Rund um das Spiel in Wolfsburg

Vor dem letz­ten Liga-Spiel in die­sem Jahr haben wir mit Wolfs­burg-Exper­te Leo­nard Hart­mann (@leonardmann04) von den Wolfs­bur­ger Nach­rich­ten gespro­chen.

Rund um den Brust­ring: Hal­lo Leo­nard, schön, dass Du dir wie­der Zeit für unse­re Fra­gen zum VfL Wolfs­burg nimmst. Am Mitt­woch­abend ver­lor der VfL sein ers­tes Spiel in die­ser Sai­son mit 1:2 gegen die Bay­ern. Was kann der VfB aus dem Spiel ges­tern für Sonn­tag mit­neh­men? 😉

Leo­nard: Hi Lenn­art, ich freue mich auch, dass Ihr — der VfB und Rund um den Brust­ring — wie­der da seid, wo Ihr hin­ge­hört. Ich glau­be, der VfB kann aus dem VfL‑1:2 bei den Bay­ern nicht viel zie­hen. Spie­le in Mün­chen sind ein­fach so spe­zi­ell, dass sie in der Ana­ly­se oft nicht beson­ders gehalt­voll sind. Aber was sicher­lich wie­der mal zum Vor­schein kam: Die Wolfs­bur­ger sind in die­ser Sai­son wirk­lich sta­bil — phy­sisch und psy­chisch.

Nach zwei erfolg­rei­chen Rele­ga­ti­ons­teil­nah­men 2017 und 2018 schloss der VfL die letz­ten bei­den Spiel­zei­ten wie­der in der obe­ren Tabel­len­hälf­te ab, vor dem 13. Spiel­tag steht er auf Platz 5. Wor­in liegt Dei­ner Mei­nung nach der Auf­schwung und die bis Mitt­woch­abend andau­ern­de Serie begrün­det?

Das hat ganz viel mit Jörg Schmadt­ke und Mar­cel Schä­fer zu tun. Die bei­den Kader­pla­ner haben den Kern der Mann­schaft seit 2018 zusam­men­ge­hal­ten, Stö­ren­frie­de abge­ge­ben und neue Impul­se mit tol­len Neu­zu­gän­gen gesetzt. Das Team ist extrem homo­gen. Die gro­ßen Stars fin­det man dar­in nicht mehr, der VfL hat sei­ne Shop­ping-Phi­lo­so­phie ein­deu­tig umge­stellt. Es wer­den jetzt eher unbe­kann­te und ent­wick­lungs­fä­hi­ge Spie­ler gekauft, die in Wolfs­burg wach­sen sol­len — um dann woan­ders ihren nächs­ten Kar­rie­re­schritt zu machen. Wout Weg­horst ist dafür wohl das pro­mi­nen­tes­te Bei­spiel. Also: Schmadt­ke und Schä­fer haben dem Team einen fes­ten Kern ver­passt um Koen Cas­teels, Jay Brooks, Maxi­mi­li­an Arnold, Xaver Schla­ger und Wout Weg­horst. Der Rest ori­en­tiert sich an die­sen Leis­tungs­trä­gern — daher läuft‘s.

Im Som­mer ver­pflich­te­te Wolfs­burg unter ande­rem Maxim Lacroix aus Soch­aux und Rid­le Baku aus Mainz und lieh Maxi­mi­li­an Phil­ipp, an dem auch der VfB inter­es­siert war, von Dyna­mo Mos­kau aus. Wie bewer­test Du die Trans­fers und wo muss im Win­ter nach­ge­legt wer­den?

