Nur drei Tage nach dem wohltuenden Sieg im Pokal lässt sich der VfB ohne Widerstand von Borussia Dortmund überfahren. Eine Leistung, die viele Fragen aufwirft.
Lediglich eine Minute, 30 Sekunden und einen guten Ballgewinn durch Mavropanos lang hielt die Hoffnung, dass der VfB mit neuem Selbstvertrauen, Torhunger und der nötigen Ernsthaftigkeit den kriselnden Dortmundern Paroli bieten und vielleicht einen Punkt abknüpfen könnte. Dann setzte sich der BVB nach einem Einwurf (!) über links durch, brachte den Ball auf den vor dem VfB-Strafraum völlig frei wartenden Jude Bellingham, der erst zwei hektisch reagierende VfB-Spieler auf sich zog, um ihnen dann zu entwischen und den Doppelpass mit Niklas Süle zum 1:0 zu verwerten. Und so ging es weiter, 70 Minuten lang ohne Erbarmen, bis der BVB beim Stand von 5:0 endlich von seinem wehrlosen Opfer abließ. Beim 2:0 stellte Serhou Guirassy kurzerhand direkt in dem Moment alle Abwehrarbeit ein, als der Freistoß in den VfB-Strafraum segelte, beim 3:0 zieht Moukoko drei Verteidiger auf sich und verschafft so Reyna freie Bahn, beim 4:0 hat Silas einfach keine Lust mehr, Bellingham hinterher zu laufen und beim 5:0 ist es dann irgendwie auch schon egal.
Man könnte es sich jetzt leicht machen und die Torflut auf die Qualität der beiden Dortmunder Wunderkinder zurückführen. Wenn es das erste Mal gewesen wäre, dass sich der VfB so auseinander spielen lässt. Leider ist das nicht der Fall, schon beim Last-Minute-Tor der Wolfsburger ließ der VfB jegliche defensive Zuordnung fahren und verteidigte nach dem Motto “Alle auf den Ball, einer von uns wird ihn schon bekommen.” Und gegen Dortmund wird defensive Passivität halt nicht erst nach fünf Minuten bestraft, sondern bereits nach 90 Sekunden. Vor allem von einer Mannschaft, die zeigen wollte, dass sie trotz der Niederlage gegen Tabellenführer Union immer noch am Kampf um die Meisterschaft teilnimmt. Es wäre mit einer konzentrierten Abwehrleistung durchaus möglich gewesen, die unter Druck stehenden Dortmunder so sehr zu nerven, bis sie sich irgendwann in ihr Schicksal ergeben und zumindest einen Punkt rausrücken würden. Stattdessen servierte der VfB dem Gegner die drei Punkte auf dem Silbertablett und warf sich dann vor ihm in den Staub: Nur ein einziger Schuss aufs Tor und Abwehrleistungen wie die von Waldemar Anton, der nur 20 Prozent seiner Zweikämpfe gewann.
Keine Übermannschaft
Ja gut, dann stehen wir halt in der Nahrungskette irgendwo zwischen Dortmund auf der einen und Bielefeld und Bochum auf der anderen Seite? Ist mir zu einfach. Bremen hat in Dortmund gewonnen, Köln sie daheim geschlagen, auch Hertha und Schalke verloren lediglich 0:1. Das war am Samstag nicht die Übermannschaft der Bundesliga, sondern eine, die gerade drohte, aus der Spitzengruppe zu fallen. Eine Mannschaft, die man packen kann — wenn man die richtige Einstellung hat. Aber die fehlt unserer Mannschaft leider, neben einer Ordnung gegen den Ball. Man kann auch in Dortmund verlieren als Abstiegskandidat. Aber nicht so. Vielleicht hängen Einstellung und Abwehrverhalten auch zusammen, wer weiß. Was sich neben der mangelnden Bereitschaft, an die eigenen Grenzen zu gehen, noch durchzieht, ist die Lernresistenz dieser Truppe.
Denn dass der VfB nur einen einzigen Schuss aufs Tor zustande brachte, lag daran, dass er das gegen Bielefeld und teilweise gegen auch gegen Bochum wiederentdeckte schnelle vertikale Spiel nach vorne gar nicht erst probierte. Stattdessen kamen nur schlampig Querpässe oder Sololäufe, die entweder in gegnerischen Abwehrbeinen endeten oder in einen Pass mündeten, der so spät kam, dass jegliche Hoffnung auf eine gute Schusspositionen dahin war. Jeder nahm den Ball für die eigene glanzvolle Aktion in Geiselhaft und verhinderte damit, dass der VfB in der kurzen, etwas weniger katastrophalen Phase wieder ins Spiel kam. Die Mannschaft, die in der vergangenen Woche zehn Tore schoss, machte auch in dieser Hinsicht wieder einen Rückschritt. Auch hier gilt: Egal ob es an der Qualität oder der Mentalität lag: Eine solche Harmlosigkeit kannst Du Dir in der Bundesliga nirgends erlauben.
Kein “Weiter so”
Womit wir zur Frage kommen, wie wir uns dieses Mal aus dem Schlamassel befreien. Dass die Gegner nochmal so die Waffen strecken wie Bielefeld unter der Woche — die aber immerhin anders als der VfB am Samstag bei einem klassenhöheren Verein antraten — ist unwahrscheinlich. Nach dem Willen der Verantwortlichen soll Michael Wimmer zumindest bis zur WM-Pause noch für die Wende sorgen, eventuell sogar noch darüber hinaus. Aus zwei Kandidaten, die laut Sven Mislintat “richtig Bock” auf den VfB hatten, ist eine verlängerte Interimszeit geworden. Warum nicht der von allen erwartete Jess Thorup den Posten kurzfristig übernehmen soll, ist unklar. Das er auf der jetzt inklusive Michael Wimmer dreiköpfigen Shortlist steht, ist unwahrscheinlich. Ohne zu wissen, ob Thorup beim VfB Erfolg gehabt hätte: Ein “Weiter so” mit einer unkonzentrierten, lernresisten und fahrlässigen Mannschaft kann nicht der Plan der sportlichen Führung sein. Was soll Wimmer gegen Augsburg und Berlin ändern, was schon sein ehemaliger Chef gegen Schalke und Köln nicht umzusetzen vermochte?
Nein, die Motivation, endlich mal ans Limit zu gehen und auch unangenehme Gegner wie Augsburg und Berlin niederzuringen — und der sportlichen Führung damit den Rücken für ihre Entscheidung freizuhalten — muss aus der Mannschaft selber kommen, egal wer wie was entschieden hat. Für Leistungen wie die gegen Dortmund gibt es in den nächsten Wochen keine Ausreden und keine Entschuldigung.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht bei der Mannschaft ein ernstes Problem und und in der Trainerentscheidung ein Zeichen von Hilflosigkeit. Stuttgart.International sieht ein doppeltes Debakel.
Titelbild: © Lars Baron/Getty Images