Wieder verliert der VfB ein wichtiges Spiel beim direkten Konkurrenten Hertha im Saisonendspurt. Trotz des Aufwärtstrends der letzten Wochen. Warum nur?
Ich war mir sicher: Die Mannschaft hat zwar immer noch Defizite in der Spielintelligenz und stellt sich manchmal durch individuelle Aussetzer selber ein Bein, aber sie hat es kapiert. Sie hat verstanden, dass man den Abstiegskampf nicht auf einer halbe Arschbacke absitzen kann, dass man in jedem Spiel an seine Grenzen gehen muss und dass die Angst vor Fehlern ihr größter Feind ist. Ein 1:0 gegen Nürnberg, ein 3:1 in Bochum, ein 3:3 in Unterzahl gegen Dortmund, ein 1:1 in Augsburg, ein 2:1 gegen Mönchengladbach, ein ein haarscharfes 2:3 in Unterzahl gegen Frankfurt. Macht in der Summe viele Gegentore, aber auch viele Tore, Vor allem aber: viel Leben, viel Feuer, viel Widerstand gegen den Gegner und die eigene Tollpatschigkeit. Nach dem Halbfinale am Mittwoch war ich mir sicher: “Dass man sich am Samstag in Berlin herspielen lässt, erscheint aktuell unwahrscheinlich.”
Und dann das. Hertha hat die letzten vier Spiele alle verloren und zuletzt Ende Februar ein Spiel gewonnen. Eine Mannschaft am Abgrund. Und eine VfB-Mannschaft, die nicht den Mut besitzt, sich zumindest eines direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt zu entledigen, sondern das Spiel schon mit gestrichen vollen Hosen beginnt. Während Hertha wie Schalke im Februar, wie Augsburg neulich aufs Tor drängt, spielt der VfB Sicherheitsfußball, ohne die nötige Sicherheit zu besitzen. Dass die Mannschaft den Willen und die Mittel haben kann, einen Gegner wie Hertha zu bespielen zeigt sie beim Ausgleich und in den folgenden sieben Minuten, bis zum fatalen zweiten Tor der Berliner. Und danach? Ist der Ofen aus.
Viel zu wenig
Ja, sicher. Irgendwie haben sie es noch probiert, das Spiel erneut auszugleichen. Aber schon nach zehn Minuten in der zweiten Hälfte war klar, dass die Mannschaft die Kontrolle über die Partie verloren hatte. Während man hinten immerhin dicht hielt, wurden vorne die Räume nicht richtig besetzt, schlug Borna Sosa eine Ludovic-Magnin-Gedächtnisflanke nach der anderen wild durch den Strafraum, wollte jeder mal zeigen, wie geil er zocken kann. Was ihnen aber nicht gelang: Hertha unter Druck zu setzen. Die Mannschaft, die nach Bochum die zweitmeisten Tore der Liga kassiert hat. Stattdessen verlierst Du, weil dein Außenstürmer von Sporting träumt, in Berlin aber lieber auf Abseits reklamiert, als ne Flanke zu unterbinden. Und weil deine Innenverteidiger mal wieder einen Kopfball nach einer Flanke nicht verteidigen können und überrascht davon sind dass ein scharf getretener Freistoß im Fünfer runterkommt und gleich zwei Gegenspieler versuchen werden, im richtigen Moment in diesen Ball reinzuspringen.
Kurzum: Was der VfB in Berlin zeigte, war viel zu wenig. Zu wenig für die Situation, in der man sich befindet, zu wenig nach den Leistungen der letzten Wochen. Wenn es ganz beschissen läuft, zu wenig für den Klassenerhalt. Den muss man nämlich nach dem Rückfall auf den Relegationsplatz gegen Leverkusen, in Mainz und gegen Hoffenheim klar machen. Klar, an den letzten Spieltagen kann alles passieren, wie wir spätestens seit letzter Saison wissen. Aber warum verdammt nochmal nutzt man nicht die Gelegenheit, die sich in einem Duell mit einem direkten Konkurrenten bietet? Waren Bochum und Gladbach wirklich so schlecht und willenlos, dass es gegen uns nicht reicht oder hatte die Mannschaft einfach gegen Berlin einen Totalausfall zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt?
Ausreden statt Erklärungen
Erklärungsansätze gibt es natürlich viele. Sebastian Hoeneß ist natürlich klar, dass er seine Mannschaft — und vor allem diese mental so labile — nicht öffentlich anzählen kann, weswegen er auf den Pokalfight am Mittwoch, die Sperre von Karazor, die Verletzung von Mavropanos und — I shit you not — das Ergebnis der Schalker am Freitag verwies. Borna Sosa hingegen war der Ansicht, der Mannschaft habe “die Überzeugung gefehlt”. Nun hat Sosa auch Labbadia als den besten Trainer bezeichnet, den er je hatte. Vielleicht erzählt der Gute in so Interviews auch grundsätzlich Quatsch. Es wäre zu hoffen, weil wie einer Mannschaft in diesem Spiel die Überzeugung fehlen kann, ist für mich — ihr ahnt es — unerklärlich.
