Es ist das letzte Heimspiel der regulären Spielzeit — hoffentlich nicht das letzte der Saison. Welche Chancen hat der VfB am Samstag gegen Wolfsburg? Darüber sprachen wir mit Leonard Hartmann (@leonardmann04) von den Wolfsburger Nachrichten.
Rund um den Brustring: Hallo Leonard und vielen Dank, dass Du Dir erneut Zeit für unsere Fragen nimmst. Unsere Leser kennen Dich ja schon, deshalb steigen wir direkt ins Interview ein: Wolfsburg steht nach dem 2:0 gegen Nürnberg vor dem 33. Spieltag auf Platz 7, zwei Punkte fehlen nur zur Champions League-Teilnahme. Traust Du dem Club zu, Frankfurt noch von Platz 4 zu verdrängen?
Leonard: Hi Lennart, es freut mich, dass wir hier schon eine kleine Tradition entwickeln konnten. Ich traue dem VfL aus den letzten beiden Spielen beim VfB und gegen Augsburg durchaus sechs Punkte zu. Die Frankfurter scheinen mental und physisch gerade durch zu sein, außerdem müssen die am 34. Spieltag noch zum FC Bayern. Also: Ich kann mit gut vorstellen, dass der VfL die Eintracht noch überholt. Aber: Leverkusen hat für mich die besten Karten auf den 4. Platz. Was echt schade wäre, denn die Frankfurter mit ihren Fans würde ich gerne auch mal in der Königsklasse erleben. Platz 5 oder 6 ist für den VfL allemal drin — und ein wahnsinnig gutes Ergebnis.
Letzte Saison rettete man sich zum zweiten Mal in Folge in der Relegation, jetzt geht es um den Europapokal. Kannst Du Dir den Aufschwung erklären? Hat das nur mit den in Wolfsburg immer reichlich vorhandenen finanziellen Mitteln zu tun?
Der aktuelle Erfolg fußt nicht auf einer finanziellen Grundlage. Natürlich hat der VfL noch immer und trotz der Fast-Abstiege deutlich mehr Investitionsmöglichkeiten als zwei Drittel der Bundesliga und mit John Brooks (20 Mios), Admir Mehmedi (10 Mios) oder Yunus Malli (12,5 Mios) überdurchschnittlich teure Jungs an Bord. Aber: Volkswagen hat den Geldhahn deutlich fester gedreht und die Unterstützung der Leistung angepasst. Jörg Schmadtke als neuer Geschäftsführer handelt gewissenhaft in dem vorgegebenen Konzept. Im Sommer gab es zum Beispiel nur fünf Neuzugänge mit Wout Weghorst, Daniel Ginczek, Jérôme Roussillon, Felix Klaus und Pavao Pervan.
Und im Winter, als sich Ginczek schwer verletzte und Weghorsts Knöchelverletzung nicht einfach zu kategorisieren war, hätte der alte VfL wohl 30 Mio Euro auf den Tisch gelegt und einfach irgendeinen Stürmer geholt. Das macht Schmadtke aber nicht mit. Vernunft statt Verschwendung — aber noch immer in einem finanziellen Budget, das in die Top 6 der Liga gehört. Die Gründe für den Aufschwung haben nicht mehr viel mit dem Geld zu tun und liegen eher in der nächsten Antwort.
Bruno Labbadia wird den Club nach der Saison verlassen, sein Nachfolger wird Oliver Glasner aus Linz, an dem auch der VfB Interesse hatte. Wie bewertest Du die anstehende Trennung und was hat Labbadia in dieser Saison richtig gemacht?
Wenn Du mich so fragst: Alles. Im Sommer hat Labbadia die „Intensivwochen“ ausgerufen, weil die Mannschaft zuvor so fit war wie die 2. Alte Herren der Spiel- und Spuckvereinigung Trinkfest. Er hat die Mannschaft richtig leiden lassen — aber es hat sich ausgezahlt. Der VfL gehört zu den laufstärksten Teams der Liga, Weghorst, Maximilian Arnold und Yannick Gerhardt stechen hier heraus. Punkt 1: Die Fitness ist top. Dazu hat Labbadia aber auch eine Philosophie entwickelt. Das Positionsspiel gehört zum Besten, was die Liga zu bieten hat. Alle wissen, was im Ballbesitz, aber auch im Rückzugsverhalten zu tun ist. Das zeigt sich besonders in den vergangenen Wochen. Der VfL beklagt extrem viele Ausfälle, reist mit einer Rumpftruppe nach Hoffenheim und gewinnt nach 0:1‑Rückstand mit 4:1.
