Rund um das Spiel bei Union Berlin

War das jetzt der Start­schuss für die Auf­hol­jagd oder schießt sich der VfB in Ber­lin wie­der selbst ins Knie?

Man wur­de als VfB-Fan im ver­gan­ge­nen Jahr­zehnt ja nach­hal­tig in Sachen Skep­sis geschult. Eine Lek­ti­on lau­tet, dass sel­ten zwei gute und erfolg­rei­che Spie­le auf­ein­an­der fol­gen, zumin­dest nicht in der Bun­des­li­ga. Eine ande­re, dass selbst tem­po­rä­re Glücks­ge­fühl lang­fris­tig in Trau­er enden — sie­he Pader­born 2015. In einer opti­ma­len Welt las­sen sich die Brust­ring­trä­ger, durch das spä­te 3:2 gegen Mön­chen­glad­bach von allen Selbst­zwei­feln befreit jetzt nicht mehr auf­hal­ten und sam­meln flugs die für den Klas­sen­er­halt not­wen­di­gen Punk­te. In mei­ner skep­ti­schen Fan­ta­sie ist aber der Opti­mis­mus im Lau­fe der Woche genau­so gesun­ken, wie er in der Ver­gan­gen­heit nach Nie­der­la­gen gegen Wochen­en­de den vor­he­ri­gen Pes­si­mis­mus ver­drängt hat­te. Wird der VfB bei Uni­on auch so schnell in Rück­stand gera­ten? Wird Uni­on sich dann auch so pas­siv prä­sen­tie­ren wie die Glad­ba­cher am ver­gan­ge­nen Sams­tag? Oder wer­den wir wie­der am Pfos­ten, unse­rer Rest­ver­tei­di­gung oder dem VAR schei­tern, wäh­rend die Kon­kur­renz wie­der anfängt zu punk­ten — Augs­burg aus­ge­nom­men? Die kom­men­den Wochen wer­den zei­gen, ob der VfB end­lich mal die­sen unsäg­li­chen Zyklus der Ent­täu­schung durch­bre­chen kann.

Genug Glas­ku­gel, schau­en wir auf die

Personalsituation

Ich habe über ihn nichts gele­sen, aber da er gegen Glad­bach schon auf der Bank saß, gehe ich davon aus, dass Orel Manga­la wie­der fit ist und das trifft wohl auch auf sei­nen Ersatz Chris Füh­rich zu, der beim Heim­sieg nicht nur ein Tor erziel­te, son­dern auf der Acht auch ein gutes Spiel mach­te und Pel­le­gri­no Mat­a­raz­zo im offen­si­ven Mit­tel­feld somit eine wei­te­re Opti­on offen­bart. Li Egloff klebt das Ver­let­zungs­pech wei­ter an den Füßen oder viel­mehr wie im aktu­el­len Fall am Rücken. Pas­cal Sten­zel hin­ge­gen wäre bereit für Uni­on. Eher lang­fris­tig muss Mo San­koh pla­nen, der laut Mat­a­raz­zo bald ins Mann­schafts­trai­ning ein­stei­gen könn­te.

Wie sieht also eine

Mögliche Aufstellung

aus?

Wie schon ange­spro­chen ermög­licht die unge­wohnt gute Per­so­nal­la­ge Mat­a­raz­zo meh­re­re Optio­nen. Ich gehe davon aus, dass er an der Grund­for­ma­ti­on fest­hal­ten wird, die der Mann­schaft schon in den letz­ten Spie­len Struk­tur und Sicher­heit ver­lieh, auch wenn sie einen natür­lich nicht vor indi­vi­du­el­len Feh­lern bewahrt. Ich wür­de also dir Vie­rer­ket­te unver­än­dert las­sen, mit der Opti­on Sten­zel rechts rein und die Ket­te nach links zu ver­schie­ben, soll­te Itos Form­kur­ve wie­der nach unten zei­gen — oder Wal­de­mar Anton dann doch kurz vor sei­ner fünf­ten gel­ben Kar­te und einer Gelb­sper­re gegen Augs­burg ste­hen. Auf der Dop­pel­acht wür­de ich auf Manga­la set­zen, der zwar dra­ma­tisch weni­ger tor­ge­fähr­lich ist als Füh­rich, jedoch ein biss­chen fit­ter und viel­leicht noch bes­ser in der Lage, Uni­ons Umschalt­spiel zu unter­bin­den. Vor­ne blie­be es dann unver­än­dert beim Drei­ge­stirn aus Mar­moush, Tomás und Kalajd­zic, wobei Füh­rich auch hier eine Alter­na­ti­ve zum offen­siv zuletzt glück­li­chen Mar­moush dar­stel­len könn­te.