Jörg Schmadt­ke wur­de nicht umsonst vom Kicker als bes­ter Mana­ger des Som­mer aus­ge­zeich­net. Baku ist fan­tas­tisch — ihn hat­te ich nie auf dem Zet­tel, als er noch in Mainz kick­te. Klas­se Kicker, klas­se Typ. Ich sehe ihn auch per­spek­tisch als Rechts­ver­tei­di­ger im Natio­nal­team nicht chan­cen­los. Maxence Lacroix ist ein ziem­li­ches Tier: sau­schnell, sta­bil — und er wird immer muti­ger. Selbst gegen Bay­ern trau­te er sich, im Auf­bau ins Dribb­ling zu gehen. So etwas öff­net Türen. Lacroix ist in der Hin­sicht ver­gleich­bar mit Lucio — wenn­gleich der Wolfs­bur­ger noch eini­ge Schrit­te zu gehen hat. Er ist halt erst 20 Jah­re alt — aber unan­ge­foch­te­ner Stamm­spie­ler in einer der bes­ten Defen­si­ven der Bun­des­li­ga. Phil­ipp kommt immer bes­ser in Fahrt, sein Tor in Mün­chen hat­te sich abge­zeich­net. Ihm war zu Beginn anzu­mer­ken, dass er nach dem Jahr in Mos­kau und der Coro­na-Pau­se noch Nach­hol­be­darf in Sachen Fit­ness hat­te. Das ist aber auf­ge­holt. Im Som­mer kann ihn der VfL für elf Mil­lio­nen Euro fest ver­pflich­ten — was sie machen wer­den. Du hast in Dei­ner Fra­ge Bar­to­sz Bia­lek ver­ges­sen. Bar­to­sz wer? Jap. Bia­lek. 5 Mil­lio­nen Euro haben die Wolfs­bur­ger nach Lubin über­wie­sen für einen 18 Jah­re alten Stür­mer. Ein Expe­ri­ment. Aber ich glau­be mitt­ler­wei­le: Bia­lek ist der bes­te Deal des Som­mers. Der bringt alles, wirk­lich alles mit, um in der Bun­des­li­ga regel­mä­ßig zwei­stel­lig zu tref­fen. Schnell, wen­dig trotz sei­ner Sta­tur, kopf­ball­stark, abschluss­si­cher. Manu­el Neu­er kratz­te Bia­l­eks Chan­ce in der Schluss­pha­se von der Linie. In der Sze­ne macht der Wolfs­bur­ger eigent­lich nichts falsch, aber der Bay­ern-Kee­per macht alles rich­tig. Den­noch: Bia­lek ist top und hat Dani­el Gin­c­zek schon den Rang abge­lau­fen. Im Win­ter nach­bes­sern braucht der VfL nicht — passt alles.

Josip Brekalo hat sich in Wolfsburg etabliert. Bild:© CHRISTOF STACHE / POOL / AFP
Josip Bre­ka­lo hat sich in Wolfs­burg eta­bliert. Bild:© CHRISTOF STACHE / POOL / AFP

Wout Weg­horst hat mit neun Toren mit Abstand die meis­ten Tref­fer für den VfL erzielt. Wie abhän­gig ist die Mann­schaft offen­siv von ihm?

Wout ist wirk­lich eine Maschi­ne, die sta­tis­tisch in jedem zwei­ten Spiel lie­fert. In Mün­chen hat er nicht getrof­fen, also: Obacht, VfB. Sei­ne Quo­te ist das eine, sein Arbeits­ethos das ande­re Argu­ment für ihn. Er nervt die geg­ne­ri­schen Ver­tei­di­ger mit sei­nem per­ma­nen­ten Anlau­fen der­be. Aber klar: Neben ihm haben die Wolfs­bur­ger zu weni­ge ver­läss­li­che Tor­jä­ger — beson­ders auf den offen­si­ven Außen. Da kommt zu wenig Zähl­ba­res.

Mit Josip Bre­ka­lo und Dani­el Gin­c­zek ste­hen zwei Ex-Stutt­gar­ter im Kader des VfL. Wie läuft es für die bei­den?

Bre­ka­lo ist mitt­ler­wei­le unan­ge­foch­te­ner Stamm­spie­ler und recht­fer­tigt die­ses Ver­trau­en mit kon­stan­ten Auf­trit­ten. Er hat sei­nen Wan­kel­mut abge­legt. Sei­ne Sta­tis­ti­ken (ein Tor, eine Vor­la­ge) drückt das zwar nicht aus, aber er hat schon vier vor­letz­te Päs­se vorm Tor gespielt — mehr hat liga­weit nie­mand. Und Gin­c­zek? Ja. Ich fin­de ihn super, klas­se Kerl und fan­tas­ti­scher Angrei­fer, der sicher Natio­nal­spie­ler gewor­den wäre, wenn… Ihr kennt es ja auch noch. Die­ses Jahr war bei ihm wie­der geprägt von Nie­der­schlä­gen. Umso erstaun­li­cher und bemer­kens­wer­ter, mit wie viel Ehr­geiz er sich immer wie­der zurück­kämpft. Im Sturm ist er hin­ter Weg­horst und Bia­lek aber nur noch Num­mer 3.

