Nach dem in jeglicher Hinsicht desaströsen 0:5 in Dortmund ist die Stimmung beim VfB binnen weniger Tage wieder ins Negative gekippt. Nachdem sich auch die sportliche Führung anschließend kommunikativ nicht mit Ruhm bekleckerte, liegt es nun an der Mannschaft, die Fans vor der Verzweiflung zu bewahren.
Es war ja eigentlich nur ein Spiel. Auch wenn der VfB gegen Bochum zeitweise genauso vogelwild verteidigte und auch in den Spielen davor weder offensiv noch defensiv eine gute Leistung zeigte, war es der zugegebenermaßen katastrophale Auftritt im Dortmunder Westfalenstadion, der einen kommunikativen Erdrutsch auslöste: Spieler sprachen anonym mit Kolumnisten von Boulevard-Sendern über ihre Gefühle für Pellegrino Matarazzo, so ziemlich jeder ehemalige Spieler hat mittlerweile — wie immer, wenn es nicht läuft — seinen Senf dazugegeben und als Krönung des Ganzen sprach der Alt-Präsident und Förderer von Alexander Wehrle dem Mislintatschen Kader rundheraus die Bundesligatauglichkeit ab. Über die Schnappatmung von Thomas Shelby und die hängengebliebene Sportkompetenz-Platte eines gewissen freien Journalisten will ich gar nicht erst reden. Gar keine Frage: Die sportliche Situation ist nach wie vor ziemlich bescheiden und die Aussicht auf Besserung scheint nach der Arbeitsverweigerung in Dortmund nicht besonders gut. Und dass jetzt jeder, der jemanden beim VfB kennt, dort noch offene Rechnungen begleichen oder vielleicht in Zukunft einen Job haben will, aus seinem Loch hervor gekrochen kommt, hat sich der Verein mit der seit Wochen wenig kohärenten Kommunikation durchaus selber zuzuschreiben.
Ob die willentlich oder fahrlässig völlig skurril geratene Pressekonferenz, als deren Ergebnis Sami Khedira direkt in die Trainerfindundungskommission aufrückt, während Christian Gentner noch ein wenig kickt und Philipp Lahm wie angekündigt irgendwie irgendwas anderes macht. Oder die Marketing-Gags USA-Reise, die zwar genauso wenig nachhaltig ist wie die Crypto-Abzocke NFT, aber halt dick Kohle bringt und als Ausgleich für das Flugkerosin bringt man den Amerikanern ja die deutsche Kultur näher. Oder schließlich die Geschichte mit den Trainern. Dass man Pellegrino Matarazzo kurzfristig entlassen hat, kann ich noch nachvollziehen, denn bei aller Sympathie machte die Mannschaften seit Monaten mehr Rück- als Fortschritte und hatte dafür irgendwann keine Ausrede mehr. Dass ein Interimstrainer zwei bis drei Spiele absolviert und dann wieder Platz macht ist Usus. Dass man aber von zwei Kandidaten spricht “die richtig Bock” haben, extra betont, dass Dortmund-Spiel spiele keine Rolle in der Trainerentscheidung und nach der krachenden Niederlage die Entscheidung einfach vertagt und aus zwei mit Michael Wimmer plötzlich drei Kandidaten werden, wirkt von außen vor allem eins: planlos. Zumal man sich jetzt in der sicherlich ungeplanten, aber dennoch pikanten Situation befindet, gleichzeitig über die Zukunft von zwei sportlich zentralen Positionen zu verhandeln. Selbst wenn man entgegen der allgemeinen Weltuntergangsstimmung den Verantwortlichen unterstellt, es alles gut gemeint zu haben — dann ist das halt bekanntlich das Gegenteil von gut gemacht. Und führt dazu, dass jeder hinter den beschwichtigtenden Worten und der Versicherung, man arbeite gut zusammen, die große Verschwörtung vermutet oder zumindest den großen Knall, den man im November bis nach Katar wird hören können.
