Gerade haben wir einigermaßen erfolgreich verdrängt, dass der VfB den aktuellen Höhenflug auch mit dem Geld spielsüchtiger Menschen finanziert, da zaubert Marketingvorstand Rouven Kasper die nächsten Kaninchen aus dem Hut: Ein Trikot für schlappe 190 Euro und digitale Sammelkarten. Wozu das alles?
Vorab ein Disclaimer: Ich habe noch nie Filderkraut gegessen (Avocado allerdings schon) und ich bin zu wenig techy unterwegs, um das Konzept hinter non fungible token, kurz NFT, oder digitalen Sammelalben mit Loot Boxen wirklich zu verstehen. Und mir ist auch bewusst, dass niemand gezwungen ist, sich ein virtuelles Trikot in den virtuellen Schrank zu hängen oder ein reales Trikot mit Salat drauf in den realen Schrank (oder angesichts des Preises vielleicht eher hinter Panzerglas). Es geht um was anderes und dafür reichen meiner Meinung nach auch auch meine begrenzten Kenntnisse der Materie und ein bisschen Recherche.
In die Insolvenz gedropped
Ihr erinnert Euch vielleicht an die Ankündigung des VfB im Herbst 2022, er habe für die damals laufende Saison eine Kooperation mit The Football Company, kurz TFC, geschlossen. Das Münchner Startup bot über sein Produkt “The Football Club” “offiziell lizenzierte digitale Merchandise- und Lifestyle-Artikel” zum Kaufen oder Tauschen an. Im ersten “Drop” gab es virtuelle VfB-Trikots, weitere sollten folgen. Nun habe ich natürlich den Teufel getan, mir ein virtuelles Trikot zu kaufen, deswegen weiß ich nicht, was TFC noch so gedropped hat in den folgenden Wochen. Was ich weiß, weil es sich im Internet nachlesen lässt: Im April 2023, also nicht einmal sechs Monate nach der Ankündigung und scheinbar noch während des laufenden Vertrags (“Der VfB Stuttgart und The Football Company arbeiten in der Saison 2022/2023 zusammen.”) droppten die beiden Gründer ihre Firma oder anders, sie meldeten Insolvenz an.
Web3 sports project @play_tfc has announced on their Discord that they have filed for insolvency yesterday. That is unfortunate, they were one of the very few projects publishing NFTs for German sports teams. pic.twitter.com/4XuwbtFoRa
— Christian Ott (@rocketfan) April 6, 2023
Beachtlich, wo sich doch auf der Webseite immer noch ein sehenswertes Portfolio an Kooperationspartnern, also Sportvereinen findet und sowohl die Kovac-Brüder, als auch Joshua Kimmich und Cesc Fabregas zu den Investoren zählten. Aber sei es drum, ich kenne die Hintergründe nicht und dass Startups auch mal scheitern, gehört vermutlich zur Branche. Die Frage ist nur: Musste der VfB unbedingt auf einen Zug aufspringen der, wie wir mittlerweile wissen, auf dem Weg aufs Abstellgleis war und dort seitdem vor sich hin rostet? Zumal es ja, wenn auch unter einem anderen Marketingvorstand, schon mal einen ähnlichen Rohrkrepierer in der jüngeren Vergangenheit gab, als man meinte, die Chinapolitik des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel durch eine Kooperation mit einem chinesischen (blauen) Erstligisten flankieren zu müssen. Während in Stuttgart niemand mehr von Guangzhou redet, wäre es schon interessant, zu erfahren, was jetzt eigentlich mit den virtuellen Trikots aus dem Herbst 2022 passiert ist. Denn die hingen ja, ihr erinnert Euch, im virtuellen, insolventen Kleiderschrank.
Vom Preis der Kunst
Warum erzähle ich Euch das, auch wenn ihr vielleicht schon damals gewusst habt, dass der NFT-Hype auf dem absteigenden Ast war? Nun, der VfB scheint Gefallen daran gefunden zu haben, beim Marketing mal ganz innovative Wege zu gehen. Ich rede nicht von Relegations-Schals, Brezel-Trikots oder Bildern von der Karawane mit Links zum Online-Shop. Nein, in der Mercedesstraße haben sie das, Zitat Rouven Kasper, “schönste Trikot in der modernen Geschichte der Bundesliga” vorgestellt: Der Stuttgarter Künstler, VfB-Fan und Superfood-Lover Tim Bengel hat ein Trikot entworfen, auf dem der Querschnitt des Filderkrauts aufgedruckt ist. Zu haben war das Gemüseshirt für schlappe 189,30 Euro (zwinkerzwinker) oder, da es natürlich strengstens auf 1893 Exemplare limitiert war, für ein Vielfaches davon nur Sekunden später bei den Kleinanzeigen. Das Trikot sei Kunst und Kunst habe nun mal ihren Preis, lautete im Anschluss die Antwort auf die Kritik an dieser Aktion, die, natürlich, im veganen Restaurant von VfB-Legende Timo Hildebrand gefeiert wurde.