Natürlich ist es gute Tradition in Stuttgart, die Mannschaft aus der Pflicht zu nehmen. Ich kann das sogar ein gutes Stück nachvollziehen, weil es ja auch eine geile Truppe ist, wenn sie mal in der Lage ist, es zu zeigen. Deswegen war dann zu lesen, Bruno Labbadia habe die Mannschaft in diese missliche Lage gebracht, in der ein Spiel in Berlin eine solche Bedeutung habe. Ohne seine Pleiten-Serie wäre die Niederlage nicht so gravierend. Oder es wird der alte Leierkasten mit dem Bundesliga-untauglichen Kader rausgeholt, die qua Inhalt nach jedem guten Spiel wieder genauso schnell verstummt. Irgendwann las ich auch mal, mit der ständigen Unruhe in den Gremien könne auch keine Ruhe auf dem Platz einkehren. Oder aber man dürfe im Abstiegskampf seine satzungsgemäßen Rechte nicht wahrnehmen. Nicht, dass Waldemar Anton wieder einen Sprint in die Kabine hinlegen muss, weil er Angst vor seinem neuen Chefs vom Amtsgericht Stuttgart hat.
Das Fleisch liegt auf dem Grill, er muss halt brennen
Ich verstehe ja, dass dieses Spiel verwirrend ist, wenn man nur in der Lage ist, auf Doppelpass-Niveau monokausale Zusammenhänge darzustellen, aber
Wem hier jetzt nix besseres einfällt als über Einzelpersonen zu diskutieren dem geht es nicht um den #VfB und den Klassenerhalt, sondern nur um Selbstprofilierung und eigene Interessen.
— Jens1893 (@Jens1893) May 6, 2023
Ja, die Mannschaft hat Probleme, sonst würde sie nicht seit zwei Jahren konstant im Tabellenkeller stehen. Nein, die Mannschaft ist nicht bundesliga-untauglich, der Kader ist auch nicht zu jung und auch nicht zu windschief — was auch immer das sein soll — um die Klasse zu halten. Ja, Labbadias Amtszeit war eine Vollkatastrophe. Manche meinen mit Ansage, ich meine, weil er das Gegenteil von dem getan hat, was er großspurig angekündigt hat. Aber nein, Labbadia ist nicht daran schuld, dass die Mannschaft dieses Spiel vergeigt hat, nur weil er mit Schuld daran ist, dass es diesen Stellenwert hat. Ja, wir würden mit einer besseren Trainerentscheidung im Winter vermutlich besser da stehen, vielleicht aber auch nicht, wenn die Mannschaft weiterhin zu solchen Nicht-Leistungen fähig ist.
Kurz: Es liegt an der Mannschaft. Die kann mehr als sie gezeigt hat. Und mit Sebastian Hoeneß hat sie meiner Meinung nach zumindest aktuell den richtigen Trainer, der sie zu den nötigen Höchstleistungen antreiben kann. Das Problem ist aber genau das: Diese Mannschaft braucht einen Grillanzünder. Das ist entweder ein eigener Ausgleich, eine Halbzeitansprache oder ein eigenes frühes Tor, die ihr verdeutlicht: Hey, wenn wir uns hier richtig reinhauen, werden wir uns mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dafür belohnen. Zu beobachten nach dem Ausgleich in Berlin, als die vorher nicht auffindbare Sicherheit plötzlich wieder da war. Bis Florian Niederlechners Fußspitze ihr den Stecker zog.
Kein Verständnis
Diese emotionale Instabilität sorgt dafür, dass sich die Mannschaft in einen Rausch spielen kann, aber eben auch dafür, dass sie in eine lähmende Lethargie verfällt, wenn sie auf eine Mannschaft wie die von Hertha trifft, die von Anfang an genau weiß, was sie will. Dass die Mannschaft in so Situationen nicht in der Lage ist sich einen Ruck zu geben, hat weder etwas mit Kaderplanung, noch mit dem Trainer zu tun. Egal wer dich geholt hat, egal wer dich trainiert: Wenn Du als Mannschaft in diesen Spielen kollektiv nicht in der Lage bist, die Situation anzunehmen, hast Du ein Problem. Und ich kein Verständnis. Und nein: Es ist nicht zu viel verlangt, direkte Konkurrenten um den Klassenerhalt schlagen zu wollen oder sich bietende Chancen auf Punkte (Bremen und Hoffenheim Hinrunde, als extremes Beispiel) nutzen zu wollen. Und ja, da steht auch ein Gegner auf dem Platz und die spielen auch Bundesliga. So what?
Ihr liebe Mannschaft, wollt Bundesliga spielen. Zumindest wollt ihr keinen Abstieg unter Eurem Namen stehen haben. Oder?
Dann reißt Euch zusammen. Für dieses Spiel gibt es keine Erklärung, keine Ausrede und keine Entschuldigung. Es gibt keine Alibis mehr. Ihr habt weiterhin die Chance, den VfB in der Bundesliga zu halten. Nutzt sie!
Titelbild: © Maja Hitij/Getty Images
Danke, komplette Zustimmung. Ein Zusatzding: Sosa will keiner als Kapitän, Endo will man aber spürt ihn nicht. Ich denke da fehlt ein Mosaiksteinchen — aber es gibt noch weitere