Groß war die Nervosität vor dem Spiel in Wolfsburg, wo der VfB zuletzt im vorletzten Jahrzehnt gewinnen konnte. Umso größer die Erleichterung, dass die Brustringträger sogar Elfmeter verschießen und trotzdem gewinnen konnten.
Die Stimmung in Bad Cannstatt war in der letzten Woche, gelinde gesagt, nicht die allerbeste. Nicht nur, dass man es erneut nicht schafft, auf Führungsebene professionell und vertrauensvoll zu arbeiten (dazu an anderer Stelle vielleicht bald mehr), auch die Mannschaft ließ bei der verspielten 2:0‑Führung gegen Berlin professionelles Abwehrverhalten und Selbstvertrauen vermissen und schmälerte damit das Vertrauen der Fans in ihre Fähigkeit auch dieses Jahr die Klasse zu halten. Klar: Bislang ist weder auf den oberen Etagen, noch auf dem Rasen wirklich etwas zu Bruch gegangen. Aber so panikaffin, wie das VfB-Umfeld in den letzten Jahren geworden ist, war die Perspektive eines Führungsstreits und eines Abstiegs, der auch finanziell fatale Folgen haben könnte, genug, um so manchen an den Rande des Nervenzusammenbruchs zu bringen.
Welche Erlösung bot da Geburtstagskind Konstantinos Mavropanos mit seinem vierten Saisontreffer! Als Karl Allgöwer während der Spielpause im vergangenen Jahr bei uns zu Gast war, weihte er uns ein in die Technik, die ihm den Spitznamen “Knallgöwer” einbrachte: In Geislingen habe er schon geübt, dem Ball sowohl Effet, als auch “Zugkraft” zu verleihen. Zu wenig Kraft lasse den Schuss zur Flanke werden, zuviel Kraft und zu wenig Effet gehe auf Kosten der Genauigkeit. Abschließend merkte er an, wer es nicht gut mit ihm gemeint habe, habe ihm vorgeworfen, er habe vor allem aus Lauffaulheit so viele Distanzschüsse abgegeben: Wer früher schießt, muss nicht so lang zurücklaufen. Ob Dinos seine Schüsse auch schon seit der Jugend übt und ob er auch dieses Mal wieder aus dem Rückraum abzog, um schneller wieder auf Position zu sein: Wir wissen es nicht. Aber was für ein Bums. Da war die Assoziation schon naheliegend:
Wasendinos
— Troy McClure (@fitzellurch) December 11, 2021
Reaktion gegen einen harmlosen Gegner
Die Wirkung, die dieser Urknall nicht nur auf die Tabelle, sondern auch auf Umfeld und Mannschaft hatte, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zwar zeigte sich Wolfsburg, wie VfL-Experte Leonard Hartmann im Gegnerinterview vor dem Spiel schon angekündigt hatte, ziemlich verunsichert. Aber auch der VfB war ja nach der letzten Woche nicht unbedingt ein Ausbund an Selbstvertrauen. Zumal vor dem Spiel noch Borna Sosa auf der linken Außenbahn ausfiel und durch den zuletzt zwar engagierten, aber häufig glücklosen Coulibaly ersetzt wurde.
Dass der VfB dennoch seinen ersten Auswärtssieg der Saison und den ersten Sieg in Wolfsburg seit dem Pokal-Halbfinale 2007 feierte, lag an zweierlei: Zum einen zeigte die Mannschaft eine Reaktion auf die schludrige Vorstellung der Vorwoche — und das übrigens nicht zum ersten Mal. Es wurde konsequenter verteidigt, zur Not auch in letzter Minute ein Fuß dazwischen gehalten und auch Flo Müller war bis auf eine Ausnahme meist auf dem Posten. Zum anderen brachte der Gegner eine ganz fatale Mischung aus hohem, aber nicht funktionierenden Pressing und katastrophaler Chancenverwertung auf den Platz. Mehr als einmal gelang es dem VfB, relativ schnell hinter die vorletzte oder letzte Reiher der Hausherren zu kommen, ein fitter Silas hätte hier schon in der ersten Halbzeit kurzen Prozess gemacht. Stattdessen trafen Mavropanos und nach einem schönen Spielzug relativ unbedrängt mitten aus dem Strafraum heraus Philipp Förster. Beides übrigens eingeleitet von Tanguy Coulibaly.
Mehr Zwischentöne!
Wolfsburg also engagiert, aber über weite Strecken völlig harmlos, so dass der VfB zum zweiten Mal in dieser Saison zu Null spielte. Und es sich sogar noch erlauben konnte, dass Omar Marmoush (ausgerechnet!) einen Panenka an die Latte setzte. Dass diese Überheblichkeit nicht bestraft wurde, spricht auch Bände. Zum einen über die zurückgewonnene Souveränität des VfB zum anderen über den schlechten Auftritt der Gäste. Ob wir uns solche Elfmeter in der aktuellen Situation erlauben können, lasse ich mal dahingestellt. Fest steht aber: Der VfB hat seine vor allem in den Spielen gegen Augsburg und Bielefeld verlorengegangene Widerstandsfähigkeit wiedergefunden. Die Mannschaft war engagiert, wenn sie auch gerade offensiv nicht immer die richtigen Entscheidungen traf. Und sie war nicht darauf aus, dass Ergebnis zu verwalten, sondern versuchte immer wieder, den Wolfsburgen den entscheidenden Stoß zu verpassen.
Nun haben wir drei Punkte mehr auf dem Konto und immer noch keinen Nachvolger auf einer der beiden vakanten Positionen. Aber so schnell werden eben aus der schlechten Laune nach dem Hertha-Spiel sieben Punkte aus drei Spielen und 17 Punkte im Tableau. Vielleicht täte uns ein wenig mehr Ausgeglichenheit, ein paar mehr Zwischentöne gut. Ja, die Mannschaft hat, aus verschiedenen Gründen, immer wieder wirklich schwache Spiele abgeliefert. Aber wie in der vergangenen Saison ist sie weiterhin in der Lage, ihre Stärken abzurufen und uns immer wieder zu überraschen. Sicherlich: Hätte sich Wolfsburg so hinten rein gestellt wie Hertha neulich, dann wäre es dem VfB wohl nicht so einfach gewesen. Aber dennoch: Die wenigsten hätten damit gerechnet, dass wir in einem der letzten drei Spiele vor Weihnachten noch Punkte holen, geschweige denn einen Sieg. Manchmal braucht es eben einen Brustlöser, eine Initialzündung, kurz: einen Wasendinos.
Titelbild: © Alex Grimm/Getty Images