die Verlängerung des 2023 auslaufenden Vertrags von Sven Mislintat und damit verbunden dessen Rolle im Gesamtkonstrukt VfB. Diese Diskussion zieht sich jetzt fast genau ein Jahr, denn als Thomas Hitzlsperger am 15. September 2021 ankündigte, den VfB zu verlassen, lag es mangels eines direkten Nachfolgers an Claus Vogt und Sven Mislintat, sich über die Zukunft des Ressorts Sport einig zu werden. Das Ergebnis ist bekannt: Es mangelte offenbar an der internen Kommunikation in Richtung Sportdirektor, der als Reaktion den Weg an die Öffentlichkeit suchte. Nachdem alle gemerkt hatten, welchen Schaden sie der Außenwirkung des VfB angetan hatten, vertrug man sich öffentlich wieder — und vertagte das Problem bis zur Ankunft von Alexander Wehrle.
In Stellung
Ein Dreivierteljahr später hat sich nicht so wahnsinnig viel verändert, nur die Gesprächspartner. Die Vertragsverhandlungen stehen jetzt offenbar endlich an und wieder wird sich vor unseren Augen in Stellung gebracht. Indem man im September Personalien vorstellt, die erst in wenigen, beziehungsweise vielen Monaten beim VfB anfangen. Indem man auf die Frage, wie sehr der Sportdirektor in die Einstellung des ihm unterstellten Leiters Lizenzspielerabteilung eingebunden war, keine schlüssige Antwort liefern kann. Indem man öffentlich Forderungen nach einem größeren finanziellen Rahmen stellt, obwohl es in den vergangenen Jahren verschiedensten Personen nicht gelungen ist, außer dem eigenen Ausrüster einen seriösen Investor an Land zu ziehen — vielleicht auch weil es sonst in der Liga keinen seriösen Investor bei einem Verein gibt, der kein Champions-League-Abonnement hat. Oder indem man immer wieder kundtut, wann man gerne Vertragsgespräche geführt hätte, obwohl man dem Zeitplan für ebendiese dafür offenbar zugestimmt hat. Da sagt der eine “Entspannt euch mal” und der andere wirft zeitgleich den dem Krawall zugeneigten Medien und damit den erregten Fans einen wie auch immer gemeinten Satz hin und freut sich am Tag zuvor noch auf Instagram über die Neuzugänge im Management.
Und deswegen, lieber Alex Wehrle, kann ich mich nicht “einfach entspannen”. Nicht nach Jahren, in denen mir als Fan Personalien nicht richtig erklärt wurden, weil man es damals nicht für nötig hielt, mit überhaupt jemand anderem als Gunter Barner zu reden. Nach Jahren, in denen man es nicht geschafft hat, Konflikte intern auszutragen, sondern sich öffentlich bekriegte. Der Wille gemeinsam über einen neuen Vertrag zu verhandeln, scheint bei beiden Parteien ja vorhanden zu sein. Also bitte, bitte erspart uns das öffentlichkeitswirksame Säbelrasseln, auf das Verschwörungstheoretiker und Krawalljournalisten nur zu bereitwillig einsteigen. Vielleicht habt Ihr den Eindruck, ihr wisst, was ihr da tut. Der Eindruck von außen — und zwar nicht bei Fans, sondern auch bei seriösen Sportmedien — ist ein anderer.
Und am Ende leiden deshalb nicht nur meine Nerven, weil ich mich durch Petitionsaufrufe und Spruchband-Ideen auf Twitter durchscrollen muss, sondern auch wieder das Ansehen des VfB.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass mit einer neuen Folge der ???, Stuttgart.international mahnt: “Die VfB-Fans haben eine sehr feine Nase dafür, wenn etwas zu stinken beginnt.” und Martin hat Bauchschmerzen.
Titelbild: © Martin Rose/Getty Images