Nach langen Verhandlungen hat der VfB Chris Führich vom SC Paderborn losgeeist und mit einem Vertrag bis 2025 ausgestattet. Wir haben uns in Köln, Dortmund und Paderborn über ihn erkundigt.
Es war eine von zwei guten Nachrichten am Tag nach der Mitgliederversammlung: Erst trat Wilfried Porth wie angekündigt endlich von seinem Aufsichtsratmandat zurück und dann präsentierte Sportdirektor Sven Mislintat im Trainingslager in Kitzbühel noch einen Neuzugang, der gefühlt schon lange feststand: Chris Führich, Offensivspieler vom SC Paderborn. Der Vorname ist übrigens keine Abkürzung. Lange hatte Mislinat mit den Ostwestfalen verhandelt, die natürlich wussten, was der VfB durch den Abgang von Nicolas Gonzalez eingenommen hatte. Am Ende bezahlte der VfB angeblich die von Paderborn geforderten drei Millionen, die Führich zum zweitteuersten Abgang beim SCP machen. Dass der VfB in der Offensive Bedarf hat, ist angesichts von Gonzalez’ Abgang und Silas’ langer Verletzungspause offensichtlich. Aber kann Führich beide oder einen von beiden ersetzen? 13 Tore in der zweiten Liga sind kein schlechter Wert, andererseits kam Philipp Klement mit ähnlichen Zahlen aus Paderborn nach Stuttgart und konnte sich bis dato nicht durchsetzen. Um mehr über Führich zu erfahren und ihn besser einschätzen zu können, haben wir Experten befragt, die ihn bei seinen letzten drei Stationen haben spielen sehen: Thomas Reinscheid (@koelnsued), Chefredakteur des Kölner Online-Fanzines effzeh.com, Klaus Pablo Torgau (@AlsterPeruaner), der den Twitteraccount @BVBJugend zum Dortmunder Nachwuchsbereich betreut und schließlich Stephan Simman (@schwarzundblau) Blogger und Podcaster zum SC Paderborn auf #schwarzundblau, beziehungsweise beim PaderCast.
Aus dem Ruhrgebiet ins Rheinland und wieder zurück
Kurz zu Führichs bisheriger Karriere: Er wurde 1998 in Castrop-Rauxel geboren und durchlief in der Jugend das Who’s Who des Ruhrgebietsfußballs: Von Schalke ging es mit 15 Jahren nach Dortmund, von dort weiter nach Bochum und schließlich nach Oberhausen, bevor er 2017 mit 19 Jahren zum 1. FC Köln wechselte und dort 64 Spiele in der Regionalliga West sowie gegen Bayern München und Wolfsburg seine beiden ersten und bis dato letzten Bundesliga-Spiele absolvierte. Die Verpflichtung Führichs aus dem Nachwuchs von RWO sorgte am Rhein für kein besonders großes Aufsehen, erklärt Thomas, es habe wie so viele Transfers in der Regionalliga-Mannschaft eines Bundesligisten gewirkt: “Ein gut ausgebildetes Talent, das bei anderen Topclubs den Sprung nicht in den Profibereich geschafft hatte, über einen kleinen Umweg aber einen neuen Anlauf wagen möchte. Dass da Talent für mehr schlummerte, war sicher offensichtlich – aber das gilt natürlich für viele, die auf diesem Niveau unterwegs sind.” Dass er in der Bundesliga zum Einsatz kam, verdankte Führich auch der Tatsache, dass es beim damals im Europapokal startenden FC drunter und drüber ging — auch wegen großer Personalprobleme, erinnert sich Thomas. Nach einem guten Auftritt gegen München kam er in der Rückrunde 2017/2018 nicht mehr in der Bundesliga zum Einsatz kam, was viele Fans angesichts guter Ansätze und der Aussage des damaligen Trainers Stefan Ruthenbeck, Führich nicht mehr hergeben zu wollen, verwunderte. In der Regionalliga-Mannschaft sei er aber ein absoluter Leistungsträger gewesen, der Wechsel zum BVB mit seiner “ambitionierteren Zweitvertretung mit Blick nach oben” nur folgerichtig, auch wenn klar war, dass er dort nicht bei den Profis zum Einsatz kümmen würde. In Köln hingegen ging Führich nach dem Abstieg und dem Wiederaufstieg so unauffällig, wie er gekommen war.
