Mit diesem Wort pflegte der ehemalige Stadionsprecher Christian Pitschmann die Zuschauer im Neckarstadion darauf hinzuweisen, dass die Mannschaften gleich den Rasen betreten würden. Auch aktuell lohnt es sich, beim VfB genau hinzuschauen — abseits des Rasens.
Denn in dieser Woche, in der die Bundesrepublik in einen weitreichenden Lockdown geht, werden auch beim VfB die Weichen für die Zukunft gestellt. Zum einen in der AG, wo Thomas Hitzlsperger weiterhin mit Sportdirektor Sven Mislintat über eine Verlängerung dessen auslaufenden Vertrags verhandelt und am Montag die bereits angekündigte Verschlankung der Führungsebene auch den Betroffenen mitteilte, darunter Oliver Schraft, der offenbar seinen Posten als Kommunikationschef verloren hat. Aber auch im eingetragenen Verein wird es spannend. Drei Tage nach Claus Vogts einjährigen Amtsjubiläum am Dienstag endet am morgigen Freitag die Bewerbungsfrist für die Wahl zum Vereinspräsidenten bei der verschobenen Mitgliederversammlung am 18. März 2021.
Schon wieder Vereinspolitik? Ja!
Erneut betritt also der Vereinsbeirat das Spielfeld der Vereinspolitik. Der gleiche Vereinsbeirat, der uns von Wolfgang Dietrich und Konsorten im Zuge der Ausgliederung als ein Zuwachs an Mitgliederrechten verkauft wurde. Jener Vereinsbeirat, der sich bis zu Dietrichs Abgang eher rar machte, außer, um den damaligen Präsidenten und dessen Amtsführung mit den absurdesten Argumenten zu verteidigen — vor allem in Person seines Vorsitzenden und dessen Stellvertreterin. Aber auch der Vereinsbeirat, der uns erstmals in der jüngeren Vergangenheit zwei Präsidentschaftskandidaten zur Wahl stellte, die beide gut als Präsident taugten, wie die jüngsten Äußerungen von Christian Riethmüller zu seinem ehemaligen Kontrahenten beweisen. Zu jenem Zeitpunkt jedoch stand der Vereinsbeirat, ja der ganze Verein im Rampenlicht des öffentlichen Interesses und unter dem Druck, ja keine falsche Entscheidung zu treffen. Von Mitgliedern und Fans, die schon lange keine Lust mehr auf Ränkespielen hatten, von Kandidatinnen und Kandidaten, die dafür gerne die Öffentlichkeit suchten und nicht zuletzt auch von der lokalen Presse, die zumindest ein wenig aus dem Dornröschenschlaf der letzten drei Jahre erwacht war.
Im Winter 2020/2021 ist alles etwas anders. Der VfB kämpft um den Klassenerhalt und der wird zum Zeitpunkt der Mitgliederversammlung im März auf die Zielgerade einbiegen. Der Verein hat einen Präsidenten der eint statt zu spalten und steht vor massiven wirtschaftlichen Herausforderungen. Wer hat da noch Zeit, sich mit Vereinspolitik zu beschäftigen?
