Fratze mit Bart

Erst durch die Coro­na-Kri­se und die Debat­te um Geis­ter­spie­le offen­bart sich für vie­le eine zwei­fel­haf­te Geis­tes­hal­tung im Pro­fi­fuß­ball. Dabei offen­bart nicht zuletzt eine am Mon­tag ver­öf­fent­lich­te Pod­cast-Fol­ge, dass sol­ches Ver­hal­ten in der Bran­che fest ver­an­kert ist.

Wann auch immer jemand in den ver­gan­ge­nen Jah­ren begann, das Leben eines Pro­fi­spie­lers oder ‑Trai­ners mit dem eige­nen Berufs­le­ben zu ver­glei­chen, stell­ten sich mir die Nacken­haa­re hoch. Ob es um Ver­eins­wech­sel wegen bes­se­rer Bezah­lung ging (“Du wür­dest doch auch woan­ders hin­ge­hen dann!”), um Kri­tik an Spie­lern (“Wenn ich so arbei­ten wür­de, wie die kicken…”) oder um die Kri­tik an der Kri­tik (“Wie fän­dest Du es, wenn dich jemand an der Arbeit dau­ernd anschreit?”): Für mich war der nor­ma­le Büro­job ein­fach nicht ver­gleich­bar mit dem Beruf des Fuß­ball­pro­fis, der Woche für Woche sei­ne Arbeit unter den wach­sa­men Augen vor Zehn­tau­sen­den bis Mil­lio­nen von Men­schen ver­rich­tet. Aber so eine Kri­se bringt ja bekannt­lich auch fes­te Über­zeu­gun­gen ins Wan­ken.

Denn so sehr man sich manch­mal wünscht, dass die­ser Spie­ler oder jener Funk­tio­när aus Lie­be zum Ver­ein, in unse­rem Fall dem VfB, agiert, so sehr muss man sich auch ein­ge­ste­hen, dass das unrea­lis­tisch oder zumin­dest äußerst sel­ten ist. Und natür­lich gibt es jene Pro­fis, die ein ganz beson­de­res Ver­hält­nis zu den Fans pfle­gen und deren Bedürf­nis­se und Ansich­ten respek­tie­ren. Aber auch sie bil­den die Aus­nah­me. Die Rea­li­tät sieht in der Tat so aus: Der Fuß­ball ist ein Geschäft und sei­ne Prot­ago­nis­ten ent­we­der sehr gut bezahl­te Arbeit­neh­mer oder sehr mäch­ti­ge und rei­che Arbeit­ge­ber.

Alles für die Geisterspiele

Nicht gerade ein angenehmes Gesicht des Fußballs. © Reinaldo Coddou H./Bongarts/Getty Images
Nicht gera­de ein ange­neh­mes Gesicht des Fuß­balls. © Rei­nal­do Cod­dou H./Bongarts/Getty Images

So wenig bahn­bre­chend wie die­se Erkennt­nis ist, so offen­sicht­lich wur­de das mal wie­der in den ver­gan­ge­nen Wochen, als die DFL Lob­by­ar­beit für die Fort­füh­rung der Sai­son mit Geis­ter­spie­len betrieb und zwei Minis­ter­prä­si­den­ten sogleich ver­si­cher­ten, dass eine Wie­der­auf­nah­me des Spiel­be­triebs nicht aus­ge­schlos­sen sei. Davon mal ganz abge­se­hen, dass auch in Bad Cannstatt seit eini­ger Zeit wie­der, wenn auch mit Ein­schrän­kun­gen trai­niert wird. Und für den Spiel­be­trieb hat die DFL mit einem Kon­zept schein­bar vor­ge­sorgt: Detail­liert wird beschrie­ben, wer sich bei einem Geis­ter­spiel wo im Sta­di­on auf­zu­hal­ten hat und vor allem: Wie mit Infek­tio­nen umge­gan­gen wer­den soll. Den Ver­ei­nen wird emp­foh­len, für das Sai­son­fi­na­le einen grö­ße­ren Kader bereit zu hal­ten und sie wer­den ange­wie­sen, Infek­tio­nen zunächst an die Liga und nicht an die Öffent­lich­keit zu mel­den. Ein Ver­hal­ten, dass einem von Insti­tu­tio­nen wie der Katho­li­schen Kir­che bekannt vor­kommt, die ihre Sachen auch lie­ber intern als in Zusam­men­ar­beit mit Behör­den regelt.

Und dann steht da noch die Zahl von 20.000 Tests im Raum, die nötig wären, um den Pro­fi­fuß­ball über die Büh­ne zu brin­gen und regel­mä­ßig her­aus zu fin­den, ob sich jemand infi­ziert hat. Spä­tes­tens da koch­te die Empö­rung hoch. Nicht ganz zu unrecht, denn schließ­lich wer­den vie­le Men­schen, deren Arbeit sys­tem­re­le­vant ist, der­zeit nicht getes­tet. Die DFL betont hin­ge­gen, die 20.000 Tests wür­den nie­man­dem etwas weg­neh­men und unter­streicht im nächs­ten Schritt: Bei einem Sai­son­ab­bruch wür­de es die Bun­des­li­ga, wie wir sie ken­nen, nicht mehr geben. Ex-VfB-Trai­ner Ralf Rang­nick, wohl bene­belt von zu viel Salz­bur­ger Gum­mi­bär­chen-Plör­re, ver­stieg sich sogar der Aus­sa­ge, die Wie­der­auf­nah­me des Spiel­be­triebs sei wich­tig für die Mensch­heit.

