Der VfB bleibt nach dem 1:1 in Gelsenkirchen seit mittlerweile acht Spielen ungeschlagen, verpasste aber einen möglichen Auswärtssieg durch eine zu brave und schlafmützige erste Halbzeit. Aber vielleicht riss die Siegesserie auch genau zum richtigen Zeitpunkt.
Was man nach den letzten Wochen immer wieder betonen muss: Ein Unentschieden in Gelsenkirchen ist grundsätzlich kein schlechtes Ergebnis. Die Torgefährlichkeit eines Klaas-Jan Huntelaar ist unbestritten und am anderen Ende des Spielfelds bedarf es schon einiger Anstrengung, um die Abwehr und schließlich auch Torhüter Ralf Fährmann zu überwinden. Hinzu kommt, dass man vor diesem Spiel zum ersten Mal seit ca. drei bis vier Jahren durchschnaufen konnte (erste Spieltage der vergangenen Spielzeiten mal ausgenommen): Denn nach den restlichen Ergebnissen vom Wochenende wäre selbst eine Niederlage im an diesem Tag wegen leichten Nieselregens zur Turnhalle umfunktionierten Stadion keine Katastrophe gewesen.
Mangelte gegen Schalke an der Einstellung?
Sicherlich: Es hätte das Ende sowohl der phänomenalen Siegesserie, wie auch der Serie ungeschlagener Spiele bedeutet. Tabellarisch wäre es jedoch nahezu folgenlos geblieben, der Vorsprung auf den Relegationsplatz hätte weiterhin sieben Punkte betragen. Und vielleicht liegt da auch der Grund für die schlafmützige erste Halbzeit. Trainer Jürgen Kramny monierte überraschend deutlich, dass der Auftritt vor der Pause auch der falschen Einstellung geschuldet war (schreibt unter anderem der Kicker). Ein Rückfall in alte Zeiten also, als sich die Mannschaft, in der Annahme, man könne Spiele auch mit 70 bis 80 % Einsatz gewinnen, den Schneid abkaufen ließ. Möglich ist das, schließlich stehen größtenteils noch die selben Spieler auf dem Platz, denen wir in der Hinrunde aller Fehler Zornigers zum Trotz mangelnde Motivation vorwarfen.
Meiner Meinung nach paarte sich die nicht ausreichend zwingende Einstellung aber auch mit einer gewissen Bravheit und völlig unangebrachten Zurückhaltung. Wie gegen Dortmund ließ man den Schalkern zu viel Platz, ließ sich ein ums andere Mal auf dem Flügel überlaufen und schenkte den Hausherren mit dieser Passivität das 1:0. Schon der von Tyton klasse parierte Schuss hätte gar nicht fallen dürfen, aber erst der halbgare Kopfballversuch von Daniel Schwaab und der verlorene Zweikampf von Lukas Rupp ermöglichten es Belhanda, einen Kopfball von der Strafraumkante (!) im VfB-Tor unterzubringen.
So weit, so enttäuschend. Wobei ich persönlich selbst zur Halbzeit wesentlich entspannter war als bei irgendeinem anderen Spiel der gesamten Saison. In dem Wissen, dass eine Niederlage nicht gleich bedeuten würde, dass man mit dem Rücken zur Wand steht. Aber auch in dem Wissen, dass die Mannschaft gegen Wolfsburg und Köln einen 1:0‑Rückstand in einen Sieg umwandeln konnte.
Kramny macht der Mannschaft Beine und wechselt das Tor ein
Und vielleicht ist das auch die Qualität eines Jürgen Kramny. Er schafft es , der Mannschaft in der Kabine den Marsch zu blasen. Denn so traten die Jungs im Brustring nach der Halbzeit auf. Erneut nahm Kramny seine Standardwechsel vor: Maxim für Didavi (der eine völlig unverdiente gelbe Karte erhielt und damit schon wieder ausfällt), Kravets für Werner (der erneut ein Opfer des Spielsystems wurde. Mit einem phyisch nicht so robusten Spieler hast Du es gegen eine starke Defensive schwer) und schließlich Harnik für Dié. Wie schon gegen Hamburg waren zwei der Einwechselspieler für das VfB-Tor zuständig: Maxims Ecke wurde von Gentner vor die Füße von Harnik verlängert, der in diesem Moment endlich mal wieder die lange vermisste Kaltschnäuzigkeit bewies. Gut und gerne hätte dann noch das 2:1 für den VfB fallen können, genauso wäre aber auch ein später Siegtreffer der Schalker möglich gewesen. Dass das Spiel am Ende Unentschieden ausging ist also eine Mischung aus Behäbigkeit in der ersten und dem erzwungenen Erfolg in der zweiten Hälfte.
Und so lässt der Auftritt in Gelsenkirchen auch einige Rückschlüsse auf das anstehende Spiel gegen Hannover zu. Wenn die Spieler von Beginn an wach sind und wach bleiben, ist ein ungefährdeter Sieg gegen 96 durchaus drin. Dafür muss die Mannschaft aber im Hinterkopf behalten, dass für sie keine Partie ein Selbstläufer ist. Das hat schließlich die erste Halbzeit am Sonntag bewiesen. Gleichzeitig steht Hannover 96 nach der Niederlage gegen Augsburg am Abgrund. Eine weitere Niederlage, es wäre die neunte in Folge, könnte bei den entsprechenden Ergebnissen der Konkurrenz bereits eine Vorentscheidung im Abstiegskampf sein. Trotz der Sperre von Hugo Almeida muss der VfB höllisch aufpassen, sich nicht vom Tabellenplatz der Gäste blenden zu lassen.
Ein Unentschieden zum richtigen Zeitpunkt?
Immerhin: Die zweite Halbzeit in Gelsenkirchen sowie die Spiele zuvor lassen hoffen, dass der VfB auch dieses Spiel erfolgreich bestreitet und seinerseits das neunte Spiel in Folge ungeschlagen bleibt. Denn was auch gegen Schalke deutlich wurde: Die Offensivreihe des VfB ist stark genug besetzt, um mit der entsprechenden Laufbereitschaft auch Gegner wie Dortmund und Schalke in Bedrängnis zu bringen. Das Unentschieden, so sieht es auch Jürgen Kramny, kam also vielleicht genau zum richtigen Zeitpunkt. Ein siebter Sieg in Folge hätte die Euphorie rund ums Neckarstadion noch weiter angefacht, zumal dann die Europapokalplätze in realistischer Schlagweite gelegen hätten. So muss sich der VfB weiter Stück für Stück aus dem Keller kämpfen. Das geht aber nur, wenn man auf dem Boden bleibt und jeden Sieg als das begreift, was er ist: Eine Wiedergutmachung für einen Großteil der Spiele der vergangenen Jahre, insbesondere in dieser Hinrunde.