In letzter Minute

Der VfB gewinnt in letz­ter Minu­te mit 2:1 gegen den 1. FC Köln. Das ist eine der weni­gen posi­ti­ven Sachen, die man zum Spiel gegen den Tabel­len­letz­ten sagen kann.

Vier Minu­ten lang starr­ten die VfB-Fans am Frei­tag­abend in den Abgrund. Den­nis Aogo und der Köl­ner Gui­ras­sy woll­ten zeit­gleich den Ball anneh­men, tra­fen sich aber statt­des­sen gegen­sei­tig und fie­len bei­de um. Schieds­rich­ter Ben­ja­min Cor­tus ent­schied zunächst auf Elf­me­ter, unter­zog sei­ne Ent­schei­dung dann aber noch­mal einer genaue­ren Betrach­tung. Ein Elf­me­ter für Köln in der 89. Minu­te beim Stand von 1:1 hät­te nach dem Seit­fall­zie­her von Hal­ler vor zwei Wochen den nächs­ten Nacken­schlag und nach dem müden 0:0 gegen Augs­burg den nächs­ten ent­täu­schen­den Punkt­ver­lust bedeu­tet. Nach der Hälf­te der Hin­run­de hät­te der VfB ganz tief drin gesteckt im Abstiegs­kampf.

Das Stadion eskaliert

Zum Glück fiel die Ent­schei­dung nach gefühlt stun­den­lan­gen Tele­fo­na­ten mit Köln (nicht dem FC) und Sky gucken am Spiel­feld­rand — dazu spä­ter mehr — zu Guns­ten des VfB aus. Wenig spä­ter warf Andre­as Beck den Ball Chadrac Ako­lo vor die Füße, der wursch­tel­te sich — wie er es eben tut — durch die Köl­ner Abwehr, schoss dann —  wie er es manch­mal tut — etwas unko­or­di­niert aufs Tor und der Ball wur­de von einem Köl­ner Ver­tei­di­ger glück­lich abge­lenkt. Der Rest:

Ein Urschrei, ähn­lich laut wie der Tor­ju­bel im Heim­spiel gegen Ham­burg im Abstiegs­kampf 2015, hall­te durch das Sta­di­on. Die Cannstat­ter Kur­ve ras­te­te kom­plett aus, Men­schen flo­gen durch und über­ein­an­der. High fives all around. Bemer­kens­wert übri­gens, dass trotz der Eksta­se die Leu­te in mei­ner Ecke des 35ers noch so geis­tes­ge­gen­wär­tig waren, für den jun­gen Her­ren, der im Tor­ju­bel das Bewusst­sein ver­lo­ren hat­te, Ord­ner und Sani­tä­ter zu rufen. Super reagiert, Leu­te! Abge­se­hen von die­ser unschö­nen Sze­ne war das Tor und der anschlie­ßen­de Jubel genau das, wofür man das Sta­di­on, den Ver­ein und den Fuß­ball im all­ge­mei­nen liebt. Natür­lich: Last-Minu­te-Erfol­ge gibt es auch in ande­ren Sport­ar­ten. Aber nir­gend­wo anders als beim Fuß­ball ras­ten — zumin­dest in Deutsch­land — so vie­le Men­schen auf so klei­nem Raum so kol­lek­tiv aus. Das Köln im Gegen­zug fast doch noch einen Punkt ergat­tert hät­te, ging fast unter. Der VfB hat­te end­lich mal wie­der einen magi­schen Moment im Neckar­sta­di­on erschaf­fen, sieg­te dort zum ers­ten Mal seit 21 Jah­ren wie­der gegen den FC und bleibt auch wei­ter­hin in die­sem gar nicht mehr so lan­ge andau­ern­den Kalen­der­jahr zu Hau­se unge­schla­gen.

Jubel, Trubel, Heiterkeit. Aber die Probleme bleiben. Bild: © VfB-Bilder.de
Jubel, Tru­bel, Hei­ter­keit. Aber die Pro­ble­me blei­ben. Bild: © VfB-Bilder.de

Ähn­li­che Eupho­rie erleb­ten vor knapp zwei Wochen die Fans der Frank­fur­ter Ein­tracht, damals auf Kos­ten des VfB und sei­ner Anhän­ger. In Frank­furt wur­den jedoch auch direkt im Anschluss Stim­men laut, die davor warn­ten, ange­sichts des spek­ta­ku­lä­ren Sieg­tref­fers die grund­le­gen­den spie­le­ri­schen Pro­ble­me zu ver­ges­sen. Ich kann mich dem, was den VfB angeht, nur anschlie­ßen. Und bei uns war es nur ein abge­fälsch­ter Kul­ler­ball und kein Seit­fall­zie­her.

