Nach der Rückkehr Sven Mislintats von der Marketing-Reise in die USA am gestrigen Montag beginnen jetzt wohl die finalen Verhandlungen über seinen Vertrag und damit wohl auch über die Zukunft von Interimstrainer Michael Wimmer. Nach Ansicht mancher sind die Verhandlungen sogar schon abgeschlossen, mit eindeutigem Ergebnis. Was auch passiert: Der VfB hat sich mal wieder in eine missliche Lage manövriert.
Nun endlich scheint das, was schon seit Monaten per Petition und in sozialen Netzwerken gefordert wird, zu passieren: VfB-Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle und VfB-Sportdirektor Sven Mislintat verhandeln mit absehbarem Abschluss der Verhandlungen über einen Verlängerung von Mislintats Vertrag, der im kommenden Sommer endet. Damit endet auch eine fast einjährige Hängepartie, die wegen Kommunikationsunfähigkeit und Personalwechseln zunehmend zur Groteske wurde und das Bild des VfB als Klepperlesverein einmal mehr bestätigte. Problematisch war dabei nicht, dass Alexander Wehrle den von seinem Vorgänger Thomas Hitzlsperger ausgehandelten und dem Vernehmen nach mit branchenunüblichen Freiheiten ausgestatten Vertrag nicht kurz nach Einrichtung seines Büros direkt verlängerte. Nein, problematisch war, dass man weder in der Diskussion um die Neubesetzung des Sportvorstandspostens Ende 2021 noch in der personellen Erweiterung des sportlichen Bereichs im September dieses Jahres in der Lage war, eine klare interne Kommunikationsstruktur aufzubauen, die wertschätzend ist, ohne sich in seinen Entscheidungen als Führungskraft abhängig zu machen. Denn natürlich geht es nach dem Wechsel an der Spitze der VfB AG nicht nur um Transferbudgets und Berater: Es geht um Macht und Einfluss.
Das ist zunächst wenig verwerflich: Als Vorstandsvorsitzender steht auch Alexander Wehrle in der Verantwortung für die sportliche und wirtschaftliche Bilanz des Clubs oder, wie er es leicht missverständlich formulierte: Entscheidungen werden an Ergebnissen gemessen. Sollte der VfB, Gott bewahre, am Ende dieser Saison absteigen, dann trüge auch Alex Wehrle eine Mitschuld. Entweder weil er sich mit Sven Mislintat nicht auf einen neuen Vertrag einigen konnte und in der Folge von dessen Nachfolger falsche sportliche Entscheidungen getroffen wurden, oder weil er mit Mislintat verlängerte und dessen Maßnahmen und Entscheidungen nicht die Wende bringen konnten. Dass Sven Mislintat andererseits von seiner Kaderplanung und seiner Personalpolitik im sportlichen Bereich trotz der kritischen Selbstreflektion, die ich ihm unterstelle, so überzeugt ist, dass er seine bisherige Arbeit mit den gleichen Befugnissen weiterführen möchte, ist ebenso legitim wie nachvollziehbar. Im Grunde ist es ganz einfach: Ist Alexander Wehrle davon überzeugt, dass der aktuelle sportliche Ansatz wenn auch nicht aktuell, dann jedoch mittel- und langfristig Erfolg bringt? Und ist Sven Mislintat davon überzeugt, dass er seinen Weg auch mit weniger weitreichenden Kompetenzen unter einem neuen Vorstandsvorsitzenden ausreichend geschützt sieht? Dann steht einer Einigung eigentlich nichts mehr im Wege.
Von der sportlichen in die emotionale Schieflage
Aber so einfach ist es natürlich nicht und daran sind sie beim VfB größtenteils selbst schuld. Denn das Umfeld, egal ob Fans oder Medien, ist aus dem kollektiven Tiefschlaf erwacht. 2016 konnte ein Aufsichtsratvorsitzender Martin Schäfer noch tönen, wer den Aufsichtsrat abwählen und Wolfgang Dietrich die Zustimmung verweigern wolle, lege den VfB “in Schutt und Asche”, ohne dass dies zu Entrüstungstürmen, Pressekommentaren oder, ich wiederhole mich Petitionen geführt hatte. Es sollte nur der Beginn sein eines beispiellosen Vertrauensverlusts in fast alle Gremien und Verantwortlichen vielleicht mit Ausnahme von Sportvorstand Jan Schindelmeiser und Trainer Hannes Wolf. Beide mögen im Nachhinein, auch im Kontrast zu ihren Nachfolgern, verklärt worden sein, aber sie waren ein kleiner Lichtblick in einer sportlich und vereinspolitisch größtenteils düsteren Zeit. Der direkte Wiederaufstieg mit einer vermeintlich jungen und talentierten Mannschaft unter einem vermeintlich jungen und talentierten Trainer fiel zusammen der Ausgliederung, getragen von einer, man kann es im Nachhinein nicht anders nennen, Schmutzkampagne. Am Ende stand der VfB wieder am Ausgangspunkt: Sportlich desolat, zerstritten, geführt von Funktionären, die man am liebsten fast alle direkt in Berlin-Köpenick vom Hof gejagt hätte.