Nach der Zeit in Köln schloss er sich sich seinem Jugendverein, dem BVB an. Laut Klaus Pablo eine durchaus interessante Verpflichtung für die damalige Regionalliga-Mannschaft, die häufig Spieler im Alter von 20 oder 21 Jahren verpflichtet, um sich nicht nur perspektivisch, sondern auch kurzfristig zu verstärken. In der von der Pandemie unter‑, bzw. im Falle der Regionalliga West abgebrochenen Saison kam er auf 24 Spiele für die zweite Mannschaft, reiste mit den BVB-Profis ins Wintertrainingslager und saß nach der Corona-Pause immerhin fünf Mal in der Bundesliga auf der Bank, ohne jedoch zu einem weiteren Erstliga-Einsatz zu kommen. Das lag laut Klaus Pablo daran, dass seine Konkurrenten Sancho, Götze, Brandt und Hazard dann doch “eine Nummer zu groß” waren. Bevor er vor der Saison 2020/2021 nach Paderborn verliehen wurde, unterschrieb er einen Profivertrag. Für Klaus Pablo war die Leihe damals die beste Option: “Nach seiner dritten Saison in der Regionalliga als Stammspieler war der Weg nach oben für die weitere Entwicklung zwingend erforderlich, auf die Anzahl an Spielminuten, die er in Paderborn bekommen hat, wäre er beim BVB nicht gekommen und eine vierte Saison in der vierten Liga hätte für ihn in meinen Augen auch wenig Mehrwert gehabt.”
Flexibel einsetzbarer Leistungsträger
In Paderborn, erklärt Stephan, habe man mit Luca Kilian bereits gute Erfahrungen mit einem jungen Dortmunder Spieler gemacht und hoffte daher darauf, “einen top-ausgebildeten Spieler zu bekommen, der uns schnell helfen wird.” Und wie die wie zuvor in Köln wurde Führich auch in seinem ersten Zweitliga-Jahr zum Leistungsträger, der dem SCP nicht nur eine ruhige Saison bescherte, sondern auch, so Stefan, den Konkurrenzkampf in der Offensive anfachte. Paderborn belegte in der zweiten Liga am Ende Platz 9, genauso wie der VfB eine Etage höher. In der 2. Bundesliga kam Führich in allen 34 Saisonspielen zum Einsatz und sammelte 20 Scorer-Punkte: 13 Tore und sieben Assists, was ihn zum achtbesten Torschützen der Liga machte. Dabei fällt vor allem seine Treffsicherheit auf: 57 Schüsse gab er ab, 23 davon gingen aufs. Beides keine überragenden Werte, bei den Toren pro Schuss aufs Tor liegt er mit 0,5 allerdings auf Platz 10 der Liga.
Wie aber tritt Führich generell auf dem Platz auf und vor allem wo? Widmen wir uns zunächst der zweiten Frage. Sven Mislinat sagte bei der Vorstellung des Neuzugangs, dieser sei “auf fast allen Offensivpositionen einsetzbar”. Aber wo wurde er eingesetzt? In Kölns zweiter Mannschaft spielte er vor allem auf der rechten Außenbahn, beim BVB II eher auf der linken Seite, dazu kamen bei beiden Vereinen immer wieder Einsätze im zentralen Mittelfeld. In Paderborn wiederum kam er größtenteils auf der rechten Seite zum Einsatz. Alle drei Experten betonen aber seine Flexibilität bezüglich der Positionen. Stephan verweist darauf, dass es dabei auch immer auf seine Mitspieler ankäme, er aber auf jeder Position gut aufgehoben sei. Klaus Pablo ergänzt: “Er kann beide Flügel spielen und kommt auch für die Positionen im offensiven Zentrum in Frage. Mit seinem guten Tempo und starken Abschluss, auch von außerhalb des Strafraums, sehe ich ihn prädestiniert für den Flügel.” und leitet damit schon über auf Führichs Stärken. Stephan beschreibt ihn als “dribbelstarken Spieler mit Torinstinkt”, ein Blick in die Zahlen zeigt 1,2 erfolgreiche Dribblings pro Spiel, dazu pro Spiel 13,6 erfolgreiche Pässe in der gegnerischen Hälfte, was einer Erfolgsquote von 70 Prozent entspricht, 61 wichtige Pässe sind der achtbeste Wert der Liga . Auch in Köln habe er laut Thomas bereits entsprechende Ansätze gezeigt, auch wenn er damals in seiner Entwicklung, auch taktisch noch nicht so ausgereift gewesen sei: “Eigentlich ist Führich ein Offensivspieler, den sich jeder Trainer wünscht, der einen aber auch zum Wahnsinn treiben kann. Er sucht mit seiner Geschwindigkeit immer wieder das Eins-gegen-Eins, geht größeres Risiko und kann Spiele im Grunde im Alleingang entscheiden. Klappt das allerdings nicht, fehlte ihm in Köln noch die Balance, um eine einfachere Spielweise umzusetzen.”
