War das 3:2 nach 0:2‑Rückstand im Heimspiel gegen Mönchengladbach der ersehnte Startschuss für eine Aufholjagd? Auf jeden Fall machte der VfB vieles richtig, was er zuletzt falsch gemacht hat.
Auch wenn Omar Marmoush kurz vor Abpfiff hauchdünn im Abseits stand und sein Treffer zum 4:2 deshalb korrekterweise annulliert wurde, so war doch die Tatsache, dass er bei eigener Führung den Weg zum gegnerischen Tor suchte, das beste Indiz dafür, dass die Brustringträger offensichtlich aus den Nackenschlägen der letzten beiden Wochen gelernt hatte. Der VfB zog sich, nachdem er den 0:2‑Rückstand gegen die Borussia fast folgerichtig gedreht hatte, nicht zurück, sondern versuchte, den Gästen endgültig den Rest zu geben. Und sieht man mal von Tanguy Coulibalys leichtsinnigem Luftloch 30 Meter vor dem eigenen Tor ab, stand der VfB so stabil wie lange nicht mehr und brachte deshalb auch die Führung verdientermaßen über die Zeit.
Auch weil das Gesamtkonstrukt in diesem Spiel so gut funktionierte, dass Pellegrino Matarazzo es sich leisten konnte, alle drei Wechselslots erst nach der eigenen Führung zu nutzen, um Zeit von der Uhr zu nehmen. Bei Mangala reichte es noch nicht für die Startelf, so dass die eine Achterposition neu besetzt werden musste. Matarazzo entschied sich mutig dafür, vorne mit der vollen Kapelle und damit mit Chris Führich als Zehner aufzulaufen. Dass der VfB nach etwas mehr als einer halben Stunde mit 0:2 in Rückstand lag, war umso unfassbarer, passte aber irgendwie zur aktuellen Situation: Plea, Hofmann und Thuram zeigten ihre individuelle Qualität im Zusammenspiel und nutzten die wenigen Abwehrfehler, vor allem im Stellungsspiel, knallhart aus. Es waren die beiden einzigen Schüsse, die die Gäste vor der Pause aufs Tor brachten, bevor sie sich mit der Führung im Rücken etwas zurück zogen. Dass der erste VfB-Treffer wie schon gegen Bochum durch ein Gladbacher Abwehrbein ermöglicht wurde, war natürlich glücklich, aber auch nicht ganz unverdient, schaut man sich die Chancen schon in der ersten Halbzeit an. Vor allem aber funktionierte das Offensivspiel, speziell über die Außenbahnen mit Sosa und Tomás. Aber auch über Kalajdzic, der wieder im bewährter Manier Bälle auf seine Nebenleute ablegte. Vor allem aber hatten die Bälle aus der eigenen Hälfte wieder die richtige Länge und kamen genau richtig zwischen den Gladbacher Ketten wieder runter und nicht wie zuletzt nahe der Torauslinie — auch ein Verdienst des wiedererstarkten Kapitäns Wataru Endo, der sich mit einem Tor belohnte.
Variantenreich und zielorientiert
Es war auch dieses variantenreiche und zielorientierte Offensivspiel, das in der zweiten Halbzeit zu weiteren Großchancen und den beiden Toren durch Führich und Kalajdzic führte. Vor allem Sosa machte ein überragendes Spiel, ließ seine Gegenspieler ein ums andere Mal alt aussehen, zog einen Freistoß, den Marmoush direkt aufs Tor brachte, schnappte sich den Rebound nach Sommers Parade und legte Sasa Kalajdzic von der Grundlinie aus dessen Siegtreffer auf. Der Rest war eine lange nicht mehr erlebte Eskalation in der Cannstatter Kurve und ein paar Minuten Zittern. In denen sich der VfB aber wesentlich mutiger und schlauer anstellte als zuletzt.
Dieser Sieg wirkt natürlich vor allem in der Retrospektive folgerichtig, die Reihenfolge der Tore als natürliche Konsequenz der zeitweise spielerischen Dominanz des Offensivquartetts. In Echtzeit verfluchst Du Dich dafür, dass Dir dieser Sport und dieser Verein so viel bedeutet, siehst Dich vor Deinem inneren Auge schon wieder in Hannover und Kiel im Gästeblock stehen. Und am Ende bist Du doch froh über ein Hobby, das Dir solche Glücksmomente beschert. Und gleichzeitig ist es bei aller Freude und aller Erleichterung doch nur eine Momentaufnahme. Matarazzo sagte unter der Woche in einer internationalen Medienrunde “When we win, we’re going to start rolling”. Die Mannschaft muss jetzt der Ankündigung ihres Trainers Taten folgen lassen.
Keep rollin’, rollin’, rollin’
So vielversprechend der Heimsieg gegen Gladbach auf spielerische, emotionaler, mentaler und nicht zuletzt tabellarischer Ebene war, wir sind weiter in der Verfolgerrolle. Immerhin verfolgen wir Mannschaften, die ähnlich wie die Borussia auch nicht unbedingt stabil sind, es darf jetzt aber in diesen direkten Duellen keinen Rückfall mehr geben. Gegen die Hertha, Augsburg und Bielefeld muss gewonnen werden und zusätzlich muss man auch mal in den Spielen gegen Union, Dortmund oder Bayern einen eher außenseitigen Punktgewinn landen. Ein Anfang ist gemacht, aber nicht mehr. So kopflastig wie die Mannschaft zuletzt agierte, könnte der Sieg wie gegen Hamburg in der zweiten Liga Kräfte frei setzen. Aber auch damals setzte es erst noch eine Derby-Niederlage, bevor man den Aufstieg klarmachte. Das können wir uns eigentlich auf Platz 17 nicht erlauben. Von jetzt an darf es nur noch eine Richtung geben: Nach oben.
Noch ein paar Worte zu den Ereignissen Im Gästeblock: Die auf Twitter kursierenden Videos der Aggressionen der Ordner gegenüber Gladbacher Fans lassen für mich keine Rechtfertigung für die Brutalität erkennen, mit der die Ordner vorgehen, egal was vorher passiert ist. Lange habe ich mich hier nicht mehr zu Fanthemen geäußert, ganz einfach weil keine im Stadion waren. Es ist unfassbar, dass wir bei einem der ersten Spiele mit einem einigermaßen vollen Stadion wieder über sowas reden müssen. An dieser Stelle gute Besserung nach Gladbach und dem VfB viel Erfolg bei der Aufklärung.
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Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images