Wurm drin

Der VfB ver­liert ein kurio­ses Spiel in Bochum und bleibt damit im neu­en Jahr wei­ter sieg­los. Auch abseits von der Pos­se vor dem Gäs­te­block gibt es viel Gesprächs­be­darf — und ein biss­chen auch des­we­gen.

Vor­ab, um das klar­zu­stel­len: Wer sah, wie der VfB in der zwei­ten Halb­zeit in gro­ßen Tei­len wesent­lich ziel­stre­bi­ger und auch tor­ge­fähr­li­cher auf­trat, obwohl die Gast­ge­ber sich wie Glad­bach in der Vor­wo­che dar­auf kon­zen­trier­ten, eine knap­pe und glück­li­che Füh­rung über die Zeit zu brin­gen und nur über Kon­ter gele­gent­lich gefähr­lich wur­den, der möge mir erklä­ren, war­um ein Ban­ner über einem Flucht­weg für die Nie­der­la­ge in Bochum ver­ant­wort­lich gewe­sen sein soll. Gleich­zei­tig hät­te es der VfB-Mann­schaft sicher­lich auch nicht gescha­det, bereits nach 15 Minu­ten Pau­se end­lich die eige­ne Über­le­gen­heit in Tore ummün­zen zu kön­nen, statt erst eine geschla­ge­ne Stun­de spä­ter. So war die Ver­zö­ge­rung mit Sicher­heit kein Grund für die Nie­der­la­ge, hilf­reich für eine der­zeit men­tal etwas labi­le Mann­schaft war sie aber auch nicht unbe­dingt. Aber dazu gleich mehr.

Kommunikation und Fingerspitzengefühl

Was war denn da nun eigent­lich los? Mitt­ler­wei­le lie­gen sowohl State­ments des VfL Bochum, als auch des VfB Stutt­gart vor. Die Bochu­mer wei­sen rich­ti­ger­wei­se dar­auf hin, dass sie in ihrer für die Gäs­te­fans vor­be­rei­te­ten Info expli­zit dar­auf hin­wie­sen, dass die Flucht­to­re frei­blei­ben müs­sen und es sonst dazu kom­men kann, dass das Spiel nicht ange­pfif­fen wird. Zu Spiel­be­ginn hing vor dem Gäs­te­block ein Spruch­band, wel­ches den Inves­to­ren­deal der DFL kri­ti­sier­te, nach Bochu­mer Dar­stel­lung soll die Stutt­gar­ter Fan­sze­ne eine Lage­be­spre­chung genutzt haben, um heim­lich die Zaun­fah­ne mit der Auf­schrift “ULTRAS” dahin­ter zu hän­gen. Man habe, um nicht zu eska­lie­ren, wäh­rend der ers­ten Halb­zeit nicht dar­auf reagiert, son­dern erst in der Pau­se. Dann habe man aber reagie­ren müs­sen, weil im schlimms­ten Fall Men­schen­le­ben in Gefahr gewe­sen wären. Der VfB hin­ge­gen spricht davon, dass es vor­her eine Besich­ti­gung des Flucht­to­res gege­ben habe und dass man der Ansicht sei, dass die Sicher­heit zu jedem Zeit­punkt gewähr­leis­tet gewe­sen sei. Hin­ter­grund des gan­zen sei eine Auf­la­ge der Bochu­mer Ord­nungs­be­hör­den seit Sai­son­be­ginn, aus­ge­löst wohl durch noch grö­ße­re Spruch­bän­der von Gäs­te­fans des BVB, die die Flucht­to­re kom­plett bedeck­ten. Die Lösung bestand letzt­lich dar­in, wie unser Inter­view­gast vor dem Spiel, Phil­ipp Rentsch, berich­tet, dass die Fah­nen gelo­ckert wur­den und aus Sicher­heits­grün­den ein zusätz­li­cher Ord­ner vorm Gäs­te­block pos­tiert wur­de. Die­ser Lösung vor­aus­ge­gan­gen waren Dis­kus­sio­nen der Sze­ne zunächst mit den Ersatz- und Füh­rungs­spie­lern Fabi Bred­low und Pas­cal Sten­zel, spä­ter mit Chris­ti­an Gent­ner, Sebas­ti­an Hoe­neß, dem hal­ben Team und schließ­lich Claus Vogt, augen­schein­lich war es die Feu­er­wehr selbst, die am Ende den gor­di­schen Kno­ten zer­schlug, bezie­hungs­wei­se vor­schlug, die­sen etwas zu lockern.