Dabei geht fast unter, dass der VfB bis dahin noch vier Spiele zu absolvieren hat. Kommen wir also zunächst zur
Personalsituation
Zumindest medizinisch sind die meisten Spieler fit für die Partie am Samstag. Josha Vagnoman wird weiterhin ausfallen, auch wenn er schon im Einzeltraining ist, Pascal Stenzel und Enzo Millot konnten nicht voll trainieren. “Schwäbisch für Profis”-Experte Flo Schock steht auch wieder als dritter Keeper zur Verfügung.
Mögliche Startaufstellung
Tja, was machen wir mit dieser Startaufstellung, nachdem so viele Spieler gegen Dortmund auf dem Platz so präsent waren wie die aktive Fanszene im Gästeblock — nur aus weniger handfesten Gründen. Florian Müller wird wieder spielen und wird sich hoffentlich auch wieder steigern. Dinos Mavropanos ist mangels Alternativen auf der rechten Innenverteidigerposition gesetzt und durchaus noch der formstärkste. Am liebsten würde ich daneben nach den Stellungsfehlern der letzten Woche(n) weder Zagadou, noch Anton sehen wollen, für die Mannschaftschemie musst du aber wahrscheinlich wenigsten einen aufstellen und obwohl ich sportlich derzeit nicht von ihm überzeugt bin, wird das Anton sein, dafür rückt Ito wieder für Daxo rein. Auch Silas bot defensiv zuletzt eine unterirdische Leistung, überzeugte aber offensiv, weswegen er für mich mit Sosa wieder die Wingback-Zange bildet. Karazor, Endo und Führich bilden für mich das Mittelfeldtrio. Karazor, weil er der aggressiven Augsburger Spielweise etwas entgegensetzen kann, Endo weil du den Kapitän trotz Durchhänger aktuell nicht auf die Bank setzen kannst und Führich weil Millot und Ahamada gegen Dortmund heillos überfordert waren. Bleiben die Stürmer, wo ich neben Guirassy entweder Pfeiffer (trotz des ähnlichen Profils) oder Perea für die zuletzt ansprechenden Leistungen belohnen würde.
Statistik
An das letzte Spiel und Tiago Tomás Last-Minute-Treffer erinnern wir uns gerne, ansonsten waren Spiele gegen Augsburg in der jüngeren Vergangenheit meist kein Grund zur Freude, am wenigsten für diverse Trainer, die im Anschluss ihren Hut nehmen mussten. Insgesamt ist die Bundesliga-Statistik gegen den FCA aber nahezu ausgeglichen. Ungemütlich wird es aber auch in dieser Saison, denn Augsburg hat mit 41 gelben Karten und vier Platzverweisen die meisten Verwarnungen der Liga eingeheimst und verweist damit selbst den VfB auf die Plätze. Kein Wunder, denn nur Union Berlin begeht mehr Fouls, stellt sich dabei aber wie bekannt geschickter an und kassiert weniger Karten. Es wird also eklig, hinzu kommt eine erschreckende Effiienz: Augsburg hat außer im eigenen Strafraum ligaweit die wenigsten Ballberührungen, geht seltener ins Dribbling als der Großteil der Liga, spielt die wenigsten Pässe der Liga, hat aber 4 Tore mehr erzielt als expected, ein Wert der nur von den Bayern, Frankfurt, Union und Bremen übertroffen wird. Besonders tut sich dabei Toptorschütze Ermedin Demirovic hervor, der statt der erwarteten 1,9 bisher fünf Treffer erzielt hat. Gleichzeitig zeigen auch Rafal Gikiewicz und jetzt auch sein Stellvertreter Tomas Koubek herausragende Leistungen und liegen bei der Differenz zwischen den post-shot expected goals und den tatsächlich kassierten Toren mit dem Wert von +4,4 auf Platz 1, während Florian Müller in dieser Statistik mit ‑3,5 langsam wieder in den Tabellenkeller rutscht.