An die Wand nageln

Denn was der VfB in den 93 Minu­ten vor Ako­los drit­tem Sai­son­tref­fer bot, war stre­cken­wei­se ziem­lich dün­ne, vor allem ange­sichts des Geg­ners. Gar kei­ne Fra­ge: Köln stand mit dem Rücken zur Wand und hat­te unter ande­rem mit Mön­chen­glad­bach, Dort­mund und Leip­zig kein leich­tes Auf­takt­pro­gramm. Nichts­des­to­trotz hat die­se Mann­schaft in sie­ben Spie­len 15 Tore kas­siert und nur zwei geschos­sen und muss­te ver­let­zungs­be­dingt auf den 17-Mil­lio­nen-Mode­s­te-Ersatz Jhon Cór­do­ba ver­zich­ten. Des­sen Ersatz, Clau­dio Pizar­ro stand zu Spiel­be­ginn nicht mal auf dem Feld.

Donis auf dem Weg zum 1:0. Bild: © VfB-Bilder.de
Donis auf dem Weg zum 1:0. Bild: © VfB-Bilder.de

Umso bit­te­rer, dass man einem Innen­ver­tei­di­ger, der in sei­ner Kar­rie­re bis­her gan­ze zwei Tore geschos­sen hat (bei­des Kopf­bäl­le nach Stan­dards gegen Ein­tracht Frank­furt übri­gens), den Aus­gleichs­tref­fer per Geleit­schutz schenkt. Und das mit Ansa­ge, nach­dem sich bei­de Mann­schaf­ten bereits 77 Minu­ten lang im Ver­pas­sen von Tor­chan­cen gegen­sei­tig zu über­tref­fen such­ten. Auch in die­sem Spiel fan­den sich die Schwä­chen der letz­ten Par­tien wie­der: Der VfB steht hin­ten nicht sta­bil genug, um den Geg­ner effek­tiv vom Tore schie­ßen abzu­hal­ten und ist offen­siv nicht tor­ge­fähr­lich genug, um sei­ne schwa­che Abwehr mit Toren zu unter­stüt­zen.

Dass der VfB in die­ser Sai­son um jeden Punkt mit Zäh­nen und Klau­en kämp­fen muss ist mir bewusst. Dass die Mann­schaft nie­man­dem einen Gefal­len tut, wenn sie sich dabei das Leben unnö­tig schwer macht, soll­te ihr bewusst sein. Anstatt eine sport­lich und mora­lisch ange­schla­ge­ne Mann­schaft direkt vom Anpfiff weg an die Wand zu nageln und ihr klar zu machen, dass sie die drei Punk­te gegen den Abstieg nicht hier und heu­te in Stutt­gart holen wür­de, betä­tig­te sich der VfB als Auf­bau­geg­ner und ließ den Rhein­län­dern den Platz, den eine sol­che Mann­schaft braucht, um wie­der auf die Bei­ne zu kom­men. Bis der VfB durch Ana­sta­si­os Donis kurz vor der Pau­se in Füh­rung ging, hät­te der FC eigent­lich schon drei Tore erzie­len müs­sen. Dass es nach 45 Minu­ten trotz­dem 1:0 für die Män­ner im Brust­ring stand, war vor allem dem Glück der Abwehr und dem guten Auge von Simon Terod­de sowie der Ball­si­cher­heit von Donis zuzu­schrei­ben.

Viele Chancen und dann ein Gegentor

Zur Pau­se war belei­be nicht alles schlecht, schließ­lich führ­te der VfB 1:0. Aber es war eben auch alles ande­re als der Brust­lö­ser, den die­se Mann­schaft so drin­gend benö­tigt. Wann, wenn nicht zu Hau­se gegen den Tabel­len­letz­ten (oder in Über­zahl in Frank­furt) will man denn in die­ser Sai­son mal einen raus­hau­en, so wie man es im ver­gan­ge­nen Jahr gegen Fürth getan hat? Die Mög­lich­kei­ten wären da gewe­sen — 22 Mal schoß der VfB aufs Tor, sie­ben Mal direkt — aber die VfB-Offen­si­ve nutz­te sie nicht. Im Gegen­satz zu den Spie­len gegen Wolfs­burg und Mainz ging es aber dies­mal eben nicht gut, weil man sich auf die­se Abwehr halt nicht in jedem Heim­spiel der­art ver­las­sen kann. Wie schon beschrie­ben kam der Aus­gleich der Köl­ner mit Ansa­ge. Nicht nur wegen der vie­len Chan­cen, son­dern auch weil Heintz sekun­den­lang vorm VfB-Straf­raum hin- und her lau­fen konn­te, bevor er beschloss, den Sicher­heits­ab­stand von Baum­gartl und Co. zu nut­zen. Das war kein Sonn­tags­schuss, das war ein mit aus­rei­chend Zeit und Platz per­fekt getime­ter Schlen­zer unters Lat­ten­kreuz.