Bei allem Ver­ständ­nis für die Sicher­heit in einem Sta­di­on mit meh­re­ren zehn­tau­sen­den Men­schen stel­len sich hier für mich ver­schie­de­ne Fra­gen an die Betei­lig­ten: So kann mir bei den Bochu­mer Behör­den wahr­schein­lich nie­mand erklä­ren, war­um die genau glei­che Zaun­fah­ne an genau der glei­chen Stel­le im April ver­gan­ge­nen Jah­res kein Pro­blem für Men­schen­le­ben dar­stell­te und war­um man die Pro­ble­ma­tik nicht bereits vor Anpfiff lös­te. Und auch wenn ich, das als Dis­clai­mer, beim Spiel am Sams­tag kurz­fris­tig nicht vor Ort sein konn­te: Ich habe es in vie­len vie­len Spie­len noch nie erlebt, dass Zaun­fah­nen nach­träg­lich und ohne dass der Ord­nungs­dienst es merkt, unter Spruch­bän­der gehängt wer­den, die nach einer bestimm­ten Zeit ent­fernt wer­den. Wahr­schein­li­cher ist, dass es der VfL als Ver­an­stal­ter und die Feu­er­wehr und Ord­nungs­be­hör­den als Beden­ken­trä­ger vor­her ver­säum­ten, eine ja offen­sicht­lich mög­li­che ein­ver­nehm­li­che Lösung zu fin­den. Schließ­lich hin­gen auch beim letz­ten Heim­spiel der Bochu­mer am Flucht­tor Fah­nen der Gäs­te aus Bre­men — eben auch so, dass sich die­ses pro­blem­los öff­nen ließ. Offen­sicht­lich klapp­te hier aber auch die Kom­mu­ni­ka­ti­on sei­tens des VfB nicht opti­mal, der sowohl einen Draht zum gast­ge­ben­den Ver­ein, als auch zur eige­nen Fan­sze­ne hat. Zaun­fah­nen und vor­be­rei­te­te Spruch­bän­der hän­gen nicht erst fünf Minu­ten vor Anpfiff am Zahn und ich kann mir nicht vor­stel­len, dass das dies­mal der Fall war. Und letzt­lich muss man sich in der Fan­sze­ne auch die Fra­ge gefal­len las­sen, ob ein wenig mehr Fin­ger­spit­zen­ge­fühl, das ja sonst durch­aus vor­han­den ist, an die­ser Stel­le nicht bes­ser gewe­sen wäre, um eine Situa­ti­on zu ver­mei­den, die ich in knapp 25 Jah­ren, die ich zum Fuß­ball gehe, noch nicht erlebt habe. Selbst­ver­ständ­lich ohne sich grund­sätz­lich jede Lau­ne der Behör­den zu eigen zu machen. In jeder Fan­in­fo eines gast­ge­ben­den Ver­eins ste­hen Sachen drin­ne, die mit der Rea­li­tät im Gäs­te­block wenig zu tun haben.

Undav und dann lange nichts

War­um wid­me ich mich die­sem The­ma so aus­führ­lich, obwohl ich nicht mal dabei war und mich auf Berich­te ver­las­sen muss? Weil ich schon sehe, wel­che Dis­kus­sio­nen und wel­ches Nar­ra­tiv da am Hori­zont auf­zie­hen und und weil ich kei­ne Lust auf so einen undif­fe­ren­zier­ten Quatsch habe. Der VfB hat seit Jah­res­be­ginn ganz ande­re Pro­ble­me als schlech­te Kom­mu­ni­ka­ti­on und man­geln­des Fin­ger­spit­zen­ge­fühl. Denn erneut waren es eine haar­sträu­ben­de Unacht­sam­keit, die die Mann­schaft auf die Ver­lie­rer­stra­ße brach­te, von der man­gels Chan­cen­ver­wer­tung bis Abpfiff nicht mehr abfah­ren konn­te. In Glad­bach ließ sich eine pas­si­ve Abwehr zwei Mal über­rum­peln, das erst mal nach weni­ger als einer Minu­te. In Bochum unter­lief dem sonst so sta­bi­len Ange­lo Stil­ler ein fata­ler Fehl­pass, den auch Dan-Axel Zag­adou nicht aus­bü­geln konn­te und der von Bochums Bero zum Sieg­tref­fer genutzt wur­de. In der Fol­ge wur­de der VfB akti­ver, fuhr einen wüten­den Angriff nach dem ande­ren, blieb aber zum drit­ten Mal in die­ser Sai­son ohne eige­nes Tor — und das gegen die Mann­schaft mit den dritt­meis­ten Gegen­to­ren in der Liga.