Das ging, weil alle fit sind, weil sie wissen, was in Labbadias System gefordert ist und weil (Punkt 3) die Chemie innerhalb des Teams stimmt. Die Unruheherde sind raus, die Verbliebenen ziehen alle an einem Strang. Nach zwei Jahren im Sumpf der Liga wollen natürlich alle jetzt das Erfolgserlebnis. Und apropos Chemie… Die stimmt zwischen Labbadia und Schmadtke (leider, meiner Meinung nach) überhaupt nicht, daher ist die Trennung nach der Saison keine Überraschung. Wenn zwei leitende Angestellte in grundlegenden Fragen der Kommunikation so weit auseinanderliegen wie Labbadia und Schmadtke, kann es auf Sicht nicht gut gehen. Für einen begrenzten Zeitraum kann und konnte es funktionieren, darüber hinaus nicht. Oliver Glasner kann ich noch nicht beurteilen, er soll aber Labbadias Fundament aus offensivem Ballbesitzspiel, Fitness und leidenschaftlicher Einstellung weiter ausbauen.
Sollte man das internationale Geschäft erreichen — wo muss die Mannschaft Deiner Meinung nach für die neue Saison verstärkt werden?
Mit Kevin Mbabu (24, YB Bern) ist der erste Zugang schon perfekt. Er schließt die Lücke auf der rechten Abwehrseite, weil Sebastian Jung und Paul Verhaegh den VfL verlassen werden. Stammkraft in dieser Saison ist der emsige, aber oft fehleranfällige William, der jetzt einen guten Konkurrenten dazu bekommt. Dazu soll ein rechter Innenverteidiger, ein spielstarker Achter, ein Flügelspieler und eine Nummer 3 für den Angriff kommen.
Apropos Transfers: In dieser Saison trugen die Ex-VfBler Daniel Ginczek und Josip Brekalo das Trikot mit dem VW-Logo. Wie bewertest Du ihre Auftritte?
Ginczek hat ein wenig Anlaufzeit benötigt, um sich an Labbadias laufintensives Pressing zu gewöhnen, daher saß er am Saisonbeginn nur auf der Bank. Als Ginczeks Fitness dann passte, stellte Labbadia das System um von 4–3‑3 auf 4–4‑2 mit Raute. Ginczek spielte in der Vorrunde fortan mit Weghorst im Sturm und wurde von Woche zu Woche stärker. Dann kam die Winterpause, in der sich Ginczek brutal stark präsentierte. Im letzten Test vor dem Rückrundenauftakt passierte dann das, was ihm schon so oft passiert war: Er verletzte sich schwer am Sprunggelenk und fiel zehn Wochen aus. Jetzt ist er wieder einigermaßen fit. Trotz der Verletzung ein Top-Transfer, ein riesen Stürmer und ein klasse Typ!
Brekalo war kurioserweise der Leidtragende von Ginczeks Aufschwung. Der Kroate spielte von Saisonbeginn an auf der linken Außenbahn, die es nach Labbadias Umstellung dann nicht mehr gab. Zuletzt saß Brekalo nur noch draußen und wurde nicht mal mehr eingewechselt. Es sind für ihn schwierige Tage. Mal sehen, was er daraus lernt. Talent hat er ohne Frage eine Menge, aber wie er es einsetzt, liegt an ihm.
Wo liegen derzeit die Schwächen des VfL, von denen der VfB am Samstag profitieren könnte, und wo die Stärken, vor denen wir uns in acht nehmen müssen?
Der VfL hat personell arge Probleme, auch wenn das bisher nicht wirklich auffällig wurde, weil der Rest des Teams die Ausfälle im Verbund auffangen konnte. Aber: Mit Casteels fehlt der für mich beste Keeper der Liga, dazu steht der Einsatz von Roussillon arg auf der Kippe. Die beiden sind für den Spielaufbau schon mal essentiell wichtig. Wie beim Schach gab es auch beim VfL einen signature Eröffnungszug: nennen wir diesen die Casteels-Roussillon-Eröffnung. Die fällt jetzt weg. Auch Brooks plagt sich noch mit einem Wehwehchen herum.
Spielerische Schwächen sehe ich nur in der oft mangelhaften Chancenverwertung, hier und da gibt es zu einfache Ballverluste, außerdem sind einzelne Spieler (William, Brooks) immer für Aussetzer gut. Stärken: Der VfL kontert extrem stark, Vorsicht davor. Außerdem pressen sie den Gegner über Vorkämpfer Weghorst oft so penetrant über den ganzen Platz, dass dieser zu Fehlern gezwungen wird. Zuletzt haben sie sogar noch gelernt, geduldig zu bleiben und auch aus einem schlechten Spiel drei Punkte zu holen. Auf den VfB kommt ein starkes Gesamtpaket zu. Auch das ist ja eine Veränderung zu den Vorjahren. Waren die VfL-Teams früher oft abhängig von der individuellen Klasse einiger Spieler, ist nun die Mannschaft als solche ein starkes Gebilde.
Wenn Du die derzeitige Situation des VfL Wolfsburg mit einem Song beschreiben müsstest: Welcher wäre das und warum?
Casper — Ganz schön okay.
Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?
0:2 aus VfB-Sicht.