Vor dem Auswärtsspiel des VfB in Wiesbaden sprachen wir wie schon vor dem Hinspiel mit SVWW-Fan Gunnar (@stehblog), der den Stehblog und Podcast Niemals Erste Liga betreibt. Ein Gespräch unter dem Motto “nehmen wir mal an”, denn wie nach diesem Spiel weiter geht, weiß aktuell niemand.
Rund um den Brustring: Vor dem Hinspiel stand der SVWW noch auf dem letzten Tabellenplatz, aktuell belegt ihr mit drei Punkten Rückstand auf Bochum den Relegationsrang. Wie schätzt Du Eure Chancen auf den direkten Klassenerhalt und für wie wahrscheinlich hältst Du eine erfolgreiche Relegation?
Gunnar: Der direkte Klassenerhalt ist durchaus noch möglich, so groß ist der Abstand ja nicht und vor uns stehen mehrere Mannschaften, die auch nicht unbedingt konstant punkten. Aber auch mit der Relegation könnte ich gut leben, damit haben wir ja letzte Saison gute Erfahrungen gemacht. Das würde aber vermutlich wieder so ein Fifty-fifty-Ding. Einen gewissen Charme hätte es ja, nochmal gegen Ingolstadt anzutreten.
Wie würde ein Wiederabstieg bei den Fans aufgenommen? Und wie groß wäre die Überraschung bei Klassenerhalt?
Ein direkter Wiederabstieg wäre sicherlich eine Enttäuschung — wer möchte schon absteigen? -, aber kein Weltuntergang, der Verein würde deshalb nicht in größere Schwierigkeiten geraten und ich glaube, dass auch die meisten Fans das relativ gefasst aufnehmen würden. Als größter Außenseiter mit dem vermutlich kleinsten Budget wäre der Klassenerhalt schon eine kleine Überraschung, aber man hat ja schließlich auch Ziele. Das Stadion wird mit dem Neubau der Westtribüne gerade zweitligatauglich gemacht und der Plan ist natürlich, dass man sich in der 2. Bundesliga etabliert. Vereine wie Heidenheim oder Sandhausen, die sich ebenfalls mit bescheidenen Mitteln, aber langfristig guter Arbeit kontinuierlich nach oben gearbeitet haben, werden da gerne mal als Vorbilder genannt.
Am vergangenen Wochenende habt ihr mit dem 6:2 in Osnabrück jedenfalls einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Was war denn da los? War das absehbar?
Das war schon ein Freakspiel, weil in der ersten Halbzeit fast jede Chance zu einem Tor führte. Genau die Chancenverwertung war in den Wochen zuvor das große Problem, als man in vier Spielen nur einen Treffer erzielen konnte — Gelegenheiten hätte es mehr als genug gegeben. Das war schon ein bisschen kurios: In der Hinrunde hatte man eher wenig Chancen, die aber gut genutzt und so seine Punkte geholt. Jetzt hatte man plötzlich verhältnismäßig viele Chancen, traf aber einfach das Tor nicht mehr. Insofern ist in Osnabrück vielleicht einfach der Knoten geplatzt, aber man muss auch erwähnen, dass der Boden sehr tief und rutschig war und Wehen alleine dreimal von wegrutschenden Osnabrückern Verteidigern profitiert hat.
Auch überraschend war Euer 2:1‑Auswärtssieg im Hinspiel im Neckarstadion. Was ist Dir von diesem Spiel in Erinnerung geblieben?
Oh, eine ganze Menge. Mit fast 50.000 Zuschauern war es die größte Kulisse, vor der der SVWW jemals gespielt hat. Schäfflers Doppelpack. Lindner, der erst einen Tag zuvor verpflichtet worden war, mit einem starken Debüt und am Ende mit muskulären Problemen, sodass ein Verteidiger die Abstöße ausführen musste. Die absurden Statistiken, was Ballbesitz und gespielte Pässe angeht. Und natürlich richtig viel Dusel bei den Stuttgarter Chancen. Später im Zug habe ich in dem Gedränge zwischen reichlich betrunkenen Wasn-Besuchern und frustrierten VfB-Fans meinen Wehen-Schal mal lieber unter der Jacke versteckt.
