Kicker-Redakteur Benni Hofmann hat die Präsidentschaft von Wolfgang Dietrich, samt Datenskandal und Betrug an den Mitgliedern sowie deren Vorgeschichte und Folgen in Buchform gegossen. Wir haben “Kurve oder Kapital? Der VfB Stuttgart am Scheideweg” gelesen.
Wer sich, wie ich, in den letzten sechs Jahren ausführlich mit dem VfB in all seinen Facetten beschäftigt hat, bei dem entsteht nach der Lektüre von “Kapital oder Kurve?”, dem morgen erscheinenden Buch von kicker-Redakteur Benni Hofmann, der Eindruck, als habe er das Buch selbst geschrieben. Damit will ich Hofmann weder die Autorenschaft, noch seine hervorragende Rechercheleistung streitig machen. Aber, bis auf einige interessante Details, erwarten jemanden wie mich in diesem Buch keine Überraschungen. Vielleicht auch, weil mein Name zwei Mal im Register auftaucht und die der Blog- und Podcast-Kollegen Merz, Palm und Rose gleich mehrfach. Aber auch das soll keine Kritik sein. Denn wie ich kürzlich im Podcast-Gespräch mit Steffen von der Bruddelei und “House of Stuttgarts”-Co-Autor Oli Fritsch herausarbeitete, sind gut informierte VfB-Fans nicht die Hauptzielgruppe von Texten wie dem in der Zeit oder eben des vorliegenden Buches.
Gelesen haben sollte es aber trotzdem jeder VfB-Fan — ob gut informiert oder nur am Rande — und jeder Fußball-Fan, der sich fragt, was genau da eigentlich beim VfB abgegangen ist in den letzten 14 Jahren und warum viele VfB-Fans so sind, wie sie heute sind. Wie der VfB vom strahlenden Deutschen Meister 2007 zum, verzeih mir Thomas, Klepperles-Verein 2021 werden konnte. Hofmann zeichnet diesen sportlichen Verfall, mit dem auch ein struktureller und letztlich auch moralischer Verfall einherging, bis zum Abstieg 2016 im Schnelldurchlauf und in der Folge im Detail nach. Mit scharfer Klinge seziert er dabei all die Ungeheuerlichkeiten, die sich der Verein für Bewegungsspiele zu Stuttgart in der zweiten Hälfte des abgelaufenen Jahrzehnts gegenüber seinen Mitgliedern und Fans leistete. Von der Inthronisierung Dietrichs 2016 — bei der ich gerne noch einen Hinweis auf Martin Schäfers “Schutt und Asche” — Drohszenario oder Wilfried Porths entlarvendem Ausspruch vom “Präsidenten den wir wollten” gelesen hätte — über die erratische Personalpolitik und den damit verbundenen sportlichen Totalschaden des Abstiegs 2019 bis hin zu zwei Themen, zu deren Prominenz und Aufklärung Hofmann selber journalistisch beigetragen hat: Den von Ungereimtheiten durchzogenen Verbindungen von Wolfgang Dietrich mit Firmen, die von sportlichen Erfolgen direkter VfB-Konkurrenten und möglicherweise auch vom Aufstieg Union Berlins und dem damit verbundenen Abstieg des VfB profitierten sowie der unerlaubten Weitergabe von Mitgliederdaten im Rahmen der Mitgliederverarschungskampagne zur Ausgliederung. Hier kommt Hoffmanns ganze Expertise zu diesen Themen zum Tragen, sowohl was die Finanzkonstrukte angeht, als auch die zeitlichen Abläufe diverser E‑Mail-Korrespondenzen. In schöner Übersichtlichkeit werden all jene benannt, die für die größte Vertrauenskrise in der jüngeren Vereinsgeschichte haupt- und mitverantwortlich waren und damit wird auch noch mal in Erinnerung gerufen, warum es gut ist, dass Rainer Mutschler, Dr. Bernd Gaiser, Oliver Schraft, Stefan Heim, Jochen Röttgermann und Wilfried Porth auf der VfB-Webseite nicht mehr in der Übersicht der Gremienmitglieder zu finden sind. Dass in der Aufarbeitung von Dietrichs Amtszeit auch immer wieder “Ja zum Erfolg”-Urheber Andreas Schlittenhardt genannt wird liegt in der Natur der Sache, hinterlässt trotzdem wie schon beim Hören der ausgiebig zitierten Folge der Kollegen von VfB STR einen fahlen Nachgeschmack. Aber das nur am Rande.
