Der VfB spielt zum ersten Mal in dieser Bundesliga-Saison unentschieden. Mit dem Punkt können beide Kontrahenten des Spitzenspiels gut leben, für die Brustringträger ist diese Spiel aber noch aus einem anderen Grund von großer Bedeutung.
Als der VfB Ende August durch ein Tor von Serhou Guirassy zur Halbzeit in Leipzig führte und am Ende mit einer 1:5‑Klatsche den Heimweg antrat, schrieb ich an dieser Stelle: “Aus diesem Spiel muss sie für die Zukunft lernen.” Denn nach einer guten ersten Halbzeit, vielleicht der besten, die wir je gegen die Nordösterreicher hingelegt haben, ließ sich die Mannschaft vom auch emotionalen Sturm der sich benachteiligt fühlenden Gastgeber umpusten. Der Spielstärke und der Wut der Leipziger hatte der VfB damals nach der Pause nichts mehr entgegen zu setzen, verlor völlig die Kontrolle über Ball und Spiel und bekam bis Abpfiff der Partie kein Bein mehr auf den Boden. Was Mannschaften einer gewissen nominellen Qualität zu leisten imstande sind, sah man auch am Mittwoch, als die Dortmunder, nachdem sie in Rückstand gerieten, ordentlich aufdrehten — auch wenn deren Sturm nach dem abgepfiffenen Ausgleich im Wasserglas verschwand.
Kipp-Punkt überwunden
Auch im Topspiel des 14. Spieltags kam der Tabellenführer gegen den Tabellendritten (uns!) mit einem Rückstand und ordentlich Verbesserungspotenzial und ‑willen aus der Kabine. Binnen 90 Minuten hatten die Leverkusener die Führung von Chris Führich ausgeglichen und waren dabei jeweils einen Schritt schneller als ihre Stuttgarter Gegenspieler, die weder den Pass von Xhaka auf Boniface verhindern konnten, noch dessen Ablage auf den wieder genesenen Wirtz, geschweige denn dessen Tor. Als kurz danach erneut Xhaka in Erscheinung trat und einen zentralen Schuss so scharf an den rechten Pfosten knallte, dass der hinter (!) Alex Nübel entlang ins Toraus flipperte, hätte das Spiel durchaus komplett kippen und der VfB zum zweiten Mal in dieser Saison so richtig unter die Räder kommen können. Natürlich ist bei einem Pfostenschuss auch eine Portion Glück dabei. Aber in der Folge zeigte die Mannschaft, wie sehr sie sich seit Saisonbeginn weiterentwickelt hat. Als das Spiel auf die Zielgerade einbog, leisteten sich die Brustringträger zwar immer noch einige Ungenauigkeiten, die vielleicht auch dem dritten Spiel in acht Tagen geschuldet waren, begegneten den Leverkusenern aber ähnlich konzentriert und auf Augenhöhe, wie in der ersten Halbzeit.
In der, auch das eine Parallele zu Leipzig und zu den vergangenen Spielen, hätte der VfB eigentlich mehr als ein Tor schießen müssen. Erneut präsentierte sich die Mannschaft griffig und angriffslustig, lief die Leverkusener hoch an und zwang sie so zu Fehlern und Ballverlusten. Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen dauerte es bis zur 40. Minute, bis sich die Mannschaft für eine nicht nur angesichts der Stärke des Gegners reife Leistung belohnte: Undav spielte Vagnoman auf rechts frei und der entdeckte im Fünfmeterraum den mutterseelenallein gelassenen Chris Führich, der den Ball nur noch über die Linie drücken musste. Egal ob gegen indisponierte Bremer, mauernde Dortmunder oder spielfreudige Leverkusener: Der VfB zieht sein Spiel auf, in dem Wissen, dass es über kurz oder lang zum Erfolg führen muss. Dass das nach 14 Spielen und dreieinhalb Monate nach dem Spiel in Leipzig fast schon eine Selbstverständlichkeit ist, ist beeindruckend. Auch schön, dass sich Vagnoman, der ja lange verletzt ausfiel, direkt in diesem Spiel einbringen konnte und so Sebastian Hoeneß für die rechte Seite einer weitere Option bietet.
Ein Fortschritt
Defensiv kann man der Mannschaft, die in 13 Spielen nur 11 Gegentore kassiert hat und in einem fünf, kaum einen Vorwurf machen. Wenn sie in der zweiten Halbzeit den Ball häufiger und vielleicht manchmal zu einfach verlor, lag das auch daran, dass Leverkusen dem VfB seine eigene Medizin verabreichte (mehr Pharma-Witze gibt’s heut nicht) und die Spieler mit dem Brustring genauso hoch und aggressiv anlief. Trotzdem befreite sie sich immer wieder überlegt aus brenzligen Situationen, ohne dabei die Ruhe oder den Kopf zu verlieren. Was offensiv am kommenden Sonntag gegen vermutlich immer noch stinkige Münchner und auch bei der am Sonntag ausgelosten Pokal-Ausgabe des Topspiels das Pendel zugunsten des VfB ausschlagen lassen könnte, wäre eine höhere Gefährlichkeit bei Standards. Davon hat der VfB zwar nicht wesentlich mehr als die Konkurrenz, aber angesichts der vielen erarbeiteten Chancen durchaus ausreichend — sei es, weil ein Angriff nur mit einem Foul in Strafraumnähe gestoppt oder ins Toraus abgewehrt werden kann. Natürlich helfen da auch verwandelte Elfmeter, aber vor allem die Tore nach Ecken und Freistößen sind beim VfB noch ausbaufähig. Oder wir haben einfach mal wieder ein wenig mehr Glück.
Aber das ist Klagen auf hohem Niveau, auch wenn sich der Sonntagabend ein wenig so anfühlte wie ein Weihnachtsfest als Kind, bei dem man viele schöne Geschenke bekommen hat, über die man sich freut, aber vergeblich auf das eine Geschenk wartet, dass das Fest perfekt machen würde. Einen ähnlichen Eindruck erweckte der Blick in die Gesichter der Spieler nach Schlusspfiff, die dreinschauten, als hätten sie die Tabelle auf dem Kopf gelesen. Was natürlich völlig absurd ist, denn auch wenn der VfB dieses Spiel hätte gewinnen können und ein anderes als das sportlich schwerste Los im Viertelfinale hätte bekommen können: Das 1:1 gegen Leverkusen ist kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt. Dass alle Gegner ausgerechnet gegen den VfB schlechte Tage haben, ist ja eine längst widerlegte Mär. In diesen Wochen misst sich die Brustring-Mannschaft mit dem Besten, was diese Liga zu bieten hat oder anders: Die Besten der Liga messen sich mit dem VfB. Auf Augenhöhe.
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Titelbild: © Adam Pretty/Getty Images
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