Vogt-Kandidatur eine Selbstverständlichkeit? Scheinbar nicht
Nun, die Zeit sollte man sich nehmen, schließlich obliegt es erneut dem Vereinsbeirat, den Mitgliedern bis zu zwei Präsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Wer bewirbt sich? Wer wird abgelehnt und warum? Gibt es überhaupt eine/n zweite/n KandidatIn und falls nicht, warum nicht? Im Herbst 2019 ließ sich der Vereinsbeirat teilweise in der Öffentlichkeit von Bewerbern kommunikativ überrumpeln und erweckte so den Eindruck eines intransparenten Auswahlprozesses. Das Gremium sollte daraus gelernt haben und diesmal beispielsweise Bewerber, die ihre Bewerbung aus beruflichen Gründen bis zur Nominierung geheim halten wollen, von vornherein aussortieren. Natürlich muss es nicht gezwungenermaßen einen zweiten geeigneten Kandidaten geben, man sollte aber nicht angesichts der eben angesprochenen aktuellen Lage von vornherein auf einen verzichten. Dass Claus Vogt nach seiner Bewerbung am Mittwoch wieder nominiert wird ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Heute habe ich meine Unterlagen als amtierender Präsident zur Nominierung beim Vereinsbeirat offiziell eingereicht. Egal ob Haupt‑, Neben- oder Ehrenamt: Ich möchte auch in den kommenden Jahren mit Euch gemeinsam den eingeschlagenen Weg weitergehen. ⚪?#VfB #vomICHzumWIR pic.twitter.com/iQUA5oWafb
— Claus Vogt (@clausvogt1893) December 16, 2020
Aber scheinbar nicht für alle. Anders lässt es sich nicht erklären, dass entsprechend geneigte Kreise im Verein in der vergangenen Woche versuchten, über die Bild-Zeitung und ihre entweder in Vereinspolitik ahnungslose oder willfährige — wer weiß das schon? — VfB-Redakteurin Stimmung gegen Vogt zu machen. Mit so hanebüchenen wie durchschaubaren Argumenten wie der Tatsache, dass Vogt als Vereinspräsident sein mutmaßlich in den Datenskandal verstricktes Präsidiumsmitglied Rainer Mutschler nicht entgegen der Vereinssatzung gezwungen hat, sein Amt ruhen zu lassen. Oder dass er während der Corona-Krise keine neuen Investoren für die AG an Land zog. Oder, und das könnte ein entscheidender Punkt sein, dass sich die Datenskandal-Ermittler von Esecon erdreisteten, eine Zwischenrechnung über 200.000 Euro zu stellen, ohne jetzt schon komplett aufgedeckt zu haben, wer vereinsintern alles in die Machenschaften von Wolfgang Dietrich verstrickt war (ausführlich hat sich Ron bei der Nachspielzeit mit den Vorwürfen beschäftigt).
Es wird wieder gekämpft
Entscheidend deshalb, weil sich sich jener Vereinsbeirat, der über eine erneute Kandidatur von Claus Vogt zu entscheiden hat bereits vor ein paar Monaten aus der Deckung wagte:
Wir freuen uns Claudia Maintok und Rainer Weninger in den von Claus Vogt initiierten Lenkungsausschuss entsenden zu können.“ (2/2)
— Vereinsleben1893 (@Verein1893) October 3, 2020
Dass am Ende der unbelastetete, weil erst im Herbst 2019 gewählte Marc Nicolai Schlecht in das nun Lenkungskreis genannte Gremium einzog, kann man als internen Punktsieg Claus Vogts werten. Dass der Vereinsbeirat zunächst, offensichtlich ohne Absprache, versuchte, Claudia Maintok, seine bereits erwähnte stellvertretende Vorsitzende, in ein für die Aufklärung der Ungeheuerlichkeiten so wichtiges Gremium zu bugsieren, lässt tief blicken. Oder wie Marko Schumacher unlängst in der StZN (Paywall) über die via Boulevard erhobenen Vorwürfe schrieb:
Man muss kein Insider sein, um zu erahnen, dass solche Informationen nicht zuletzt aus den eigenen Reihen gestreut werden und vor allem ein Ziel verfolgen: den Präsidenten schlecht aussehen zu lassen.
Das Motiv? Einerseits liegt es auf Hand, dass es die noch immer laufende Aufarbeitung der Datenaffäre ist, die zu anhaltender Nervosität führt. Während Vogt den mehr als 70 000 Mitgliedern, deren gewählter Vertreter er ist, die lückenlose Aufklärung versprochen und eine externe Beratungsfirma engagiert hat, besteht in Teilen der alten Führungsriege wenig Interesse daran, dass allzu tief gegraben wird. Schließlich ist es schwer vorstellbar, dass nur jene beiden Mitarbeiter in die Weitergabe der Mitgliederdaten involviert waren, die seit Beginn der Ermittlungen ihre Arbeit ruhen lassen.
Wer sich da nun letztendlich an die Zeitung mit den vier Buchstaben gewandt hat, ist im Grunde irrelevant. Entscheidend ist: Beim VfB wird intern wieder gekämpft. Mit harten, dreckigen Bandagen. Oder wie es die Kollegen vom Vertikalpass formulieren:
Claus Vogt scheint in nur zwölf Monaten für einige offensichtlich zu sperrig und unbequem geworden zu sein. Dabei setzt er sich für die ein, dessen oberster Repräsentant er ist: für die Mitglieder des VfB. Diese Integrität kann womöglich dazu führen, dass er in die VfB-Geschichte eingeht als der Präsident mit den größten Sympathiewerten und der kürzesten Amtszeit.
