Auf das schlechteste Saisonspiel lässt der VfB eines der besten folgen, schlägt Dortmund hochverdient mit 2:1 und verteidigt vor der Länderspielpause Platz 3.
Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle:
“Nach einer unglücklichen Niederlage und einem knappen Sieg muss Sebastian Hoeneß in der anstehenden Trainingswoche wieder die Spannung und Schärfe reinbringen, die die Mannschaft in den letzten Wochen an den Tag gelegt hat.”
Und was soll ich sagen? Die Brustringträger waren vom Anpfiff des Heimspiels gegen Dortmund weg hochkonzentriert, standen im positiven Sinne unter Spannung und hatten eine Schärfe in den Angriffen, die schon bei einer durchschnittlichen Chancenverwertung zu einer 3:0‑Halbzeitführung hätte reichen müssen. Dabei ist egal, wie indisponiert die Gäste waren, die mit ihrem einzigen Torschuss in der ersten Hälfte zufällig in Führung gingen: Die Mannschaft des VfB zeigte genau die Reaktionen auf die enttäuschende Niederlage in Heidenheim, die nötig war. Sie ließ kaum gegnerische Chancen zu, spielte sowohl mit als auch ohne Ball aktiv nach vorne und vergoldete mit Undavs Ausgleich nach Traumkombination und dem Elfmetertor von Comebacker Guirassy eine überragende Leistung. Man kann den Auftritt des VfB trotz einer leichten Steigerung der Gäste nicht anders als dominant bezeichnen.
Bestätigung
Angesichts der zuletzt schwachen Ergebnisse gegen die Borussia wandern die Gedanken natürlich schnell zurück in den Dezember 2020, als der VfB mit einem 5:1 drei Punkte aus dem Westfalenstadion entführte und Lucien Favre den Job kostete. Während aber der damalige Sieg fast schon so etwas wie der Höhepunkt einer guten Saison darstellte, ist der Sieg am Samstag bei aller Bescheidenheit eine Bestätigung der bisher gezeigten Leistungen gegen Mannschaften, die auch nicht ganz ohne Ambitionen nach oben in diese Saison gegangen sind. Egal ob gegen Freiburg, Wolfsburg oder eben Dortmund: Die Mannschaft muss an ihr Limit gehen, um ihre Ziele zu erreichen. Dass die Spieler das gerafft haben und sich nach der Enttäuschung des letzten Wochenendes und angesichts des Krisengeredes aufgerafft haben, ist beachtenswert und auch eine Leistung von Trainer Sebastian Hoeneß, die wir nicht unterschätzen sollten. Nach einem unnötigen Rückstand und einem verschlossenen Elfmeter noch das Spiel zu drehen, unterstreicht nur die Stabilität, die sie Mannschaft in allen außer zwei Saisonspielen gezeigt hat.
Man weiß nach diesem Spiel gar nicht, ob und wenn ja wen man herausheben sollte in der Mannschaft des Tabellendritten. Vielleicht am ehesten noch Trainer Hoeneß, der mit einer Dreierkette und Maxi Mittelstädt und Jamie Leweling als Wingbacks überraschte. Klar ist auf jeden Fall, dass dieser Sieg ein Statement ist, eine Ansage: Man sollte den VfB in dieser Saison nicht unterschätzen. Wenn es der Mannschaft jetzt noch gelingt, auch ohne Serhou Guirassy ihre Überlegenheit in Tore und Punkte umzumünzen und dabei die Intensität aus diesem Spiel beizubehalten, ist mir auch vorm Winter nicht bang. Natürlich wäre es mir lieber, er würde von seiner Ankündigung, die Saison beim VfB zu beenden jetzt nicht wieder langsam abrücken, sondern uns auch nach dem Afrika-Cup weiter mit seiner Führung, seinem Aufbauspiel und seinen Toren begeistern. Aber wenn es so kommt, dann ist es so und dann haben seine Kollegen in der Offensive hoffentlich aus den letzten drei Pflichtspielen gelernt. Und wenn nicht, wird es immer noch eine gute Saison gewesen sein.
Ungute Erinnerungen
Ein rundum gelungener Spieltag also. Wenn man nicht den Eindruck haben müsste, dass sich in diesen Wochen im herbstlichen Deutschland nicht nur viele Nationalspieler der Bundesliga auf die im kommenden Sommer anstehende Europameisterschaft vorbereiten, sondern auch die Sicherheitsbehörden. Beim Gastspiel von Köln in Bochum spricht die Fanhilfe von einem unverhältnismäßigen Einsatz: “Ausgangspunkt war eine fehlerhafte Planung auf Seiten des Veranstalters, der gemeinsam mit den eingesetzten Polizeibeamten zu einer künstlichen Verengung des Einlasses führte.” — was übrigens auch beim Auswärtsspiel in Stuttgart im Mai 2022 der Fall war, bei uns allerdings angesichts der sportlichen Situation kaum jemand mitbekam. In Hamburg-St. Pauli stürmte eine Beweis- und Festnahmeeinheit den Hannoveraner Gästeblock, obwohl, wie die Fanhilfe der 96er betont, die Ordnungskräfte im und vorm Block den Beamten bereits signalisiert hatten, dass der im Block entstandene Konflikt bereits gelöst sei und ohne Fanbeauftragte oder Fanprojekt vorher mit einzubeziehen. Und in Stuttgart stürmt man nicht nur die Räumlichkeiten des blauen Lokalrivalen, sondern postiert sich erneut in bis dato selten gekannter Präsenz direkt vor der organisierten Fanszene am Carl-Benz-Center — und das obwohl, wie die StZ zu berichten weiß, bereits in einer Sicherheitsbesprechung auf das damit verbundene Konfliktpotenzial hingewiesen wurde. Dass der Fanbeauftragte des VfB der Schilderung, wie es zu den anschließenden Platzverweisen kam, widerspricht, ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass ein Richter die Haft der festgenommen Fans auf zwei Stunden nach Spielende begrenzte und nicht bei den von den Ordnungskräften geforderten vier beließ. Es ist gar nicht so lange her, dass man sich in Baden-Württemberg der Stadionallianzen rühmte, mit denen unnötige Einsatzstunden und damit Steuerausgaben bei Fußballspielen reduziert werden sollten. Alles Makulatur.
Es werden aktuell ungute Erinnerungen wach. Auch in der Bundesliga-Saison vor dem letzten großen Turnier in Deutschland, der WM 2006, wurde rund um die Stadien einiges ausprobiert, was sich scheinbar anders nicht simulieren ließ. Es bleibt zu hoffen, dass anders als im “Schland”-Taumel 2006 nicht nur Fans diese Entwicklungen im Auge haben, sondern auch jene, die mit mehr Reichweite über Fußball berichten.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass beobachtet: “Alles sah so leichtfüßig aus, als ob die Spieler des VfB über den Platz schweben würden, während die Dortmunder knöcheltief im Rasen zu stecken schienen. Der VfB hatte einen Plan, Dortmund hatte keine Energie.” Stuttgart.International feiert speziell Mittelstädt und stellt wichtige Fragen zur Personalpolitik.
Titelbild: © Adam Pretty/Getty Images