Erfrischend, kurzweilig, wichtig
Mit der Erwähnung der eben genannten Verantwortlichen stellt Hofmann auch jene personelle Kontinuität her, die Fritsch und seine Kollegen in ihrer Artikelserie mitunter übersehen. Auch die erste Amtszeit von Claus Vogt und die absolute shit show Anfang dieses Jahres wird aufgearbeitet, bis hin zur Mitgliederversammlung am 18. Juli. Selbst auf die Artikelserie in der Zeit wird noch inhaltlich eingegangen und generell ist es erfrischend, wie kritisch Hofmann auch mit anderen Vertretern seiner Zunft umgeht. Michael Antwerpes, Sport-und-nicht-Wirtschaftsredakteur beim SWR wird als Fan, der es über die Bande geschafft hat eingeordnet und auch wenn Hofmann die Namen unter anderem von Gunter Barner, Jens Ottmann, Ursula Vielberg oder Jörg Althoff nicht nennt, lässt er durchblicken, was er von deren Verständnis von Journalismus hält. Erfrischend ist auch der lockere Schreibstil, der selbst nicht-VfB-Fans bis zum Ende der knapp 200 Seiten bei der Stange halten sollte. Selbst wenn das Intrigendickicht im von Hofmann getauften “House of Cannstatt” — sorry Oli, klingt irgendwie besser als Euer Wortspiel — bisweilen undurchdringbar erscheint.
Also, es ist ein kurzweiliges und lesenswertes Buch — mein Rezensionsexemplar hatte ich am selben Abend, an dem ich es aus dem Briefkasten fischte, schon durch — und es ist ein wichtiges Buch. Denn es fasst die, ich wiederhole mich, ungeheuerlichen Vorgänge auf beiden Seiten (!) der Mercedesstraße seit 2016 verständlich und nachvollziehbar zusammen und beleuchtet die richtigen Aspekte — eine Aufgabe, an der viele mit dem VfB befasste Journalisten in den letzten Jahren scheiterten. Hätte ich es nicht selber so eng mitverfolgt und teilweise ‑erlebt, würde ich dieses Buch für dem Genre der Fiktion zuordnen. Leider ist sind die meisten der beschrieben Ungeheuerlichkeiten ganz öffentlich und belegbar genau so passiert. Auch wenn man anmerken darf, dass jede Beschreibung der Ereignisse unweigerlich stellenweise auf Vermutungen oder für die Leserschaft nicht überprüfbaren weil vertraulichen Quellen basiert — in der Zeit wie in diesem Buch. Welche Haltung man dazu einnimmt, ist am Ende jedem selbst überlassen, für mich ist angesichts der sicht- und belegbaren Umstände aber klar, dass es Menschen gibt, die bei dem Thema mehr im Nebel stochern als Benni Hofmann.
Schwer übertragbar
Was dem Buch nicht gelingt, auch die Anmerkung sei mir erlaubt: Das Versprechen des Buchtitels einzulösen. Auch Oli Fritsch und seine Kollegen wollten ein Sittenbild des deutschen Fußballs malen, Hofmanns Titel suggeriert, der Kampf zwischen Kurve und Kapital sei ein genereller, der im Speziellen beim VfB betrachtet wird. Das ist er zwar, gleichzeitig lässt sich das, was in Stuttgart vor sich ging, nur schwer auf andere Vereine oder den deutschen Fußball im Allgemeinen übertragen und das geschieht eben auch im Buch nicht. Aber vielleicht kann es anderen als Warnung dienen. Engagierten Fans und Mitgliedern davor, wie man sich von durchtriebenen Funktionären den Verein fast zerstören lassen kann. Und durchtriebenen Funktionären, dass Fans und Mitglieder immer ein Auge auf sie haben werden und ihre Durchtriebenheit mitunter nicht nur in den endlosen Weiten des Internets thematisiert wird — sondern auch in Büchern von Sportjournalisten.
“Kapital oder Kurve? Der VfB Stuttgart am Scheideweg” ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet 16,90 Euro. Wir haben ein Rezensionsexemplar erhalten. Ihr kauft Euch das Buch bitte entweder direkt beim Verlag oder in der lokalen Buchhandlung Eures Vertrauens!
Wer noch mehr über das Buch erfahren möchte: Benni Hofmann war bei den Kolleginnen vom BrustringTalk zu Gast. Absolute Hörempfehlung!
Titelbild: © Buchcover Verlag Die Werkstatt