Ekstase, Enttäuschung, Ekstase, Entäuschung, Ekstase. Der VfB fährt mit seinen Fans Achterbahn und holt im zweiten Heimspiel in Folge in allerletzter Sekunde drei Punkte, Dinos Mavropanos trifft zum 2:1 — erneut vor einer ausflippenden Cannstatter Kurve.
Nach den ganzen frühen Gegentoren und zwei daraus resultierenden Auswärtsniederlagen war ja irgendwie klar, dass der VfB jetzt wieder eine Reaktion zeigen würde. Denn auch wenn man seit Monaten keine zwei Spiele mehr in Folge gemacht hat: Zwei richtig schlechte Spiele in Folge gab es auch selten. Also kämpften die Brustringträger gegen den direkten Konkurrenten aus Berlin endlich mal wieder um jeden Ball und belohnten sich mit dem frühen und sehenswerten Treffer von Guirassy. Und wieder mal stellt man sich die Frage: Warum nicht immer so? Klar hat Mönchengladbach einen stärkeren Kader als die Hertha. Aber es liegt selten am Gegner, sondern meist am VfB selber, wie viele Punkte er mitnimmt. Eine Haltung wie die ersten Minuten gegen Berlin und wir würden uns viele Diskussionen ersparen.
Weiter so?
Zum Beispiel, warum ein Lukebakio nach einem zu verteidigenden Ballverlust völlig freistehend eine völlig ohne Gegenwehr geschlagene Flanke zum Ausgleich einköpfen kann. Oder warum der VfB danach zwar immer noch zu Chancen, neben vielen überhasteten Fern- und abgeblockten Schüssen sogar zu guten Torchancen kommt, teilweise aber die Kontrolle über das Spiel verliert, so dass Mavropanos nicht nur vorm gegnerischen Kasten, sondern auch vorm eigenen zum Kopfball ansetzen muss. Dass es in der 98. Minute immer noch 1:1 steht, ist teilweise auch Hertha zu verdanken, die hinten genauso vogelwild unterwegs sind und vorne ähnlich aufsehenerregend ihre wenigen Chancen versieben. Auch wenn die expected goals-Werte ziemlich genau das Ergebnis widerspiegeln: Es gibt noch viel zu tun für Michael Wimmer, den Sven Mislintat gerne weiter auf seinem Posten lassen würde, könnte er es alleine entscheiden. Die sicherlich vor allem für die Öffentlichkeit gedachte Hochrechnung gehe ich allerdings nicht ganz mit, denn selbst wenn man auch den Sieg gegen Augsburg unterm Strich als verdient ansieht, hat der VfB nach wie vor Probleme, hinten dicht zu halten und den Deckel auf ein Spiel zu machen — klar, sonst gäbe es ja nicht diese Gefühlsexplosion in letzter Minute.
Nach dem Auf und Ab der letzten Wochen bin ich umso skeptischer geworden. Natürlich war man nach Gladbach genausowenig abgestiegen wie man jetzt den Klassenerhalt sicher in der Tasche hat. Die Leistungen der Mannschaft sind von Woche zu Woche, teilweise von Halbzeit zu Halbzeit einfach zu wechselhaft, um jetzt direkt wieder in Zuversicht zu verfallen. Ein Punktgewinn in Leverkusen am Samstag könnte diese Wahrnehmung ändern, die letzten Spiele geben aber wenig Anlass zur Hoffnung. Eine Erklärung dafür habe ich allerdings immer noch nicht. Nach der WM geht es dann direkt weiter mit Mainz, Hoffenheim und Leipzig, aber dann wird die Entscheidung schon gefallen sein. Vielleicht bin ich auch einfach noch zu sehr geschädigt von der Amtszeit von Jürgen Kramny, aber die Gefahr, dass es mit diesem Auf und Ab auch in der Rückrunde nicht reichen könnte, lässt sich nicht wegdiskutieren.
Freud und Leid
Aber weg vom Rumstochern im undurchdringlichen Nebel der Zukunft — ist ja eh gerade Volkssport — hin zu dem, weswegen wir trotzdem jede Woche hinschauen, egal wer auf der Bank sitzt oder auf der Tribüne: Emotionen. Zunächst die positiven, weil wir krass ist es eigentlich, dass Du zwei Mal in so kurzer Zeit dieses phänomenale Gefühl des Siegtreffers in letzter Minute haben kannst? Ich war weder gestern Abend noch gegen Augsburg im Stadion und sicherlich stand gegen Köln im Mai mehr auf dem Spiel, aber das ist dir in diesem Moment egal. Genauso wie es egal ist, was die 97 Minuten davor passiert ist. In diesem Moment willst Du die ganze Welt umarmen, weil Du fast nicht mehr damit gerechnet hast und danach Schluss ist und auch nichts Schlimmes mehr passieren kann. Hach.
Es gab aber auch negative Emotionen. Und ich rede noch nicht mal von den gegenseitigen Pöbeleien während der Verletzungsunterbrechung, ich rede davon, wenn Du siehst, dass ein Spieler — in dem Fall Dein Spieler, aber eigentlich ist es egal — mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegt und diese nicht sofort wieder aufmacht. Wenn Du hinterher siehst, dass er schon im Moment des Zusammenstoßes das Bewusstsein verliert. Wenn Du die Sekunden zählst, bis er sich wieder aufrichtet. Da kamen böse Erinnerungen an Gentner gegen Wolfsburg hoch, eine Szene, die ich aus der Kurve heraus verfolgte und bei der sofort klar war, dass da etwas Schlimmes passiert sein muss. Natürlich ist es schlimm, egal wen es trifft, aber zu den eigenen Spielern hat man dann doch nochmal eine besondere Bindung und in dem Moment ist auch alles andere egal, die vergebenen Chancen und die Abwehrfehler. Hoffen, wir, dass Endo sich wieder vollständig davon erholt. Gute Besserung, Kapitän!
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