Nicht, dass ihr mich falsch versteht: Ich habe kein Problem mit Filderkraut und freue mich für Timo, dass er sein Restaurant eröffnen und damit die Gastronomie in Stuttgart um ein Angebot erweitern konnte, das ihm sehr am Herzen liegt. Ich begrüße es sogar außerordentlich, dass der VfB sich nach Jahren seiner sozialen und kulturellen Bedeutung für die Stadtgesellschaft bewusst wird und über den Tellerrand des Fußballbusiness hinaus schaut. Aber nicht so.
Man kann es ja noch putzig finden, dass Jako-Marketingvorstand und VfB-Aufsichtsrat Tobias Röschl sich einerseits — berechtigterweise — darüber ärgert, dass die Trikots umgehend im Internet zu Geld gemacht werden und im gleichen Atemzug betont, dass das Trikot gut angenommen würde, weil es schnell ausverkauft war. Dass man mit der künstlichen Verknappung zwar schnell viel Kohle macht, das aber wie beim Vielfalts-Trikot der Sache nicht immer dienslich ist und dass in jedem Fall andere Menschen noch mehr Kohle auf dem Rücken des Vereins und anderer Fans damit machen, haben sie weder in Bad Cannstatt noch in Hollenbach so richtig begriffen. Viel mehr stört mich aber, welches Bild der VfB damit nach außen abgibt.
Worum geht es eigentlich?
Mal ganz abgesehen davon, dass ich beim ersten Blick auf das Trikot eher an den Meidericher Sportverein aus Duisburg denken muss als an den Verein für Bewegungsspiele aus Stuttgart, geht diesem Trikot jeglicher Bezug zum VfB und vor allem seinen Fans ab. Natürlich muss sich das Trikot niemand kaufen, genauso wie niemand ein virtuelles Trikot kaufen musste. Aber wieso muss der VfB so etwas anbieten? Wieso muss der VfB einen so elitären Kunstbegriff transportieren, der suggeriert, das Trikot sei etwas besonderes, weil es teuer ist? Zumal, so die Stuttgarter Nachrichten, die Trikots zu niedrigen Löhnen in der Türkei produziert sein sollen und der Künstler weder Einfluss auf den Trikotpreis hatte, noch besonders viel davon abkriegt. Worum geht es hier also? Förderung der Kunst? Werbung für ein, wie der Vertikalpass in einem mit zahlreichen Krautwitzen gespickten Artikel feststellt, bereits vorhandenes und fürs Trikot neu aufgelegtes Kunstwerk? Oder um eine gute Gelegenheit, die derzeitige Euphoriewelle auch finanziell noch ein wenig zu melken?
Denn vom Trikot scheint letzten Endes der Verein, pardon, die AG am Meisten zu haben. Natürlich muss die auch Geld verdienen und das tut sie, wie schon Uli Hoeneß, dem ich selten zustimme, richtigerweise feststellte, nicht mit Stehplatzkarten und dem Schoko-Adventskalender in Trikotform, der heute bei mir in der Post war, sondern mit einem fancy VIP-Tunnelclub und hochpreisigem Schnickschnack für Leute, die es sich leisten können. Aber Trikots sind eben kein Schnick-Schnack, sondern eines der Wahrzeichen des Vereins. Aus einem solch inklusiven Wahrzeichen ein exklusives “Kunstobjekt” zu machen, geht nicht nur finanziell an der Lebensrealität der allermeisten VfB-Fans vorbei. Das Geld hätte man auch auf anderem Wege einnehmen können:
Geht es um den guten Zweck? 1893 Stück werden verkauft, macht also 35.834,49 € für die Stiftung.
Dasselbe hätte man erreicht, wenn knapp 7000 Fans das Trikot für 90€ hätten kaufen können und 5€ für die Stiftung gewesen wären.
Was ein Schwachsinn.— Bruddelei (@bruddelei) November 21, 2023
Und abgesehen vom elitären Kunstbegriff und dem Preis, den kein klar denkender Mensch für ein Stück Stoff mit Salataufdruck ausgeben würde, spricht Steffen noch einen weiteren Aspekt an, der mir auch sauer aufstößt: Die Verbindung der Trikotaktion mit der VfB-Stiftung “Brustring der Herzen”.
