Am Sonntag tritt der VfB mit zweimonatiger Verspätung in Wiesbaden an — im ersten von neun Geisterspielen. Wir haben uns nochmal mit SVWW-Blogger Gunnar (@stehblog) unterhalten — diesmal aber mit einem anderen Schwerpunkt.
Rund um den Brustring: Hallo Gunnar und vielen Dank, dass Du Dir erneut Zeit für unsere Fragen nimmst. Zunächst: Wie geht es Dir, wie waren die letzten zwei Monate für Dich?
Gunnar: Hallo Lennart und für Euch doch jederzeit gerne. Mir geht’s eigentlich gut. Natürlich sind die einen oder anderen Einschränkungen zuweilen etwas unangenehm, aber als Familie haben wir uns zumindest recht schnell mit Homeoffice und Homeschooling arrangiert. Und so langsam kann man auch wieder manchen Freizeitaktivitäten nachgehen, z. B. Tennis spielen.
Am Sonntag soll das ursprünglich für den 15. März angesetzte Spiel zwischen dem SVWW und dem VfB ausgetragen und die Zweitliga-Saison zuende gespielt werden. Was hältst Du davon? Wirst Du Dir das Spiel im Fernsehen anschauen (wenn Du die Möglichkeit dazu hast)?
Ich bin da hin- und hergerissen. Einerseits ist mir die wirtschaftliche Notwendigkeit für die Vereine völlig klar (und immerhin hat die Wirtschaftsbranche “Profifußball” so die Möglichkeit, auch ohne staatliche Hilfe zu überleben), andererseits fühlt es sich aus Fanperspektive irgendwie sinnlos an, wenn die Zuschauer nicht ins Stadion dürfen. Als reinen Notbetrieb für einen überschaubaren Zeitraum kann ich das schon akzeptieren und werde mir die SVWW-Spiele auch im Fernsehen anschauen, aber ich befürchte, dass vor allem die letzten Spiele, wenn es um Drinbleiben oder Abstieg geht, sehr ätzend werden, wenn man seine Emotionen nicht mit anderen Fans teilen kann.
Vielleicht kann man bis dahin wenigstens wieder in einer Kneipe oder im Biergarten schauen, wobei ich mir die Sache mit dem Abstandsgebot als ziemlich schwierig vorstelle, wenn kurz vor Schluss der entscheidende Treffer zum Klassenerhalt fallen sollte. (Nebenbei: heute jährt sich zum vierten Mal Alf Mintzels rettendes Tor in der letzten Sekunde, einer der großartigsten Momente der Vereinsgeschichte.)
Ganz kurz zum Sportlichen: Welche Auswirkung wird die Pause und das Spielen unter diesen besonderen Umständen auf die Geisterspiele Deiner Meinung nach haben? Was ist Dein Tipp für das Spiel am Sonntag?
Schwer zu sagen. Nach zwei Monaten ohne Spielpraxis und nach nur einer guten Woche Mannschaftstraining direkt in den Wettkampf zu starten, zumal mit den besonderen Begleitumständen, ist schon ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser. Keine Ahnung, ob das vielleicht den einen Spieler hemmt, aber den anderen beflügelt, weil er nicht vor Publikum spielt. Oder ob, zumindest unterbewusst, direkter Körperkontakt eher vermieden wird und dadurch manche vielleicht gehemmter in Zweikämpfe gehen. Es gibt da zahlreiche Unwägbarkeiten und ich habe, ehrlich gesagt, keinen Schimmer, was uns da am Wochenende erwartet.
Ein Tipp ist also noch schwerer als sonst. Normalerweise ist der VfB haushoher Favorit und es ist nicht unbedingt wahrscheinlich, dass es wieder so ein Freakspiel wie in der Hinrunde gibt, deshalb bleibe ich einfach bei meinem Tipp aus dem März: 2:0 für Stuttgart.
Auch in der Corona-Krise haben viele organisierte, aber auch nicht organisierte Fans ihr soziales Engagement fortgesetzt, meist um Risikogruppen zu unterstützen oder Krankenhauspersonal zu danken. Was gab es in dieser Hinsicht in Wiesbaden?
Hier gab es ebenfalls direkt zu Beginn der Krise Einkaufshilfe für Angehörige der Risikogruppen. Der Verein hat das initiiert und zahlreiche Fans aus der aktiven Szene haben mitgemacht — ein schönes Beispiel, dass man einen Slogan wie “das W vereint” auch mal ganz praktisch mit Leben füllen kann.
