Kurz vor Trainingsbeginn hat der VfB erneut am Kader gewerkelt und Gonzalo Castro von Borussia Dortmund verpflichtet. Zudem tauschen Daniel Ginczek und Daniel Didavi die Arbeitsplätze. Unsere Einschätzung zu den Transfers vom vergangenen Freitag.
Dass Michael Reschke sich nach dem ersten Schwung an Transfers (die wir Euch hier vorgestellt haben) nicht auf die faule Haut legen würde, konnte man in den letzten Wochen gut mitverfolgen. Abgesehen von der Personalie Benjamin Pavard, mit der wir uns hier erstmal nicht beschäftigen werden, war klar, dass der VfB noch Bedarf im Mittelfeld hatte. Zumindest personell dürfte dieser mit den Verpflichtungen von Gonzalo Castro vom BVB und der Rückkehr von Daniel Didavi aus Wolfsburg gedeckt sein. Aber wie sind die Transfers qualitativ zu bewerten? Da an Didavis Wechsel auch noch sein Namensvetter Ginczek dranhängt, beginnen wir mit
Gonzalo Castro
Castro, dessen Eltern aus Spanien stammen, wurde 1987 in Wuppertal geboren und begann dort auch mit dem Kicken, bevor 1999 mit zwölf Jahren nach Leverkusen wechselte. 2005 kam er dort als 17jähriger erstmals in der Bundesliga zum Einsatz, bis zu seinem Wechsel nach Dortmund zehn Jahre später sollten noch 285 weitere Einsätze mit insgesamt 25 Toren hinzukommen. In schwarzgelb lief er dann weitere 72 Mal auf. Mit mittlerweile 31 Jahren kommt er jetzt zum VfB und bringt, abgesehen von seinen Fähigkeiten, viel Erfahrung mit. Wie man in einem 11Freunde-Interview im Oktober 2013 erfährt, hatte zum damaligen Zeitpunkt kein Spieler mehr Bundesliga-Spiele vor seinem 26. Geburtstag absolviert als er. Während seiner Zeit in Leverkusen wurde er 2009 auch mit der deutschen U21 Europameister und spielte insgesamt 58 Mal im Europapokal. Auch weil Leverkusen mit ihm in einer tragenden Rolle — Castro machte jede Saison mindestens 20 Bundesliga-Spiele — die Saison meist auf einem der ersten fünf Plätze beendete. Über seine Zeit bei Borussia Dortmund haben wir uns bei BVB-Experte Jens (@Baumwollhose) vom Online-Fanzine schwatzgelb.de und dem dazugehörigen Podcast Auffe Ohren schlau gemacht.
Beim BVB war er, erklärt Jens, als “sehr gute Ergänzung für den breiten Kader” vorgesehen, was angesichts der Kaderqualität der Borussen in den letzten Jahren für sich spricht. Unter Tuchel sei er die Ergänzung zu Gündogan und Kagawa im zentralen Mittelfeld gewesen, nach dem Weggang Gündogans habe er dann größere Aufgaben übernommen. Jens’ Fazit zu Castros Leistung: solide, “er hat genau das abgeliefert, was ich erwartet habe”. Warum also jetzt der Wechsel zum VfB? Jens vermutet, dass Castro, nachdem er beim BVB wie erwähnt vor allem Ergänzungsspieler war, mit 31 noch einmal Stamm- und Führungsspieler in einem Verein sein möchte. In der Tat ist er aktuell im Kader der kommenden Saison nur einer von fünf Spielern über 30 und mit 358 Bundesliga-Spielen hat er sogar zehn Spiele mehr als der zwei Jahre ältere Christian Gentner.