Beutekisten für die Stiftung
Erneut möchte ich nicht falsch verstanden werden: Die Stiftung und damit die Bündelung aller CSR-Themen ist eine gute Sache, das habe ich schon in meinem Artikel zum aktuellen Trikotsponsor betont. Sie droht allerdings zum Feigenblatt zu werden, wenn sie durch Aktionen wie das Kraut-Trikot finanziert wird. Oder wie Ronny Blaschke in seinem schon mal von mir empfohlenen Buch “Gesellschaftsspielchen” schreibt: “Es ist ein Dilemma, das viele CSR-Abteilungen in Unternehmen haben. Sie schüren durch fortschrittliche Ideen hohe Erwartungen in der Öffentlichkeit, die dann von Kollegen aus anderen Abteilungen hintertrieben werden” (S. 63). Sowohl beim Kraut-Trikot als auch beim am Mittwoch vorgestellten virtuellen Sammelkarten-Spiel, geht ein Teil der Erlöse an die Stiftung. So nach dem Motto: Schaut mal, wir verkaufen Trikots als Kunstobjekte für absurde Preise und und virtuelle Sammelkarten für mindestens zehn Euro das Stück — und animieren dich, noch mehr Sammelkarten-Pakete zu kaufen, weil Du nicht weißt, was drin ist oder gleich die Cacau-Legenden-Karte für über 200 Euro — aber hey, wir haben ne Stiftung und die kriegt auch was davon ab. Es hat etwas von Wohltätigkeitsbällen, auf denen sich die oberen Zehntausend treffen und amüsieren, damit für die Bedürftigen auch noch was abfällt. Wollte der VfB die wichtigen Projekte seiner Stiftung finanziell mit dem Geld seiner Fans unterstützen, ginge das auch anders.
Die virtuellen Sammelkarten, die der VfB nach eigenen Angaben als erster Bundesliga-Verein anbietet, scheinen zunächst noch das harmlosteste Gimmick von Rouven Kaspers Marketing-Abteilung zu sein. Wie beim klassischen Panini-Album kauft man ein Tütchen Sticker und kriegt eine bunte Auswahl an Motiven. Je mehr Päckchen man kauft, desto größer ist die Chance, dass man das Album irgendwann voll hat, desto leerer aber auch die Geldbörse. Nur: Ein Päckchen mit fünf Panini-Stickern kostete zur letzten WM einen Euro, ein Mathematiker hat ausgerechnet, dass man — ohne sie zu tauschen, knapp 1.000 Euro ausgeben müsste, um ein Album voll zu bekommen. Laut FAQ auf der VfB-Webseite bezahlt man für ein Pack mit einer virtuellen Sammelkarte knapp 10 Euro, für ein Dreierpack knapp 21 Euro und für ein Fünfer-Pack knapp 30 Euro. Also so viel wie für 150 Paninisticker. Der Unterschied: Die Paninisticker habe ich in meinem Album. Sollte die hinter der Collectible-Plattform stehende CW Sports Management Pte Ltd. mit Sitz in der Circular Road in Singapur das gleiche Schicksal ereilen wie TFC, sind die Sammelkarten vermutlich weg (so richtig schlau werde ich auf den ersten Blick aus den AGB nicht), zumindest aber nutzlos, weil die Plattform fehlt. Ähnlich wie aktuell anscheinend bei den virtuellen Trikots. Abgesehen davon warnt der Bundesverband Verbraucherzentrale vor sogenannten Loot Boxen — also kostenpflichtige “Beutekisten” mit zufälligen Inhalten — weil diesen glücksspielähnliche Mechanismen zugrunde lägen. Mit Glücksspiel kennen wir uns ja aus. Jetzt ist so ein Paninitütchen natürlich auch eine kleine Lootbox — aber halt zu einem wesentlich geringen Preis und einer viel höheren Hürde, ein weiteres Tütchen zu kaufen, als das bei einer virtuellen Sammelkarte der Fall ist. Zumal ja teilweise mit den Karten noch andere Vorteile verbunden sind wie ein unterschriebenes Trikot von Cacau oder eine Jahresration Schokolade.
Nur eine Randnotiz?