Und wie sieht die

Lage beim Gegner

aus? Dar­über haben wir mit Uni­on-Fan Sebas­ti­an (@pape_razzo) gespro­chen.

Wie ist Dein Gefühl vorm Spiel?

Vor­freu­de mit Bei­geschmack. Es erwar­tet uns ein ver­mut­lich sehr enges Spiel, des­sen Aus­gang für mich über­haupt nicht vor­her­sag­bar ist. Dafür hof­fe ich auf einen inter­es­san­ten Spiel­ver­lauf. Bei­de Mann­schaf­ten begeg­nen sich in ähn­li­cher Form: Uni­on hat aus den letz­ten fünf Liga­spie­len drei Punk­te geholt, Stutt­gart vier. Uni­on hat nach 2 Sie­gen (gegen Mainz in der Liga und St. Pau­li im Pokal) zwar die letz­te Par­tie in Wolfs­burg ver­lo­ren, dabei aber eine gute Leis­tung gezeigt. Der VfB wie­der­um wird nach dem gedreh­ten Spiel gegen Glad­bach mit eini­ger Eupho­rie anrei­sen. Ich bin also opti­mis­tisch, dass wir eine unter­halt­sa­me Par­tie sehen wer­den.

Mög­li­cher­wei­se ent­schei­dend wer­den könn­ten die ca. 16500 Fans, die für die­ses Spiel in unse­rem Wohn­zim­mer zuge­las­sen sind (75% Sta­di­on­aus­las­tung). Das sind so vie­le Heim­spiel­gäs­te wie seit dem aus­ver­kauf­ten Stadt­der­by vor fast vier Mona­ten nicht mehr. Aller­dings habe ich auch ein etwas mul­mi­ges Gefühl ange­sichts des wie­der Fahrt auf­neh­men­den Infek­ti­ons­ge­sche­hens. Trotz­dem wer­de ich am Sonn­abend im Sta­di­on sein und mich auf ein (fast) nor­ma­les Bun­des­li­ga­spiel freu­en – mein ers­tes Uni­on-Heim­spiel seit dem Hin­run­den­ab­schluss gegen Frei­burg im Dezem­ber.

Wer fällt bei Euch aus?

Neben András Schä­fer, der noch an einer Knie­ver­let­zung labo­riert, fal­len Stamm­tor­hü­ter Andre­as Luthe, die Mit­tel­feld­spie­ler Gen­ki Hara­guchi und Levin Özt­u­na­li sowie Stür­mer Kevin Beh­rens aus, alle mit SARS-CoV2-Infek­ti­on. Außer­dem Kei­ta Endo mit Knie­pro­ble­men. Ansons­ten ist der Kader Stand ein­satz­be­reit. Per­so­nell sieht die Lage bei uns also gut aus. Mit Beh­rens und Schä­fer feh­len ein Ergän­zungs­spie­ler in der Offen­si­ve und ein Neu­zu­gang im Mit­tel­feld, der aber eher per­spek­ti­vi­scher Natur ist. Der Aus­fall von Luthe wiegt da nomi­nell am schwers­ten, aber mit Fre­de­rik Røn­now steht ein Ersatz bereit, der sich auf ähn­li­chem Niveau bewegt und außer­dem schon in den Pokal­wett­be­wer­ben weit­ge­hend sta­bi­le Leis­tun­gen gebracht hat. Es wird sein sieb­ter Pflicht­spiel­ein­satz in die­ser Sai­son für Uni­on, und er wird die­se Gele­gen­heit nut­zen wol­len, um sich zu bewei­sen und für die kom­men­de Sai­son zu emp­feh­len.
Ich hof­fe und wün­sche allen, dass sich in der Zwi­schen­zeit bis zum Spiel bei bei­den Ver­ei­nen kei­ne wei­te­ren Spie­ler infi­zie­ren oder ver­let­zen.

