Der VfB hat das Heimspiel und den Gegner aus Heidenheim lange ziemlich gut im Griff und durchlebt in den letzten zwölf Spielminuten dennoch ein Wechselbad der Gefühle.
Zunächst einmal möchte ich zwei Sachen festhalten. Erstens: Der VfB hat sieben Spieltage vor Saisonende 21 Punkte und 28 Tore Vorsprung auf Tabellenplatz 7 und wird mit an Sicherheit angrenzender Wahrscheinlichkeit nächste Saison im Europapokal antreten. Zweitens: Wenn es darum geht, in welchem Europapokal wir hab August auflaufen, muss man so ein Spiel wie das gegen Heidenheim eigentlich gewinnen. Die zweite These mag etwas kontroverser sein als die erste, denn die Nachbarn von der Alb präsentierten sich keinesfalls derart als Laufkundschaft wie unser letzter Gegner aus dem Badischen. Im Gegenteil: Mit ihrer Laufstärke, ihrem Mut und ihrem Willen brachten sie die Brustringträger ein ums andere Mal an die Grenzen ihres eleganten Passspiels. Anderseits dominierte der VfB das Spiel statistisch gesehen nach allen Regeln der Kunst — 20:6 Schüsse, 6:3 aufs Tor, viel mehr Pässe, eine wesentlich höhere Passquote, 73 Prozent Ballbesitz, 3,06:1,63 nach expected goals — und hatte das Spiel bis zur 84. Minute trotz des unglücklichen Anschlusstreffers eigentlich mehr oder minder unter Kontrolle und die drei Punkte in Reichweite.
So richtig erklären, wie es zwei Minuten später 3:2 für Heidenheim stehen konnte, fällt mir immer noch schwer. Natürlich hatten die Gäste unsere Abwehr mit ihren pfeilschnellen Offensivspielern und langen Bällen über, hinter oder durch die Kette immer wieder in brenzlige Situationen gebracht, die diese aber meist so souverän lösten, dass ich eigentlich schon mit der nächsten weißen Weste für Alex Nübel gerechnet hatte. Die war spätestens zu dem Zeitpunkt passé, als er nach einer Ecke und einem Kopfball des erschreckend freistehenden Tim Kleindienst mit den Gedanken schon beim Abwurf war. Aber selbst der Anschluss führte nicht dazu, dass Heidenheim fortan den VfB an die Wand spielte, auch wenn man Nübel, wie schon zu Saisonbeginn gegen Leipzig, ansah, dass solche Patzer durchaus länger an ihm nagen.
Vieles zusammen
Vielleicht sind die zehn Minuten zwischen dem sehenswerten 2:0 von Angelo Stiller und dem Anschlusstreffer ein Erklärungsansatz. Denn während man im Stadion in Erwartung der sicher geglaubten drei Punkte bereits wieder Reisen nach Europa buchte, ließ die Mannschaft in entscheidenden Momenten nach. Zum Beispiel als Kevin Müller weit aus seinem Tor herauskam, um einen Ball zur Seite zu klären. Für gewöhnlich fliegt der dann ins Seitenaus und der VfB versucht mit einem schnellen Einwurf den zurückeilenden Torwart zu überlisten. Stattdessen leitete Müller mit einem Pass auf die Außenbahn einen Gegenangriff ein, der in ebenjener fatalen Ecke resultierte, auch weil beispielsweise Guirassy diesen Pass nicht unterband.
Dass Kleindiensts Mut bei seiner Direktabnahme zum Ausgleich belohnt wurde, hat zwar mit dieser Sorglosigkeit wenig zu tun, passte aber dennoch zu der Schlussphase in diesem Spiel, in dem der VfB hinten mehr und mehr den Zugriff verlor und offensiv vor allem noch bei Silas Pfostenschuss in Erscheinung trat. Es kam also vieles beisammen, wie auch bei Undavs Reaktion auf seinen Ausgleich in der letzten Minute. Dass dieser noch fiel, kann uns ebenso Mut machen wie seine Frustration über den Spielverlauf und die Lautstärke der Kurve. Wie sein Kollege Stiller nach dem Hinspiel diagnostizierte er bei sich und seiner Mannschaft eine gewisse Arroganz und forderte in Dortmund eine Reaktion.
Eine Reaktion wird kommen
Diese würde auch nicht überraschen, schließlich war die Mannschaft mental dazu schon häufiger in der Lage, auch wenn die unnötige fünfte gelbe Karte von Waldemar Anton dies zusätzlich erschwert. Aber wenn man sieht, wie traumwandlerisch sich die Mannschaft bei den zwei gegebenen und dem wegen großen Füßen aberkannten dritten Tor durch die Heidenheimer Abwehr spielt, dann muss uns trotz des punktemäßigen Rückstands nicht bange werden vor dem nächsten Auswärtsspiel. So wie ich Dortmund in dieser Saison verfolge, ist ein Auswärtssieg in München jetzt auch nicht unbedingt ein Garant für einen Heimsieg gegen uns. Wenn wir nicht schon nach 60 Minuten auf Autopilot schalten.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zu dem ganzen Zirkus drumherum: Man gewinnt den Eindruck, als ginge es allen Beteiligten jetzt vor allem darum, den Status quo erstmal zu zementieren und den Blick in die Zukunft zu richten. Auch wenn ich die Verantwortlichen für diese, pardon, shit show lieber in vier Monaten demokratisch abwählen möchte, als dass sie sich jetzt mit einem Rücktritt als Opfer der meinungsstarken Kurve präsentieren können, gehe ich bei der Haltung der Kurve (!) voll mit und fand auch die Art der Reaktion der Ursache und der aktuellen Situation komplett angemessen. Es sollte niemand versuchen, diesen Punktverlust den Fans in die Schuhe zu schieben — und ich meine damit explizit nicht Deniz Undav, der sich auf den Support nach dem 2:3 bezog. Es wird auf der Mitgliederversammlung Konsequenzen für dieses Theater geben. Aber auch jene, die wir nicht abwählen können, werden unangenehme Fragen beantworten müssen, was da eigentlich genau seit Anfang letzten Jahres vor sich gegangen ist hinter den verschlossenen Türen des Clubhauses in der Mercedesstraße — oder bei ominösen Klausursitzungen.
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images
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