Weil Personen über ihn entscheiden, die sich für größer als den VfB halten.
Ob Volker Zeh, dessen Bewerbung am Mittwoch durch Carlos Ubina in den Stuttgarter Nachrichten (Paywall) öffentlich gemacht wurde und der auf den ersten Blick als Mitglied der eher politisch konservativ geprägten Atlantik-Brücke und mit seiner Begeisterung für das Engagement von Red Bull und Dietrich Matteschitz im österreichischen Eishockey wie ein Gegenentwurf zu Claus Vogt wirkt, Teil einer Strategie zur Verhinderung der Esecon-Aufklärung ist, bleibt abzuwarten. Immerhin “[sollen] Erhard und Zeh (…) sich aber bereits drei Stunden lang ausgetauscht haben”, so Ubina. Das muss nicht unbedingt etwas heißen und aus demokratietheoretischen Überlegungen ist ein Gegenkandidat durchaus wünschenswert. Ausschließen, dass mehr dahinter steckt, kann man in diesem Verein aber nie.
Wir haben die Kontrolle!
Umso wichtiger ist es, dass im März endlich wieder eine Mitgliederversammlung ansteht. Nicht nur wegen des Vereinsleben, dass in den vergangenen neun Monaten auch durch Geisterspiele größtenteils zum Erliegen gekommen ist. Sondern auch zur regelmäßigen Kontrolle der demokratisch gewählten Gremien — auch des Vereinsbeirats, der unter anderem über die Bewerbungen von Vogt und Zeh entscheidet und wie bereits beschrieben eine durchaus wechselhafte ersten Amtszeit hatte. Wobei diese, sollte der Antrag des Präsidiums eine Mehrheit finden, sogar noch um ein Jahr verlängert würde. Langfristig gesehen aus einem guten Grund, auch wenn ich, wie bereits erwähnt, Zweifel an der Eignung und Motivation mancher Beiräte habe. Denn würden 2021 Präsident und Vereinsbeirat auf zwei verschiedene Mitgliederversammlungen — der auf den März verschobenen und der regulären im September — neu gewählt, würden beide vierjährigen Amtszeiten 2025 zeitgleich enden. Die Folge wäre ein “Superwahljahr”, laut Präsidium ein großer organisatorischer Aufwand, de facto aber auch die Gelegenheit für Absprachen und ein Postengeschacher, das dem der Herren Berthold, Klinsmann und Buchwald im vergangenen Jahr in nichts nachstünde.
Angesichts dessen, dass wie ich schon im Sommer 2019 schrieb, Wolfgang Dietrich zwar Vergangenheit ist, die Strukturen, die seine Amtszeit ermöglichten, aber nicht, sind also einmal mehr wir Mitglieder und Fans gefordert, genau hinzuschauen, was in der Mercedesstraße vor sich geht. Und uns dabei weder vom sportlichen Erfolg ablenken noch vom unweigerlichen Ruf nach Burgfrieden im Abstiegskampf unter Corona-Bedingungenbeirren lassen.
Ich erwarte in den kommenden Monaten von meinem Verein einen fairen Wahlkampf um das Präsidentenamt zwischen Claus Vogt und einem/r möglichen geeigneten Herausforderer/in. Wer diesen Prozess behindert, weil ihm sein eigener Ruf wichtiger ist als das Wohl des Vereins, der hat in diesem Verein nichts zu suchen, erst recht nicht in seinen Gremien oder der Geschäftsstelle. Gleiches gilt für jene, die daran beteiligt waren, dass nicht nur unsere persönlichen Daten möglicherweise unrechtmäßig weitergegeben wurden, sondern dass der Verein versuchte, seine Mitglieder und Fans nach Strich und Faden zu verarschen. Und natürlich die, die jetzt versuchen, die Aufklärung dieser Sachverhalte zu verhindern. Wer sich davon angesprochen fühlt, dem sollte nach den letzten Monaten auch klar sein, dass so etwas irgendwann ans Licht kommen wird. Wir Mitglieder können direkt oder indirekt die Konsequenzen daraus ziehen.
Deshalb: Obacht!
Zum Weiterlesen: Auch Stuttgart international hat sich mit dem Thema beschäftigt, Christoph Ruf berichtet auf Spiegel.de zu dem Thema und hat dafür auch mit den Jungs vom Vertikalpass gesprochen.
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