Fazit
Es wird also kein leichtes Spiel für die Jungs im Brustring — ist mir aber ehrlich gesagt völlig egal. Wie die Kollegen vom Vertikalpass schreiben: Die Mannschaft ist auf Bewährung:
Die Mannschaft von Pellegrino Matarazzo und Michael Wimmer scheint wie ein Kind, das man auf ein Fahrrad setzt. Hat sie genug Schwung gesammelt, dann meistert sie auch kleinere Anstiege. Aber wehe, gleich nach dem Start kommt der erste Berg. Dann wird geflucht und gezetert, das Rad trotzig hingeworfen und der Ausflug ist beendet. Was man Kindern zugestehen muss, ist für eine Gruppe hochbezahlter Leistungssportler allerdings ein Unding.
Die Leistung gegen Dortmund, aber auch gegen Frankfurt und die vielen Unkonzentriertheiten und Fahrlässigkeiten, die uns gegen schlagbare Gegner wie Bremen, Köln oder Schalke schon so viele Punkte gekostet haben, ist durch nichts zu entschuldigen. Wenn die Punkte jetzt gegen eine so kampfstarke Truppe wie gegen Augsburg geholt werden muss, dann muss die Mannschaft die Punkte jetzt eben holen. Die Fähigkeiten dazu hat sie und durch Verletzungen und Corona-Fälle gebeutelt ist sie auch nicht. Wenn Spieler statt sich bei Sport1 auszuheulen, ihre Haltung zum Spiel mal überdenken würden, wären wir nicht in dem Schlamassel. Und so nervig die vermutete Eskalation auf der Führungsebene sein mag: Sie darf nicht als Ausrede dafür herhalten, dass man den Gegenspieler einfach durch den eigenen Strafraum spazieren lässt. Die Mannschaft hat bisher aus der vergangenen Saison kaum etwas gelernt, die Saisonanalyse im Sommer scheint verpufft, zumindest wenn man den schulterzuckenden Ausführungen von Waldemar Anton nach dem letzten Spiel lauscht. Ich forderte die Mannschaft bereits Anfang Mai auf, endlich zu brennen, aber das Feuer konnte seither weder Pellegrino Matarazzo, noch Michael Wimmer so richtig entfachen. Die Motivation muss nach der Dortmund-Klatsche jetzt aus der Mannschaft selber kommen, ansonsten kann man langsam nicht mehr anders, als ein paar Spielern einen Denkzettel in Form eines Bankplatzes zu verpassen.
Als wäre die gar nicht so unangemessen Erwartungshaltung, sich für den Klassenerhalt den Arsch aufzureißen, nicht schon genug, muss die Mannschaft der Vereinsführung auch selbigen retten. Denn nur mindestens sechs Punkte aus den Spielen gegen Augsburg, Mönchengladbach, Hertha und Leverkusen können glaubhaft vermitteln, dass man sich mit der Bewährungsfrist für Michael Wimmer nicht völlig verzockt hat. Gingen wir mit weniger als zehn Punkten, ja mit weniger als 14 Punkten, dann müsste man sich den Vorwurf gefallen lassen, die Trainersituation aus welchem Grund auch immer zu lange ausgesessen und mit der vermuteten Führungskrise den Klassenerhalt aufs Spiel gesetzt zu haben. Zumal eine solch prekäre sportliche Situation weder für Trainer attraktiv ist, noch die Vertragsverhandlungen zwischen Mislintat und Werhle weniger kontrovers gestalten dürfte — schließlich gehen Sven Mislintat dann auch langsam die Argumente für seinen Weg und die damit verbundenen kolportierten vertraglichen Privilegien aus. Der VfB steht auf allen Ebenen scheinbar mal wieder mit dem Rücken zur Wand. Es kann also nur vorwärts gehen, oder?
Titelbild: © Matthias Hangst/Getty Images