Wo lie­gen aktu­ell Eure Stär­ken und Schwä­chen und auf wen müs­sen wir beson­ders auf­pas­sen?

Uni­ons Qua­li­tä­ten lie­gen bekann­ter­ma­ßen in einer kom­pak­ten Defen­si­ve, gro­ßer tak­ti­scher Dis­zi­plin und der Fähig­keit, ein­zel­ne Defi­zi­te als Kol­lek­tiv zu kom­pen­sie­ren. Dazu kom­men eine gute Atmo­sphä­re inner­halb der Mann­schaft und eine über­durch­schnitt­li­che Ein­satz- und Lauf­be­reit­schaft auf dem Platz.
Das Leis­tungs­ni­veau der Mann­schaft ist in der Rück­run­de ent­ge­gen der pro­phe­zei­ten Post-Kru­se-Apo­ka­lyp­se nicht ein­ge­bro­chen, auch wenn die Ergeb­nis­se in den letz­ten Spie­len etwas durch­wach­se­ner waren. Nach den Sie­gen gegen Mainz in der Liga und St. Pau­li im Pokal schei­ter­te das Team in Wolfs­burg vor allem an einer schwa­chen Chan­cen­ver­wer­tung. Ange­sichts der hohen Effi­zi­enz in der Hin­run­de ist das eine etwas unge­wohn­te Erfah­rung. Es ist aber offen­bar genug Poten­zi­al und Sub­stanz in Uni­ons Spiel, um sich kon­ti­nu­ier­lich Chan­cen her­aus­zu­ar­bei­ten, und das wol­len wir ja alle sehen.

Beson­ders das Ver­schie­ben mit wei­ten Flan­ken­wech­seln auf die auf der ball­fer­nen Sei­te auf­ge­rück­ten Außen­ver­tei­di­ger war ein cha­rak­te­ris­ti­sches und oft erfolg­rei­ches Mit­tel in Uni­ons Spiel in die­ser Sai­son. Acht der bis­he­ri­gen 49 Pflicht­spiel­tref­fer gehen auf das Kon­to von Ryer­son, Trim­mel und Gießel­mann – allein in der Bun­des­li­ga kam fast jeder fünf­te Tref­fer von einem die­ser Außen­bahn­spie­ler.
Womit sich das Team – ver­ständ­li­cher­wei­se – noch schwer tut, ist Ideen gegen tief­stehen­de Geg­ner zu ent­wi­ckeln. Wenn dazu, wie in Wolfs­burg, Flan­ken und Stan­dards nicht den gewünsch­ten Erfolg brin­gen, könn­te es zäh wer­den. Was momen­tan auch nicht so gut funk­tio­niert, ist das Tore­schie­ßen. Uni­on hat die wenigs­ten erziel­ten Tref­fer aller Mann­schaf­ten aus der obe­ren Tabel­len­hälf­te und ins­be­son­de­re Awo­niyi läuft sei­ner Form aus der Hin­run­de bis­lang noch hin­ter­her. Beh­rens fällt aus, Neu­zu­gang Sven Michel konn­te bis­lang noch kei­ne Akzen­te set­zen und auch Vogl­sam­mer traf in der Rück­run­de erst ein­mal.