Es war diese Zeit und die Erkenntnis der Fans und Mitglieder, von Vereinsverantwortlichen und ihren Intrigen für dumm verkauft worden zu sein, die das Misstrauen säte, welches fast jeden Amtsinhaber bis heute begleitet — mit Ausnahme zweier Personen. Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat. Als vergangenes Jahr eine nach der anderen der für den Mitgliederbetrug verantwortlichen Personen den Club verließ, waren Mislintat und Hitzlsperger fast die einzigen höheren Funktionäre, die bereits im Sommer 2019 im Amt waren. Und die herausragende Saison 2020/2021 nährte die Hoffnung, dass sich mit ihnen sportlich alles zum Besseren wenden würde und der VfB fortan wieder als ein professioneller Fußballclub wahrgenommen würde: sympathisch, in einem gewissen Rahmen erfolgreich, modern. Vieles davon ist seither eingetreten: Bis zur Ankunft von Sami Khedira und Philipp Lahm wurde kaum jemand wegen seines Namens oder seiner Vergangenheit beim VfB eingestellt. Der Verein positionierte sich endlich auch gesellschaftlich. Alles schön und gut, bis das ganze Konstrukt in eine emotionale Schieflage geriet.
Bleib noch ein bisschen hier
Denn die Wahrnehmung von Thomas Hitzlspergers offenem Brief verdeutlichte — unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Aussagen — wie irrelevant vereinsinterne Strukturen wurden, sobald sie populären und erfolgreichen Personen entgegenstanden. Dass Thomas Hitzlsperger als Präsident und des e.V. die personelle Kontrolle dessen über die AG aushebeln würde? Egal, Hauptsache er bliebe dem VfB erhalten, auch damit nicht Sven Mislintat mit Sasa Kalajdzic unterm Arm ebenso das Weite suchte. Der Aufsichtsrat übernimmt nicht einfach den Personalvorschlag des Sportdirektors für den Posten des eigenen Vorgesetzten? Egal, bevor er geht, nehmt doch einfach Markus Rüdt! Das ganze ging sogar soweit, dass sich Präsidentschaftskandidtat Pierre-Enric Steiger zu der Aussage verstieg (haha), Aufgabe des VfB-Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden sei es, Hitzlsperger und Mislintat ein möglichst angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen. Heute scheint das bei manchen Grundkonsens zu sein.
Die Debatte um die Vertragsverhandlungen zwischen Wehrle und Mislintat ist also nicht nur geprägt durch die offensichtliche Unfähigkeit oder den Unwillen Wehrles und Vogts, klar und deutlich intern wie extern zu kommunizieren, sondern von der emotionalen Abhängigkeit vieler Fans und darauf aufbauend auch des Boulevard von Sven Mislintat. Ihm selber mache ich das nicht zum Vorwurf und wie schon oben beschrieben muss man sich halt entscheiden, ob man seinem Ansatz so weit vertraut, dass man davon ausgeht, dass er mittelfristig den VfB zumindest ins mittlere Drittel der Tabelle führt. Oder ob man in der aktuellen sportlichen Lage und dem Überwintern auf dem Relegationsplatz das sportliche Maximum der mislintatschen Kaderplanung sieht und der Meinung ist, jemand anderes könnte es besser. In dieser Diskussion bleiben nüchterne Betrachtungen meist auf der Strecke. Die einen sprechen dem Kader die Bundesligatauglichkeit ab, während die anderen darauf verweisen, dass unter den von Wehrle und Vogt vorgegebenen Rahmenbedingungen mehr als Platz 16 eben nicht drin sei.
Vielleicht, vielleicht auch nicht
Beides ist falsch. Die Mannschaft ist bundesligatauglich, zumindest dann, wenn es ihr gelingt, an ihre Grenzen zu gehen. Gleichzeitig sind auch Mannschaften mit einem geringeren Personaletat bundesligatauglich und wer fordert, Wehrle und Vogt müssten jetzt endlich mal den Daimler befrieden, damit der trotz Desinteresse am Fußball weiter Geld überweist oder endlich mal einen neuen Investor ranschaffen, damit Borna Sosa auch in der Rückrunde seine Flanken noch im Brustring schlägt, der sollte endlich mal der Realität ins Gesicht sehen, dass kein, ich betone kein einziger deutscher Fußballclub mit ausgegliederter Profimannschaft in den letzten Jahren einen seriösen externen Investor (also ohne bisheriges Sponsoring im Verein) an Land gezogen hat, der eine ähnliche Summe investierte wie die, mit der sich der Daimler damals die Ausgliederung kaufte. Windhorsts und Kühnes gibt es bestimmt zuhauf da draußen. Mir personlich hat Porth schon gereicht.