Das könnte vor allem dann interessant werden, wenn man seine Position auf dem Feld betrachtet. Nachdem Castro in Leverkusen “alle Positionen, inklusive des Zeugwarts und abgesehen vom Torwart” besetzt hatte, wie die 11Freunde 2016 berichteten, war er beim BVB vor allem im zentralen defensiven Mitteleld im Einsatz. Jedoch nicht als klassischer Sechser, wie Jens betont: “Gonzo ist für mich ein Verbindungsspieler, wie er im Buche steht: gutes Passspiel, gute Übersicht, überzeugend im Dribbling und beim Stellungsspiel, aber nur ordentlich in Zweikampfverhalten und Abschlüssen — also weder wirklich defensiv noch wirklich offensiv. Er liegt meines Erachtens nach genau in der Mitte und sollte entsprechend auch da spielen, mit einem richtigen defensiven Mittelfeldspieler an seiner Seite und einer zu fütternden Sturmreihe vor ihm, das liegt ihm am Besten.” Hört sich wie eine ziemlich passable Ergänzung zu Santiago Ascacíbar an, der zwar auch nicht gerade ein Torjäger ist, dessen Zweikampfverhalten aber mehr als nur ordentlich ist. Gerade diese Verbindung zwischen Abwehr und Angriff fehlte ja in der vergangenen Saison häufig und konnte mit Gentner auf der Doppelsechs gar nicht und mit Aogo auch nicht so richtig hergestellt werden. Tobias Ahrens beschrieb Castro für 11Freunde vor zwei Jahren als “Nischenspieler”: “Er wandert hinter Rechtverteidiger Lukasz Piszeck, um mehr variable Offensivkraft zu ermöglichen. Unterstützt Dembélé im Eins-gegen-Eins auf den Flügeln oder Weigl als abkippende Sechs im Spielaufbau.”
Ein Bindeglied scheint Castro auch abseits des Platzes zu sein:
War schön jewesen. Kein Lautsprecher, keine Profilierungssucht. Das war ziemlich dicht an “einfach nur Fußball”
Nicht immer der tollste Fußball, nicht die Momente für Zeitlupen-Gifs. Aber das ist ok, wirklich. Danke. https://t.co/CFUgMdjKCm
— Stefan (@Surfin_Bird) June 30, 2018
Auch Jens ist begeistert von der Bodenständigkeit Castros: “Solang ihr von ihm keine Zauberei erwartet, werdet ihr von ihm bekommen, was er verspricht: Ehrliche Arbeit, wenn auch nicht so richtig malochen, gute Technik, wenn auch nicht auf Iniesta-Niveau, und einen ruhigen, ausgeglichenen Typen, der immer da ist, wenn man ihn braucht.” Erneut gebraucht er den Begriff “solide”, um Castro zu beschreiben, was als Charakterbeschreibung natürlich noch mal etwas anderes aussagt, als als Leistungseinschätzung. Was das angeht, scheint der VfB also einen guten Fang gemacht zu haben.
Auch sonst, finde ich an dem Transfer nicht viel, worüber ich mich beschweren kann. Sicherlich: Castro ist niemand, den wir in ein paar Jahren für ein Vielfaches der für ihn bezahlten Ablösesumme — kolportiert werden fünf Millionen Euro — weiterverkaufen können. Er ist jemand, der im Hier und Jetzt helfen kann, den Verein auch in der kommenden Saison den Verein in der Bundesliga zu halten. Das kann meiner Meinung nach mit ihm gelingen, denn weder Holger Badstuber, noch Dennis Aogo waren in der vergangenen Saison die Optimallösung im zentralen, beziehungsweise defensiven Mittelfeld. Castro hingegen ist dort mittlerweile ein gestandener Bundesliga-Spieler und hat seine Erfahrung bei Vereinen gesammelt, die dem VfB in den letzten zehn Jahren weit enteilt sind. Natürlich kommt es immer noch darauf an, wie Tayfun Korkut ihn in das System für die neue Spielzeit einbaut und wie er dann mit Spielern wie Aogo oder Mangala umgeht. Denn klar ist, ähnlich wie bei Ron-Robert Zieler: Castro kommt nicht als Einwechselspieler zum VfB sondern dürfte seinen Stammplatz, genauso wie Gentner, Gomez und Zieler, sicher haben. Zurecht, meiner Meinung nach, denn wer 13 Jahre lang für Leverkusen und Dortmund auf hohem, manchmal auch höchstem Niveau spielte, sollte auch für einen AG-gepowerten VfB im zweiten Jahr nach dem Aufstieg eine deutliche Verstärkung darstellen. Nicht ganz so eindeutig sind die Meinungen zum zweiten Neuzugang des vergangenen Freitags:
