Von der Realität überrascht

Egal ob man jetzt Trai­ner oder Sport­di­rek­tor in ihrer erschre­cken­den Wider­sprüch­lich­keit glaubt: Die Mann­schaft hat nach knapp zwei Jah­ren immer noch kei­ne Ahnung vom Abstiegs­kampf.

“Wir haben nicht das auf den Platz bekom­men, was wir uns vor­ge­nom­men haben. Dafür gibt es kei­ne Ent­schul­di­gung. Es war ein­fach zu wenig. In der zwei­ten Hälf­te hat sich die Mann­schaft, um den Aus­gleich bemüht. Die Prä­zi­si­on und teil­wei­se die Abstim­mung haben aber gefehlt.”

“Wir sind zwar zu eini­gen Abschlüs­sen gekom­men, ohne aber die ganz gro­ßen Chan­cen zu haben. Die­se Nie­der­la­ge ärgert uns. (…) Wir wer­den knall­hart in die Ana­ly­se gehen, unse­re Schlüs­se zie­hen und die­se in das Heim­spiel über­set­zen.“

„Wir haben die ers­te Hälf­te, vor allem die ers­ten Minu­ten des Spiels, ver­schla­fen und bekom­men das frü­he Gegen­tor. In der zwei­ten Hälf­te haben wir ver­sucht, die Par­tie noch zu dre­hen. Uns hat aber die Prä­zi­si­on im Angriffs­spiel gefehlt. Im letz­ten Drit­tel vor dem geg­ne­ri­schen Tor kommt zu wenig rum.”

“Es ist sehr ärger­lich, die Tore sind viel zu ein­fach gefal­len und die ers­te Hälf­te haben wir kom­plett ver­schla­fen. Mir hat hier der Mut gefehlt.”

„Wir haben uns in der ers­ten Hälf­te zu wenig bewegt und waren nicht wach, das musst du (…) bes­ser machen. Wir müs­sen muti­ger sein! In der zwei­ten Hälf­te haben wir es bes­ser gemacht, haben gezeigt, was wir kön­nen. Wir wer­den bis zum Ende wei­ter­kämp­fen.“

Wer hat’s wann gesagt?

Fünf Zita­te von Ver­ant­wort­li­chen und Spie­lern des VfB Stutt­gart: Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo, Sven Mislin­tat und Wal­de­mar Anton zur 0:2‑Niederlage bei Her­tha ver­gan­ge­ne Sai­son sowie Bru­no Lab­ba­dia und Bor­na Sosa nach der gest­ri­gen Par­tie auf Schal­ke. Damals wie heu­te trat der VfB bei einem direk­ten Kon­kur­ren­ten um den Klas­sen­er­halt an — und ver­sag­te. Ja, man kann es nicht anders bezeich­nen. Wer vor weni­ger als einem Jahr schon ein­mal in der glei­chen Situa­ti­on war und immer noch nicht begreift, wor­auf es in sol­chen Spie­len ankommt, der hat in sei­nem Job als Fuß­ball­pro­fi ver­sagt. Nun ist ja die Mann­schaft durch­aus in der Lage, mehr zu leis­ten als sie das gegen Schal­ke in der ers­ten Halb­zeit und ehr­li­cher­wei­se auch in der zwei­ten Halb­zeit tat. Sie sucht sich dafür nur lei­der die Spie­le aus, in denen es ange­sichts der Stär­ke der Geg­ner außer Schul­ter­klop­fern nichts zu holen gibt.

Eine sol­che Stär­ke kann man dem Tabel­len­letz­ten aus Gel­sen­kir­chen nun wirk­lich nicht attes­tie­ren. Immer­hin hat­ten sie die letz­ten vier Spie­le zu Null gespielt, gin­gen aber auch gera­de in der Abwehr ersatz­ge­schwächt in die Par­tie. Sie hat­ten aber auch in kei­ner der let­zen vier Par­tien ein eige­nes Tor erzielt. Zum Glück gibt es den VfB. Der lässt sich nach einem Abschlag des Tor­hü­ters mit einem Kopf­ball an der Mit­tel­li­nie aus­he­beln und dann über­lau­fen. Oder beschränkt sich im Zwei­kampf auf der Außen­bahn auf Geleit­schutz. Und schon trifft man in 45 Minu­ten genau­so häu­fig wie in den letz­ten acht (!) Spie­len. Man muss nicht mal spie­le­risch glän­zen, es reicht schon, es mehr zu wol­len. Will­kom­men im Abstiegs­kampf.

Keine Qualität im Kopf

Den beherrscht die Mann­schaft auch in der zwei­ten Sai­son in Fol­ge immer noch nicht. Weder im Abwehr­ver­hal­ten, wo sich nach Ball­ver­lus­ten wie bei den Bam­bi­nis alle in Rich­tung des ball­füh­ren­den Spie­lers ori­en­tier­ten oder ein­fach nur ohne Zuord­nung in der Gegend rum­ste­hen. Noch im Auf­bau- und Angriffs­spiel, wo die Mann­schaft statt Risi­ko- nur noch Sorg­los-Päs­se spielt und kon­stant die fal­schen Ent­schei­dun­gen trifft. Egal ob Silas, Chris Füh­rich oder Gil Dias: Das Offen­siv­trio steht sich meist selbst im Weg, wenn der Ball über­haupt bei ihnen ankommt und nicht schon vor­her einem Fehl­pass oder einem Stock­feh­ler zum Opfer gefal­len ist. Da hilft es dann auch nichts mehr, wenn sich die Mann­schaft im Lau­fe des Spiels rafft: Für Situa­tio­nen wie in der ers­ten Halb­zeit fehlt der Mann­schaft schlicht­weg die Qua­li­tät. Nicht immer im Fuß, aber vor allem im Kopf.