Also, vielleicht kann man sich trotz unterirdischer Kommunikation, aktuell überschaubarer sportlicher Bilanz und in einer anderen personellen Konstellation als bei der letzten Verlängerung auf einen neuen Vertrag einigen. Vielleicht auch nicht. Sollte dem so sein, wäre das sehr schade, denn mir ist Mislintat nicht nur in seiner Art zu kommunizieren sympathisch, auch wenn einem als Fan des konsequente öffentliche Schützen der Mannschaft nach schlechten Spielen bisweilen gegen den Strich geht, sondern ich schätze auch seinen Ansatz, der einen ehemaligen östereichischen Zweitligakicker in die Premier League und einen ehemaligen japanischen Zweitligakicker in die Nationalmannschaft bringt. Aber sollte es so kommen, dann ist, um Sven Mislintat zu zitieren, nicht entscheidend wer geht, sondern wer kommt. Und was kommt.
Irgendwer wittert immer Morgenluft
Denn nachdem es lange so schien, als ginge es aktuell lediglich um ein Machtgerangel zwischen Vorstandsvorsitzendem und Sportdirektor, wird deutlich, dass es beim VfB mal wieder an allen Ecken und Enden brodelt. Während es in den operativen Gremien der AG abseits des sportlichen eher ruhig zuzugehen scheint, werden in den Gremien des e.V. und dem Verein nahestehenden Kreisen dem Vernehmen nach schon wieder die Messer gewetzt. Nicht nur gegen Sven Mislintat mit der altbekannten unterkomplexen Kaderkritik, gerade aus Ecken, denen man kein geschriebenes Wort mehr abnehmen sollte. Aber scheinbar auch gegen Vogt und Wehrle. Ich bin gespannt, welche Dominosteine in welche Richtung fallen, wenn die Vertragsverhandlungen abgeschlossen sind und welche Wahrheiten dann ans Licht kommen. Ich würde mir wünschen, dass es im Sinne des Vereins nicht um auf hinterhältige Weise ausgelebte Befindlichkeiten und persönliche Differenzen geht, aber das ist wahrscheinlich ein frommer Wunsch. Irgendwer in diesem Klepperlesverein wittert immer Morgenluft, wenn es schlecht läuft.
Unabhängig davon und vom Ausgang der Verhandlungen habe ich aber auch Erwartungen: An Alexander Wehrle und den Aufsichtsrat, dass der sportliche Weg als Talentschmiede mit Blick nach oben höchstens punktuell korrigiert, aber nicht verworfen wird und dass man einen würdigen Ersatz für Sven Mislintat findet. Und an Sven Mislintat, wenn sein Weg beim VfB weitergeht, dass er angesichts der Tatsache, dass frisches Investorengeld derzeit eine Utopie ist, eine Lösung findet, damit die Mannschaft ihr spielerisches und mentales Potenzial endlich ausreizen kann — und vielleicht in Zukunft von ihrem hohen Gegentorschnitt runterkommt.
Es muss, es wird den VfB auch nach den kommenden Wochen noch geben. Die Verantwortung dafür, dass wir nicht wieder in die Abwärtsspirale der 2010er Jahre geraten, lastet auf vielen Schultern.
Zum Weiterlesen: Stuttgart.international betreibt in einem sehr lesenswerten Text Ursachenforschung, sieht aber die Geier über Bad Cannstatt schon kreisen.
Titelbild: © Christof Koepsel/Getty Images
Ein sehr ausgewogener und, in meinen Augen, korrekter Artikel — vielen Dank.
Wenn man alles so betrachtet, scheint Wehrle zwar eine Plan zu haben, aber um diesen umzusetzen gibt es noch einige/viele Hürden aus dem Weg zu räumen; z.B.
— die Machtfülle des SM, die einem potentiellen Trainer nicht passt
— ein Budget, dass möglichen neuen SM´s angesichts der Erwartungshaltung des “schwierigen Umfelds” jetzt schon den Schweiss auf die Stirn treibt
— der Kader, der, wie Du richtig schreibst, nur gewinnt, wenn sie an ihre Grenzen und darüber hinaus gehen.
Puh.
Das kann schon richtig schief gehen, und dann wieder Liga 2? Ja, werden wir auch überleben, und dann vielleicht mit den ganzen Egloffs, Meiers und Ulrichs, nach denen seit Jahren gerufen wird.
Hätte Rino die Spiele gegen Schalke, Köln und Bremen gewonnen… wären wir nicht da wo wir sind,
und Wehrle könnte sich um die Zukunft kümmern.
Jetzt sind gefühlt alle Feuerwehrmänner.