Gegen man­geln­de Chan­cen­ver­wer­tung kann man meist wenig machen, außer mehr Chan­cen zu kre­ieren, um die sta­tis­ti­sche Wahr­schein­lich­keit auf ein Tor zu erhö­hen oder ver­su­chen, in noch bes­se­re Schuss­po­si­ti­on zu kom­men. Bei­des gelang dem VfB nicht so rich­tig, auch wenn Deniz Undav sich dies­mal wesent­lich bes­ser pos­tier­te als noch gegen Glad­bach, als er zu viel zu tief und damit Enzo Mil­lot auf den Füßen stand.  Auch in die­sem Spiel kam er auf die meis­ten Tor­schüs­se in der Mann­schaft und dar­in lag, neben der Tat­sa­che, dass ihm kein Tref­fer gelang, das Pro­blem: Das waren mehr Tor­schüs­se als sei­ne Offen­siv­kol­le­gen Mil­lot, Lewe­ling und Füh­rich in Sum­me aufs Tor brach­ten. Von Jamie Lewe­ling, der in Glad­bach der Kom­bi­na­ti­on aus Sten­zel und Vagno­man wei­chen muss­te, ging so gut wie kei­ne Gefahr aus, Chris Füh­rich auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te ver­fiel hin­ge­gen in alte Mus­ter und war viel zu häu­fig mit gesenk­tem Kopf und Augen auf dem Ball statt auf dem Mit­spie­ler unter­wegs. Und auch Enzo Mil­lot konn­te offen­siv nicht wie gewohnt Akzen­te set­zen. In so einer Pha­se wür­de natür­lich der gute Lauf eines Ser­hou Gui­ras­sy hel­fen, um trotz­dem zum (Tor-)Erfolg zu kom­men. Aber die Pro­ble­me lie­gen tie­fer.

Bochum lässt sich nicht locken

Aus irgend­ei­nem Grund ist der Mann­schaft uner­war­te­ter­wei­se in der kur­zen Win­ter­pau­se die Span­nung abhan­den gekom­men. Denn das Gui­ras­sy feh­len wür­de, war lan­ge abseh­bar. Trai­ner und Mann­schaft haben aber noch kei­nen Ansatz gefun­den, um ihn effek­tiv zu erset­zen. Gegen Glad­bach pro­bier­te man es mit vie­len lan­gen Bäl­len, was ohne Wand­spie­ler zum Schei­tern ver­ur­teilt war. Gegen Bochum ver­puff­te eine ande­re Maß­nah­me wir­kungs­los: Die Gast­ge­ber lie­ßen sich von Alex­an­der Nübels Spiel­eröff­nung über­haupt nicht aus der Reser­ve locken, so dass der mit dem Ball teil­wei­se weit aus sei­nem Straf­raum her­aus spa­zie­ren konn­te, vor sich aber eine gut for­mier­te geg­ne­ri­sche Mann­schaft sah, die sich par­tout nicht über­spie­len las­sen woll­te. Schon gegen Augs­burg ließ es der VfB sehr geruh­sam ange­hen, hat­te aber die Pass­qua­li­tät, um trotz­dem zu sei­nen Toren zu kom­men. Zumin­dest vor der Pau­se, als die Brust­ring­trä­ger man­gels Bochu­mer Offen­siv­ak­tio­nen das Spiel auf ihre Sei­te hät­ten zie­hen müs­sen, fehl­te jedoch jeg­li­che Dyna­mik, jeg­li­ches Über­ra­schungs­mo­ment.

Und es soll­te auch in der zwei­ten Halb­zeit zumin­dest per­so­nell kei­nes dazu kom­men, denn Sebas­ti­an Hoe­neß, der wie­der eine U23-Bank auf­bot, brach­te von die­ser ledig­lich Rober­to Mas­si­mo aufs Feld, der weder Spiel­pra­xis noch eine Per­spek­ti­ve beim VfB hat und ent­spre­chend agier­te. Für die erneut im Kader auf­ge­bo­te­nen Nach­wuchs­spie­ler Rai­mund, Milo­se­vic und Pau­la, aber auch für Rou­ault, Ster­giou oder Sten­zel hat­te Hoe­neß offen­bar trotz Rück­stand kei­ne Ver­wen­dung, zog am Ende gar Zag­adou nach vor­ne und das obwohl er in der Win­ter­pau­se noch beton­te, die Chan­cen für die Talen­te sei­en aktu­el­le “so groß wie nie”. Selbst wenn man Hoe­neß zugu­te hal­ten will, dass sei­ne Mann­schaft in der zwei­ten Halb­zeit zu Chan­cen kam, mutet es schon selt­sam an, bei einem Rück­stand nicht über Ein­wechs­lun­gen neue Mög­lich­kei­ten zu schaf­fen, zumal durch Spie­ler, die der Geg­ner viel­leicht auf­grund ihres Alters weni­ger auf dem Radar hat. Eine Garan­tie dafür gibt es natür­lich nicht — aber schlim­mer hät­te es auch nicht kom­men kön­nen.

Wie reagieren?