Wie ist generell die Lage in der hessischen Landeshauptstadt? Welche Beschränkungen gibt es aktuell und wie gehen die Leute damit um?
Ehrlich gesagt habe ich etwas den Überblick verloren, was hier oder gar in anderen Bundesländern wieder geht oder nicht. Gastronomie ist noch geschlossen, glaube ich. Meine Tochter soll bzw. darf am Montag wieder in die Schule, sofern das nicht wieder kurzfristig abgesagt wird — das gab es vor ein paar Wochen leider schon mal. Soweit ich das beurteilen kann, halten sich die Leute überwiegend an die Regeln, vor allem was Abstand und Masken betrifft, aber ich erhebe da keine Statistik. Ich habe bisher von keinen Demos in Wiesbaden gehört, aber vielleicht habe ich das auch nur nicht mitbekommen.
Wie zufrieden bist Du mit dem Verhalten Deines Vereins in der Krise bisher? Wurden vom SVWW Hilfsaktion initiiert?
Wie gesagt, die Einkaufshilfe wurde vom Verein angeleiert und dann gibt es gerade eine Aktion “virtueller Tribünenrundgang”. Dabei kann man gegen eine Spende in beliebiger Höhe einen virtuellen Platz auf der neuen Westtribüne erwerben und der Erlös geht an die hessischen Amateurvereine. Die Wappen der Amateurvereine sollen während der Geisterspiele auch auf der Haupttribüne platziert werden, quasi als symbolischer Schulterschluss zwischen Profi- und Amateurclubs, aber das klappt wegen Brandschutzauflagen vielleicht nicht rechtzeitig bis zum Spiel am Sonntag.
Ansonsten war der SVWW der erste Club, bei dem sämtliche Vereinsangestellte auf einen Teil Ihres Gehalts verzichtet haben, was auch dazu führte, dass die meisten Sponsoren auf Regress und ein Großteil der Dauerkarteninhaber auf Rückzahlung verzichtet haben. Ich habe gehört, dass auch viele Stuttgarter Fans auf Erstattung ihres Eintrittsgelds verzichtet haben, was ich sehr großzügig finde und dem Verein natürlich enorm hilft. Hier wird zwar mit kleinem Budget solide gewirtschaftet, aber in der 3. Liga kann man natürlich keine Rücklagen bilden (ganz im Gegenteil) und jeder Umsatzausfall schmerzt.
Abschließende Frage: Hat sich Dein Verhältnis zum Profifußball und damit auch zum SVWW in den letzten zwei Monaten verändert?
Vom häufig sehr überdrehten Profifußball habe ich ohnehin schon lange zunehmend Abstand genommen und verfolge z. B. die Bundesliga oder Champions League längst nicht so intensiv wie früher. DFB und DFL kann man zurecht für viele Dinge kritisieren, aber tatsächlich finde ich, dass DFL-Geschäftsführer Seifert seinen Job gerade in der Krise nicht schlecht macht. Im Idealfall verändert sich durch die Krise auch etwas strukturell in dem ganzen Zirkus, aber da mache ich mir keine übertrieben große Hoffnungen.
Der SVWW ist natürlich Mitglied der DFL und durch seinen Geschäftsführer Nico Schäfer dort auch recht aktiv, zählt aber nun wirklich nicht zu den Branchengrößen, sondern ist wohltuend bodenständig und weit weg von Millionen-Gehältern usw. Bei den diversen Merchandising-Aktionen, z. B. symbolische “Getrenntzusammen-Ticket”, vergünstigte Kindertrikots, Gesichtsmasken mit SVWW-Logo usw. habe ich regelmäßig zugegriffen, um so den Verein ein bisschen zu unterstützen. Ich habe vermutlich in den letzten zwei Monaten mehr im SVWW-Shop ausgegeben als in den letzten zehn Jahren. Meine grundsätzliche Haltung zum Profifußball hat sich also nicht wesentlich geändert. Zuweilen vermisse ich es natürlich Fußball zu schauen, insbesondere im Stadion, aber andererseits ist es auch angenehm, am Wochenende einfach eine Fahrradtour mit der Familie zu machen ohne vorher auf den Spielplan oder unterwegs auf den Live-Ticker zu schauen. Es hat halt alles seine zwei Seiten.
Gunnar hat übrigens, wie auch Lennart, im Rahmen der vom Blogger Frank Baade organisierten #Bundeslesung teilgenommen und einen seiner Texte gelesen. Schaut mal rein!
Titelfoto: Jörg Halisch/Bongarts/Getty Images