In einem immer­hin glänzt die Mann­schaft: Selbst­täu­schung und Selbst­über­schät­zung. Statt unab­hän­gig von der Qua­li­tät des Geg­ners genau­so in die­ses Spiel rein­zu­ge­hen wie in das gegen Köln, schal­te­te sie wie­der zwei Gän­ge zurück und ging erst­mal mit hoch­ge­leg­ten Füßen ans Werk. Wer konn­te ahnen, dass das gegen eine Mann­schaft, die mit dem Rücken zur Wand steht, schief gehen wür­de? Erneut ver­traut die Mann­schaft zu sehr auf ihre ver­meint­li­chen spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten und ver­gisst dabei, dass die­se allein für den Erfolg nicht aus­rei­chen. Immer und immer wie­der, egal unter wel­chem Trai­ner. Die “super Jungs”.

Bruno weiß es besser

Aber auch die Übungs­lei­ter haben ihren Anteil an der Mise­re. Der VfB hat seit dem Wie­der­auf­stieg einen kon­stan­ten Gegen­tor­schnitt von 1,7 pro Spiel. Und trotz­dem meint Bru­no Lab­ba­dia in einer Mischung aus Selbst­über­schät­zung und “Ent­spannt Euch mal”, er könn­te ein­fach jede Woche einen lang­sa­men Innen­ver­tei­di­ger ohne Fähig­kei­ten im Spiel­auf­bau auf die Außen­bahn stel­len. Ganz über­ra­schend wird der auf der Außen­bahn wie­der über­lau­fen, nach­dem er sich bei einem lan­gen Ball des Geg­ners ver­schätzt. Ist eine Vie­rer­ket­te mit die­sem Per­so­nal wirk­lich der Weis­heit letz­ter Schluss? Und muss man wirk­lich an einem Drei­er­sturm fest­hal­ten, wenn kei­nen Stür­mer mehr hat, der auch ohne zwei­te Spit­ze funk­tio­niert? Nein, Bru­no weiß es bes­ser.

Und ver­sagt dar­über hin­aus offen­sicht­lich wie sei­ne Vor­gän­ger in der Anspra­che an die Mann­schaft. Es wäre sei­ne Auf­ga­be, zusätz­lich zur eigent­lich zu erwar­ten­den Eigen­mo­ti­va­ti­on der Spie­ler unter der Woche die Span­nung hoch­zu­hal­ten und sie genau­so heiß auf die­ses Spiel zu machen, wie es offen­sicht­lich Tho­mas Reis gelun­gen ist. Ihnen klar zu machen, dass sie nicht nur elf mit­tel­mä­ßi­ge, aber moti­vier­te Spie­ler gegen sich haben, son­dern ein gan­zes Sta­di­on. Sie damit zu rei­zen, dass man sich mit einem Sieg end­lich aus dem punkt­glei­chen Pulk da unten befrei­en könn­te und sich gleich­zei­tig eines Kon­kur­ren­ten so gut wie ent­le­di­gen könn­te. Statt­des­sen erwar­te­te man im Trai­ner­team wohl einen ähn­lich deso­la­ten Geg­ner wie in der Vor­wo­che und ver­traut auf die eige­nen Feu­er­wehr-Fähig­kei­ten. Will­kom­men in der Rea­li­tät!

Vielleicht reicht es, vielleicht nicht

Mann­schaft und Trai­ner sind nicht in der Lage, Wider­stän­de zu über­win­den, zumin­dest nicht über mehr als ein Spiel hin­aus. Auf jede der weni­gen guten Leis­tun­gen oder gar Ergeb­nis­se folgt ein Rück­schlag und das seit dem Som­mer 2021. Jetzt holt man sich gegen Mün­chen und in Frank­furt, gegen Wolfs­burg und bei Uni­on wie­der Schul­ter­klop­fer ab, um im April in Bochum dann kom­plett über­rascht zu sein, dass man dort genau­so viel leis­ten muss wie gegen die Gro­ßen und Mit­tel­gro­ßen der Liga.

Zwölf Spie­le hat der VfB jetzt noch vor sich. Ich wür­de ger­ne hof­fen, dass sich sol­che Auf­trit­te wie gegen Schal­ke nicht wie­der­ho­len und dass man hin­ter­her nicht Trai­ner und Sport­di­rek­tor öffent­lich debat­tie­ren hören muss, ob die Trup­pe auf den Geg­ner vor­be­rei­tet, aber nicht in der Lage war, ent­spre­chend zu agie­ren oder ob sie die Erkennt­nis, im Abstiegs­kampf zu ste­hen, aus hei­te­rem Him­mel trifft. Ich träu­me davon, dass Trai­ner und Mann­schaft aus die­sem Spiel ler­nen und wir ent­we­der eine ande­re For­ma­ti­on oder pas­sen­der­wei­se Per­so­nal auf dem Platz sehen und vor allem eine ande­re Hal­tung. Ich weiß aber, dass ich wie­der ent­täuscht wer­de. Mann­schaft und Trai­ner wer­den in ihrer Selbst­über­schät­zung wie­der ver­sa­gen und viel­leicht reicht es trotz­dem wie­der auf den letz­ten Drü­cker. Und viel­leicht auch nicht.

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass fragt “Ist das Fuß­ball oder kann das weg?”. Stuttgart.International sieht erneut eine ver­pass­te Chan­ce, sie ist sozu­sa­gen “Ver­pufft”.

Titel­bild: © Lars Baron/Getty Images

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