Schon am Dienstag tritt der VfB in Wolfsburg zum letzten Auswärtsspiel des Jahres an. Mit Leonard Hartmann (@leonardmann04) von den Wolfsburger Nachrichten sprachen wir über die Partie.
Rund um den Brustring: Hallo Leonard und vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Wir haben uns ja schon häufig vor Spielen zwischen Wolfsburg und dem VfB unterhalten, deswegen werden viele unserer Leser Dich schon kennen. Stell Dich doch bitte trotzdem kurz denjenigen vor, die das noch nicht tun.
Leonard: Guten Tag Fußballfreunde, ich bin gemeinsam mit Sebastian Jung in Wolfsburg eingestiegen und habe von der Euro- und der Champions League bis zum doppelten Fastabstieg alles mitgemacht. Über Langeweile konnten wir uns hier zuletzt nicht beschweren. In meiner letzten Kreisklassensaison habe ich weniger Tore erzielt (2) als der VfL Trainer hatte (3).
In den letzten beiden Jahren schaffte der VfL den Klassenerhalt erst in der Relegation. Anders als beim HSV, der dieses Kunststück auch fertig brachte, sind aber die finanziellen Bedingungen in Wolfsburg ja ganz andere. Was lief in den letzten beiden Jahren schief? Schließlich war man ja 2015 noch Vizemeister.
Was lief schief? Eigentlich alles. Genau einen Tag nach der Relegation 2017 gegen Braunschweig (Gott, hab sie selig) verpflichtete der VfL für 20 Millionen Euro Brooks aus Berlin und zeigte damit, dass der Klub gar nichts aus dem Fastabstieg, den vor allem unmotivierte Spieler und ein unmöglicher Trainer (Jonker) zu verantworten hatten, gelernt hat. Demut statt Dekadenz sollte das Motto sein — wurde es aber nicht. 12 Millionen Euro für Dimata aus Oostende, mindestens genau so viel für die einjährige Leihe Origis aus Liverpool, 15 für Camacho aus Malaga, dazu 20 für Brooks. Im Gegenzug gingen mit Benaglio, Träsch und Vieirinha zu viele Spieler mit echter emotionaler Bindung zum Klub. Der Start in die Saison lief entsprechend. Gegen Dortmund gab‘s am 1. Spieltag ein 0:3, nach dem Jonker sich wunderte, dass der BVB schon so stark war. Schon da war klar, dass er gehen würde. Also, keine vier Wochen später war Schluss, und Jonker war raus.
Mit Martin Schmidt kam ein guter Typ, der die Mannschaft erst mal fitmachen musste, weil das in der Vorbereitung ein Thema war, um das sich der Feingeist Jonker nicht gerne gekümmert hat. Schmidt investierte viel, bekam aber nicht so viel zurück und ließ sein Engagement letztlich an den Strukturen des VfL scheitern. Seit Klaus Allofs Aus im Dezember 2016 war der starke Mann weg, der Anführer aus dem Off. Olaf Rebbe drängte in die Rolle und wurde Sportdirektor. Da Eigner Volkswagen, der in den Jahren zuvor immer fleißig mitgesprochen hatte, mit der Aufklärung des Dieselskandals beschäftigt war, und die VfL-Geschäftsführung aus einem Rechts- und einem Finanzexperten bestand, ließ man Rebbe gewähren. Schmidt erkannte die Fragilität der Strukturen und zog im Februar die Reißleine, weil er sich der Ohnmacht bewusst wurde. Es kam Bruno Labbadia, der Scheuklappen aufsetzte, das ganze Drumherum ausblendete und nur mit dem wankelmütigen und verunsicherten Team arbeitete. Mit Erfolg, er schaffte den Klassenerhalt. Im Hintergrund begann das Stühlerücken. Rebbe musste gehen, Jörg Schmadtke kam und der holte Marcel Schäfer aus den USA als Sportdirektor zurück.
In der Sommerpause war wieder großes Kommen und Gehen angesagt in Wolfsburg. Zunächst mal zu dem, was uns VfB-Fans derzeit am Meisten beschäftigt: Der Tausch zwischen Daniel Didavi und Daniel Ginczek. Wie bewertest Du die beiden Transfers und Ginczeks Leistung bisher?