Daniel Didavi
Didas Werdegang brauchte ich dem geneigten VfB-Fan glaube ich nicht ausführlich vorzustellen. Aus Nürtingen mit sieben Jahren zum VfB gekommen und dort — mit zwei einjährigen Unterbrechungen — 19 Jahre lang geblieben, bis er 2016 seinen auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängerte und zum VfL Wolfsburg wechselte. Eine Entscheidung, die, wie er damals sagte, bereits im Winter getroffen wurde und nicht erst nach dem Abstieg des VfB, von dem er sich mit einem Freistoßtor gegen seinen neuen Arbeitgeber verabschiedete. Für VW machte er in den vergangenen beiden Jahren 48 Spiele und konnte mit dem Automobilkonzern den zweiten Abstieg innerhalb von zwei, beziehungsweise drei Jahren zweimal knapp in der Relegation vermeiden. In den bereits genannten 48 Spielen schoss Didavi 13 Tore und bereitete neun Treffer vor. Fast ein Tor in jedem dritten Spiel und alle fünf Spiele eine Vorlage bei einem zweimaligen Fast-Absteiger sind keine ganz schlechten Zahlen.
Aber es gibt eben auch andere, die uns allen auch hinlänglich bekannt sind. Didavi ist mittlerweile 28 und keine 18 Jahre mehr alt und konnte in den sechs Saisons, in denen er beim VfB vor seinem Wechsel unter Vertrag stand, gerade einmal 70 Spiele absolvieren — das sind 12 Spiele pro Saison. Die Gründe dafür kennen wir: Knorpelschaden, Knochenödem, immer wieder Knieprobleme, die ihn in die Rehawelt zwangen und Alex Maxim die Chance gaben, zu beweisen, dass er Didavi nicht ersetzen konnte. Dieses Problem wird er diesmal nicht haben, außer ihm hat der VfB keinen zentralen offensiven Mittelfeldspieler mehr im Kader, dementsprechend übernahm er auch wieder die Nr. 10 auf dem Rücken, die er bereits zwischen 2012 und 2016 trug. Soweit also zu den Zahlen des Daniel Didavi.
Bei jeder Rückkehr spielen aber immer auch die Emotionen eine Rolle. Es stimmt: Ohne die 13 Treffer und fünf Vorlagen wäre der VfB vielleicht schon deutlich früher abgestiegen, vor allem zum Jahreswechsel drehte Dida richtig auf. Andererseits, ohne seine Leistung alleine in Scorerpunkten bewerten zu wollen: Viele Tore und Vorlagen fielen auch in Spielen, in denen der VfB am Ende verlor — sei es das 1:2‑Anschlusstor beim 1:3 gegen München, der zwischenzeitliche Ausgleich beim 2:6‑Debakel in Bremen oder das bereits erwähnte wertlose Freistoßtor zum 1:3 in Wolfsburg. Es war zudem die erste Saison, in der Didavi fast alle Bundesliga-Spiele mitmachte, insgesamt 31 Mal stand er auf dem Platz — und es war die Saison, in der die Mannschaft des VfB wider besseren Wissens aus den Erfahrungen der Vorjahre dachte, sie sei zu gut für den Abstieg und mit einer unglaublichen Überheblichkeit einen sicher geglaubten Vorsprung auf die Abstiegsplätze verspielte. Mit einem Daniel Didavi in der Blüte seiner Karriere. Natürlich macht ihn das nicht allein schuldig am Abstieg, aber zumindest mitschuldig, seiner Tore zum Trotz.