Gerechtigkeit

Das ist natür­lich eine im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes maß­lo­se Über­trei­bung. Aber klar ist auch: Viel­leicht könn­ten auch Men­schen in sys­tem­re­le­van­ten Beru­fen regel­mä­ßig getes­tet wer­den, viel­leicht könn­ten auch sys­tem­re­le­van­te Bran­chen ihre Pro­duk­ti­on mit dem glei­chen immensen Auf­wand wie­der hoch fah­ren, wie ihn die Bun­des­li­ga betreibt. Nur: Es macht kei­ner, wahr­schein­lich weil es kei­ner bezahlt. Die Liga macht das und nimmt dafür in Kauf, dass ihre Spie­ler sich im Zwei­fels­fall für die neun ver­blie­be­nen Spiel­ta­ge vom Rest der Welt abschot­ten müss­ten. Und all das wäh­rend ihre Fans teil­wei­se um ihre Jobs ban­gen, weil sie in Bran­chen arbei­ten, die wäh­rend der Coro­na­kri­se qua­si still­ste­hen oder weil sie arbei­ten, aber nicht wis­sen, wie sie gleich­zei­tig ihre Kin­der betreu­en sol­len. S

Die Debat­te um die Geis­ter­spie­le ist mei­ner Mei­nung nach also in ers­ter Linie vor allem eine Gerech­tig­keits­de­bat­te und erst in zwei­ter Linie eine Debat­te ums Finan­zi­el­le und die Gesund­heit. Die Fra­ge lau­tet: War­um dür­fen die machen, was sie wol­len — mit staat­li­cher Geneh­mi­gung — und ich muss Abstand hal­ten, Mund­schutz tra­gen und kann nicht in den Urlaub fah­ren? Nun, die Ant­wort lau­tet: Weil der Pro­fi­fuß­ball alles dafür tut, dass es mit sei­nem Geschäft wei­ter­geht. Er macht es, weil es sein Geschäfts­mo­dell ist, Fuß­ball­spie­le durch­zu­füh­ren und damit Geld zu ver­die­nen. Egal wie groß der finan­zi­el­le und orga­ni­sa­to­ri­sche Auf­wand, egal wie kri­tisch das aus den eben genann­ten Grün­den gese­hen wird. Die Kri­tik wie­der­um ver­lei­te­te Liga­chef Sei­fert zu der völ­lig wirk­lich­keits­ent­rück­ten Fra­ge: “Was hat der Pro­fi­fuß­ball falsch gemacht?”

Viel falsch gemacht

Das Gesicht des Fußballs beim VfB. © Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images
Das Gesicht des Fuß­balls beim VfB. © Mat­thi­as Hangst/Bongarts/Getty Images

Wer solch dumm­dreist-nai­ve Fra­gen stellt, weiß ent­we­der war­um oder könn­te von den Ant­wor­ten ver­un­si­chert wer­den. Nun­ja, wo soll man anfan­gen? Bei zer­stü­ckel­ten Spiel­ta­gen und der Ein­füh­rung von Mon­tags­spie­len durch die Hin­ter­tür vor fast genau vier Jah­ren? Bei absur­den Sta­di­on­na­men wie dem zukünf­ti­gen Deut­sche-Bank-Park in Frank­furt? Bei kor­rup­ten Welt‑, Kon­ti­nen­tal- Lan­des­ver­bän­den? Bei der Zulas­sung von Wett­be­werbs­ver­zer­rern wie Red Bull in den Liga­be­trieb? Selbst wenn gesund­heit­lich und finan­zi­ell an Geis­ter­spie­len nichts zu bean­stan­den wäre: Der Pro­fi­fuß­ball hat in der Ver­gan­gen­heit genug falsch gemacht.