Bei Daniel Ginczek läuft es weniger gut. Bild: © Martin Rose/Getty Images
Bei Dani­el Gin­c­zek läuft es weni­ger gut. Bild: © Mar­tin Rose/Getty Images

Trai­ner Oli­ver Glas­ner stand ja im Lauf der bis­he­ri­gen Sai­son kurz­zei­tig auf der Kip­pe, trotz des sport­li­chen Erfolgs. War­um und wie bewer­test Du sei­ne 2019 begon­ne­ne Amts­zeit?

Ja, Oli­ver Glas­ner hat hier kei­nen leich­ten Stand. Das Ver­hält­nis zu Jörg Schmadt­ke ist zer­stört, die bei­den reden kaum mehr mit­ein­an­der. Die­sen Zwist hat­te Glas­ner in die Öffent­lich­keit getra­gen, was bei Schmadt­ke natür­lich nur so semi-gut ankam. Daher wur­de im Novem­ber über den Trai­ner dis­ku­tiert. Aller­dings einig­ten sich alle Betei­lig­ten auf den kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner: sport­li­chen Erfolg — und der ist unzwei­fel­haft da. Glas­ner pro­fi­tiert von dem homo­ge­nen Kader, der mit einer hohen intrin­si­schen Moti­va­ti­on aus­ge­stat­tet ist. Und der VfL hat im Gegen­satz zu allen ande­ren Spit­zen­teams einen Vor­teil: kei­ne Mehr­fach­be­las­tung, weil die Mann­schaft nach einer Pein­lich­vor­stel­lung bei AEK Athen aus der Euro-League-Qua­li geflo­gen ist. Das stellt sich jetzt als Vor­teil her­aus: Wäh­rend die ande­ren auf dem Zahn­fleisch gehen, kann Glas­ner sei­ne offen­si­ve Spiel­idee trai­nie­ren. Das war in sei­ner ers­ten Sai­son nicht mög­lich, jetzt schon. War Glas­ners Team 2019/2020 oft nur schwer zu ertra­gen, weil zu destruk­tiv und unge­fähr­lich, macht‘s mitt­ler­wei­le wie­der Bock, beim VfL zuzu­schau­en.

Über Weg­horst haben wir schon gespro­chen, vor wem müs­sen wir uns noch in Acht neh­men am Sonn­tag? Und wo lie­gen die Schwä­chen des VfL?

Die Stan­dards und Fern­schüs­se von Maxi­mi­li­an Arnold sind bru­tal. Xaver Schla­ger schal­tet nach Ball­ge­winn schnel­ler um als ich, wenn die Check24-Wer­bung kommt. Ansons­ten löst der VfL in der Offen­si­ve viel über tie­fe Läu­fe und schnel­le Sei­ten­ver­la­ge­run­gen. Angrif­fe sind nur sel­ten Einzel‑, son­dern oft Grup­pen­leis­tun­gen. Und offen­sicht­li­che Schwä­chen gibt es kaum: feh­len­de Schnel­lig­keit im Mit­tel­feld­zen­trum, auch der Stür­mer Weg­horst hat kaum Tem­po. Die Wolfs­bur­ger ver­tei­di­gen Stan­dards im Raum, was manch­mal für Pro­ble­me sorgt. Kalajd­zic soll­te man viel­leicht lie­ber direkt covern. Wie man‘s nicht macht, hat ein ehe­ma­li­ger VfLer am Diens­tag gezeigt: Robin Kno­che war vor den bei­den VfB-Toren nicht nah genug dran.

Zum Abschluss: Dein Tipp fürs Spiel?

Ich habe mit gro­ßer Begeis­te­rung die VfB-Spie­le gegen Bay­ern und Dort­mund gese­hen. Ihr habt aus der Fer­ne betrach­tet die auf­re­gends­te Umschalt­trup­pe der Liga. Dazu gefällt mit Endo rich­tig, rich­tig gut. Mal sehen, wie der VfL das 1:2 in Mün­chen ver­kraf­tet. Ich tip­pe daher mal auf ein lang­wei­li­ges 4:4.

Schreibe einen Kommentar