In diesem Spiel traf Manuel Schäffler zwei Mal, am vergangenen Wochenende schnürte er einen Dreierpack. Wie wichtig sind seine mittlerweile 15 Tore für die Mannschaft?
Er hat 15 von insgesamt 31 Toren erzielt, damit beantwortet sich die Frage eigentlich von selbst. Aber es sind ja nicht nur seine Tore, er arbeitet auch unheimlich viel, ist ein richtig guter Fußballer und ein Anführer. Kurz gesagt: “Cheffe” ist für den SVWW von ganz zentraler Bedeutung.
In Eurem Kader stehen mit Benno Röcker, Moritz Kuhn und Jeremias Lorch frei Spieler mit VfB-Vergangenheit, von denen Röcker bei uns am bekanntesten sein dürfte. Welchen Stellenwert haben die drei?
Benno Röcker kam im Sommer und hatte eine eher unglückliche Hinrunde mit Verletzungen und Sperre. Seit der Winterpause ist er aber in der Innenverteidigung gesetzt und macht es ordentlich. Zuweilen hat er Schwierigkeiten mit schnellen Gegenspielern, aber dafür köpft er einfach alles raus, was hoch in den Strafraum kommt. Wir hatten ihn im Oktober übrigens als Interview-Gast im Podcast, ist vielleicht ja auch für Euch interessant.
Kuhn ist seit zweieinhalb Jahren bei uns und seitdem unbestrittener Stammspieler als Rechtsverteidiger. In der Hinrunde hat er sich allerdings verletzt und fiel einige Zeit aus. Seit der Winterpause wird er von Sebastian Mrowca vertreten, was insofern gut passte, weil Mrowca eigentlich auch immer spielt, aber momentan im Mittelfeld kein Platz für ihn ist, weil sich Chato auf der Sechs festgespielt hat. Das wird interessant, wie der Trainer das löst.
Lorch kam genau wie Kuhn 2017 aus Großaspach und hat die erste Saison wegen Verletzung nahezu komplett verpasst, seitdem aber fast immer gespielt und war ein wichtiger Bestandteil der Aufstiegsmannschaft. Aktuell ist er etwas außen vor, aber da er auf mehreren Positionen spielen kann, wird er sicher wieder zu seinen Einsätzen kommen.
In der Winterpause habt ihr Euch mit U20-Nationalspieler Sidney Friede von der Hertha verstärkt. Ein sinnvoller Transfer?
Tja, schwer zu sagen. Er hat erst einmal gespielt und da fiel er nicht besonders auf. Auf dem Papier hat ein Achter/Zehner, wie er einer ist, im Kader gefehlt, aber aktuell gibt das Spielsystem diese Position gar nicht wirklich her, zudem ist die Stammelf gerade ziemlich fix. Ich bin sehr gespannt, ob er in der restlichen Saison seine Qualitäten noch zeigen kann und wie es dann im Sommer weitergeht.
Wie zufrieden bist Du mit Trainer Rüdiger Rehm und wie wird seine Mannschaft am Sonntag auftreten?
Rehm ist zweifellos der beste Trainer, den wir seit vielen, vielen Jahren haben und die große Mehrheit der Fans, mich eingeschlossen, ist nach wie vor sehr glücklich mit ihm. Nachdem der Saisonstart in die Hose ging und man viel zu viele Gegentore fing, hat er auf eine Fünferkette umgestellt, mit der man mittlerweile ziemlich stabil ist. Eigentlich möchte Rehm offensiver spielen, aber da musste er pragmatisch sein. Sofern der SVWW nächste Saison auch noch 2. Liga spielt, wird es sicher interessant, ob und wie das System wieder geändert oder weiterentwickelt wird.
