Fortschritt

Zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit dreht der VfB gegen Her­tha BSC  einen Rück­stand und fei­ert sei­nen vier­ten Sai­son­sieg, der nach dem Abpfiff lei­der zweit­ran­gig ist.

Zuge­ge­be­ner­ma­ßen: Mei­ne Moti­va­ti­on, die­sem Spiel im Sta­di­on bei­zu­woh­nen, hielt sich vor Anpfiff in Gren­zen und soll­te sich bis zum Halb­zeit­pfiff nicht stei­gern:

Bis zur Pause nichts Neues

Denn wer den VfB in die­ser Sai­son hat spie­len sehen, dem schwan­te nach 45 Minu­ten nichts gutes: Erneut hat­ten die Brust­ring­trä­ger eine pas­sa­ble Vor­stel­lung gelie­fert, aber erneut hat­te es nicht zu einem Tor gereicht. Sicher, die Mann­schaft war durch zahl­rei­che Ver­let­zun­gen geschwächt, aber immer­hin per­so­nell noch stark genug, dass Mar­kus Wein­zierl dar­auf ver­zich­ten konn­te, Anto­nis Aido­nis und Leon Daja­ku in die Start­elf zu wer­fen. Cas­tro, der sei­ne Sache in Mön­chen­glad­bach mehr als ordent­lich gemacht hat­te, star­te­te erneut offen­siv, konn­te aber bis zur Pau­se genau­so wenig Impul­se set­zen wie die Flü­gel­stür­mer Gon­zá­lez und Ako­lo, Mario Gomez hing ein­mal mehr in der Luft. Es schien sich alles zu wie­der­ho­len, an dem wir in den letz­ten Wochen ver­zwei­felt sind: Das lang­sa­me Auf­bau­spiel, das feh­ler­be­haf­te­te Pass­spiel und das umständ­li­che Angriffs­spiel.

Das 1:0 schien schon wie­der der Anfang vom Ende zu sein. Bild: © VfB-Bilder.de

Und die defen­si­ven Total­aus­set­zer. Zu viert schaff­te es die VfB-Abwehr nicht, drei anstür­men­de Ber­li­ner unter Kon­trol­le zu brin­gen. Statt­des­sen ließ sie sich aus­spie­len, grätsch­te ins Lee­re und bot dem Ber­li­ner Mit­tel­städt erschre­ckend viel Raum zum Abschluss. Eine Füh­rung, die viel­leicht nicht zu 100 Pro­zent ver­dient war, die einen aber ange­sichts des Geg­ners der Ber­li­ner auch nicht wirk­lich über­rasch­te. Zu häu­fig hat­te der VfB in den letz­ten Wochen bewie­sen, dass er in der Lage ist, sich trotz guter Ansät­ze auf dem Weg zu einem Sieg immer wie­der sel­ber ein Bein zu stel­len. Auch die Ber­li­ner hat­ten eini­ge Aus­fäl­le zu bekla­gen, schie­nen jedoch, bis zur Halb­zeit zumin­dest, abge­zockt genug zu sein, um den VfB im Zaum zu hal­ten.

Vor der Par­tie frag­te ich Her­tha-Fan Maria, ob sie ihre Mann­schaft, auf Platz 6 ste­hend, für ein Spit­zen­team hal­te. In der zwei­ten Halb­zeit bewie­sen die Her­tha­ner, war­um unser Inter­view­gast die Fra­ge ver­nein­te. Wobei: Lag es dar­an, dass die Gäs­te das Spiel leicht­fer­tig aus der Hand gaben oder dar­an, dass sich der VfB es an sich riss? Es wird wohl eine Mischung aus bei­dem gewe­sen sein, denn die Brust­ring­trä­ger waren nicht gewillt, ein wei­te­res Mal nach einem Rück­stand aus­ein­an­der zu fal­len. Und Ber­lin ist eben kein Spit­zen­team wie Mön­chen­glad­bach, Dort­mund oder Hof­fen­heim, die aus einer Füh­rung kurz vor der Halb­zeit Kapi­tal schla­gen kön­nen.

Das Spiel an sich gerissen

Aber auch die man­geln­de Qua­li­fi­ka­ti­on der Her­tha zum Spit­zen­team erklärt noch nicht, war­um der VfB die­ses Spiel am Ende gewon­nen hat. Denn selbst gegen Teams, die nicht so spit­ze sind, hat­ten wir in der Ver­gan­gen­heit Pro­ble­me. Über­haupt war es das ers­te Mal seit dem Spiel in Köln Anfang März, als der VfB nach dem Füh­rungs­tref­fer von Pizar­ro noch die Punk­te vom Rhein mit­nahm, dass es den Brust­ring­trä­gern gelang, einen Rück­stand in einen Sieg zu dre­hen. Es ist noch viel zu früh, von einer Wen­de in die­ser Sai­son zu spre­chen. Aber die­se zwei­te Halb­zeit war defi­ni­tiv eins: Ein Fort­schritt.