Kehrt in Didavi also nicht ein verlorener Sohn heim an den Wasen, wie Beck und Gomez vor ihm, sondern ein Judas, der sich, wie der Vertikalpass schreibt ins “gemachte Nest” der VfB-AG mit Geldspeicher setzt? Der VfB hätte ihn damals schon vor der Saison für mutmaßlich 15 Millionen Euro — viel Geld, bevor ein Jahr später alle anfingen durchzudrehen — auch an Leverkusen verkaufen können, entschied sich aber dafür, lieber seine Fußballkünste als seine Ablösesumme in die Mannschaft zu investieren. Dass Didavi ein Jahr später dann eben ablösefrei gehen würde war absehbar, nicht jedoch, dass der Pokalsieger von 2015 sein vieles Geld so sinnlos verprassen und dadurch abstürzen würde. Einen wirklichen Vorwurf kann man ihm meiner Meinung nach aus dem damaligen Wechsel nicht machen, mal abgesehen davon, dass ich nicht nachvollziehen kann, wie überhaupt jemand in dieser Stadt bei diesem Konzern leben und spielen will.
Aber Didavi muss jetzt beweisen, dass er mehr ist als nur der Junge mit Stallgeruch. Er wurde nicht als Talent geholt, sondern als jemand, der die Mannschaft führen und verstärken soll. Gerade weil seine erste Phase beim VfB mit dem Abstieg endete, steht er nun unter verschärfter Beobachtung. Ich hoffe, dass sein Knie lange genug hält, dass er uns von sich überzeugen kann und zwar nicht nur mit Instagram-Bildern von Klein-Daniel im VfB-Trikot. Ganz so optimistisch wie bei Castro bin bei ihm allerdings nicht. Es ist wie in einer langen, schwierigen Beziehung: Man hat einfach schon sehr viele gemeinsame Erfahrungen und eben nicht nur gute.
Der andere Teil des Didavi-Transfers
Kommen wir abschließend noch kurz auf Daniel Ginczek zu sprechen, dessen Wechsel nach Wolfsburg den Transfer von Didavi eigentlich erst ermöglichte. Im Grunde ist es bei Didavi wahrscheinlich wie bei Mario Gomez. Wolfsburg ist ganz nett spielt in der Bundesliga und man verdient auch gut. Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, zum VfB zurück zu gehen und dort auch nicht ganz schlecht zu verdienen, dann ergreift man die, egal ob man bei VW Kapitän oder bester Torschütze ist. Während der VfB für Gomez das ausgeliehene Talent Josip Brekalo vorzeitig zurück geben musste, war es in diesem Fall der Wechselwunsch von Daniel Ginczek, mit dem sich dieser nach eigener Aussage bereits seit der Winterpause herumtrug.
Um es kurz zu machen: Die Wahrheit, wer die Idee eines Vereinswechsels zuerst hatte, wird wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen. Mit Sicherheit wird sich Ginczek nachdem er endlich fit war und sich Simon Teroddes Flucht in die zweite Liga langsam abzeichnete, Hoffnungen gemacht haben, von jetzt an Stürmer Nummer eins in Stuttgart zu sein. Ob das angesichts von zum damaligen Zeitpunkt etwas über 50 Spielen in vier Jahren (im Schnitt nur zwei mehr als Didavi) realistisch war, steht auf einem anderen Blatt, aber der Vorwurf, man habe ihn bereits im Winter verkaufen wollen, ist sicherlich auch nicht komplett aus der Luft gegriffen. Dass man ihm zum damaligen Zeitpunkt einen Wechsel nahelegt hat oder zumindest mit dem Gedanken spielte, ist für mich völlig unverständlich. Am Ende wird es wohl auch daran gescheitert sein, dass man für ihn weder eine vernünftige Ablöse, noch einen angemessenen Ersatz fand. Ein bißchen schade finde ich es, abgesehen von der bereits erwähnten Abneigung gegenüber Wolfsburg schon. Ich hatte mich auf einen endlich mal fit durch die Vorbereitung gekommenen Ginczek im Zusammenspiel mit Gomez und einem interessanten offensiven Mittelfeld gefreut. Aber so ist das nun mal im Fußball und wir werden uns auch an Spieler wie Pavard oder eben Ginczek in anderen Trikots gewöhnen. Vorerst bleibt mir aber nur, Ginczek gesundheitlich alles Gute zu wünschen und sportlich, dass er das vollbringt, woran Daniel Didavi zweimal in Folge gescheitert ist.