Das wur­de auch deut­lich — und damit krieg ich noch den Dreh zum VfB — in der Vier-Stun­den-Mam­mut­fol­ge, die die Kol­le­gen von VfB STR mit Andre­as Schlit­ten­hardt auf­ge­nom­men haben und die seit Mon­tag­abend unter dem Hash­tag #schlit­ti­leaks bei Twit­ter aus­gie­big dis­ku­tiert wird. Dar­in plau­derrt der Erfin­der der unsäg­li­chen “Ja zum Erfolg”-Kampagne aus dem Näh­käs­ten, das nach drei Jah­ren beim VfB prall gefüllt ist. Vor allem mit Infos über die unter­ir­di­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on, die der VfB teil­wei­se betreibt. Vor allem, als er Schlit­ten­hardts Face­book-Fan­sei­te “Fokus VfB” — Ihr erin­nert Euch — ein­spann­te, um den angeb­lich wenig mit Fak­ten han­tie­ren­den Blogs und Pod­casts etwas ent­ge­gen set­zen zu kön­nen. Der Rest ist auch sehr inter­es­sant, bestä­tigt vor allem vie­les, was wir und ande­re in den letz­ten Jah­ren man­gels Wis­sen nur ver­mu­ten konn­ten. Natür­lich ist die eige­ne Arbeit für Diet­rich ent­we­der ein ganz tol­ler PR-Coup, wird mit einem Augen­zwin­kern ver­se­hen oder es wird ein­fach in Fra­ge gestellt, ob man beim VfB sei­ne Mit­glie­der wirk­lich an der Nase her­um­füh­ren woll­te. Und Diet­rich sel­ber war natür­lich vor allem ein Opfer der Umstän­de und litt dar­un­ter, es nie­man­dem recht machen zu kön­nen. Ihr kennt das Gejau­le.

Systemimmanent

Ich muss ganz ehr­lich sein: Für mein See­len­heil war es nicht gut, die­se Fol­ge zu hören. Zu frisch ver­narbt sind die Wun­den, die die angeb­lich im Namen und Sin­ne des Ver­eins han­deln­den Per­so­nen bis letz­ten Som­mer in mei­ne Fan­see­le geschla­gen haben. Und, was man nicht ver­ges­sen darf: Vie­le sind noch beim VfB tätig, immer noch in wich­ti­gen Posi­tio­nen und man kann nur hof­fen, dass man im e.V. und der AG über die Coro­na-Kri­se nicht ver­ges­sen hat, dass es gera­de mal etwas weni­ger als ein Jahr her ist, dass man bei vie­len Mit­glie­dern jeg­li­chen Kre­dit ver­spielt hat. Was beim VfB in den Jah­ren zwi­schen 2016 und 2019 pas­sier­te, habe ich ja hier rela­tiv häu­fig the­ma­ti­siert und es passt per­fekt ins gro­ße, gan­ze Bild: Es ging nie um Fans und Mit­glie­der, Ehr­lich­keit und Respekt. Es ging immer um Macht und Befind­lich­kei­ten. Und Geld. Und es widert mich immer noch an.

Wenn ich ganz ehr­lich bin, wird sich beim VfB wahr­schein­lich nach­hal­tig nichts ändern. Dafür ist der Ver­ein zu groß, dafür gibt es zu vie­le Leu­te, die immer irgend­wo drin­hän­gen und ihre Inter­es­sen durch­drü­cken, wer auch immer nomi­nell den Hut auf­hat. Genau­so­we­nig wie sich im gesam­ten Busi­ness etwas ändern wird. Die Geld­sucht, die Irre­füh­rung und Ver­ar­sche ist teil­wei­se sys­tem­im­ma­nent und das war sie ganz offen­sicht­lich schon vor Coro­na und der Geis­ter­spiel­de­bat­te. Und man darf nicht ver­ges­sen, dass die DFL auch nur die Inter­es­sen­ver­tre­tung der Pro­fi­clubs ist — von St. Pau­li und Uni­on bis hin zu Red Bull und Hof­fen­heim. Die häß­li­che Frat­ze des Fuß­balls, sie steht nicht in den Kur­ven.

Der Preis, den man bezahlt

The show always went on. © imago
The show always went on. © ima­go

Was ich damit sagen will: Man kann sich über das Ver­lan­gen des Pro­fi­fuß­balls, die Sai­son aus wirt­schaft­li­chen Grün­den mit Geis­ter­spie­len zu Ende zu brin­gen, ärgern. Man braucht sich aber nicht dar­über wun­dern. Das ist aber der Preis, den man bezahlt, wenn man ein Pro­fi­fuß­ball­team unter­stützt. Das ist auch der Preis, den man als VfB-Fan zahlt. Und nicht erst seit den explo­die­ren­den Trans­fer­sum­men. Schon das FA-Cup-Halb­fi­na­le  1989 zwi­schen Liver­pool und Not­ting­ham, dass in der Kata­stro­phe  der 95 von der Poli­zei getö­te­ten Fans ende­te, wur­de wie­der­holt. Es muss­te ja wei­ter­ge­hen. Die Frat­ze hat sooo einen Bart.

Aber des­halb dem Fuß­ball und dem VfB Lebe­wohl sagen, den Blog hier zuma­chen und die Schals bei ebay ver­kau­fen? Kommt für mich per­sön­lich nicht infra­ge. Weil der VfB für mich mehr ist die nomi­nell in sei­nem Namen han­deln­den Per­so­nen. Und weil ich mir die Fas­zi­na­ti­on für Fuß­ball und all das was ihn, los­ge­löst der häß­li­chen Frat­ze, die ich hier skiz­ziert habe, aus­macht, nicht neh­men las­sen will. 

Titel­fo­to: © Arne Dedert/Pool/Getty Images

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