Didavi wollte unbedingt weg. Die Beziehung zu Labbadia war nicht besonders gut, seine Verletzungssorgen hat der VfL lange nicht in den Griff bekommen, außerdem haben die zwei Relegationsjahre Abnutzungsspuren hinterlassen. Und Ginczek? Ich fand den schon immer top und habe mich gewundert, dass er zu Saisonbeginn nur von der Bank kam. Labbadia sagte immer wieder, dass Ginczek fürs lauf- und pressingintensive Spiel noch Körner braucht. Die hat er mittlerweile aufgeholt und ist in starker Form. An sechs der letzten sieben VfL-Tore war er direkt beteiligt. Außerdem hat er in der Kabine schon eine Führungsrolle eingenommen — und seine Verletzungssorgen sind weg. Während Didavi damit leider wieder mal zu kämpfen hat. Also: Volltreffer von Schmadtke, Ginczek ist auf allen Ebenen eine Top-Verstärkung!
Und wie siehst Du die sonstigen Transferaktivitäten des VfL?
Mit Jerome Roussillon kam ein (f)linker Verteidiger aus Montpellier. Der marschiert die Linie hoch und runter, hat Tempo und ne gute Technik. Auch ein starker Schmadtke-Transfer. Genau wie Wout Weghorst. Der Mittelstürmer ist regelmäßig der laufstärkste VfLer. Über 12 Kilometer sind kein Problem für den Koloss. Zuletzt hat er aber seine Torgefahr ein bisschen verloren. Aber Weghorst ist unheimlich wichtig fürs Team, weil er mit seiner Arbeit Lücken reißt — und vor allem die Gegenspieler nervt. Dazu kamen noch Felix Klaus, der verletzungsbedingt aber noch kein Spiel gemacht hat, und Pavao Pervan als Nummer 2 fürs Tor. Kein Flop dabei.
Nach vier Spielen ohne Niederlage in Folge steht Wolfsburg kurz vor der Winterpause in der oberen Tabellenhälfte, in Schlagdistanz zu den Europapokalplätzen. War das nach den letzten Spielzeiten so erwartbar und was glaubst Du, was in dieser Saison drin ist?
Der Kader war ja in den vergangenen beiden Spielzeiten auch schon besser als Platz 16, jetzt freilich wieder. Ein Platz in der oberen Tabellenhälfte ist drin, mit ein wenig Glück auch mehr. Schmadtke und Co. haben die Erwartungen runtergeschraubt, kein Saisonziel definiert. Das tut der Mannschaft ganz gut. Ginczek hat nach dem 2:0 treffend gesagt: „Von unten haben wir uns abgesetzt, und nach oben setzen wir uns keine Grenzen.“ Dreht Schmadtke im Winter noch mal ein wenig am Kader und bleiben die Topspieler verletzungsfrei, kann es auch in die Top 7 gehen. Ansonsten ist diese vielleicht die beste Nachricht für die Grün-Weißen: Einen Relegations-Hattrick wird‘s nicht geben.
Josip Brekalo kehrte ja im Rahmen des Wechsels von Mario Gomez vorzeitig zurück zum VfL. Wie läuft es für ihn derzeit?
Ginczeks Aufschwung ist Brekalos Problem. Weil Labbadia auf zwei Stürmer baut, hat er das System modifiziert. Statt wie zu Saisonbeginn im flügellastigen 4–2‑3–1 gibt ea jetzt ein 4–4‑2 mit Raute, das vor allem die drei Offensiven aber sehr frei interpretieren. Bisher klappt das vor allem in der Besetzung Weghorst, Ginczek, Mehmedi hervorragend. Daher bleibt Brekalo nur die Jokerrolle. In Nürnberg hat er nun den 2:0‑Endstand besorgt, das dürfte ihm guttun. Ansonsten ist er perspektivisch als absoluter Stammspieler eingeplant — zurecht. Denn er bringt alles mit: Selbstvertrauen, Mut im Eins-gegen-eins, Abschlussstärke. Brekalo ist auf jeden Fall zu beachten, wenn auch derzeit als 12. Mann.
Vor wem muss sich der VfB am Dienstag in Acht nehmen und wo liegen die Schwächen der VfL-Elf?
Der VfL ist defensiv sehr, sehr stabil geworden. Koen Casteels ist einer der drei besten Keeper der Liga, die Mitte halten die kopfballstarken Brooks und Knoche mit davor Guilavogui sauber. Alle drei sind aber nicht die Schnellsten, da könnte für den VfB etwas gehen. Die Außenverteidiger agieren extrem offensiv, aber besonders William hat defensiv noch Nachholbedarf und den einen oder anderen Klops drin. Das Dreier-Mittelfeld mit Guilavogui, Arnold und Gerhardt läuft alles in Grund und Boden, was auch zur Stabilität beiträgt. Allerdings fehlt oft die Kreativität für die eigenen Angriffe, weil kein echter Gestalter hier rumläuft. Und vorne sind alle drei brandgefährlich, allerdings auf Unterstützung angewiesen.
Abschließend: Dein Tipp fürs Spiel?
Ich tippe 2:0 für den VfL, Ginczek trifft.