Obwohl Uni­on nicht vie­le Tore erzielt, ver­fügt das Team den­noch über eine star­ke Offen­si­ve. Beson­ders She­ral­do Becker kommt der­zeit immer bes­ser in Form. Mit sei­nem hohen Tem­po zieht er vor allem über außen und bringt gefähr­li­che Flan­ken ins Zen­trum, die auch oft ihre Adres­sa­ten fin­den. Wett­be­werbs­über­grei­fend ste­hen schon 6 Tor­vor­la­gen auf Beckers Kon­to. Dazu kann er auch als zwei­te Spit­ze spie­len, zieht gern in die Mit­te und sucht selbst den Tor­ab­schluss.
Offen gestan­den war er mir per­sön­lich in sol­chen Situa­tio­nen oft zu ego­is­tisch oder über­has­tet. Ich hat­te das Gefühl, er woll­te manch­mal mit dem Kopf durch die Wand und pro­bier­te es auch aus nicht so aus­sichts­rei­chen Abschluss­po­si­tio­nen (was habe ich gelit­ten in Rot­ter­dam). Ihm ist aber zugu­te zu hal­ten, dass er sich immer voll rein­hängt.
Nach durch­wach­se­nem Sai­son­be­ginn, und einer öffent­li­chen For­de­rung nach mehr Ein­satz­zei­ten im Okto­ber letz­ten Jah­res scheint nun der Kno­ten end­lich geplatzt zu sein. Gegen Mainz und St. Pau­li gelang ihm in zwei Pflicht­spie­len nach­ein­an­der jeweils ein Tor. Gut vor­stell­bar, dass er nach sei­nem Assist im Hin­spiel in Stutt­gart auch beim Rück­spiel wei­te­re Scor­er­punk­te sam­melt.

Statistik

Viel sta­tis­ti­sches zu Uni­on hat Sebas­ti­an schon genannt. In den letz­ten fünf Par­tien gelang nur ein Sieg und das war nach dem Abgang von Max Kru­se im Win­ter auch das ein­zi­ge Spiel, in dem Uni­on Tore erziel­te. Spiel­te man gegen Glad­bach die 100. Bun­des­li­ga-Par­tie, so ist das Spiel am Sams­tag über­haupt erst das ach­te Aus­ein­an­der­tref­fen mit Uni­on und die zwei­te Rück­kehr des VfB an die Alte Förs­te­rei nach dem unsäg­li­chen 27. Mai 2019. Im letz­ten Spiel in Köpe­nick gelang den Haus­her­ren auch der ers­te Sieg gegen den VfB. Nach einem Sieg des VfB in der zwei­ten Liga 2017 ist die Bilanz also aus­ge­gli­chen.

Fazit

Aktu­ell greift das Coro­na-Virus, wel­ches den VfB in die­ser Sai­son schon so arg gebeu­telt hat, wie­der um sich: Mainz muss bereits das zwei­te Spiel ver­le­gen, ähn­lich geht es Düs­sel­dorf und dem HSV in der zwei­ten Liga. Auch beim mor­gi­gen Geg­ner fal­len Spie­ler aus, wenn auch nicht unbe­dingt Stamm­kräf­te. Nimmt man die zuletzt schwan­ken­de Form Uni­ons hin­zu, könn­te es mit etwas Fan­ta­sie sogar etwas wer­den mit dem ers­ten Sieg an der Alten Förs­te­rei. Das wäre natür­lich nicht nur ein Sieg über die eige­nen Dämo­nen, zumin­dest für mich, son­dern vor den direk­ten Duel­len mit Augs­burg und Bie­le­feld auch für die Tabel­le extrem wich­tig. Ganz so zuver­sicht­lich, dass der VfB wie von Mat­a­raz­zo ange­kün­digt jetzt ins Rol­len kommt, bin ich aber noch nicht. Auch dem selbst von Sven Mislin­tat als Ver­gleich her­anz­ge­zo­ge­nen 3:2 gegen den HSV in der zwei­ten Liga folg­te ein müdes 2:0 gegen Coro­na-gebeu­tel­te Dresd­ner, ein 0:0 gegen Osna­brück und eine Nie­der­la­ge im Geis­ter­der­by. Ich las­se mich aber gern eines Bes­se­ren beleh­ren und lege mei­ne Skep­sis irgend­wann ab. Ein Punkt­ge­winn aus­wärts bei einem schwie­ri­gen Geg­ner wäre ein ers­ter Schritt dafür.

Zum Wei­ter­le­sen: Der Ver­ti­kal­pass will unbe­dingt in Ber­lin gewin­nen und for­dert, frei nach dem Trai­ner des ande­ren Ber­li­ner Ver­eins Abstiegs­kampf until shit. Die Ber­li­ner Kolleg*innen vom Tex­til­ver­ge­hen sieht bei­de Mann­schaf­ten auf Augen­hö­he — immer wie­der inter­es­sant, die Außen­per­spek­ti­ve.

Titel­bild: © John MacDougall/AFP via Get­ty Images

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