Geht es weiter bergauf?
Als Schwäche verortet Stephan, dass es bei ihm bisher nur bergauf ging — von der Kölner Reserve zur mittlerweile drittklassigen Dortmunder Reserve zum Zweitligisten. Er sei gespannt, wie Führich mit Rückschlägen umgehen werde. Ein Vorbild dazu gibt es: Auch Philipp Klement kam mit der Empfehlung von sogar 16 Toren und sieben Vorlagen aus Paderborn und debütierte vergangene Saison in der Bundesliga. Angesprochen auf die Frage, warum Führich anders als Klement den Durchbruch in der Bundesliga packen wird, verweist er darauf, dass Führich jünger und sein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial wahrscheinlich größer ist. In Paderborn zog man am Ende die Kaufoption, allerdings mit der klaren Zielsetzung, Führich anschließend mit Gewinn weiter zu verkaufen. Laut Stefan hätte man es sich auch leisten können, Führich zu behalten, der Verein plane allerdings finanziell auch sehr defensiv. Abseits des Platzes beschreift Stefan ihn als angenehm zurückhaltend. Wessen Leihe übrigens nicht verlängert wurde, war Chadrac Akolo. Der Ex-VfB-Spieler konnte laut Stefan keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und kehrte zum Amiens SC zurück.
Wird Führich also Silas und Gonzalez ersetzen können? Wohl kaum. Von der Position her ist er auf jeden Fall ähnlich unterwegs, erinnert vom Spielstil wahrscheinlich eher an den wuseligen Gonzalez als an die Ein-Mann-Dampfwalze Silas. Klar ist auch, dass er die Leistungen und Zahlen erstmal von der zweiten Liga in die Bundesliga übertragen muss, Klaus Pablo traut ihm auf jeden Fall eine “ordentliche Rolle” in der Bundesliga zu. Zwar haben auch andere Spieler in dieser Mannschaft in ihrer Debütsaison in der Bundesliga überrascht, dass das kein Automatismus ist, zeigt, wie eben beschrieben, Philipp Klement. Durch den Gonzalez-Transfer sollte die Verpflichtung von Führich aber kurzfristig nur ein geringes finanzielles Risiko bergen. Es wird, selbst wenn Kalajdzic uns noch eine Saison erhalten bleiben sollte, in der kommenden Saison einmal mehr darauf ankommen, dass sich die Mannschaft untereinander hilft und Ausfälle kompensiert — gerade in der ersten Saisonhälfte, bevor Silas endgültig von seinem Kreuzbandriss genesen ist. Und das in einer Saison, die sowieso schon schwer genug ist.
Wie schon letzten Sommer ist der VfB immer noch in der (finanziellen) Lage, dass er ein bisschen auf die Zukunft wetten muss und hofft, dass entwicklungsfähige Spieler den nächsten Sprung machen. Mit Hamadi Al Ghaddioui ist der Mannschaft zwar auch ein erfahrener Offensivspieler erhalten geblieben, ob er eine Rolle spielen wird, ist aber fraglich. Hinzu kommen Spieler wie Coulibaly und Klimowicz, die endlich beweisen wollen und müssen, dass sie in der Offensive auch Zahlen produzieren können, die über erfolgreiche Dribblings und Torschüsse hinausgehen. Auf Mo Sankoh, so talentiert er sein mag, würde ich mich offensiv noch nicht verlassen wollen. So beruhigend es wäre, noch einen erfahrenden Bundesliga-Spieler für die Offensive im Kader zu haben: Es widerspricht wahrscheinlich sowohl der finanziellen Vernunft als auch dem Konzept von Sven Mislintat. Hoffen wir, dass es für Führich genauso weiter nach oben geht, wie bisher, damit wir oben bleiben.
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