Auch hier ist nicht die Frage, ob der VfB das darf (darf er), sondern ob er es machen muss. Hochpreisige Trikots und Sammelkarten mit dem (An)Reiz der Exklusivität sind nicht mein Verständnis von einem Fußballclub mit sozialer Verantwortung, erst recht nicht, wenn er Spenden an die eigene Stiftung an solche Angebote koppelt. Es geht hier auch nicht darum, wie mitunter unterstellt wird, etwas zum Meckern zu finden. Wenn der VfB etwas gut macht, wie zum Beispiel Rassisten und Antisemiten aus dem Stadion zu schmeißen, lobe ich das auch. Und vielleicht, nein sogar mit Sicherheit sind Kraut-Trikot und virtueller Cacau nach dem nächsten Spiel schon wieder eine Randnotiz. Vielleicht auch zurecht, sie sollen die großartige sportliche Leistung nicht schmälern. Aber während ich auf dem Platz auch mit einem dreckigen 1:0 in Frankfurt zufrieden wäre, setze ich neben dem Platz andere Maßstäbe an. Die Vermarktung von etwas so emotionalem wie einem Fußballverein hat nichts mit Zeitspiel an der Eckfahne zu tun.
Titelbild: © REG BAKER/AFP via Getty Images
Ja, Kraut auf’m Trikot, nicht mit dem in der Satzung festgelegtem Wappen — der Traum eines jeden VfB-Fans… Am Dienstag war ich nicht überrascht, dass ich vorab den Preis des Schnäppchens richtig getippt habe. Leider. Und es macht mir auch nix aus, dass ich augenscheinlich ein Kunstbanause bin, der’s halt nicht versteht. Gestern dann habe ich den Einfall mit den Sammelkarten schon gleich gar nicht richtig angeschaut, weil es das nächste “für-dumm-verkaufen” ist in meinen Augen. Der Rouven ist ein echter Marketing-Kasper. Was um alles in der Welt spricht gegen ein weißes Trikot mit Brustring und richtigem Wappen druff und fertig? I know: ich bin kein Künstler und entsprechend kann man das dann halt nicht als Kunstobjekt verkaufen…
Egal, wir wissen zumindest, dass “wichtig auf’m Platz” ist und auch da bin ich bei dir: ein dreckiges 0:1 am Samschdich nehme ich auch. Mein Tipp ist jedoch 1:3, das ist ja wohl das Mindeste 😉.
Eine kleine Anmerkung zu Deinem, wie immer top-geschriebenen, Artikel:
Der Vergleich mit einem Panini Heft ist sogar noch wesentlich ungünstiger.
Denn ein Panini Heft umfasst eine WM/EM in einem Jahr, das sind etwa 700 Bilder und gibst ohne Tauschen etwa 1000 EUR aus. Das stimmt. Wobei es findige Ebay Händler gibt, die tausende Pakete kaufen und Du dann die fehlenden Bilder einzeln für 50 Cent kaufen kannst. Da kann man also gut das Album voll bekommen. Ich sprech da aus Erfahrung, mit meinem Sohn sammel ich sehr gern die EM/WM Alben voll und wir geben etwa 100 EUR aus.
Bei den VfB Collectibles gibt es aber 2 wesentliche Unterschiede/Probleme:
1. Der sammelbare Fundus soll 130 Jahre VfB umfassen (also viel viel mehr als nur eine WM mit 700 Bildern)
2. Es ist nur digital, du kannst nicht bei eBay oder so bestimmte Karten kaufen. Du kannst nur die Legendären direkt kaufen, oder ansonsten die Booster Packs (Lootboxen) kaufen. Tauschen geht nur innherhalb deren “Collectibles” Environment. Zum Tauschen brauchst Du aber auch Karten, die jemand haben möchte -> Du kaufst wieder mehr Booster-Packs. Die Geldverdien-Spirale ist damit in Gang gesetzt.
Und bei den digitalen Lootboxen weiß keiner, wie die Verteilung von seltenen Karten und Ramschkarten (Tyton, Hlousek,… sorry) aussieht. Und es kann auch keine richtige Kontrollinstanz geben, da alles digital passiert. Gerade das Thema “Lootboxen” hat in der Vergangenheit im Gaming zu massiven Shitstorms geführt. Natürlich ist es auch eine Riesen-Geldmaschine. Wenn man z.B. sieht, womit EPIC Games seinen Gewinn macht.
Das ist schon sehr geschickt gemacht, da hat sich jemand vorher richtig Gedanken gemacht, wie man den Fans möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen kann und wie man den Umsatz im eigenen Environment hält.
Ich würde meinen Hut ziehen, wenn ich einen hätte und wenn es nicht so abgefuckt niederträchtig wäre.
Danke für die wertvolle Ergänzung, Eric!