Es war vor allem ein Gegen­tor, dass sich der VfB über­haupt nicht erlau­ben konn­te. Drei Punk­te waren in die­sem Spiel alter­na­tiv­los, woll­te man nicht in Schlag­wei­te der Abstiegs­plät­ze ver­har­ren.  Der VfB hat­te genü­gend Chan­cen und Mög­lich­kei­ten, ein Zei­chen im Abstiegs­kampf zu set­zen. Statt­des­sen hing es an den ein­gangs beschrie­be­nen vier Minu­ten, ob der VfB in der Lage sein wür­de, vor dem schwe­ren Aus­wärts­spiel in Leip­zig tabel­la­risch etwas Luft zu holen. Das ist ein­fach zu wenig. Und hat lei­der auch mit dem kicken­den Per­so­nal in der Offen­si­ve zu tun.

Lahme Flügel

Es ist natür­lich recht ein­fach, sich auf bei der Kri­tik an der Offen­si­ve auf Den­nis Aogo und Andre­as Beck ein­zu­schie­ßen. Schließ­lich wur­den die Außen­bah­nen, auch ver­let­zungs­be­dingt, von Micha­el Resch­ke besetzt, auch weil bei­de mitt­ler­wei­le 30 Jah­re alt sind und natur­ge­mäß über eine ent­spre­chen­de Erfah­rung ver­fü­gen. Ganz so ein­fach ist es aber nicht: So spiel­te Beck bei­spiels­wei­se eini­ge gute, wenn auch nicht auf­se­hen­er­re­gen­de Päs­se vom rech­ten Straf­raum­rand, um sei­ne Mit­spie­ler in Sze­ne zu set­zen. Gleich­zei­tig hat­te er aber auch sol­che Sze­nen wie die in der zwei­ten Halb­zeit, als er beim Stand von 1:1 eine Flan­ke völ­lig unnö­ti­ger­wei­se vol­ley nahm und meter­weit am Tor vor­bei drosch.

Alles in allem kann ich das Gefühl nicht abschüt­teln, dass weder Beck noch Aogo nicht so rich­tig in das Spiel­kon­zept von Han­nes Wolf rein­pas­sen. Wäh­rend vie­le Päs­se von bei­den eher quer oder zurück gehen. ver­san­den offen­siv vie­le Abspie­le und Flan­ken, vor allem von Aogo, in der geg­ne­ri­schen Abwehr. Aber auch bei Beck geht vor­ne vie­les ver­lo­ren. Das Auf­tre­ten der bei­den ist soli­de und kei­nes­wegs will ich die bis­he­ri­gen Punkt­ver­lus­te an ihnen fest­ma­chen. Aber es ist eben auch nicht mehr als soli­de, oder wie Tom nach dem Frank­furt-Spiel schrieb:

Too close for comfort

Wir brau­chen aber mehr als soli­de, wenn wir in die­se Liga gegen einen sol­chen Geg­ner im Abstiegs­kampf bestehen wol­len. Wäre die­ses Spiel am Ende ver­lo­ren wor­den oder unent­schie­den aus­ge­gan­gen, es hät­te auch am schwa­chen Flü­gel­spiel des VfB gele­gen. Und am Kon­ter­spiel. Es ist mir unbe­greif­lich, wie eine Mann­schaft, die durch­aus über ein paar schnel­le Spie­ler ver­fügt, ihre Kon­ter so schlecht aus­spie­len kann. Ver­lo­ren die Köl­ner mal in der Vor­wärts­be­we­gung den Ball, rann­ten zwar zwei Spie­ler mit dem Ball nach vor­ne, der Rest der Mann­schaft trab­te aber gemäch­lich hin­ten­drein.

Klar ging am Ende noch­mal alles gut, aber das war schon wie­der viel knapp, um ange­sichts des Ergeb­nis­ses ein­fach so über die Pro­ble­me der Mann­schaft hin­weg zu gehen. Der VfB muss sei­ne Chan­cen in sol­chen Spie­len nut­zen und darf sich nicht dar­auf ver­las­sen, dass hin­ten schon alles gut geht. Im Heim­spiel gegen Frei­burg, aber auch in den Begeg­nun­gen mit direk­ten Kon­kur­ren­ten wie Ham­burg und Bre­men kön­nen wir uns das nicht noch ein­mal erlau­ben. Denn die für den Klas­sen­er­halt not­wen­di­gen Punk­te kön­nen wir nicht in Mün­chen, Dort­mund, Leip­zig oder Hof­fen­heim ein­pla­nen. Wir müs­sen dafür sor­gen, dass wir sie gegen die ande­ren Abstiegs­kan­di­da­ten holen.