Seid umschlun­gen! Mario Gomez wur­de end­lich von sei­nen Mit­spie­lern gefun­den. Bild: © VfB-Bilder.de

Denn end­lich gelang es, Mario Gomez per­fekt ein­zu­set­zen: Erst nach einer lan­gen Flan­ke von Donis auf Gon­zá­lez, der den Ball ziel­ge­nau auf den lan­gen Pfos­ten und den aus­ge­streck­ten Fuß des Mit­tel­stür­mers quer­leg­te. Dann, nach­dem Chadrac Ako­lo bei­na­he sein ers­tes Tor in die­ser Sai­son erzielt hät­te, als Chris­ti­an Gent­ner sich im Zusam­men­spiel mit Andre­as Beck den Ball vor dem Ber­li­ner Straf­raum erober­te und ihn nach Dop­pel­pass mit Gomez genau auf des­sen Kopf flank­te. Gomez ver­senk­te die Kugel und die Cannstat­ter Kur­ve eska­lier­te. Je mehr man sich an Ent­täu­schun­gen gewöhnt hat, des­to schö­ner ist es, wenn man posi­tiv über­rascht wird. In die Kate­go­rie Über­ra­schung gehört übri­gens auch Bor­na Sosa, der in der 86. Minu­te für Chadrac Ako­lo in die Par­tie kam, mäch­tig Betrieb mach­te und bei­na­he noch das 3:1 erzielt hät­te. 

Etwas in Gang gesetzt?

Auch dank der Leis­tungs­stei­ge­rung in der zwei­ten Hälf­te, als die Mann­schaft end­lich mal wie­der in der Lage war, sich in einen Rausch zu spie­len, gibt es an der Leis­tung eigent­lich wenig aus­zu­set­zen. Denn anders als der Sieg gegen Bre­men — der einem Lot­te­rie­sieg glich — und den Erfol­gen gegen Nürn­berg und Augs­burg — bei denen man von der Harm­lo­sig­keit und dem offen­si­ven Unver­mö­gen des Geg­ners pro­fi­tier­te — wirk­te das 2:1 gegen Her­tha so, als wäre die Mann­schaft zum ers­ten Mal in die­ser Sai­son über sich hin­aus gewach­sen und hät­te ihr Schick­sal in die eige­ne Hand genom­men. Whoscored.com ver­zeich­net zum Bei­spiel 25 erfolg­rei­che Grät­schen des VfB im gesam­ten Spiel, davon allei­ne 16 in der zwei­ten Halb­zeit.

Trotz alle­dem hat der VfB natür­lich immer noch nur 14 Punk­te nach 15 Spie­len, hat nur elf Tore geschos­sen und 30 kas­siert. Aber zum ers­ten Mal bot die Mann­schaft eine Leis­tung, die einem Hoff­nung machen kann, viel­leicht nicht für die nähe­re Zukunft gegen wie­der­erstark­te Wolfs­bur­ger oder kri­seln­de aber poten­zi­ell gefähr­li­che Schal­ker. Aber viel­leicht für die Rück­run­de mit wahr­schein­lich not­wen­di­gen, aber hof­fent­lich nicht so kost­spie­li­gen Ver­stär­kun­gen. Wie bereits geschrie­ben: Es war ein Fort­schritt. Hof­fent­lich hat er etwas in Gang gesetzt.

Alles egal

Weni­ge Minu­ten nach Abpfiff war das alles völ­lig egal. Ich hat­te schon auf dem Weg durch Stutt­gart auf Twit­ter immer wie­der ein­zel­ne Tweets gele­sen, die von einem Not­arzt­ein­satz im VIP-Bereich berich­te­ten:  

Rela­tiv schnell wur­de klar, dass es sich um den Vater von Chris­ti­an Gent­ner han­del­te und im Lau­fe des Abends muss­te der VfB die trau­ri­ge Nach­richt ver­kün­den, dass Her­bert Gent­ner  ver­stor­ben ist. Wie die Stutt­gar­ter Nach­rich­ten berich­ten, hat der Ver­ein bis zum Spiel am Diens­tag alle Medi­en­ak­ti­vi­tä­ten ein­ge­stellt, ob Chris­ti­an Gent­ner in die­sem Spiel auf dem Platz ste­hen wird, wird ihm über­las­sen.

Lie­ber Chris­ti­an Gent­ner, an die­ser Stel­le ein paar per­sön­li­che Wor­te: Du hast mein und unser aller tief emp­fun­de­nes Bei­leid. Ich kann und will mir nicht vor­stel­len, wie es sein muss, im einen Moment einen Sieg auf dem Rasen zu fei­ern und im nächs­ten Moment der­art den Boden unter den Füßen weg­ge­zo­gen zu bekom­men. Dir und Dei­ner Fami­lie wün­sche ich in der nächs­ten Zeit sehr viel Kraft. Nimm Dir alle Zeit, die Du brauchst. Ich bin mir sicher, Dei­ne Mann­schafts­kol­le­gen wer­den für Dich da sein. Auf und neben dem Spiel­feld.

Ein­drück­li­che Tex­te zum Tode Her­bert Gent­ners haben übri­gens auch Ute und Ron ver­fasst.

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