Gegen eine Wolfsburger Mannschaft auf Autopilot lässt der VfB zu lange eine Reaktion auf das Berlin-Spiel vermissen und holt gerade so noch einen Punkt.
“Taten statt leere Worte — Zeigt Kampf und Einsatz” war vor Anpfiff des Heimspiels gegen Wolfsburg in der Cannstatter Kurve zu lesen. Und dem Vernehmen nach war das auch das, was die Herren im Brustring sich vorgenommen hatten. Nunja. Es klappte etwa 13 Minuten lang so leidlich, bis sich Mannschaft bei einem Wolfsburger Eckball gemeinschaftlich entschloss, den größten Spieler der Gäste ungehindert durch den eigenen Strafraum spazieren zu lassen. Wieder lag man 0:1 hinten gegen eine Mannschaft, die sich nun zurücklehnen und dem VfB dabei zusehen konnte, wie die Spieler mit wackligen Knien einen Zweikampf nach dem anderen verloren und den Ball ein ums andere Mal sinnlos lang und hoch nach vorne droschen. Es war zum…
Wolfsburg auch einfach nur für nen ruhigen Nachmittag hier her gekommen. Die wollen einfach gar nix, nur bissle kicken und wieder in den Bus. Und natürlich biste guter Gastgeber und tust ihnen den Gefallen.
— Philipp Maisel (@philmaisel) April 30, 2022
Raste gleich aus, meine Fresse.
Wer eine Reaktion auf den unsäglichen Auftritt in Berlin erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht. Wieder fehlte die Zuordnung bei einer Standardsituation, ließ sich die Mannschaft in der Folge sogar in einer Szene komplett ausspielen, weil keiner Zugriff auf den jeweiligen Gegenspieler hatte. Und vorne? Da rannte sich der in die Startelf gerutschte Erik Thommy einen Wolf, um dann ein harmloses Schüsschen abzulassen. Da hatte Sasa Kalajdzic keinen einzigen (!) Torschuss, wahrscheinlich auch, weil von Borna Sosas 13 Flanken gerade mal drei ihr Ziel fanden und er nicht einmal die Hälfte seiner Zweikämpfe gewann — wie viele seiner Mitspieler. Spätestens als Kalajdzic mehrfach an der Außenlinie auftauchte und im Strafraum zum Gegner ablegte, statt selber aus der Drehung zu schießen, war klar, dass die Mannschaft keine Ahnung hatte, wie sie hier zu einem Torerfolg kommen und damit ihre unkonzentrierte Defensivleistung ausgleichen sollte.
Spät gerettet
Erneut ließ sich nur deshalb in der zweiten Halbzeit eine Steigerung erkennen, weil die erste Halbzeit die Messlatte sehr tief gelegt hatte. Und da befand sich der VfB schon längst in der erneutem Bredouille eines frühen Rückstands, hatte in einigen Szenen auch mit der Zweikampfbewertung des völlig überforderten Sven Jablonski etwas Pech, zeigte aber unterm Strich erst in den letzten zehn Spielminuten, dass sie bereit war, den Worten Taten folgen zu lassen. Schön herausgespielt war er schon, der späte Ausgleich durch Chris Führich nach überraschend präziser Vorarbeit von Enzo Millot — immerhin das erste Tor aus dem Spiel heraus seit Kalajdzics ebenso späten Ausgleich bei Union — aber er gewann erst an Wert, als Bielefeld quasi zeitgleich in seinem Heimspiel gegen die Hertha ausglich. Hätte Waldemar Anton doch nur kurz darauf den Ball noch einmal gefährlich reingebracht, statt ein field goal in die Kurve zu jagen, wir könnten uns jetzt vielleicht über nur noch zwei Punkte Rückstand aufs rettende Ufer und vier Punkte Vorsprung auf den Abgrund freuen.
Stattdessen scheint nun unter umgekehrten Vorzeichen — vier Punkte hinter dem direkten Klassenerhalt und zwei Punkte vor dem direkten Abstieg — die Relegation als einzig realistisches Saisonziel. Die vermaledeite Relegation, in der es in zwei Spielen um alles geht, wo der Druck noch größer und der Gegner noch motivierter ist. Ob die Mannschaft es bis dahin endlich rafft? Damit sie dieses Zwischenziel überhaupt erreicht, muss man schon hoffen, dass Bielefeld weder in Bochum am Freitagabend, noch die Woche drauf gegen Salzburg-Nord gewinnt. Denn zu unwahrscheinlich wirkt es aktuell, dass die Brustringträger in München oder gegen Köln ihr Herz endlich mal auf dem Platz lassen und es dann auch für drei Punkte reicht. Schließlich gelangen dem VfB zuletzt nur Zähler gegen Mannschaften wie Mainz und Wolfsburg, die die Saison entspannt ausklingen lassen.
Ich weiß nicht genau, was diese Mannschaft hemmt und so verwirrt, dass die einfachsten Abläufe nicht mehr funktionieren. Schon im Aufstiegskampf 2020 wirkte sie nach dem müden 0:0 gegen Osnabrück und der Derby-Niederlage so, als könnte sie sich selber aus dem selbst geschaffenen Schlamassel befreien und durfte sich dann vor allem beim HSV für dessen Unfähigkeit bedanken. Den Gefallen wird uns diesmal niemand tun.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass hat Angst vor der Relegation.
Titelbild: © Matthias Hangst/Getty Images