Am Sonntag — sofern das Spiel denn stattfindet — wird Wehen sicherlich so spielen wie sonst auch, d. h. hinten eine engmaschige Fünferkette, davor pflügt Chato das Mittelfeld um und vorne versuchen Schäffler und seine schnellen Nebenleute in Höchstgeschwindigkeit vors gegnerische Tor zu kommen. Wenn der VfB presst, wird der Ball zur Not auch kompromisslos nach vorne geschlagen. Das sieht nicht immer schön aus, aber der Zweck heiligt die Mittel — und wer, wenn nicht Wehen, darf Außenseiterfußball spielen?
Vor wem müssen wir uns denn dann außer Schäffler noch in Acht nehmen und wo liegen Eure Schwächen?
Die anderen Offensivspieler Aigner, Kyereh und Dittgen sollte man auch nicht unbedrängt aufs Tor zulaufen lassen. Alle drei sind ziemlich schnell und insbesondere Aigner ist nicht ungeschickt darin, in der gegnerischen Hälfte den Ball zu erobern.
Wenn der VfB es verhindert, dass Wehen mit ein paar schnellen Pässen nach vorne kommt und stattdessen nur noch lange Bälle spielen kann, droht allerdings nicht mehr sehr viel Gefahr. Und hinten macht es der SVWW zwar überwiegend ganz ordentlich, aber wenn eine Mannschaft wie Stuttgart ihre individuelle Qualität ausspielt und mit Geschwindigkeit die Abwehrreihe überwindet, wird es schwer.
Welche Themen beschäftigen die SVWW-Fans derzeit denn abseits des grünen Rasens?
Wie überall ist hier natürlich auch die Corona-Krise das beherrschende Thema. Nach aktuellem Stand soll das Spiel ohne Zuschauern ausgetragen werden, aber mir wäre eine Absage bzw. Verlegung auf einen späteren Termin deutlich lieber. Das wird aber vermutlich erst nach dem DFL-Treffen am Montag für die nächsten Spieltage entschieden. Das Timing ist also einigermaßen bitter, dass ausgerechnet dieses Spiel ohne Zuschauer stattfinden muss, denn so oft ist die Brita-Arena ja nicht ausverkauft.
Ansonsten gibt es abgesehen vom sportlichen Geschehen aktuell eigentlich keine besonderen Themen. Der Neubau der Westtribüne geht planmäßig voran, der Rohbau dürfte bald fertig sein, aber auch das ist kein Aufreger-Thema.
Nehmen wir mal an, das Spiel in Wiesbaden findet mit Zuschauern statt. (Anmerkung: Mittlerweile steht fest, dass das Spiel vor leeren Rängen stattfindet, aber wir wollten Euch die Ausflugstipps für Wiesbaden nicht vorenthalten, auch wenn wir dort hoffentlich so bald nicht mehr spielen). Was sollte man außer der Partie in der hessischen Landeshauptstadt gesehen haben?
Das hat sich zwar erledigt, aber ein Besuch im schönen Wiesbaden lohnt sich selbstverständlich trotzdem. Es gibt ein paar Sehenswürdigkeiten wie das Ensemble rund um das Bowling Green mit Kurhaus und Staatstheater oder rund um den Schlossplatz mit Rathaus, Stadtschloss (in dem sich der Hessische Landtag befindet) und Marktkirche. Am Stadtrand fährt die Nerobergbahn auf den Neroberg hinauf, wo man einen schönen Ausblick über die ganze Stadt hat, in Laufweite davon befindet sich die Russische Kapelle mit ihren goldenen Dächern. Im Stadtteil Biebrich liegt am Rhein das bekannte Biebricher Schloss. Den eigentlichen Reiz der Stadt machen meiner Meinung nach aber die Wohnviertel der Innenstadt aus, die überwiegend in der Zeit des Historismus und Jugendstil entstanden und bis heute gut erhalten sind, da Wiesbaden glücklicherweise vergleichsweise wenig Kriegsschäden davongetragen hat.
Dein Tipp fürs Spiel und den Saisonausgang?