Am Samstagabend will der VfB nach dem enttäuschenden Punktverlust am vergangenen Wochenende im Kampf um den Klassenerhalt wieder Boden gut machen. Ob das in Wolfsburg realistisch ist, darüber haben wir mit VfL-Experte Leonard Hartmann (@leonardmann04) von den Wolfsburger Nachrichten gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Leonard und danke, dass Du Dir wieder Zeit für unsere Fragen nimmst. Fangen wir mal mit etwas Aktuellem an: Am Mittwoch schied die Mannschaft nach einem 1:3 gegen Lille aus der Champions League aus. Was denkst Du, welche Auswirkungen das auf das Spiel am Samstagabend hat?
Leonard: Hi in den Süden, ich bin wie immer gerne dabei. Das war wirklich ein blutleerer Auftritt, sang- und klanglos sind die Wolfsburger aus der Champions League ausgeschieden. Ich halte einen nachhaltigen Schaden in Wolfsburg für möglich. Hier herrscht große Tristesse, die der Klub bis Samstag sicher nicht abschütteln wird. Ich rechne nicht damit, dass der VfL in einen “Jetzt-erst-recht”- bzw. Wiedergutmachungs-Modus schalten kann. Dafür sind die Wolfsburger viel zu angeknocked.
Nach einem guten Saisonstart unter Mark van Bommel musste dieser gehen, aktuell ist Wolfsburg unter seinem Nachfolger Florian Kohfeldt seit fünf Pflichtspielen, darunter drei Bundesliga-Partien sieglos. Wie bewertest Du den Trainerwechsel?
Der Trainerwechsel war auf der einen Seite absolut notwendig. Übrigens schon der im Sommer. Oliver Glasner war zwar fachlich bombastisch, aber menschlich — hört man aus vielen Teilen der Mannschaft — unterirdisch. Bei Mark van Bommel war es offenbar das komplette Gegenteil. Viel zu nett, aber zu schwach in der Moderation des Kaders und vor allem in der Erarbeitung seiner fußballerischen Ziele, die bis heute unbekannt geblieben sind. Jetzt also Florian Kohfeldt. Ich halte ihn für eine Top-Lösung, wenngleich nach dem starken Start nun der freie Fall eingesetzt hat. Aber er ist ein super Trainer. In der Rückrunde, wenn die Wolfsburger erstmals unter ihrem neuen Coach Trainingszeit haben werden, wird sich das Team stabilisieren. Da bin ich sicher. In die Winterpause müssen sie sich erstmal irgendwie retten.
Was macht Kohfeldt anders als van Bommel, wie lässt er die Mannschaft spielen?
Zu van Bommels Plan kann ich Dir nichts sagen. Kein Dunst, wohin er mit dem VfL wollte. Kohfeldt hingegen erklärt sehr genau, was seine Philosophie ist. Aber: Von der muss er jetzt abrücken. Gepflegtes Positionsspiel und blitzschnelle Kombinationen wird es erst einmal nicht geben, denn für die Entwicklung von wichtigen Automatismen hat er keine Zeit. Er muss jetzt eine Formation finden, in der sich die Mannschaft stabil fühlt, da gehe ich vom 3–4‑3 aus. Und er muss die Spieler wieder aufrichten, damit diese endlich wieder stabil und mit Wumms verteidigen. Das war der Erfolgsfaktor der Vorsaison. Und der ist komplett weg.
15 Tore hat der VfL aktuell geschossen, je fünf gehen aufs Konto von Lukas Nmecha und Wout Weghorst. Selbst die angriffstechnisch unterbesetzte Mannschaft des VfB hat schon fünf Tore mehr geschossen. Ist die mangelnde Torgefahr das Hauptproblem bei den zuletzt schlechten Ergebnissen?
Es krankt an beiden Enden des VfL-Spiels. Die Wolfsburger sind derart instabil, dass jedes Negativerlebnis sie derzeit implodieren lässt. Lacroix hat derzeit arge Formprobleme, Brooks, Mbabu und Baku auch — eigentlich alle Eckpfeiler der Vorsaison im Defensivbereich. Und ja: Offensiv fehlen die Automatismen, die es vor allem im Pressing unter Glasner noch gab. Die sind bei van Bommel verschwunden und seither nicht mehr aufgetaucht. Spielerisch ist es ganz, ganz dürftig. Wenn nur die drei Kellerkinder weniger Tore geschossen haben als du, dann müssen die Alarmglocken schrillen.
Blicken wir auf den Kader: Wie sind die Neuzugänge des Sommers bisher eingeschlagen und wo muss man gegebenenfalls im Winter nachjustieren?
Die beiden Teuersten, Waldschmidt und Bornauw, enttäuschen bisher auf ganzer Linie. Auch Maximilian Philipp, der nach einer Leihe fest verpflichtet wurde, spielt keine Hauptrolle. Positiv hervorheben muss man Lukas Nmecha und Aster Vranckx. Vor allem Vranckx, der im zentralen Mittelfeld alles in Grund und Boden ackert, ist wirklich ein Lichtblick in dieser dunklen Phase.
Vor wem müssen wir uns denn, abgesehen von Nmecha und Weghorst am Samstagabend in Acht nehmen und wo liegen die Schwächen des VfL?
Wenn Lukebakio denn Ball am Fuß hat, wird’s oft gefährlich. Die Flankenläufe von Paulo Otavio haben auch oft Potenzial. Ansonsten strahlt da gerade keiner — auch nicht Weghorst — permanente Gefahr aus. Einzig: Arnolds und Vranckx’ Standards sind bombig. Die Schwächen sind vor allem im Kopf auszumachen. Trifft der VfB früh, ist es um den VfL geschehen.
Omar Marmoush, den der VfB ohne Kaufoption für diese Saison auslieh, trifft auf seinen Stammverein. Gibt es da eigentlich aktuell schon Tendenzen, ob man nächste Saison mit ihm plant?
Eigentlich hat Marmoush keine Perspektive in dem Kader, da seine Position mit Waldschmidt, Philipp, Nmecha, etc. hochkarätig besetzt ist. Aber: Wenn Marmoush sich weiter so positiv entwickelt wie bisher, wären die Verantwortlichen doof, ihn sich nicht wenigstens in der Vorbereitung mal anzuschauen. Ich denke, dass da eine Entscheidung erst im Transfersommer fällt. Marmoush hat eigentlich keine Chance. Aber vielleicht nutzt er die.
Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?
1:2, Doppelpack Marmoush.
Titelbild: © Oliver Hardt/Getty Images