Nachdem der VfB in Berlin drei Punkte liegen ließ, muss er am Sonntag gegen Leverkusen welche holen. Wie schwer das wird, darüber haben wir mit Leverkusen-Experte Sebastian von der Rheinischen Post gesprochen.
Rund um den Brustring: Hallo Sebastian und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Leverkusen verlor am Freitag überraschend gegen Lokalrivalen Köln, bleibt aber auf Platz 6, zwei Punkte vor Wolfsburg. Platz 5 ist mit acht Punkten Rückstand kaum mehr erreichbar. Hättest Du der Mannschaft den Sprung auf die internationalen Plätze nach der verheerenden Hinrunde zugetraut und glaubst Du, sie können Platz 6 verteidigen?
Sebastian: Dass Bayer nach dem desaströsen Start in die Spielzeit überhaupt noch die Chance hat, kommende Saison wieder international zu spielen, damit war auch zu Jahresbeginn noch nicht wirklich mit zu rechnen. Dafür waren sowohl die Leistungen als auch die Ergebnisse zu schwankend. Die erst durch die Derbypleite gegen Köln gestoppte Serie mit 14 Pflichtspielen in Folge ohne Niederlage hat aber gezeigt, zu was die Werkself imstande ist, wenn die Mannschaftsteile ineinandergreifen. Jetzt traue ich dem Team auch zu, genügend Punkte zu sammeln, um am Ende mit letzter Kraft knapp vor Wolfsburg zu landen.
Vor und nach dem Spiel am Sonntag stehen die Europa League-Halbfinals gegen die AS Rom an. Erwartest Du dadurch eine Ablenkung am Sonntag?
Natürlich steht die zweite Begegnung gegen die AS Rom im Fokus der Leverkusener. Das wird auch kaum jemand unter dem Bayer-Kreuz ernsthaft abstreiten. Schließlich winkt dem Werksklub im Falle des Gewinns der Europa League nicht nur der erste Titel seit dem DFB-Pokalsieg 1993, sondern auch die Möglichkeit, dadurch kommende Saison wieder in der Champions League anzutreten. Die Roma wirkt nicht unverwundbar und Bayer darf sich trotz des 0:1 in Italien berechtigte Chancen auf den Finaleinzug ausrechnen. Was dagegen spricht, sind die zuletzt gezeigten Leistungen. Die Aufholjagd hat den Profis der Werkself viel abverlangt, sowohl mental als auch physisch.
Xabi Alonso übernahm im Herbst vom erfolglosen Gerardo Seoane. Was macht ihn aus und wie lässt er die Mannschaft aktuell spielen?
Nicht zuletzt aufgrund seiner Vita als Spieler haben die Profis viel Respekt vor dem Spanier, der mit klaren Anweisungen und Aufgabenverteilungen die Stabilität ins Spiel der Werkself zurückgebracht hat. Er besticht mit viel Charisma und hat – wenn auch mit etwas Anlaufzeit – dem Team neues Leben eingehaucht. Statt des in den Jahren zuvor häufig kritisierten „Hurra-Fußballs“ überzeugten die Leverkusener unter Alonso bislang vor allem mit einer fokussierte Defensivarbeit sowie gezieltem Konterspiel. Als Profi lernte Alonso unter anderen von den Trainerlegenden José Mourinho und Pep Guardiola, wobei man nach dieser Saison festhalten muss, dass es wohl eher der Portugiese war, der Alonso nachhaltiger beeinflusst hat. Eine saubere Arbeit in der Verteidigung sowie ein positives Resultat haben beim Welt- und Europameister Vorrang – unabhängig vom System.
Moussa Diaby ist mit 18 Scorerpunkten natürlich Leverkusens gefährliche Waffe. Auf wen müssen wir sonst noch aufpassen?
Florian Wirtz ist freilich ein Ausnahmespieler und kann Partien durch sein Genie im Alleingang entscheiden. Dass es für Bayer nach seiner Rückkehr bergauf ging, kommt nicht von ungefähr. Neben Diaby und dem deutschen Nationalspieler hängt in Leverkusen zudem viel von Jeremie Frimpong ab, der in dieser Saison noch einmal einen Sprung gemacht hat und auf der rechten Außenbahn nahezu unverzichtbar ist.
Wo siehst Du die Stärken der Mannschaft und welche Schwächen könnte der VfB eventuell ausnutzen?
Die Schnelligkeit und das überfallartige Konterspiel sind die Steckenpferde dieser Werkself. Zudem hat die Mannschaft unter Xabi Alonso eine defensive Identität entwickelt. Eine enorme Schwächung dürfte indes der sehr wahrscheinliche Ausfall von Robert Andrich sein, der sich in Rom unter Umständen schwerer am Fuß verletzt hat. In der Mittelfeldzentrale war er in den vergangenen Monaten entscheidend am Erfolg der Leverkusener beteiligt, eine echte Alternative für ihn findet sich nicht im Kader. Ein Vorteil für Stuttgart könnte darüber hinaus die Belastung der Leverkusener Stammkräfte zuletzt sein. Viele Profis wirkten überspielt. Diaby verliert bei enger Bewachung zu häufig die Lust, zudem fehlt Bayer seit dem Saison-Aus von Patrik Schick ein Zielspieler im Sturmzentrum. Kann der VfB die Werkself zu häufigen Flanken verleiten, wäre das ein Pluspunkt für Stuttgart.
Zum Abschluss: Was ist Dein Tipp für Aufstellung und Ergebnis?
Ich denke, dass der Coach zwischen den beiden Halbfinals in der Europa League viel rotieren wird. Vor Lukas Hradecky im Tor der Leverkusener könnte er auf eine Dreierkette bestehend aus Timothy Fosu-Mensah, Edmond Tapsoba und Piero Hincapie setzen, die Außenbahnen könnten von Jeremie Frimpong (rechts) und Mitchel Bakker (links) bearbeitet werden. Im Mittelfeld kann ich mir eine Achse aus Kerem Demirbay und Nadiem Amiri vorstellen, aber auch Exequiel Palacios ist sicher ein Kandidat für die Startelf. Bei Florian Wirtz ist eine Pause denkbar, so dass ein Dreiersturm auch aus Moussa Diaby, Sardar Azmoun und Amine Adli bestehen könnte.
Titelbild: © Christof Koepsel/Getty Images