Hin und Her nach Aogos Nicht-Foul

Zum Abschluss noch was zum Video­be­weis, auch wenn ich des The­mas eigent­lich über­drüs­sig bin. Natür­lich freue ich mich, dass die Ent­schei­dung zu Guns­ten des VfB revi­diert wur­de. Wie man bei die­ser Sze­ne zunächst ein­deu­tig auf Foul ent­schei­den kann, ist mir aller­dings auch schlei­er­haft, schließ­lich hat der Köl­ner den  Fuß oben, wäh­rend Aogo den Ball ver­sucht anzu­neh­men. Was wäre denn Aogos Foul­spiel gewe­sen? Den Geg­ner mit dem Schien­bein abräu­men? Aber ich bin auch kein Schieds­rich­ter.

Aber ich hab auch nicht einen sol­chen Tun­nel­blick, als dass ich nicht auch über den per­sön­li­chen Vor­teil hin­aus­bli­cken könn­te. Zum Her­gang der Geschich­te: Der Schieds­rich­ter pfeift Elf­me­ter, dann schal­tet sich der Video­as­sis­tent ein, redet mit dem Schieds­rich­ter und rät die­sem am Ende, sich die Situa­ti­on selbst anzu­schau­en. Der rennt zur Sei­ten­li­nie, schaut sich die Auf­nah­me an und ent­schei­det dann, sei­nen Elf­me­ter­pfiff zurück zu zie­hen. Wäh­rend­des­sen weiß außer den Fern­seh­zu­schau­ern kein Betrach­ter die­ses Spiels, was da zur Höl­le eigent­lich los ist. Spie­ler dis­ku­tie­ren vier Minu­ten lang mit­ein­an­der und mit dem Schieds­rich­ter, wie es die­ser kicker-Arti­kel anschau­lich beschreibt.

20 Minuten Nachspielzeit?

Der Schiri telefoniert, keiner weiß, was los ist. Bild: © VfB-Bilder.de
Der Schi­ri tele­fo­niert, kei­ner weiß, was los ist. Bild: © VfB-Bilder.de

Das kann doch nicht im Sin­ne des Fuß­balls sein. Schließ­lich ist er auch bis­her gut mit Fehl­ent­schei­dun­gen aus­ge­kom­men, ohne dass die Fans dem Sport den Rücken gekehrt hät­ten. Bis­her hieß es: Foul ist wenn der Schi­ri pfeift. Jetzt heißt es: Foul ist, wenn der Schi­ri minu­ten­lang mit dem Video­as­sis­ten­ten kon­fe­riert hat und sich im Zwei­fels­fall die Sze­ne noch zehn Mal in Super­zeit­lu­pe ange­se­hen hat. Und wenn das fünf Mal im Spiel der Fall ist, spie­len wir eben 20 Minu­ten nach, oder was? Selbst in einer Sport­art wie Base­ball, in der ein Spiel schon mal ger­ne fünf Stun­den lang dau­ert, wird der Video­be­weis in der  Mehr­zahl der Fäl­le nur her­an­ge­zo­gen, wenn einer der Mana­ger es for­dert. Und der kann das auch nicht belie­big oft tun.

Mei­ner Mei­nung nach ensteht da ein unnö­ti­ges, undurch­schau­ba­res Hin und Her zwi­schen Schieds­rich­ter und Video­as­sis­tent, wel­ches das Spiel unnö­tig in die Län­ge zieht und am Ende doch nur eine Ermes­sens­ent­schei­dung zur Fol­ge hat. Im End­ef­fekt wur­de der Video­be­weis weni­ger zuguns­ten der Gerech­tig­keit im Fuß­ball, als viel­mehr zur Ent­las­tung der Schieds­rich­ter ein­ge­führt: “Hey, es hat fünf Minu­ten gedau­ert, aber immer­hin konn­te ich danach eine etwas infor­mier­te­re Ermes­sens­ent­schei­dung tref­fen.” Dis­ku­tiert wird anschlie­ßend trotz­dem. Ein wei­te­rer Neben­ef­fekt: Der Schieds­rich­ter ver­lässt sich auf den Video­as­sis­ten­ten. Gut zu beob­ach­ten war das bei einem Remp­ler von Aogo im eige­nen Straf­raum in der ers­ten Halb­zeit. Bis­her hät­te ein Schieds­rich­ter hier wohl eher gepfif­fen, wie er es ja auch gegen Mön­chen­glad­bach tat. Da aber Cor­tus in die­sem Fall kei­nen Anruf aus Köln bekam, blieb die Pfei­fe stumm.

Das Ver­lan­gen nach Gerech­tig­keit und fun­dier­ten Schieds­rich­ter­ent­schei­dun­gen ist nach­voll­zieh­bar, aber es muss bes­ser gestillt wer­den als mit die­sem Video­be­weis.

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