Man kann die Wech­sel­po­li­tik natür­lich auch als Hil­fe­ruf an den eige­nen Sport­di­rek­tor ver­ste­hen, wenn man will: “Schau her, ich muss schon die U21 auf die Bank set­zen, aber einen Ein­satz traue ich ihnen nicht zu”. Auch wenn Hoe­neß sel­ber schon Win­ter­trans­fers eher in Abre­de gestellt hat, liegt natür­lich die Fra­ge auf der Hand, wie die sport­li­che Füh­rung jetzt reagiert. Die Nie­der­la­ge in Glad­bach war ärger­lich, aber nicht kom­plett über­ra­schend, die Plei­te in Bochum war kom­plett über­flüs­sig, eine drit­te Nie­der­la­ge in Fol­ge am kom­men­den Sams­tag im Neckar­sta­di­on nicht kom­plett über­ra­schend. Kurz, es ist aktu­ell ein wenig der Wurm drin im VfB-Gebälk und wie oben ange­spro­chen habe ich kei­ne Lust dar­auf, dass der noch mehr Fut­ter bekommt. Die nächs­ten Tage wer­den daher durch­aus wich­tig für den VfB. Es gilt kurz­fris­tig, eine Lösung für die Gelb­sper­re Ata­kan Kara­zors zu fin­den und mit­tel­fris­tig zu über­le­gen, ob und wenn ja wel­che Ver­pflich­tung für die Rück­run­de Sinn ergibt, ohne die Kader­struk­tur zu ver­än­dern. Holt man noch einen Stür­mer, der viel­leicht ab Febru­ar nur noch auf der Bank sitzt, weil Gui­ras­sy und Undav wie­der zusam­men­stür­men? Am ehes­ten könn­te der VfB offen­siv mehr Sta­bi­li­tät auf der rech­ten Außen­bahn ver­tra­gen, gleich­zei­tig hat Hoe­neß hier die meis­te Aus­wahl. Ein spiel­star­ker Sech­ser als Back­up? Im Win­ter nicht leicht zu bekom­men.

Vor allem aber muss Sebas­ti­an Hoe­neß der Mann­schaft wie­der die men­ta­le Sta­bi­li­tät ver­lei­hen, die sie über vie­le Spie­le in der Hin­run­de aus­ge­zeich­net hat und im zwei­ten Schritt das Spiel der Mann­schaft an die aktu­el­len Gege­ben­hei­ten anpas­sen. Weni­ger abwar­tend in der Spiel­eröff­nung und wesent­lich dyna­mi­scher im letz­ten Drit­tel so dass Deniz Undav mit dem Ball nicht allein auf wei­ter Flur steht. Schon ein Unent­schie­den gegen Leip­zig — von einem Sieg gegen Salz­burg-Nord wage ich aktu­ell nicht zu träu­men — könn­te den Jungs wie­der das nöti­ge Selbst­ver­trau­en geben, um den Kampf ums vor­de­re Tabel­len­drit­tel wie­der auf­zu­neh­men, nach­dem die Kon­kur­renz an den ver­gan­ge­nen bei­den Spiel­ta­gen schon ziem­lich nahe gerückt ist, ohne dass der VfB bis­her sei­nen drit­ten Tabel­len­platz auf­ge­ben muss­te.

Mit Rückschlägen umgehen

Vor allem aber darf man sich jetzt nicht aus­ein­an­der brin­gen las­sen jetzt. Deniz Undav mach­te mit sei­ner fach­män­ni­schen Ein­schät­zung des Flucht­to­res nach dem Spiel bereits klar, dass die Mann­schaft die Schuld nicht bei den Fans sucht — dem­entspre­chend soll­te sich das auch jeder skan­dal­hei­schen­de Fuß­ball­jour­na­list gleich spa­ren. Mann­schaft und Trai­ner müs­sen, wenn auch gegen einen der schwers­ten Geg­ner die­ser Liga, zei­gen, dass die in der Hin­run­de gezeig­ten Leis­tun­gen kei­ne Ein­bil­dung waren, son­dern die Mann­schaft auch nach­hal­tig in der Lage ist, an ihr Limit zu gehen —  mit der not­wen­di­gen tak­ti­schen Fle­xi­bi­li­tät. Und wir müs­sen auf­hö­ren mit den, wenn auch nach­voll­zieh­ba­ren, Unken­ru­fen, dass jetzt wie­der alles so wird wie immer. Rück­schla­ge waren erwart­bar, auch wenn die meis­ten in die­ser Sai­son ver­meid­bar waren. Die lau­fen­de Spiel­zeit wird nicht im Janu­ar ent­schie­den. Das soll­ten wir alle gemein­sam nicht zulas­sen.

Titel­bild: © Chris­tof Koepsel/Getty Images

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